Valentin Struklec ist seit 2OO6 im Werbe- und Filmbereich als Compositor, VFX Supervisor und als VFX Producer tätig. U.a. arbeitete er als Digital Compositor bei Filmen wie Total Recall, Prometheus, X-Men: First Class, Maleficent und The Secret Life of Walter Mitty bei Firmen wie u.a. ILM, MPC und Prime Focus. Seit 2013 ist er Geschäftsführer des in Wien ansässigen Unternehmens VAST und lehrt im Fachbereich Digital Art – Compositing an der Filmakademie Wien.
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Richard Taylor verstand die Welt nicht mehr. Es war 1982 und sein Film Tron war in der Kategorie „Beste Visuelle Effekte“ im Rennen um einen Oscar. Mit Tron war Taylor neue Wege gegangen. Er hatte für Spezialeffekte nicht auf das damals übliche Abfilmen realer Miniaturmodelle zurückgegriffen. Nein, Taylor hat für seine Sequenzen im Cyberspace eine gänzlich digitale Welt erschaffen.
Doch das schien zu Beginn vielen nicht zu imponieren. Beim alljährlichen VFX-Back-Off, bei dem die KandidatInnen auf der Shortlist für die eigentlichen Oscar-Nominierungen aus dem Nähkästchen plaudern, wurde Trons Konkurrenz vom Publikum mit Fragen überhäuft. Und es waren klingende Namen: Star Trek II: The Wrath of Khan, E.T. the Extra-Terrestrial, Blade Runner und Poltergeist. Sie wollten wissen, wie das funktionierte mit den practical effects, wie gestaltete sich die Arbeit mit High-Speed-Kameras und gebauten Modellen.
Und dann war Taylor an der Reihe, Fragen zu seinen bahnbrechenden Effekten zu beantworten. Doch das Publikum schwieg. Da saßen Experten in den Zuschauerreihen, doch die Expertise Taylors schien nicht gefragt zu sein. Und Taylor verstand die Welt nicht mehr. Wieso war niemand an seiner Arbeit, an der Art und Weise, wie er Special Effects erarbeitet, interessiert? Erst Backstage bekam Taylor die Antwort: „Alle denken ihr habt geschummelt, weil ihr Computer verwendet habt.“
VFX haben sich weiterentwickelt, doch die Skepsis blieb. Auch fast 40 Jahre später ist diese immer noch spürbar. Wieso eigentlich? Die VFX-Welt ist eine komplexe. Die Arbeitsabläufe sind umfangreich, die Zusammenarbeit mit Departments wie Regie, Kamera und Produktion sind vielfältig. Die Zusammenarbeit mit VFX-Teams verlangt Vertrauen – auf beiden Seiten. Und dieses kann nur durch transparente Kommunikation und konstant hohe VFX-Qualitätsstandards geschaffen werden. Fehler werden in dieser Branche kaum verziehen.
Visuelle Effekte haben sich in der Branche einen fixen Platz erarbeitet, der Bedarf ist international steig steigend. Wohl auch, weil visuelle Effekte mit ein Garant für Erfolge an den Kinokassen sind. In den Top 20 der internationalen Box-Office-Hits findet man im März 2019 keinen Film, der ohne VFX auskommt. Avatar (2009), Titanic (1997), Star Wars (1977—2019), Avengers (2018) setzen voll auf VFX und führen die Einspielergebnisse an. Wirtschaftlich rechnen sich die hohen Produktionskosten also. Was zur Folge hat, dass mittlerweile auch Dokumentar-, Tier- und Kinderfilme mit visuellen Effekten ausgestattet werden. Kurz gesagt: Computergenerierte Bilder sind – egal ob fantastische virtuelle Spielfilmwelten oder unsichtbare Bildretuschen im Independent-Kino – aus der aktuellen Filmlandschaft nicht mehr wegzudenken.
Um Erfahrungen und Expertise zu sammeln, gab es für österreichische Artists lange Zeit nur einen Weg. Nämlich jenen ins Ausland. Sie mussten hingehen, wo die internationalen Produktionen waren. Dadurch sind während des letzten Jahrzehnts der heimischen Branche wertvolle Talente abhandengekommen. Sie suchten ihr Glück in VFX-Hochburgen wie London, Wellington, Vancouver, Toronto, Montreal oder Singapur.
Die Produktionen kamen so nicht nur in den Genuss der besten Köpfe, sondern auch in jenen lokaler Steuervorteile. Viele Länder waren schneller als Österreich und haben das Potenzial dieser wachsenden Kreativbranche erkannt. Sie locken die VFX-NomadInnen dieses jungen Wirtschaftszweiges mithilfe eines Steueranreizsystems. Für die österreichische VFX-Szene ist diese Preisverzerrung jedoch dramatisch. Häufig kostet es durch diese Tax-Incentives nur halb so viel, an einem Standort mit Steuervorteil zu produzieren. Diese Marktverwirrung trägt zur Instabilität im globalen Markt bei und zwingt die Branche, den Produktionen nachzureisen. Oft werden kurzfristig Hunderte Leute gebraucht, um ein Projekt fertigzustellen. Und der weltweite Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften wird nicht kleiner, das Gegenteil ist der Fall.
Beste Aussichten für BerufseinsteigerInnen, möchte man meinen. Kaum eine Branche bietet so vielfaltige Berufsbilder und Arbeitsbedingungen. Und der Beruf ist das free ticket around the world. Natürlich, es ist spannend, die Welt zu bereisen und gleichzeitig an internationalen Großproduktionen zu arbeiten. Man ist Teil der Jetset-Gesellschaft, wird zur Weltbürgerin oder zum Weltbürger – das klingt doch gut. Doch auch in Wien lässt es sich gut leben, nicht umsonst ist die Hauptstadt eine der lebenswertesten Städte der Welt. Und die lokale VFX-Szene kann optimalen Rahmenbedingungen in der Heimat viel abgewinnen. Nur so können in Zukunft ausgebildete KünstlerInnen gehalten und ein internationaler VFX-Standort etabliert werden.
Die Möglichkeiten sind vorhanden: Die Branche ist einem steten Wandel unterzogen, Berufsbilder sind fließend und verändern sich ständig. Der Wissensaustausch ist schneller und unmittelbarer geworden. Bücher sind bereits nach kurzer Zeit veraltet und müssten ständig neu aufgelegt werden, um relevantes Wissen zu bieten. Ihnen stehen eine Flut an Podcasts und Online-Tutorials als neue Standards der Weiterbildung gegenüber. Die Grundlagen des technischen Arbeitens lassen sich so problemlos im Selbststudium erlernen. Kreative Talente profitieren durch individuelle und persönliche Unterstützung.
Und gerade in diesem Bereich bietet sich eine Chance für Österreichs VFX-Branche. Denn mit der Erweiterung der akademischen Ausbildungen wird ein ordentliches Fundament für den Standort geschaffen. Für ganz junge KünstlerInnen bietet sich etwa der Höhere Technische Lehrgang der HTL Spengergasse in Wien an. Die AbsolventInnen verfügen nach der Matura teilweise über Fähigkeiten, die jene berufserfahrener Artists übertreffen. Danach könnte man den Bachelor auf einer der zahlreichen FHs (Hagenberg, Salzburg, Linz, Graz oder etwa den neu gegründeten VFX-Studiengang an der SAE) absolvieren. Das Master-Studium „Digital Art – Compositing“ an der Filmakademie wäre der perfekte Abschluss dieser Ausbildungslaufbahn. Er eignet sich als Sprungbrett in die nationale oder internationale Filmwelt.
Langsam, aber sicher entwickelt sich eine lokale VFX-Szene. In Wien sind allein um die Margaretenstraße sechs mittelgroße Studios beheimatet. Produziert wird hauptsächlich für internationale Kunden wie Netflix, Disney, Warner oder Sony. Dieser Zulauf wird auch von den heimischen Filmfördereinrichtungen erkannt. So wird der Wirtschaftsmotor VFX nicht nur für die heimische Filmszene gestärkt, sondern es entstehen inzwischen auch eigenständige Animationskinofilme wie Die Heinzels – Rückkehr der Heinzelmännchen (2019), Peterchens Mondfahrt (2020) oder Die Häschenschule 2 (2020).
Während andere Länder mit billigen Produktionsbedingungen locken, müssen österreichische VFX-Unternehmen auf Qualität setzen, um Kunden zu gewinnen. Ein Vergleich mit Deutschland zeigt, dass diese Strategie funktionieren kann: In Stuttgart, München, Berlin, Frankfurt bildet sich eine gut aufgestellte VFX-Szene. Allein in München finden sich Firmen wie RodeoFX, Trixter oder Scanline, die internationale Großprojekte wie die Film-Reihen Avengers, Star Wars oder Jurassic Park bearbeiten. Die Qualität der Arbeiten überzeugte, Fördermodelle wurden dementsprechend angepasst. Und: Durch die Arbeit an diesen Hochglanzproduktionen werden die Rahmenbedingungen geschaffen, um auch den heimischen Markt gut versorgen zu können.
The Curious Case of Benjamin Button (2008), Blade Runner 2049 (2017), die neuen Star-Wars-Filme, Avatar (2009) oder der bislang letzte Teil der The Fast and the Furious-Reihe (2017) wurden bereits alle durch den Einsatz digitaler SchauspielerInnen ermöglicht. Es sind nur einige Beispiele dafür, dass ein bisher unmöglich umsetzbarer Film durch digitale visuelle Effekte Realität wird. Solche Projekte benötigen aber dementsprechende Budgets sowie eine Armee an talentierten KünstlerInnen.
Doch die Chancen stehen gut, dass sich die Bedingungen in Zukunft ändern werden, und dann die Computer bald für uns schummeln: In den Bereichen Deep Learning und Artificial Intelligence sind Entwicklungen zu beobachten, die in naher Zukunft viele Arbeitsschritte in die automatisierten ‘Hände’ von Computern legen werden. Im besten Fall erlebt die Branche dadurch einen Kreativitäts-Boost. Für die Branche wäre es hilfreich, könnte man die technischen und handwerklich intensiven Themen den Computern überlassen. Die KünstlerInnen könnten sich so für die wirkliche Gestaltung freispielen. Dadurch würden VFX vermutlich auch günstiger und zugänglicher werden. So könnten Filme realisiert werden, die aktuell budgetär nicht umsetzbar sind. Welchen Einfluss diese Entwicklung auf das Filmemachen, wie man es heute kennt, haben wird, ist allerdings noch völlig unklar.
Es ist ein bisschen wie mit Tron. Zum Meilenstein der VFX wurde dieser Klassiker erst mit etwas Abstand. Beim Release des Films war nicht offensichtlich, welche Auswirkungen Tron auf die Zukunft der visuellen Effekte haben würde. Und auch Tron wurde zu Beginn kritisch beäugt.