Wer bekommt den Vertrauensvorschuss?
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Wer bekommt den Vertrauensvorschuss?

Matthias Writze, Dezember 2020

Matthias Writze studierte Dramaturgie & Drehbuch sowie Schnitt an der Filmakademie Wien. Kurzfilme, an denen er als Drehbuchautor, Editor oder Dramaturg mitwirkte, wurden u.a. beim Österreichischen Filmpreis ausgezeichnet, für den Europäischen Filmpreis nominiert oder im Wettbewerb der Cinéfondation bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt. 2019 schrieb er gemeinsam mit Michael Podogil das Drehbuch für die Miniserie Prost Mortem für Puls4/NBC-Deutschland. Als Editor und Dramaturg arbeitete er an mehreren Langfilmen – aktuell feierte Robin’s Hood seine Premiere auf der DOK Leipzig und wurde dort mit dem Gedanken-Aufschluss-Preis ausgezeichnet.

Der folgende Text ist einer von zwei Plädoyers für “Mehr Drehbuchautor/innenkino!

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Wer schon an einem österreichischen Filmset gearbeitet hat, der kennt das Raunen im Team: Das Drehbuch sei nur so naja – aber die Schauspieler*innen, die Kamera, der Schnitt usw. würden schon etwas draus machen. Als Student reagierte ich darauf mit Verwunderung – fragte mich, wie am laufenden Band Filme entstehen können, an deren Drehbuch ein guter Teil der Beteiligten nicht glaubt. In diesem Text möchte mich mit möglichen Antworten auf diese Frage beschäftigen.

Ich kann mich gut an meine erste Stunde an der Wiener Filmakademie als Drehbuchstudent erinnern. Ein Regieprofessor fragte mich, ob ich vorhabe, auch Regie zu führen – als ich verneinte, kam die Antwort, wie ich jemals in meinem Leben Geld verdienen möchte. Wer würde meine Drehbücher inszenieren? Was ich damals als die Arroganz eines Autorenfilmers empfand, betrachte ich heute als einen nüchternen Ratschlag. Im Kino-Bereich gibt es in Österreich praktisch keine reinen Autor*innen, die von ihrer Arbeit leben können, und darauf sollte man vorbereitet sein, wenn man sich in diese Branche begibt.

Der Fokus liegt auf der Regie, die im Idealfall ihre Vision eines Films umsetzt. Dieses Prinzip ist nicht zu Unrecht entstanden – es gibt tolle Autorenfilmer*innen in diesem Land. Irgendwann scheint das Verständnis dafür verloren gegangen zu sein, dass es eher die Ausnahme ist als die Regel, dass jemand ein außergewöhnliches Talent hat für Regieführen UND Drehbuchschreiben.

Es gibt keinen Kriterienkatalog, nach dem Förderentscheidungen im Film getroffen werden. Wenn man mit Kolleg*innen, Produzent*innen, Jurymitgliedern spricht, dann kristallisiert sich eine Idee heraus: Es kommt auf das an, was man gemeinhin als das richtige „Package“ bezeichnet: Das Thema soll relevant sein, die Besetzung publikumswirksam, der Produktionsfirma muss man das Projekt zutrauen und vor allem der Name der Regie muss stimmen. Das Drehbuch spielt dabei auch eine Rolle – aber es ist einer von vielen Punkten. Ich kenne viele Beispiele von Projekten, bei denen die Jury das Drehbuch vollmundig lobte, um dann aus Gründen des falschen Packages abzusagen.

Die Fördersituation bietet den Produktionsfirmen kaum Anreize, in Drehbuchentwicklung zu investieren. Die Firmen verdienen ihr Geld mit der Filmproduktion – beinahe unabhängig davon, wie gut die Filme werden. Um zu produzieren, muss man durch Förderentscheidungen durch und dort entscheidet das Package. Es ist also ein Risiko, zu viel Zeit, Geld und Energie in ein Drehbuch zu stecken, um dann abgelehnt zu werden. Also drängen viele möglichst schnell in die Herstellungseinreichung, was dann dazu führt, dass halbgare Drehbücher verfilmt werden. Denn wenn das Geld mal da ist, gibt es keinen Grund mehr, am Drehbuch zu feilen.

Die Regie bekommt oft einen Vertrauensbonus für das nächste Projekt, wenn sie mit dem letzten Film Publikums- oder Festivalerfolg hatte. Wer Drehbücher liest, weiß, dass es dabei Interpretationsspielraum gibt: Was mit Wohlwollen unkonventionell, zeitgeistig oder mutig ist, kann mit kritischem Blick genauso als unausgegoren oder fragwürdig angesehen werden. Aus diesem Grund ist die Frage, wem der Vertrauensbonus zusteht, eine der wichtigsten in unserer Branche.

Um ein Beispiel aufzuzeigen: Anonyme Drehbuchwettbewerbe kommen oft zu ganz anderen Ergebnissen als die Förderstellen. Beim Carl-Mayer-Drehbuchwettbewerb werden unverfilmte Treatments prämiert. Von den 21 ausgezeichneten Stoffen der letzten zehn Jahre haben es bis jetzt nur zwei zur Verfilmung geschafft. Von mehreren Preisträger*innen habe ich gehört, dass ihr Treatment, das von der einen Jury anonym als preiswürdig erachtet wurde, von der anderen Jury – sobald ihr Name darunter stand – nicht einmal mehr Stoffentwicklungsförderung bekam. Das Package zählt mehr als der reine Text.

Die Hindernisse für Autor*innen beginnen schon lange bevor man in Verlegenheit kommt, ein Drehbuch zur Herstellungsförderung einzureichen.

Schon bei den Kunststipendien gibt es eine Selektion zugunsten der Regie. Um aus meiner Erfahrung zu berichten: Ich befand mich in der letzten Auswahlrunde für ein Stipendium, das explizit für Drehbuchautor*innen oder Regisseur*innen ausgeschrieben war, und wurde zu einem Hearing geladen. Das Gespräch verlief gut, bis wir zur letzten Frage kamen: Ob ich denn vorhätte, bei dem Stoff Regie zu führen. Naiv verneinte ich, nur um kurz darauf die Absage zu erhalten, mit der Begründung, dass der Jury mein Konzept gut gefalle – sie habe sich aber dafür entschieden, lieber die Regisseur*innen unter den Bewerber*innen zu fördern.

Auch an der Filmakademie Wien wird Autor*innenfilm großgeschrieben. Anders als an den meisten deutschen Universitäten gibt es kaum Anreize für Regiestudierende, jemals das Drehbuch einer oder eines anderen zu verfilmen, und umgekehrt gibt es aus der Drehbuchklasse kaum Anreize, Kurzfilmdrehbücher zu schreiben – man arbeitet institutionell aneinander vorbei.

Unter meinen Kolleg*innen gab es trotzdem viele Regiepersonen, die aktiv die Zusammenarbeit mit anderen suchten. Damit kommen wir zum nächsten Problem der Autor*innen: Nur weil sich die Regie bewusst ist, was sie an ihrer Koautorin oder ihrem Koautor hat, heißt das nicht, dass dies nach außen wahrgenommen wird. Im Gegenteil: Koautor*innen gelten oft als diejenigen, die für die Regie dem Drehbuch einen kleinen Feinschliff verpassen, und nicht als gleichwertige Urheber. Erst letztens konnte ich ein Filmgespräch entgleiten sehen, weil die Moderation nicht darauf vorbereitet war, dass die Regisseurin nicht selbst die Grundidee zum Film hatte, sondern ihr (nicht anwesender) Koautor.

Dieses Ungleichgewicht führt dazu, dass es für eine/n Regisseur*in reicht, einen erfolgreichen Kurzfilm gemacht zu haben, um Angebote von Produktionsfirmen zu bekommen, während Autor*innen (übrigens auch Editor*innen oder Kameraleute) fünfmal so viele erfolgreiche Kurzfilme gemacht haben können und kein Hahn nach ihnen kräht. Wer als Autor*in mit einem eigenen Stoff wo landen will, macht das am besten, indem man eine Regieperson dazu bringt, sich dafür zu interessieren.

Eine der einfachsten Maßnahmen, um die Situation zu verbessern, wäre eine anonyme Stoffentwicklungseinreichung, die es möglich macht, dass im Anfangsstadium Drehbücher für sich stehend beurteilt werden. Eine Förderschiene für niedriger budgetierte Filme – analog zum Kleinen Fernsehspiel in Deutschland – würde es innovativen und ungewöhnlichen Projekten leichter machen, an Förderungen zu kommen, und Einsteigern ermöglichen, sich den vielzitierten Vertrauensbonus zu erarbeiten.

Hätte ich mich also besser von meinem Regieprofessor von meiner Berufswahl abbringen lassen sollen? Nein. Nicht nur, weil ich entgegen seiner Vorstellungen von meinem Beruf leben kann, sondern auch, weil die Hoffnung lebt, dass sich etwas ändert: Zum einen, weil sich unsere Branche in der Krise befindet und sich Dinge ändern müssen, zum anderen, weil ein Umdenken – vor allem bei den Jungen – spürbar ist.

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Porträtfoto © Anselm Peer