Anna Gaberscik| BMKÖS Startstipendiatin 2023
Porträts

Anna Gaberscik| BMKÖS Startstipendiatin 2023

Januar 2024

„Ich genieße die Freiheit der Subjektivität in der Kreativität“

 

Anna Gaberscik, 1997 in New York geboren, wuchs hauptsächlich in Brooklyn, aber auch in der Steiermark und in Wien auf. Sie studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien und macht derzeit einen Masterstudiengang in internationaler Entwicklung. Mit ihrem 2020 gegründeten Projekt Through Our Eyes mit Fokus auf Antirassismus, Intersektionalität und Empowerment realisiert sie Workshops, Performances – und Filme. 2023 veröffentlichte Anna ihre erste filmische Arbeit: EDELWEISS, ein performativer Dokumentarfilm über die Lebensrealitäten von People of Color in Österreich. Für das Startstipendium 2023 hat sich Anna mit einem Projekt beworben, das versucht, die Emotionen, die bei sich in mehrheitlich weißen Gesellschaften bewegenden Communities of Color entstehen, in kulinarische Begriffe zu übersetzen.

 

Unter den diesjährigen Startstipendiat*innen bist du quasi die filmische Quereinsteigerin. EDELWEISS war überhaupt dein erster Film und dann gleich ein langer dazu. Wie kam es dazu, dass du als Aktivistin, Antirassismus-Expertin und Künstlerin nun auch das Medium Film „gefunden“ hast?

Anna Gaberscik: Mein Weg zum Medium „Film“ ist das Ergebnis der Reise, die ich in den letzten Jahren unternommen habe, um mich künstlerisch mit sozialpolitischen Themen auseinanderzusetzen. Filme haben die Möglichkeit, Sichtweisen zu verändern, über Dinge nachzudenken und den Zuseher:innen Realitäten zu eröffnen, die zuvor verschlossen waren. Außerdem können Filme starke emotionale Reaktionen und Erfahrungen hervorrufen. Genau diese Emotionalität hat mich letztlich dazu gebracht, mich filmisch mit den Themen Rassismus, Diskriminierung und Ungerechtigkeit auseinanderzusetzen.

Ich genieße die Freiheit der Subjektivität in der Kreativität. Im Bereich der wissenschaftlichen Forschung versucht man das freilich zu vermeiden. Ich schaffe Dinge, die meine Stimme und meine Handschrift tragen, ein Ergebnis meiner Positionierung, der Dinge, die ich erlebt und gelernt habe. Das Medium Film ist relativ zugänglich und kann eine große Reichweite haben. Du kannst einem breiten Publikum eine Geschichte erzählen und den Menschen das Gefühl geben, gesehen und gehört zu werden.

Welche Erfahrung aus diesem Filmprojekt kannst du, als Autorin und Regisseurin, mitnehmen für dein nächstes Projekt, das du jetzt im Rahmen des Stipendiums weiterentwickelt hast?

Ich habe erkannt, dass ich manchmal viele Rollen gleichzeitig ausfüllen muss und auch kann, aber noch wichtiger ist, dass mir bewusst geworden ist, wie sehr sich das auch auf das Ergebnis auswirken kann. Das gilt auch für die anderen Leute im Team. Ich und die beiden anderen im Kernteam mussten die Arbeit von Dutzenden, wenn nicht sogar mehr Leuten erledigen. Ich habe gelernt, dass das zwar etwas ist, worauf man stolz sein kann, aber nichts, was sich in der Kulturarbeit als Standard herausbilden sollte. Denn gerade dieser Bereich ist aufgrund mangelnder Förderungen oftmals von prekären Arbeitsverhältnissen und unbezahlter Mehrarbeit geprägt.

In diesem Sinne habe ich gelernt, welche Ressourcen es gibt, um ein Team, meine Idee und mich selbst im kreativen Prozess zu unterstützen. Das Stipendium hat mir geholfen, nicht mehr ständig von einem Mangeldenken und -planen auszugehen, sondern mich über die vorhandenen Ressourcen zu informieren und Hilfe und Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Das Stipendium hat mir geholfen, andere Arbeitsweisen kennenzulernen, und mir die Augen für die Initiativen, Menschen und Institutionen geöffnet, die Projekte wie meins unterstützen.

Worum soll es beim Projekt, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast, gehen?

In diesem nächsten Projekt konzentriere ich mich auf den Geschmackssinn. Durch die Erkundung von typischen Gerichten verschiedener PoC-Gemeinschaften in Österreich bekommen wir einen Eindruck von den Geschichten und Assoziationen, die mit dem Gericht verbunden sind.

In diesem Film werden Erfahrungen und Perspektiven nicht binär dargestellt, sondern als Teil eines breiten Spektrums, eines Spektrums mit definierten „Geschmackspunkten“, mit denen wir uns alle auf unterschiedliche Weise identifizieren können.

Es wird ein Film über den Trost, den wir im Essen finden, über die wichtigen Zusammenkünfte in der Küche und über die großen und kleinen Revolutionen, die am Esstisch geplant werden.

Es ist ein Film über große Emotionen und den manchmal chaotischen Ausdruck dieser Emotionen, die Menschen, insbesondere PoC, oft verstecken und unterdrücken.

Dieser Film ist ein Dokumentarfilm mit humoristischen Elementen, der im Mund beginnt, aber im weiteren alle Sinne berührt und die Zuseher:innen dazu bringen soll, ihre Sichtweisen über die „fremden“ Küchen zu ändern.

Speisen und Gewürze, Esskulturen und -traditionen, Mehrheitsgesellschaften und Minderheiten, … Deiner Bewerbung für das Stipendium vereint mehrere Gedankenstränge und Themen. In welchem Stadium befindet sich das Projekt derzeit und was wird in den nächsten Schritten die größte Herausforderung?

Zum jetzigen Zeitpunkt befindet sich das Treatment in der Endphase. Sobald es fertig ist, werde ich eine Finanzierung beantragen und mich an Produktionsfirmen wenden. Darin werden in der nächsten Zeit die größten Herausforderungen liegen. Als Newcomerin, filmische Quereinsteigerin und PoC bin ich sehr gespannt, wie ich und mein Konzept in der aktuellen Filmlandschaft ankommen werden. Ich werde bald sehen, ob die Finanzierung und die institutionelle Unterstützung dem offensichtlichen Bedarf an vielfältigeren Perspektiven und Formen des Geschichtenerzählens, insbesondere auf der großen Leinwand, entsprechen werden. Ich zähle jetzt darauf, dass potenzielle Geldgeber:innen, Unterstützer:innen und Partner:innen ihr Geld in die Hand nehmen und bereit sind, dieses Projekt mit mir zu realisieren! 

Du lebst zeitweise in Österreich, zeitweise in New York. Das Thema Rassismus wird wohl in Österreich für dich anders präsent sein als in den USA. Inwiefern?

Der Diskurs über Rassismus in den USA unterscheidet sich drastisch vom Diskurs in Österreich. Die Arbeit, die ich hier mache, ist sehr stark an Österreich angepasst. Das bedeutet, dass viele der Gespräche, die vor allem in Workshops oder anderen Formaten geführt werden, Gespräche sind, die in den USA vor vielen Jahren geführt wurden.

Dennoch ist Österreich ein eigener Ort mit einer eigenen politischen Landschaft und Bevölkerung, auf den die U.S.-amerikanischen Debatten nicht immer 1 zu 1 angewendet werden können. Was mich in vielerlei Hinsicht auszeichnet, ist meine Verbindung zu beiden Orten, die es mir ermöglicht, eine Art lebenslanger Vergleichsstudie über die beiden Kontexte durchzuführen und fundierte Entscheidungen darüber zu treffen, welche Strategien und Ansätze bei meiner Arbeit in Österreich funktionieren (oder auch nicht).

Mein Fokus auf Rassismus ist einer, den ich ständig hinterfrage. Wie viel davon war eine Entscheidung? Inwieweit habe ich es einfach aufgrund meiner Fähigkeiten, meiner Identität und meiner Orientierung an sozialer Gerechtigkeit getan, und inwieweit hatte ich Schwierigkeiten, in Österreich Chancen zu finden? Ich glaube nicht, dass ich unbedingt denselben Schwerpunkt gewählt hätte, wenn ich hauptsächlich in New York City arbeiten und leben würde.

Anna beim Workshop “Practicing Anti-Racism and Awareness in Design“, den sie 2022  für designaustria machte.

Welche Filme faszinieren dich oder kommen dem am nächsten, wie du Filme machen möchtest?

Ich lasse mich von einer Vielzahl von Menschen und Quellen inspirieren, die aus allen Bereichen der Unterhaltungsindustrie stammen, und eine Sache, die fast alle von ihnen verbindet, ist, dass sie Multitalente sind. Ich lasse mich von Menschen inspirieren, die in vielen Dingen begabt sind und kreative Wege finden, all ihre Fähigkeiten so zu kombinieren, dass ihre Arbeit einzigartig ist und gesellschaftliche Wirkmächtigkeit hat.

Zu diesen Menschen gehören z.B. Amanda Seales, Amber Ruffin, Jordan Peele, aber auch die Arbeiten von Elisabeth Spira haben mir in meiner Jugend sehr gefallen. Einige Werke, die mich inspiriert haben, sind die Netflix-Serie High on the Hog (2021), der Film Fest des Huhns (1992), Spike Lees Film Do the Right Thing (1989) und Jordan Peeles Get Out (2017), um nur einige zu nennen.

Und schließlich bin ich auch sehr inspiriert von und dankbar für die Arbeit meiner Startstipendium-Mentorin, der Dokumentarfilmerin, Bildjournalistin und Mitbegründerin von Shoes Off Media: Kitty Hu.

Webseite Anna Gaberscik
Porträtfoto © Cinema Next / Martina Lajczak