Dieses Porträt ist eine von vier Vorstellungen von Filmemacher*innen, die seit Start von Cinema Next sehr präsent waren, aber wir ein wenig aus den Augen verloren haben. Sie haben entweder einen anderen Fokus oder sind ‚groß‘ geworden und dem Cinema-Next-Nachwuchskosmos einfach auch entwachsen. >> zu den Porträts Was macht eigentlich …?
Jan Groos’ Film (in Ko-Regie mit Anna Groos) Das ist es, was immer mit den Menschen los ist und mit den Tieren nicht los ist ist beim KINO VOD CLUB in der Cinema Next Series kostenfrei online verfügbar.
„Die Freude an der Recherche hat überhandgenommen“
Auch Jan Groos haben wir, wie Karin Fisslthaler, bereits zu Zeiten unseres film:riss-Student*innenfilmfestivals in den 2000er Jahren kennen und schätzen gelernt. Es waren ungewöhnliche Zugänge, die der damalige Student der Akademie der bildenden Künste in Wien in seine narrativen Filme hineinbrachte – und dadurch auch frischer und spannender als vieles, was wir sonst so sahen. 2017 ging Jan vor allem in die Forschung – und seither änderte sich sein künstlerischer Fokus. Wir wollten wissen, was der von uns sehr geschätzte Filmemacher jetzt macht.
Das letzte Mal, als wir uns eigentlich gesehen haben, war zum Ende des BKA-Film-Startstipendiums zur Abschlusspräsentation der Filmprojekte, an denen ihr gerade arbeitet. Das war im Jänner 2018, und du hattest da noch das Langfilmprojekt Endzeit – Der Film geplant (ausgehend von deiner Web-Serie ENDZEIT, 2015, in Koregie mit Schwester Anna Groos). Jetzt machst du u.a. einen Podcast „zur Erweiterung unserer Vorstellung von Zukunft“ und schreibst eine Dissertation über „Soziotechnische Imaginationen algorithmischer Regierungskunst“. Was ist auf dem Weg zum Kinofilm passiert?
Jan Groos: Man könnte sagen, die Freude an der Recherche hat überhandgenommen. Ich habe es immer sehr genossen, mich in der Vorbereitung der Filmprojekte in ein Thema einzugraben. Mit der Konstellation Podcast + PhD habe ich jetzt zwei unglaublich gute Vehikel, um das in einer noch exzessiveren Weise zu tun. Das Podcasten ist dabei ein viel flexibleres und auch schnelllebigeres Medium, als es der Film aufgrund seiner aufwändigeren Produktionsweise sein kann. Das genieße ich sehr, denn dadurch entsteht für mich eine Beweglichkeit in den Untersuchungen, die ich sehr schätze. Untersuchungen waren bzw. sind es aber hier wie dort. Derzeit betreibe ich meine Untersuchungen halt in einer neuen medialen Konstellation.
Jan Groos, 1981 in Frankfurt am Main geboren, zog 2003 nach Wien, um – nach einem Jahr an der Schule Friedl Kubelka für unabhängigen Film – an der Akademie der bildenden Künste weiterzustudieren, am Ende in der Klasse von Harun Farocki. 2019 startete Jan den Podcast “Future Histories – der Podcast zur Erweiterung unserer Vorstellung von Zukunft”. Das Video Was ist Anarchismus zählt bereits über 15.000 Views. >> Jans Webseite
In unserem Porträt über dich, das wir 2017 im Zuge des Stipendiums veröffentlichten, sagst du: “Es fällt mir nicht schwer, einen theoretischen Text zu lesen und diesen sinngemäß wiederzugeben. Wenn ich weitermache, lande ich wahrscheinlich bei einer NGO. Das hätte meiner Konstitution durchaus entsprochen, mir aber zu wenig abverlangt. Daher entschied ich mich für einen bewussten Richtungswechsel. Das Künstlerische traute ich mir damals am wenigsten zu – und fand es genau deshalb am Spannendsten.“ Jetzt hast du eigentlich wieder den Weg zurückgefunden zu theoretischen Texten und deren Vermittlung/Wiedergabe. Welche Erfahrungen aus deinen Jahren als Filmemacher hast du für deine jetzige Arbeit mitnehmen können?
Oh, ich konnte ganz viel mitnehmen, allein schon auf der Ebene der Medienproduktion. Aber grundsätzlich stellt sich für mich das Ganze ja überhaupt nicht so stark wie ein Bruch dar. Aus der Außenperspektive mag es vielleicht so wirken, als würde ich jetzt was ganz Anderes machen, aber für mich zeigen sich eher die Kontinuitäten. Die sind sowohl inhaltlich da, aber auch in der grundsätzlichen Art und Weise, den Themen zu begegnen. In der formalen Herangehensweise gibt es einfach eine sehr große Offenheit. Ich würde sagen, es war schon immer und ist auch jetzt noch eine fragende Auseinandersetzung, die in offenen Untersuchungen versucht, sich ein (möglichst breites und immer unabgeschlossenes) Verständnis zu erarbeiten. Das ist mit künstlerischen Mitteln möglich und mit ganz vielen anderen Mitteln, bzw. bin ich mir nicht sicher, ob diese Unterscheidung zwischen künstlerisch/nicht-künstlerisch überhaupt sinnvoll ist. Ich denke, eher nicht.
Die Fragen, mit denen du dich wissenschaftlich beschäftigst, finden sich ja auch in deinen Filmarbeiten wieder — zumindest in denen, die wir bei Cinema Next schon im Programm hatten (der Akademie-Abschlussfilm Das ist es, was immer mit den Menschen los ist und mit den Tieren nicht los ist (DE/AT 2013, 45 min, in Ko-Regie mit Anna Groos) und die Webserie ENDZEIT): die Verortung der Menschen in der Gesellschaft, Identitätskonflikte, Ausbrüche aus der Gesellschaft und andere Lebenskonstrukte. Kannst du in ein paar Sätzen beschreiben, worum es dir persönlich in deiner beruflichen Arbeit geht?
Am Ende läuft es wohl auf eine Kombination aus Verwunderung, Offenheit und Neugierde hinaus. Ich bin doch immer wieder sehr verwundert darüber, welche Plausibilisierungen einem so vorgesetzt werden in Bezug auf die Frage, warum die Dinge so sind, wie sie sind und warum sie angeblich nicht anders sein könnten. Das ist auch bei grundlegenden Fragen gesellschaftlicher Organisation und Ordnungsbildung oft sehr hanebüchen und wird trotzdem gerne unhinterfragt als alternativlos dargestellt (sehr schnell erkenntlich z.B. in den orthodoxen Wirtschaftswissenschaften, aber auch liberale Demokratietheorie bringt da so manche Verschrobenheiten hervor). Dieser Verwunderung versuche ich in einem ersten Schritt aber mal mit Offenheit zu begegnen, soll heißen, dass es mich aufrichtig interessiert, auf welchen – gerne unausgesprochenen – Annahmen diese Dogmen fußen. Von da aus treibt mich dann eine gewisse Neugierde (und auch ein Nicht-einverstanden-sein) zur Frage, wie alternative Formen gesellschaftlicher Ordnungsbildung aussehen könnten.
Den Podcast Future Histories machst du seit 2019, mit Metalepsis hast du 2020 ein kleines Unternehmen gestartet, das sich auf „anspruchsvolle Wissensproduktion in den Formaten Podcast, Video und mehr“ spezialisiert. Wo siehst du dich und deine Projekte in fünf, zehn Jahren?
Das kann ich zum Glück nicht sagen. Wäre es so, ginge die Offenheit flöten.
Vermisst du es eigentlich, narrative Filme zu machen? Bzw. wird es Endzeit – Der Film vielleicht doch noch irgendwann mal geben?
Derzeit vermisse ich es nicht, narrative Filme zu machen. Eine nicht-narrative Bewegtbildproduktion kann ich mir da schon viel eher vorstellen. Das wäre dann aber sicher sehr eng mit meinen anderen derzeitigen Projekten verwoben. Ob es irgendwann mal doch noch ENDZEIT – der Film geben wird, kann ich aber trotzdem nicht ausschließen. Es ist aktuell nicht Thema, aber man weiß ja nie …
von Dominik Tschütscher, im Dezember 2021
Porträtfoto © Max Gurresch
In der Cinema Next Series beim KINO VOD CLUB ist der mittellange Film Das ist es, was immer mit den Menschen los ist und mit den Tieren nicht los ist (DE/AT 2013, 45 min, Ko-Regie Anna Groos) kostenfrei im österreichischen Geoblocking im Stream verfügbar. Der Journalist Andrey Arnold beschreibt den Film als „ungewöhnliches, konzeptuell ausgeklügeltes und intellektuell anregendes Debüt“. >> zum Stream