Weil jedes Kontern Spaß macht
Eun-Zi Kim, Jahrgang 1983, hat die Filmbranche schon von fast allen Seiten kennengelernt. Sie war Produktionsassistentin bei einer südkoreanischen Seifenoper, Pressebetreuerin bei einem Frankfurter Filmfestival, Creative Producer bei einem französischen Dokumentarfilm – und arbeitet heute als Rechtsberaterin bei DCM. Doch ihre Hauptleidenschaft gilt dem Drehbuchschreiben, wo sie am liebsten Geschichten über den Durchbruch ins Authentische erzählt: Jüngst etwa in ihrem für das Startstipendium eingereichte Projekt Kimchi Voyagers, einem autobiografisch inspirierten Family-Roadmovie.
Eigentlich wollte Eun-Zi Kim Diplomatin werden. Der Job klang auf vielen Ebenen verheißungsvoll: Leben retten wie Carl Lutz im Zweiten Weltkrieg, kostenfreies Wohnen in Botschaftsresidenzen, regelmäßige Reisen und ein eigener Chauffeur. Als in Wien geborene Tochter einer koreanischen Familie hatte sie keine Zweifel, dass sie Österreich genauso gut im Ausland vertreten könnte wie jemand, der nur Lederhosen trägt. Um sich die Bewerbung zum „höheren auswärtigen Dienst“ zu erleichtern, entschied Kim sich (der Einfachheit halber zieht sie im Alltag den Nachnamen vor) für ein Jus-Studium. Und machte so ihren ersten Schritt Richtung Film.
Kim und einer ihrer Brüder in jungen Jahren.
Da perfekte Englischkenntnisse auf dem diplomatischen Parkett unabdingbar sind, wählte die angehende Botschafterin Bristol als Studienort. Dessen Kunst- und Kulturszene bot ihr erstmals die Möglichkeit, ihren Laufbilddurst zu stillen: Als streng erzogenes Kind durfte Kim nämlich weder ins Kino gehen (außer mit der Volksschulklasse zu Kevin – Allein in New York, US 1992) noch zu Hause vor dem Bildschirm Platz nehmen (außer für Zeit im Bild und Universum). „Meine Eltern waren überzeugt, dass Fernsehen den Augen schadet“, erinnert sie sich. Es gab also einiges nachzuholen: Jafar Panahis The Circle (IR 2000) und Giuseppe Tornatores Cinema Paradiso (IT 1988), aber auch Klassiker wie Carol Reeds The Third Man (GB 1949).
„In Österreich traf ich außerhalb meines Elternhauses kaum Koreaner.“
Hinzu kam eine etwas weniger prestigeträchtige Leidenschaft: „Die Wahrheit ist, dass ich in dieser Zeit auch ganz viele schnulzige koreanische Serien geschaut habe.“ TV-Dramen sind in Südkorea eine enorm populäre und hoch budgetierte Erzählform. Wie bei lateinamerikanischen Telenovelas ziehen sich ihre Geschichten nicht über mehrere Staffeln, sondern hören nach einer vorbestimmten Folgenzahl auf. Sie bedienten Kims Sehnsucht nach einem Fenster zur koreanischen Kultur, das sie in ihrer Schulzeit vermisst hatte: „In Österreich traf ich außerhalb meines Elternhauses kaum Koreaner.“
Schließlich waren es ebendiese Seifenopern, die Kim einen Weg in die Filmbranche ebneten. Nach ihrem Studium vermittelte ihr Bruder den Kontakt zu einem Produzenten, der eine Serie namens Spring Waltz (2006) in Hallstatt drehen wollte. Er suchte jemanden mit weitläufigen Sprachkenntnissen, um die Projektkoordination zu vereinfachen und Produktplatzierungen zu verhandeln. Regie führte Genregröße Seok-ho Yun. „Seine Serien haben mein Liebesleben geprägt“, meint Kim. „Dank ihnen dachte ich, dass man Händchen hält oder im Schnee heulen geht, wenn man verknallt ist.“ Also sagte sie zu.
Am Set von Spring Waltz (2006).
Der Job erforderte einen Umzug nach Seoul. Es war das erste Mal, dass Kim in Korea lebte, sie war Anfang zwanzig. „Mich hat überrascht, wie materialistisch die koreanische Kultur ist. Statussymbole sind viel wichtiger als in Europa. Während man hier ungern mit Markenartikeln protzt, ist das dort gang und gäbe. Frauen definieren ihren Wert fast nur über ihr Aussehen und passen sich der männlichen Erwartungshaltung an. Ein Beispiel: Egal, wie sportlich man ist, beim Volleyball-Spielen stellt man sich unfähig, weil Männer das süß finden.“ Kim hatte keine Lust, sich runterzumachen. „Meine Mutter war Krankenschwester. Wenn man sich da blöd stellt, sterben Menschen.“
„Bei der Serien-Premiere ging es darum, wer von den Hauptdarstellern den größten Van bekommt. Das war nicht meine Welt.“
„Früher hatte meine Familie in Wien ein paar Stände am Naschmarkt. Dort habe ich Dinge gelernt, die zwar nicht in meinem Lebenslauf stehen, aber oft nützlich sind.“ Kims kaufmännischer Blick war in Korea hilfreich. Nach zwei Jahren hatte sie trotzdem die Nase voll. „Ich ertappte mich bei Gedanken an Schönheitsoperationen. Und bei der Serien-Premiere ging es darum, wer von den Hauptdarstellern den größten Van bekommt. Das war nicht meine Welt.“
Eine Folge der Serie Spring Waltz (2006):
Also ging Kim zurück nach Österreich und bewarb sich für ein Verwaltungspraktikum im Außenministerium, namentlich in der Abteilung für die österreichische UNO-Sicherheitsratskandidatur. Eigentlich ein Traumberuf – doch die Realität des Diplomatenalltags entsprach nicht ihrer verklärten Vorstellung.
Eine Stelle bei der koreanischen Außenhandelsstelle in Frankfurt führte sie in Folge nach Deutschland – und neuerlich zum Film. Gleich in ihrer ersten WG traf sie auf die Gründer des Lichter Filmfests. „Ich bin da sofort reingerutscht, habe ein bisschen Marketing und Presse gemacht und bei der Investorensuche geholfen.“ Nach der Finanzkrise wurde Letzteres wesentlich schwieriger. Kim meldete sich ehrenamtlich bei einer Anwaltskanzlei, um Lizenzrecht zu lernen. „Mein dortiger Chef ermunterte mich bald zur Selbständigkeit.“ Als Freelancerin lernte sie Karl Baumgartner von der Produktionsfirma Pandora Film kennen und begann auf Vertrags- und Finanzierungsseite für selbige zu arbeiten.
Jetzt kam Kim wieder öfter mit Filmproduktionen in Berührung. So wirkte sie an der Magdalena-Kopp-Doku In the Darkroom (DE/FI/IL/RO 2013) mit, wo sie Übersetzungen koordinierte und Rechtskonzepte erklärte. Auf Empfehlung von Baumgartner absolvierte sie zudem das Atelier Ludwigsburg-Paris, eine Postgraduate-Produzentenausbildung der Pariser La Fémis und der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Bei Kiki Allgeiers FEMMEfille (DE/FR/IT 2014), einem Dokumentarfilm über das magersüchtige Model Isabelle Caro, war sie als Creative Producer an der Entwicklung des Drehbuchs beteiligt.
Trailer zu Kiki Allgeiers FEMMEfille (DE/FR/IT 2014):
Erste eigenständige Schreibversuche hatte Kim schon in Korea unternommen. Weil eine Hauptfigur aus Spring Waltz biografische Parallelen zu ihr aufwies, diente sie den Autorinnen der Serie hin und wieder als Lektorin und Glaubwürdigkeitstesterin. Davon inspiriert begann Kim, selbst Drehbücher auf Koreanisch und Englisch zu schreiben. Eines davon, meint Kim, erinnert ein bisschen an Reality Bites (US 1994) mit Winona Ryder – nur handelt es von Koreanern, die im Ausland studiert haben und sich nach der Rückkehr in ihre Heimat mit Anpassungsschwierigkeiten herumschlagen müssen. Damals hieß es, es gäbe keinen Markt dafür. „Nach dem Erfolg von Crazy Rich Asians (US 2018) spiele ich aber mit dem Gedanken, die Story wieder auszupacken“, lacht sie.
Später, in Deutschland, wollte Kim weg vom Autobiografischen und versuchte sich an einer Undercover-Spionagegeschichte in der Luxusmodebranche, die sie in der Drehbuchwerkstatt München ausarbeiten durfte. Mit dem Ergebnis ist Kim nicht ganz zufrieden, doch im Workshop knüpfte sie viele Kontakte mit anderen jungen Autoren. Im Anschluss nahm sie eine Rechtsberatungs-Tätigkeit beim Filmverleih DCM auf, Berlin ist bis heute ihr Hauptwohnsitz. „Der Job bei DCM ist sehr praktisch, wenn Freunde aus der Branche wissen wollen, ob ihre Gage in Ordnung ist.“ Und er lässt Zeit für ihre eigentliche Leidenschaft.
„Ich breche Geschichten gern dramaturgisch herunter.“
Obwohl Kim früh Set-Luft geschnuppert hat, sieht sie ihren Kreativkopf eher hinterm Schreibtisch: „Drehbücher kann man auch im Trockenen entwerfen.“ Am meisten Spaß macht ihr die Stoffentwicklung – egal, ob es um fremde oder eigene Ideen geht. „Da kann ich mein analytisches Denkvermögen zum Einsatz bringen – ich breche Geschichten gern dramaturgisch herunter.“ Im TorinoFilmLab wagte sie sich 2016 an die Adaption eines französischen Agentenromans aus der legendären „Série noire“ des Gallimard-Verlags. „Ich hatte nicht viel Zeit und wollte auf bestehenden Figuren aufbauen, anstatt etwas komplett Neues zu erfinden. Die Adaptions-Arbeit bot aber immer noch viele Freiheiten – so konnte ich etwa der unterkomplexen Frauenfigur des Romans mehr Profil verleihen.“ In Turin wurden ihre Entwürfe auch gegengelesen und kommentiert: „Das hilft einem sehr, wenn es darum geht, Sachen zu hinterfragen.“
Die Umsetzung des Stoffs verzögerte sich aufgrund von Rechteproblemen, was den autobiografischen Zugang wieder verlockend erscheinen ließ. In einem Jahr, in dem Kim sich etwas Ruhe gönnte, kam diesbezüglich eine zündende Idee. „Irgendwann habe ich meinen Freunden bei einem Abendessen erzählt, warum ich Autofahren so hasse. Einmal im Jahr fahre ich mit ihnen in den Skiurlaub nach Vorarlberg, und immer, wenn ich an diese 9-Stunden-Odyssee denken muss, graut es mir. Das kommt von einer langen Autoreise nach Italien, die ich als Kind mit meinen Eltern machte, mit Europa-Guide und Bibel im Gepäck. Am Ende lagen meine Zuhörer vor Lachen am Boden und meinten: Das ist doch ein richtiges Roadmovie!“
Dies war der Keim für Kimchi Voyagers, dessen Exposé Kim ihr BKA-Startstipendium verdankt: Ein Film über eine konservativ-christliche, austro-koreanische Familie, die im Zuge einer Italienreise allerlei Strapazen durchmacht und ihre Beziehungen zu sich selbst und zueinander überdenken muss. „Ich habe dafür zum Großteil aus dem Gedächtnis geschöpft, doch die Figuren sind stark verallgemeinert.“ Besonders markant ist eine Campingplatz-Szene, in der die Familie von Italienern zum Feiern ermuntert wird und ihre strengen Rollenbilder kurz verschwimmen: ein augenöffnender Ausbruch aus der rigide reglementierten Alltagsnormalität: „Gerade, weil viele asiatische Bekannte von mir bei Reisen dieser Art schlechte Erfahrungen gemacht haben, wollte ich das Gegenteil ins Bild setzen.“ Generell hatte Kim bei Kimchi Voyagers mehr Bilder im Kopf als bei anderen Projekten: „Für gewöhnlich bin ich im Beschwören von Tönen stärker, da ich sehr musikalisch erzogen wurde.“
„Oft stehen plötzlich Sachen auf dem Papier, die man eigentlich gar nicht hinschreiben wollte.“
Das Motiv der Suche nach einer authentischen Identität zieht sich durch viele Drehbuch-Arbeiten Kims. „Das ist bei mir ein Hauptthema. Ich bin so gedrillt auf bestimmte Verhaltensweisen, dass für mich jedes Kontern Spaß macht. Heute noch sitze ich gerne im Schneidersitz auf Stühlen, weil das an meinem Gymnasium ein No-Go war. Daher erzähle ich am liebsten Geschichten über einen breakthrough ins Authentische.“ Gewissermaßen stellt Kimchi Voyagers auch eine Aufarbeitung ihrer Vergangenheit dar: „Zum Teil bin ich auch nach England gegangen, um aus der elterlichen Regelbox auszubrechen. Ich hatte lange nur wenig Kontakt zu ihnen. Heute verstehe ich sie besser und merke, dass ich auch Chancen verpasst habe.“ Sich mit diesen Dingen zu beschäftigen, findet Kim „nervig, aber irgendwie auch gut“. Das sei das Interessante am Drehbuchschreiben: „Man weiß im Vorhinein nicht, was dabei herauskommt. Oft stehen dann plötzlich Sachen auf dem Papier, die man eigentlich gar nicht hinschreiben wollte.“ Eine Bedingung fürs Startstipendium ist übrigens, dass Kim einmal im Monat in Wien ist: „Das tut mir wirklich gut.“
Als mögliche filmische Vorbilder für Kimchi Voyagers nennt sie Filme wie Little Miss Sunshine (US 2006) und Captain Fantastic (US 2016), aber auch Culture-Clash-Komödien wie Go Trabi Go (DE 1991). „Ich mag Erzählungen über das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen – nur tappen leider viele von ihnen in sämtliche Klischeefallen.“ Um diese zu vermeiden, würde Kim sich wünschen, dass bei ihrem Film jemand Regie führt, der solche Differenzen kennt: „Es muss keine Koreanerin und kein Koreaner sein, aber auf jeden Fall jemand, der aus zwei Welten kommt.“
Ihre zahlreichen Erfahrungen in verschiedensten Bereichen der Filmindustrie – Finanzierung, Produktion, Verwertung, Presse – haben Kim für logistische Aspekte sensibilisiert, die Drehbuch-Anfänger oft außer Acht lassen. „Mein erstes Buch handelt von drei Frauengenerationen, spielt in Korea, England und anderen Ländern – da hätte man schnell ein 50-Millionen-Budget gebraucht. Seit ich wieder in Europa lebe, ist mir klar, wie schwer es ist, als Erstling einen Film auf die Beine zu stellen – und wie sehr man potenzielle Kosten schon beim Schreiben mitdenken muss.“ Kim hat auch das Publikum im Hinterkopf: „Ich frage mich bei jedem Drehbuch, das ich lese oder schreibe: Würde ich zehn Euro zahlen, um dafür ins Kino zu gehen?“ Daher ist es für sie wichtig, bei einer so speziellen Kulturkonstellation wie der von Kimchi Voyagers das Universelle hervorzuheben.
Kim ist klar, dass die Besetzung des Films die größte Herausforderung darstellt. „Ich glaube, es wird ein Riesen-Laiencasting werden.“ Man müsse aber nicht nur in Österreich suchen: Auch in Deutschland gäbe es viele Koreaner/innen mit Schauspielambitionen. „Ob es Franken oder Bayern sind, wäre mir nicht so wichtig: Hauptsache rollendes R.“
Auf ihre eigene Heimat angesprochen meint Kim, dass sie eigentlich zwei Herzen hat – sich aber mehr als Österreicherin denn als Koreanerin fühlt. „Wenn ich von Deutschland aus über die österreichische Grenze fahre, ist das immer ein Aufatmen. Und ich muss nach wie vor heulen, wenn ich Rainhard Fendrichs I am from Austria höre.“