Teamplayer und Macher
Lukas Valenta Rinner? Wir sind ehrlich: Der Name dieses Filmemachers war uns vor einem Jahr, als sein Film Parabellum im Jänner 2015 in Rotterdam im Wettbewerb lief, nicht wirklich geläufig. Eine erste Recherche ergab: Lukas ist Salzburger, Jg. 1985, lebt in Argentinien und hatte zuvor nur einen Kurzfilm realisiert, der 2011 auf der Diagonale zu sehen war. Im Frühjahr 2016 wird bereits Lukas’ zweiter Spielfilm fertig sein. Zeit mal nachzufragen: Wer ist Lukas Valenta Rinner eigentlich?
Die Filmkritik war sich über Parabellum (AR/AT/UY/ 2015, 75 min) einig:
Das US-amerikanische Branchenblatt Variety schrieb:
„The disturbing final sequence leaves a lasting impression and, together with what came before, marks Rinner as an interesting voice to follow.“
thepeoplesmovies.com, das BFI London Film Festival begleitend, meinte:
“… it may well be the most fragile and beautiful film of the entire 12 days. […] Be prepared to do some heavy mental lifting as Parabellum drifts along like a cinematic ice-berg and you will be rewarded with one of the most incredible final shots in the history of Science Fiction cinema.”
Und im The Hollywood Reporter war zu lesen:
“Parabellum was one of the more noteworthy contenders for the Tiger Awards at Rotterdam, and should enjoy its share of further festival bookings over the coming months.”
Und so kam es auch: bisher 39 Festivaleinladungen, darunter prominente Festivals wie FID Marseille, Göteborg IFF und New Directors/New Films in New York. Gewonnen wurde auch: Preis für Bester Nachwuchsfilm auf der Diagonale in Graz, Bester argentinischer Film beim Mar del Plata IFF und Spezialpreis der Jury beim Jeonju International Film Festival in Südkorea.
Filmplakat auf koreanisch.
„Uns hat das natürlich total überrascht“, sagt Lukas über den Erfolg von Parabellum. „Nach Rotterdam ist es wie eine Lawine auf uns eingeprasselt, wir wurden vom einen ins andere geworfen.“
„Ich bin nicht der Mensch, der das Leben zwischen Hotels und Festivals supertoll findet und das Jahre lang machen würde“, meint Lukas über sein letztes Jahr. „Ich begleite den Film sehr gerne, aber man ist plötzlich Teil einer Industriemaschinerie, wo alle etwas von einem wollen.“
Wie reagiert er auf diese neue Aufmerksamkeit?
„Das wirkt auf mich nicht wirklich. Was mich viel mehr interessiert, ist, wie ein Publikum auf den Film reagiert. Wie er bspw. in Korea aufgenommen wird, wo das Thema aufgrund von Naturkatastrophen plötzlich sehr real wurde. Beim Kino unter Sternen in Wien kam es sogar zu Streitereien über den Wahrheitsgehalt des Maya-Kalenders. Und während der Vorstellung hat ein Typ völlig wahnsinnig rumgeschrien: ‚Seht’s ned? Da haben’s wen umgebracht! Wegen dem Göd!‘ Das sind wunderbare Momente!“
„Ich sehe meine Arbeit sehr realistisch“, sagt Lukas. „Ich finde die Aufmerksamkeit super, aber möchte mich damit auch nicht zu lange aufhalten.“
„Nicht zu lange aufhalten“ bedeutet bei Lukas Valenta Rinner: ein Jahr nach der Weltpremiere von Parabellum ist sein nächster Spielfilm abgedreht und die Weltpremiere bereits Anfang Mai geplant. Aber zugegebenermaßen braucht es dafür auch das Glück, dass sich in den richtigen Momenten die richtigen Türen öffnen – und Lukas scheint dafür ein gutes Gespür zu haben.
Also von Anfang an:
Von Salzburg über Barcelona nach Buenos Aires
Im erzbischöflichen Privatgymnasium Borromäum in Salzburg begann der junge Lukas Rinner, Musik zu machen, zu zeichnen und zu schreiben. Mit seinem Schulfreund Roman Kasseroller spielte er gemeinsam in Bands und realisierte erste Filmprojekte. „Ich wollte Musik, Malerei, das Schreiben und die Poesie irgendwie verbinden. Film war das naheliegende Medium“, erinnert sich Lukas. Ihr erster Film – ein Experimentalfilm – lief dann auch beim Jugend Medien Festival YOUKI in Wels.
2015 ist Lukas wieder beim YOUKI zu Gast: diesmal nicht als Filmemacher, sondern als Jurymitglied. Neben ihm sitzen die JurykollegInnen Paula Tschira, Carolin Weidner, Kurdwin Ayub und Berkant Erden Hall. (Foto: Maria Mclean/Anja Kunrat YOUKI)
Nach dem Zivildienst wollten Lukas und Roman Film studieren. „Wir haben uns auch auf der Filmakademie Wien erkundigt. Uns wurde gesagt, dass es sehr schwer ist, dort gleich nach dem Gymnasium reinzukommen. Dann bin ich auf einen zweijährigen Kurs einer privaten Filmschule in Barcelona gestoßen, der offen für alle war.“ Also ging Lukas nach Barcelona, ohne Spanischkenntnisse – und alleine, weil sich Roman wenige Wochen vor der Abreise für ein Architekturstudium in Wien entschieden hatte.
„Ich war der ruhige Ausländer, der nie spricht“, beschreibt Lukas sein erstes Jahr in Barcelona. Er lernte sehr schnell die Sprache und verbündete sich mit anderen internationalen Studierenden wie Verena Kuri, eine deutsche Filmemacherin, und Andrés Hilarión, ein kolumbianischer Kameramann. Sie wollten als Gruppe weiterstudieren. Ihr Kameraprofessor gab den Tipp: Bei der Fundación Universidad del Cine (FUC) in Buenos Aires können sich alle inskribieren, ohne Aufnahmeverfahren; und die Uni biete eine sehr offene Form der Produktion. Also packten sie die Koffer und machten 2006 in Argentinien weiter. Roman Kasseroller kam dieses Mal mit.
Aus Schulfreunden wurden Studienfreunde wurden Berufskollegen: Lukas am Set mit Schulfreund und Kameramann Roman Kasseroller und Studienfreundin und Regisseurin Verena Kuri.
„Die ersten zwei Studienjahre waren sehr intensiv“, erinnert sich Lukas. „Wir mussten französische und spanische Filmtheorietexte durcharbeiten und im fast wöchentlichen Rhythmus Kurzfilme drehen. Man kriegt dadurch viel Routine, kann aber auch viel experimentieren.“
Erst im zweiten Jahr bietet das Studium die Möglichkeit, über einen internen Wettbewerb anspruchsvollere Kurzfilme zu drehen. Lukas realisierte so auf 16mm sein, wie er sagt, „eigentlich erstes wirklich geschlossenes Filmprojekt“, den Kurzfilm Carta a Fukuyama (Letter to Fukuyama) (2010, 11 min, siehe rechte Spalte).
Carta a Fukuyama realisierte Lukas Rinner noch unter dem Namen Lukas Valenta („Ein entfernter Familienzweig von uns heißt wirklich Valenta“), weil ein spanisch klingender Name bei der Produktion hilfreicher war. Bei Parabellum kam dann der Familienname Rinner hinzu, weil das wiederum bei österreichischen Förderstellen hilfreicher war.
Über diese Wettbewerbe lernt man im Kleinen die Dynamiken vom Großen kennen: „Du pitcht Projekte. Man muss Projektmappen einreichen. Man wird auf die ganzen Förderinstanzen vorbereitet, mit denen man nachher zu tun hat. Man ist nicht von Anfang an der Auserwählte wie bei anderen Filmakademien.“
„Von einem Ausgangspunkt Bezüge herstellen“
Die Idee zu Parabellum kam 2012, als Folge der Hysterie rund um das Ende des Maya-Kalenders.
„Orte, Menschen, Musik oder ein Bild sind Impulse, von denen meine Projekte starten“, versucht Lukas die Entstehung seiner Geschichten nachzuzeichnen. „Von einem Ausgangspunkt versuche ich dann in einer Kettenreaktion Bezüge herzustellen und aus einem Chaos an Eindrücken ein System zu finden.“
In Carta a Fukuyama wollte Lukas Zeitungsartikel und Orte der Provinz in Verbindung bringen. Daraus wurde eine Parabel über Postmodernismus und den Verlust der Jugend.
In Parabellum verbindet sich die verlassene Landschaft des Tigre Deltas mit Survival-Hysterie zu einem Bild einer bürgerlichen Mittelklasse in Auflösung. „Da hat es in Argentinien in den letzten Jahren eine Radikalisierung gegeben“, erklärt Lukas den gesellschaftlichen Kontext. „Es gibt eine inhärente Gewaltbereitschaft, die zur Zeit von Parabellum total präsent war. Es gab auch gewaltsame Ausschreitungen der Mittelklasse, die aufgrund einer politischen und medialen Zermürbung irgendwann explodieren musste.“
Sieht er sich als politischer Filmemacher?
„Einer der faszinierendsten Filmemacher ist für mich der Japaner Kōji Wakamatsu“, versucht Lukas eine Antwort. „Er macht sehr radikale und revolutionäre Filme. Ich denke viel darüber nach, wie politisch aktiv Filme sein müssen. Es mag ja schon politisch sein, wenn sich Filme gegen konventionelle Erzählweisen richten. In der Hinsicht bin ich sicherlich politisch.“
Den Rest übernehmen die herstellbaren Bezüge, die aus der Übertragung der ursprünglichen Impulse in eine filmische Form entstehen.
„Wenn’s nicht Seidl gewesen wäre, dann Haneke“
Ein Bezug, der ihm etwas auferzwungen, weil in der Analyse zu Parabellum immer wieder eingebracht wird, ist der zum österreichischen Film. Vor allem zu Filmen von Ulrich Seidl. „Man kann nicht wirklich was dazu sagen“, kommentiert Lukas solche Vergleiche. „Wenn’s nicht Seidl gewesen wäre, wär’s vermutlich Haneke gewesen. Es gibt sicher eine gewisse Parallele zu Seidls ästhetischer Herangehensweise. Aber die hat ja auch schon Fassbinder verwendet. Es gibt bei uns aber auch eine ganz starke Liebe zu lateinamerikanischen Regisseuren wie Lisandro Alonso oder dem Mexikaner Carlos Reygadas.“
Ein weiteres Tableau aus Parabellum, „wedding Austrian frigidity with new South American cinema’s fondness for a kind of embalmed isolation“ (Variety).
Autorenkino aus Österreich–Südamerika
Mit „uns“ meint Lukas immer noch sein Team, das sich schon in Barcelona formte und weiterhin zusammen arbeitet. Mit den FilmemacherInnen Verena Kuri und Roman Kasseroller hat er 2012 die Produktionsfirma Nabis Filmgroup gegründet, um zukünftige Projekte so unabhängig wie möglich zu realisieren.
„Ich hatte auch meine Treffen mit österreichischen Produzenten. Mir scheint, man ist hierzulande als Regisseur sehr schnell in einer Bittsteller-Position und der Produzent spricht dann etwas gönnerhaft über dich und deine Filme. So geht’s wahrscheinlich vielen jungen Regisseuren. Aber ich bin nicht bereit, die künstlerische und finanzielle Kontrolle über meine Filme abzugeben.“
Mit der Nabis Filmgroup, mit Sitz in Buenos Aires und Salzburg, will Lukas und sein Team junges Autorenkino in der Achse Österreich–Südamerika ermöglichen. In den nächsten Monaten werden mehrere Spielfilmprojekte gedreht, u.a. der Debütfilm von Verena, den sie gemeinsam mit der argentinischen Regisseurin Sofia Brockenshire realisiert. Der Film wird durch das Biennale College – Cinema mitproduziert und im Herbst in Venedig Premiere feiern.
Bereits abgedreht ist Lukas’ eigenes Regieprojekt und somit sein zweiter Spielfilm: The Decent (Die Liebhaberin). Es geht um eine Liebesgeschichte, die in einem dschungelartigen Nudisten- und Swingercamp in der Provinz von Buenos Aires spielt.
Am Set von The Decent. Ganz oben: Lukas mit Ana Godoy, Co-Autorin und Cutterin, und der Schauspielerin Ivana Olsen. Die drei HauptdarstellerInnen des Films sind professionelle Schauspieler, der Rest – wie in Parabellum – Laien.
Die Idee zum Film kam Lukas während der Recherchen zu Parabellum. Auf einer der zahlreichen Locationscoutings stieß er mit Roman auf einen in einem dschungelartigen Park angelegten Swingerclub mit Tempeln und römischen Bädern, in dem sich die argentinische Mittelschicht am Wochenende zum Grillen und Swingen trifft.
Dass der Spielfilm nun realisiert werden kann, ist dem Digital Cinema Project des Jeonju Filmfestivals, wo Lukas mit Parabellum zu Gast war, geschuldet: Seit Bestehen ermöglicht das südkoreanische Festival jährlich drei ausgewählten RegisseurInnen (darunter waren schon namhafte wie Apichatpong Weerasethakul, Claire Denis und Pedro Costa), mit einem finanziellen Zuschuss Kurzfilme zu produzieren. Seit 2014 sind auch Langfilme möglich. Mit rund 80.000 Euro wird Lukas’ neuer Film mitfinanziert (BKA-Filmabteilung und Land Salzburg fördern ebenfalls).
Ein kleiner Haken: Gerade mal acht Monate bleiben den KünstlerInnen für die Herstellung ihrer Filme. Dass er innerhalb dieser kurzen Zeit einen Film fertig schreibt, finanziert, dreht und fertigstellt, zeugt von einer beeindruckenden Effektivität, die Lukas und seine Weggefährten wohl noch weit über die argentinisch-österreichischen Grenzen hinaus bringen wird.
Soll dann niemand mehr behaupten können, den Namen Lukas Valenta Rinner noch nie gehört zu haben.
Und wer sich auf den Film einstimmen mag, darf sich die Musik von Xiu Xiu anhören. Sie hat Lukas in der Anfangsphase zu The Decent ständig begleitet.