Auf der Suche nach der Mittelmäßigkeit
Im Gespräch mit Leni Gruber werden drei Begriffe präsent: Echtheit, Mittelmäßigkeit und Humor. Das noch keine Handvoll umfassende Œuvre der 27-jährigen Filmakademie-Studentin bewegt sich in diesem Dreieck. Darin enstehen großartige Filme wie der Kurzfilm Schneemann oder der diesjährige Trailer des Crossing Europe Filmfestivals, BRACE FOR IMPACT.
Von jungen FilmemacherInnen hört man oft, dass sie schon in jungen Jahren den Wunsch verspürten, FilmemacherIn zu werden. Bei Leni Gruber war das anders. Film wurde erst später und auf Umwegen zu einer Leidenschaft und auch beruflichen Option. Der erste für sie wegweisende Kontakt zu Kultur und Kino kam über die Stadt, in der Leni aufwuchs: Wels. „Wir haben uns in der kreativen Szene und im Dunstkreis des Alten Schlachthofs bewegt, haben Konzerte veranstaltet, Theater gespielt. Dann waren da noch das YOUKI und das MedienKulturHaus … In einer Stadt wie Wels gibt einem das schon sehr viel“, sagt Leni. Mit 16 Jahren hat Leni dann auch im Programmkino analoge Filme vorgeführt, ihr „erstes Gehalt“.
Nach der Matura ging Leni nach Berlin und arbeitete in verschiedenen Jobs, mal im Catering, mal auf Film-Sets. Über ihren Vater, der selber auch Autor und Regisseur ist, ergaben sich immer wieder Möglichkeiten, bei Projekten mitzuarbeiten und erste Erfahrungen zu sammeln. „Wie andere Sommerjobs bei der Firma des Vaters machen, habe ich halt auf Filmsets gearbeitet“, sagt Leni. Angespornt von den Filmerfahrungen in Deutschland kam es schließlich zum Entschluss, sich an der Filmakademie Wien für das Fach Produktion zu bewerben. Dort wurde Leni zunächst abgelehnt. Eigentlich hatte sie nicht vor, sich ein zweites Mal zu bewerben, doch dann kam ein Anruf von der Filmakademie: In Produktion hätten sich zu wenig Leute beworben, weshalb die Bewerbungen des Vorjahres nochmals eine Chance bekämen. „Das war schon etwas absurd im ersten Moment, dass da die Filmakademie bei mir zuhause anruft“, erinnert sich Leni heute. Aufgrund der besonderen Umstände konnte sie gleich in die dritten Bewerbungsrunde einsteigen und kam so im Herbst 2012 doch noch an die Filmschule.
Musikvideo WösRapRec: Wösside (2015, 5 Min.), gedreht in Wels, wo Leni ihre Kindheit und Jugend verbrachte.
In der Schulzeit hat Leni viele Aufgaben erst auf den letzten Drücker erledigt. Mit gekonntem Improvisieren habe sie sich immer wieder „durchschummeln“ können. Ein Beispiel: „Für die mündliche Mathe-Matura hatte ich nix gelernt und dachte, entweder weine ich jetzt oder ich tu so, als ob ich’s können würde. Der Vorsitzende hat mir nach der Prüfung gratuliert und meinte, ich werde zwar nie Mathematik studieren, aber vielleicht Schauspielerin werden.“
Mit dem Studium an der Filmakademie sei etwas von der Leichtigkeit, die bisher Teil von Lenis Leben war, verloren gegangen, meint sie. Bis Anfang 20 habe sie nie Druck verspürt, etwas finden zu müssen, das sie erfüllt, oder etwas machen oder werden zu müssen. Leni ließ sich von Instinkt und Intuition treiben, kannte bis dahin weder Berührungs- noch Existenzängste. Das sei jetzt anders: „Das Filmemachen reibt schon auf. Man ist nicht mehr so unbekümmert und muss sich immer mehr Gedanken darüber machen, ob oder wie man davon leben kann. Das verändert natürlich den Druck und das Denken.“
Das klingt nach einem normalen Weg eines jungen Menschen, der von der Schul- in die Studienzeit und nun in die Berufswelt übergleitet. Aber es sagt auch etwas über die Filmbranche aus und den Druck und die Erwartungshaltungen, die sie produziert.
„Ich sehe bei vielen meiner Kolleginnen und Kollegen, nicht nur der Filmakademie, den Wunsch, in unserem System zu bestehen“, beschreibt Leni das Gefühl. „Das fängt ja schon mit den Filmfestivals an: Auf wie vielen läuft mein Film? Wo wird er gezeigt, wo könnt ich was gewinnen? Das geht ja gleich sehr weit weg vom eigentlichen Schaffen, vom Filmemachen selbst. Plötzlich geht es um Status und darum, wie man sich in das bestehende System einfügen kann. Weil dann hat man es ‘geschafft’. Es geht nur darum, wie man nach oben kommen kann, aber nicht zu hinterfragen, ob das System uns angemessen darin unterstützt, dass wir unsere Filme machen und uns ohne Erwartungsdruck entwickeln können.“
AkteurInnen von morgen. Leni Gruber und Filmakademie-KollegInnen in einer Bestandsaufnahme zur Situation junger Filmkreativer in der heimischen Filmbranche, gestaltet für das Diagonale Film Meeting 2018.
Trotz des neuen Drucks ist Lenis Zugang zum Film erfrischend anders und frei von Konventionen. Das Handwerk eignet sie sich im Studium – neben Produktion stieg sie etwas später auch im Fach Buch & Dramaturgie ein – und im Austausch mit KollegInnen an. In der Umsetzung jedoch verfährt sie manchmal nicht strikt nach Plan. Weil sie vor einem Filmdreh doch sehr nervös sei, wird der Dreh zwar im Vorfeld genau besprochen und die Szenen entsprechend aufgelöst, „aber wenn ich dann am Set steh’ und merke, da ist eine Unnatürlichkeit und das wird die Ehrlichkeit, die man sucht, nicht erreichen, dann muss ich das Geplante wieder über Bord werfen“, sagt Leni. „Nur weil es geschrieben steht, heißt ja nicht, dass das Buch bei der Inszenierung nicht wieder freigelegt werden kann.“
Echtheit ist auch das, was Leni in ihren Filmen und Figuren sucht: „Wenn man etwa einen fixen Text vorgibt und die Schauspieler können einen Satz nicht sagen, dann haut’s mich ja selbst raus. Dieser Satz ist dann auch draußen. Wenn er falsch gesprochen wird, aber das dann doch wieder eine Richtigkeit hat, dann lass’ ich ihn natürlich drin. Dann muss das Spiel auch nicht perfekt sein.“
Als Beispiel nennt Leni eine Szene im Film It is no Dream (2015, 16 Min.), den sie als Sommerprojekt des Welser MedienKulturHauses gemeinsam mit großteils jugendlichen LaiendarstellerInnen realisierte. Der Film handelt von einem Jungen, dessen Leidenschaft das Wasserspringen ist, er sich aber vor dem Sprung vom Zehnerturm fürchtet. „Ich denk da an diese Burschen-Gang, die ja auch alle total amateurhaft spielen … Da steckt aber eine Echtheit, etwas Echtes drinnen.“
Den Film It is no Dream hat Leni gemeinsam mit JahrgangskollegInnen der Filmakademie wie Alexander Reinberg (Buch) und Patrick Wally (Kamera) realisiert. Über den Film, der schon eine Handschrift Lenis in sich trägt, sagt sie: „Es ist das erste Filmprojekt, bei dem ich sagen würde: Mit dem kann ich was anfangen.“
Das Buch zu Schneemann (2018, 20 Min.) wäre im Studium fast nicht durchgegangen, weil das Handwerk „nicht gepasst“ habe. Im Film driftet Antonia, eine junge Frau, gespielt von Katharina Farnleitner, etwas ziellos durch den Tag. In manchen Einstellungen passiert lang nicht viel. Die Hauptfigur verkörpert ein Lebensgefühl und ist mehr getrieben vom Drama des Alltags als der Dramatik eines Drehbuchs. Das sei kein Drehbuch, bekam Leni dann auch zu hören. „Aber zum Glück gibt es ProfessorInnen, die einem vertrauen, als Typ, als Mensch, und die sehen, wie man das meint.“
Für den Film erhielt sie 2018 beim Crossing Europe Filmfestival Linz den Local-Artist-Award.
Leni über die Figur Antonia in Schneemann: „Sie hat zwar heute keinen so guten Tag, aber morgen könnte das Leben wieder ganz anders aussehen. Für mich ist das nicht so schwarz-weiß.“
Leni legt ihre Figuren wie eine Mind-Map an: Im Kern steht die Figur, rundherum Szenen und Momente, die diese Figur ausmachen und über die man die Figur verstehen oder erfühlen kann. Als sie darauf zu sprechen kommt, was sie an ihren Figuren denn interessiere, überlegt Leni lang, aber antwortet dann präzise und schnell:
„Was mich interessiert, ist eine Mittelmäßigkeit. Im Empfinden und darin, wie das Leben meiner Protagonisten ausschaut. Es ist nie extrem super, aber nie extrem schlecht oder dramatisch. Es ist ein Zustand, der unsere Lebensrealitäten viel besser beschreibt als die große Dramatik oder das große Lebensglück.“
Den Zugang zur Mittelmäßigkeit findet Leni über Humor. Kein Humor, der sich über Mittelmäßigkeit lustig macht, sondern Humor, der aus der Mittelmäßigkeit heraus überhaupt erst erwächst. „Wenn ich Mittelmäßigkeit tragisch darstelle, dann ist das ja auch wieder schlimm. Wenn ich sie mit einer gewissen Art von Humor darstelle, dann entspricht das der Mittelmäßigkeit eher. Das kommt dann Sätzen gleich wie: ‘Ja, so isses halt …’ oder ‘Tja.’“ So sei es eben, wie sie auf die Welt schaue, meint Leni.
Beim Trailer des Crossing Europe Filmfestival schwingt das alles irgendwie mit. Simuliert wird eine Flugzeugnotlandung. Das große Drama ist nur fiktiv. Anstatt die Katastrophe zu zeigen, wird der Ernstfall nur geprobt. Vielleicht ist der Trailer ein Kommentar über Lenis Zugang zum Film und zur Welt: Vieles ist ein So-tun-als-ob, in dem eine Mittelmäßigkeit steckt, in der wiederum etwas ‘Echtes’ zu finden ist. Und der Humor ist, wie auch im Trailer, ein natürlicher stiller Begleiter.
Die Idee zum Trailer entnahm Leni einem Stoff, an dem sie bereits arbeitete. Sie überlegte, welche Szenen daraus als Trailer funktionieren könnten. Sehr schnell war klar, dass es die Flugnotlandungssimulation sein wird. Leni hat aber mit sich gehadert und lange gezögert, der Einladung zur Trailergestaltung – und damit einem Auftrag – überhaupt zuzusagen. Erwartungsdruck verunsichert sie. „Diese Selbstunsicherheit stört mich natürlich sehr an mir“, sagt Leni. „Aber man kann den kreativen Prozess ja nicht einschätzen und nicht kontrollieren, ob der Film für andere gut wird oder nicht. Wenn ich ein Projekt selbst, für mich mache, dann frage ich mich nicht, ob das gut ausgeht oder nicht.“ Umso schöner sei es, wenn, wie bei Schneemann, keine Erwartungen vorhanden seien, aber dann doch etwas mit dem Film passiere.
Für einen kurzen Text, den sie zum Trailer für das Crossing Europe Filmfestival schreiben musste, habe sie übrigens sechs Tage gebraucht. „Ich kann das in Worten nicht so gut ausdrücken, wie es sich in meinem Kopf anfühlt“, sagt Leni. Da habe sie auch ein Problem mit ihrer eigenen Selbstinszenierung, bspw. bei Q&As auf Filmfestivals: „Man erzählt von Befindlichkeiten, dass man das oder jenes intuitiv gemacht hat … und plötzlich klingt alles so beliebig, als ob man das einfach mal so und nur nach Gefühl machen würde. Das stimmt halt auch nicht. Aber mir fällt es oft schwer, meine Arbeitsweise und eigenen Arbeiten anders oder überhaupt zu beschreiben.“
Derzeit arbeitet Leni gemeinsam mit Alexander Reinberg an einem Fernsehstoff, der zuerst als Serie angelegt war und jetzt eine Komödie werden soll. „Wenn ich in die Zukunft denken kann, dann hat es für mich einen größeren Reiz, einen Fernsehfilm statt einen Kinofilm zu machen. Man kann auch Fernsehstoffe schreiben, die vernünftig, lustig und cool sind“, sagt Leni. Sie läßt sich vom Ruf des Fernsehfilms, er hätte einen geringeren Stellenwert als der Kinofilm, nicht einschüchtern. Parallel arbeitet sie an einem historischen Stoff über eine oberösterreichische Autorin. „Es ist mal angenehm, wenn man sich nicht alles selbst ausdenken muss“, sagt Leni.
Bei der Inszenierung ihrer Bücher hilft Leni ein Zugang, den sie selbst vielleicht etwas zu selbstkritisch als „unprofessionell“ beschreibt: „Immer wenn ich so einen ‘perfekt’ gemachten Film sehe, denke ich mir schon, ich würde gerne auch so professionell sein können. Aber ich merke dann selbst, wenn ich meine eigenen Sachen inszeniere oder schneide, dass sich das nicht ausgeht, dass der ‘perfekte’ Zugang, der Zugang nach Handbuch für mich nicht so spannend ist. Wenn ich eine perfekte Auflösung habe oder technisch alles perfekt abliefere, geht da ja auch etwas verloren, eine Stimmung, ein Gefühl. Wenn eine gewisse Fehlerhaftigkeit zu spüren ist, dann trägt das ja auch zu einer Stimmung bei.“
Und Leni sagt dann eher nebenbei einen Satz, der im Kern ihr Talent und das Besondere ihres Schaffens spürbar macht:
„Ich weiß aber schon, dass meine Filme eben dadurch eine eigene Qualität haben.“