Bernhard Wenger | Regisseur, Autor und Produzent
Porträts

Bernhard Wenger | Regisseur, Autor und Produzent

September 2020

Große Ziele, kleine Etappen

 

Eigentlich ist es bis jetzt eine Bilderbuchkarriere: davon zu träumen Filmemacher zu werden, fleißig Set-Erfahrungen sammeln, Film studieren, seine eigene Handschrift finden und ein gutes Gespür für Geschichten und Figuren haben, die auch noch unterhalten. Was so smooth klingt, ist hart erarbeitet: “Ich setz mir schon immer hohe Ziele, die nicht unerreichbar sind, aber auch nicht leicht zu bewältigen”, sagt Bernhard Wenger. Und seit er den eigenen skurrilen Humor in seine Filme zu übersetzen weiß, wird aus dem leidenschaftlichen Filmemacher eines der viel versprechendsten Talente des Landes.

Unsere Anfrage zum Porträt im Juni erreicht Bernhard in Paris, wo er ab Anfang März weilte: Er ist einer von sechs TeilnehmerInnen der Cinéfondation Résidence, ein von den Filmfestspielen Cannes angebotener Künstleraufenthalt in Paris für Talente, die an den Büchern für ihren ersten oder zweiten Langfilm schreiben und nun gemeinsam in einer WG leben. Als der Corona-Lockdown kam, wollte niemand den Aufenthalt abbrechen und nach Hause geholt werden.

Mit Cannes hat Bernhard nicht zum ersten Mal zu tun, im letzten Jahr war er gemeinsam mit anderen Filmakademie-Studierenden zu einem Podiumsgespräch geladen (und hat für uns in einem Instagram-Takeover vom Festival berichtet, siehe unten). In Cannes möchte Bernhard auch nicht zum letzten Mal gewesen sein. Die Résidence sei für ihn “eine Wahnsinnschance” und der “Cannes-Stempel” für sein erstes Langfilmprojekt sicherlich ein Tür-Öffner, wie Bernhard im Gespräch meint. In der Ö1-Talentebörse antwortet er auf die etwas merkwürdige Frage ‘Wo würden Sie am liebsten ihre Filme zeigen?’ mit: “Natürlich wäre es großartig, mal einen Film in Cannes, Berlin, Venedig, Toronto oder einem anderen A-Festival zeigen zu können.”

Die Hürden zum großen Festivalauftritt nimmt Bernhard zielgerichtet, aber Schritt für Schritt: “Man muss sich Ziele in kleineren Etappen stecken”, sagt er.

Schon mal ein bisschen A-Festival-Luft schnuppern: Bernhard bei den Filmfestspielen Cannes, von denen er letztes Jahr für uns in einem Instagram-Takeover berichtete.

Genauso wie Rupert Höller, den Bernhard in seiner Gymnasialzeit über einen gemeinsamen Freund kennenlernte, war der 1992 geborene Salzburger leidenschaftlicher Jungfilmer. Es wurde viel gedreht und bei Festivals eingereicht. Immer waren Bernhard und Rupert ein Team. Auch, als sie 2011 nach Matura und Zivildienst nach Wien zogen. In der Hoffnung, dass sie die Theorie auch praktisch anwenden werden, haben sie sich zunächst für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Uni Wien inskribiert, aber schnell gemerkt, dass die Studienwahl eine falsche war: Die Filmpraxis kam zu kurz. Das Studium rückte in den Hintergrund, wichtiger war das Arbeiten am Set von anderen Filmprojekten und an eigenen Kurzfilmen und Musikvideos.

Es wurde klar, dass ihr universitäres Zuhause eigentlich die Filmakademie sein sollte. Bernhards und Ruperts bisherige Film- und Set-Erfahrungen offenbarten ihre Stärken. “Ich bin ein recht organisierter Mensch”, sagt Bernhard über sich selbst. Dadurch waren Produktionstätigkeiten für ihn naheliegend und für seine Wahl des Studienfachs schließlich ausschlaggebend. “In Produktion war ich am weitesten und sattelfester als bspw. in Regie.” Erst 2014, im dritten Anlauf, klappte es mit der Aufnahme an der Filmakademie: Bernhard studierte Produktion, Rupert Schnitt. Trotz ihres jeweiligen Studienfokus probierten sich beide weiterhin in anderen Bereichen aus. Für Bernhard wurden das Drehbuchschreiben und Regieführen im Laufe seines Studiums immer attraktiver. 2016 fing er zusätzlich das Regie-Bachelorstudium unter Wolfgang Murnberger an. (Für den Abschluss beider Fächer fehlen Bernhard derzeit noch die schriftlichen Bachelorarbeiten.)

Bernhard wäre 2014 auch an der Hochschule für Film und Fernsehen in München genommen worden. Er bevorzugte Wien, da die Filmschulen in Deutschland “sehr kommerziell und fernsehlastig” seien und es dort strengere Regeln und Vorgaben gäbe. “Diese Regeln gibt es natürlich ebenso auf der Filmakademie. Aber hier sind sie auch da, um sie zu brechen. Wenn man es den ProfessorInnen erklären kann, warum man das tut, ist das auch immer in Ordnung.”

Eines von vielen Musikvideos, die Bernhard gemeinsam mit Rupert Höller realisiert hat. Hier für den Track MIRRORS für die Salzburger FreundInnen der Band MYNTH.

In der Grundausbildung der Filmakademie lernen die Studierenden die unterschiedlichen Departments und Tätigkeiten kennen. “Noch nie hab’ ich, was meinen Beruf betrifft, soviel theoretisch und praktisch gelernt wie in diesen ersten eineinhalb Jahren”, sagt Bernhard. Abseits der Filmakademie bewegte er sich noch auf einem unsicheren und dadurch vielleicht auch etwas überambitionierten Terrain. Bei Filmen wie dem Antirassismus-Kurzfilm Ausstieg, rechts (2015, 6 min) wird schon mit großen Schauspielnamen wie Cornelius Obonya und Thomas Maurer gearbeitet. Der Film ist perfekt umgesetzt und erhielt viel Aufmerksamkeit – aber wirkt auch als Ganzes mehr berechnend als persönlich. “Vielleicht ist in diesen Filmen schon eine eigene Handschrift erkennbar, bspw. was den Humor betrifft”, reflektiert Bernhard. “Aber sie wurde eigentlich erst stärker mit dem Studium. Der sichere Rahmen einer Hochschule ist für diese Entwicklung enorm wichtig.”

Bernhard arbeitet an dieser Handschrift. Den Kurzspielfilm Jungwild (2016, 16 min), eine im Rahmen des Studiums realisierte Komödie über die Beziehung eines jungen Mannes zu seinem Vater, in dessen Jäger-Fußstapfen er nicht treten möchte, bezeichnet Bernhard rückblickend als eine “etwas konventionelle Komödie, so wie man es halt kennt: mit einem Lacher am Ende – und mit dem Versuch, ein bisschen Arthouse reinzubringen”. “Es war im Nachhinein klar, dass das Buch nicht gut genug war”, sagt Bernhard heute, “was ja mein Fehler war: weil ich hab’ es ja geschrieben.”

In einem Interview meinte Bernhard einmal: “Ein Film kann immer nur so gut sein, wie sein Drehbuch war.” Und so ist das Drehbuchschreiben für ihn, auch bei Kurzfilmen, ein oft langer Prozess und “beim Filmemachen das absolut Schwierigste”. Organisiert und strukturiert – Zuschreibungen, die ihm auch sein Kollege Rupert attestiert – geht Bernhard daher auch das Schreiben an. “Ich arbeite sehr genau am Buch und auch wahnsinnig viel mit Tabellen, um die Struktur und das ganze Wirrwarr im Griff zu haben.”

Wäre es für ihn einfacher, auf Bücher anderer AutorInnen zurückzugreifen? “Ich könnte mir das schon vorstellen, aber für mich ist Schreiben Teil des gesamten Prozesses, der zwar sehr furchtbar sein kann, aber dann, wenn der Knopf mal aufgeht, wunderschön ist.” Und: “Um überhaupt Bücher von anderen zu kennen, müsste das auch im Studium stärker verankert sein: dass man die Bücher von anderen Buch-Studenten nach der Grundausbildung auch außerhalb des Drehbuchunterrichts aktiv lesen muss. Bis auf drei, vier Leute aus meinem Jahrgang, mit denen ich in den ersten eineinhalb Jahren in der Buch-Gruppe war, habe ich eigentlich keine Ahnung, was und wie die anderen schreiben.”

Freunde seit der Jugend: Bernhard Wenger und Rupert Höller, hier 2012 beim Festival des jungen Kurzfilms, video&filmtage, in Wien.

Etwas, was Bernhard und Rupert in ihrer langen Freundschaft verbindet, ist ihr Humor. Für Bernhard sowieso essenziell im Leben: “Ich bin ein positiver, optimistischer Mensch. Wenn ich einen Fehler mache, kann ich im Nachhinein eh nur darüber lachen. Weil das Ewig-traurig-sein, das Sich-zurückziehen bringt ja auch nichts. Deswegen versuche ich, das Leben mit Humor zu nehmen. Für mich war es daher immer klar, dass ich etwas mit Humor mache. Aber ich hätte am Anfang nicht gewusst, wie ich das umsetzen soll, oder mich auch noch nicht getraut.”

Schon sein erster an der Filmakademie realisierter Film, Gleichgewicht (2015, 6 min) – ein Kurzporträt über eine junge Frau, die ihr Leben Tagada fahrend im Prater verbringt –, hat, zumindest anfänglich, etwas Humorvolles. “Bei den ersten Bildern fetzt Denise ja immer wieder durchs Bild. Man glaubt, das ist total lustig, da geht eine wirklich jeden Tag in den Prater. Aber in Wirklichkeit offenbart sich eine sehr tragische Geschichte.” Diese erzählt uns Denise gleich zu Beginn in nur einer Minute: Sie handelt von Missbrauch und Selbstverletzung und lässt den Zuschauer sprachlos zurück. Der Film verweilt aber nicht bei Denises Leid, sondern schwingt um: “Mir war es wichtig, diese tragische Geschichte auf eine positive Weise darzustellen – und wie sie auch Denises Sicht entspricht. Meine Filme haben immer etwas Positives, etwas Versöhnliches, auch wenn eine Grundtragik oder etwas Dramatisches vorhanden ist.”

Aus dem im Prater gedrehten Filmmaterial und aus acht Stunden langen Gesprächsaufzeichnungen gestaltete Bernhard einen dichten, viel gezeigten und sehenswerten Kurzdokumentarfilm.

Eine Grundtragik braucht es auch bei Komödien, meint Bernhard. “Eine Komödie kann ja nur komisch sein, wenn ihr etwas Tragisches, etwas Tieferes zugrunde liegt. Komödien, die nur zum Lachen da sind, interessieren mich nicht.”

Und so changieren seine Filme, zumindest die letzten, auch zwischen diesen Gefühlen. Bernhard nennt das im Gespräch “einen Balanceakt zwischen Unterhaltung und Arthouse”. Und wo genau die Tragik aufhört und der Humor beginnt (und umgekehrt), sei ja immer auch die Interpretation der ZuschschauerInnen. Zur Unterhaltung gehört, dass sich Bernhard immer überlegt, wie die ZuschauerInnen eine Szene, Figur oder Geschichte sehen. Rupert, Cutter vieler von Bernhards Filmen, sagt dazu: “Bernhard hat ein sehr feines Gespür dafür, was funktioniert und auch berühren kann, und für absurde Situationen, in der sich aber jeder wiederfinden kann.” Dieses Gespür entwickelte sich über Alltagsbeobachtungen: “Ich bin einer, der immer alles aufschreibt, wenn er was erlebt”, sagt Bernhard. “Kleine Ereignisse, die ich aber sehr nüchtern und rational betrachte. Das kann dann eine Szene in einem Film werden oder die Thematik eines Films.” Daher seien seine Filme immer auch in dem Sinne biografisch, dass er Charakterzüge oder Erlebnisse von sich selbst oder von Menschen aus seinem Umfeld übernimmt oder auch nur Sätze oder Dialogfetzen aufschnappt.

Tolle Location, internationaler Cast, mehrsprachiger Film, im Cinemascope-Format: ENTSCHULDIGUNG, ICH SUCHE DEN TISCHTENNISRAUM UND MEINE FREUNDIN sei genau das, was Bernhard “schon immer machen wollte”. (Film Stills © Albin Wildner)

Beim Kurzspielfilm ENTSCHULDIGUNG, ICH SUCHE DEN TISCHTENNISRAUM UND MEINE FREUNDIN (2018, 23 min, der Film ist auf der rechten Spalte zu streamen) wurde aus so einem aufgeschnappten Satz ein ganzer Film. Ein Freund von Bernhard hatte den Satz mal fallen lassen, Bernhard hat ihn aufgeschrieben und irgendwann gedacht: In diesem Satz steckt vielleicht ein Film. Der Satz wurde dann auch zum Filmtitel. “Und die Kurzsynopsis habe ich mir dadurch auch erspart”, sagt Bernhard lächelnd.

Was hier vielleicht als Anekdote lustig klingt, hat auch wieder eine strategische Komponente: Früher habe er seine Filme wahllos auf Festivals verschickt, meint Bernhard. Vor allem junge FilmemacherInnen überlegen sich eine Festivalstrategie oft erst nach Abschluss des Films – sofern sie überhaupt eine Strategie verfolgen. Bernhard, strukturiert wie er ist, denkt die Verwertung immer mit. “Das ist ja ein Hauptproblem vom Kurzfilmemachen: dass ein Film zwar Potenzial hätte, aber nicht seine Wege findet. Es gibt zwar keine kommerzielle Seite beim Kurzfilm, aber es gibt durchaus eine Seite der Platzierung.” Der Filmtitel von ENTSCHULDIGUNG… sollte auch helfen, dass der Film sowohl von KuratorInnen als auch im Programmheft vom Publikum vielleicht schon mal eine Spur mehr Aufmerksamkeit bekommt als andere Filme. Der lange Titel fällt einfach auf.

Trotz dieser Überlegungen sagt Bernhard aber klar: “Ich würde keinen Film anders machen, nur damit er dem Publikum gefällt. Aber nur für sich alleine zu denken, ich mach jetzt meine Kunst, ohne sich zu fragen, wie das auch die ZuschauerInnen sehen, ist für mich persönlich nicht zielführend.”

Ebenso tragikomisch und ebenso ein langer Filmtitel, der die Synopsis schon in sich trägt: Guy proposes to his girlfriend on a mountain, Bernhards aktuellster Film (2019). Beim Film über einen Heiratsantrag in den Bergen versucht sich Bernhard in einem 13-minütigen One-Take. Nach seiner Festivalauswertung wird der Film bald eine Onlinepremiere haben. (Film Still © Adrian Bidron)

ENTSCHULDIGUNG… ist letztendlich genau das, was ich schon immer machen wollte und die Richtung, die ich schon immer gehen wollte”, sagt Bernhard. Im Film sucht ein junger Gast aus Schweden in einem alpinen Hotelkomplex seine Freundin, mit der er sich gleich zu Beginn des Films streitet. Am Schluss – das wäre wieder Bernhards Versöhnung mit Figur und Geschichte – scheint er sich selbst zu finden. Die Kulisse der schönen Landschaft und des schicken Mountain Ressorts klug in die Geschichte eingewoben und die sonst durchschnittlichen Charaktere mit einem Touch Schrägheit versehen, wird auch diese eigentlich tragische Geschichte einer Beziehungstrennung ambivalent-humorvoll erzählt.

Der Film offenbart auch Bernhards filmische Referenzen: “Meine Einflüsse sind sehr skandinavisch oder, v.a. den schwarzen Humor betreffend, britisch. Dazu kommt aber wohl eine klassisch österreichische Grundtragik, die wir alle in uns haben.”

Eine Mischung, die sowohl hierzulande wie auch international gut anzukommen scheint: Der Film erhielt diverse Kurzspielfilm-Auszeichnungen, u.a. bei der Diagonale’18, beim Österreichischen Filmpreis 2019, beim Filmfestival Max Ophüls Preis 2018 in Saarbrücken und bei FEST – New Directors New Films 2018 in Portugal.

Bernhard nach der Preisverleihung der Diagonale’18 mit den Preisstiftern. ENTSCHULDIGUNG… wurde sowohl als Bester Kurzspielfilm wie auch mit dem Preis der Jugendjury / Bester Nachwuchsfilm ausgezeichnet. (© Diagonale/Mirjam Raneburger)

Seit Ende 2018 schreibt Bernhard nun an PFAU, seinem ersten Kinospielfilm, den er, so die Hoffnung, im Spätsommer 2021 drehen wird. Mit dem Projekt ist Bernhard bei der Geyrhalter Filmproduktion gelandet. Der Film handelt von einem Mitarbeiter einer Rent-A-Friend-Agentur, wie sie in Japan existieren, der beruflich jeden Tag eine andere Rolle verkörpern muss, aber dadurch nicht mehr weiß, wer er selbst ist. Es geht also wieder um Selbstfindung. In Paris, bei der Résidence, schrieb Bernhard an der dritten Drehbuchfassung.

Seit es die Résidence gibt (seit 2000), gibt es nicht viele Bewerbungen aus Österreich, wurde Bernhard von den Organisatoren berichtet. “Ich finde das absurd. Es werden ja überall Drehbücher geschrieben. Warum bewerben sich so wenige? Entweder man informiert sich nicht genug oder man denkt: Es wird sowieso nix – das wäre auch wieder etwas sehr Österreichisches. Oder man denkt, bei uns geht’s nur so: ‘Jetzt will ich einen Film machen und schreib mal los. Dann such ich mir eine österreichische Produktionsfirma. Und dann kommt hoffentlich mal eine große Förderung, usw.’ Ich denke mir schon manchmal, dass in Österreich oft zu eng und linear und auch zu klein gedacht wird.”

Bernhard Wenger will nicht darauf warten, bis ihm irgendwer die Tür öffnet und ihn an der Hand nimmt. Er sucht sich die Türen selbst. Er denkt vernetzter, internationaler, und, ja, mitunter strategischer als manch andere. Er zeichnet sich seinen Weg und seine Bilderbuchfilmkarriere selbst – und geht sie Schritt für Schritt.

von Dominik Tschütscher, im August 2020
Porträtbild oben © Hannah Schwaiger
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