„Der Mensch ist ein immer-gefallen-wollendes Tierchen“
Anna Hirschmann, 1982 in Werther (DE) geboren, studierte bis 2008 Visuelle Kommunikation an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und danach bei Thomas Heise in der Klasse Kunst und Film an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Das Studium schloss sie 2021 ab. Sie lebt und arbeitet als Filmemacherin und Theaterschaffende in Wien. Für das Startstipendium 2021 hat sie sich mit dem Spielfilmprojekt Müde oder beworben. Im Film widmet sie sich – mit komödiantischem Zugang – einem gesellschaftlich sehr verbreiteten Problem: Erschöpfung und Müdigkeit.
Dein bisheriger künstlerischer Lebenslauf besteht – neben einzelnen Filmarbeiten und Textarbeiten wie Hörstücken und Lesungen – vor allem aus Arbeiten fürs Theater; in den letzten vier Jahren warst du auch dramaturgische Assistentin bzw. Dramaturgin am Schauspielhaus Wien, du bist aber auch Autorin freier Projekte (die du bspw. mit Blind Date Collaboration realisiert hast). Jetzt hast du dich mit einem Spielfilmprojekt fürs BMKÖS-Startstipendium beworben. Was reizt dich am Kinospielfilm?
Anna Hirschmann: Ich habe mich irgendwann ins Kino verliebt und da wächst kein Kraut dagegen ☺ Die obige Annahme trifft auch nicht ganz zu: In Hamburg habe ich hauptsächlich mit Video und auch mit Film gearbeitet. Ich habe ganz viel ausprobiert: Puppenanimation, Zeichentrick, Videoinstallation, Videokunstfilmchen, Roadmovie, Kurzspielfilm, Essay. Kleine und mittellange Formen. Ich wollte immer von vorne anfangen. Und meine eigene Erkenntnis beim Arbeiten war wichtiger als die Frage, ob das Ergebnis den Sehgewohnheiten entspricht. Jetzt finde ich diese Arbeiten zum Teil zu kindlich und manche auch unfertig.
Im Unterricht von Thomas Heise ging es dann viel stärker um inhaltliche Relevanz. Wir haben zu Beginn Filme aus der Zeit des und über den zweiten Weltkrieg geschaut. Das war der gesellschaftliche Horizont, vor dem wir über Dokument, Beobachtung und Wahrheit gesprochen haben. In der Zeit habe ich wenig ausprobiert, dafür viel nachgedacht. Über Geschichte und Politik, über die Heisesche Lehre, „echten“ Menschen im Film „auf Augenhöhe“ zu begegnen und darüber, wie objektiv eine Beobachtung tatsächlich sein kann. Denn als Beobachter ist man immer auch „Publikum“.
Dann kam das Theater und die (Schau-)Lust an der unmittelbaren Inszenierung. Ich liebe die Präsenz und das Bemühen um Aufmerksamkeit, die verführerische Energie von guten Spieler*innen. Das Kino, das mich aktuell interessiert, kann das auch. Die cineastische Illusion kann sich darüber hinaus noch weiter entfalten, sich von Menschen über Orte und Landschaften erstrecken oder ganz abstrakt werden. Der Theaterraum bleibt immer der Theaterraum. Wobei der auch bombastisch sein kann… Aber für den Stoff, an dem ich derzeit arbeite, brauche ich die Bildwelt des jungen, städtischen Lebens. Mir selber erscheint der Schritt vom formal-ästhetischen Zugang über den inhaltlichen Fokus und über die Frage nach den Zuseher*innen zum Kinospielfilm naheliegend.
Zwei von Annas früheren Arbeiten: Besuch der Wiener Trabrennbahn (2014, 5:30 min) ist ein handentwickelter 16mm-Film mit filmhistorischem Gestus. Die Stadt, ihre Mauern, der Spaziergang und die Fremde (2018, 13 min) ist ein fotografischer Essay, der durch die marokkanische Hafenstadt Essaouria, durch Erinnerungen an flüchtige Begegnungen auf der Bühne der Stadt und ihrer Umgebung führt.
Inwieweit hilft dir deine Theater-Erfahrungen für die Ausarbeitung eines Film-Drehbuchs? Oder funktioniert Film gänzlich anders?
Moderne Theaterinszenierungen zeigen gerne explizit ihr Handwerk, dekonstruieren Text, Schauspiel, den Theaterraum. In dieser Hinsicht funktioniert Film (meistens) anders. Wir wollen im Kino nicht aus der Geschichte geworfen werden oder fallen. Aber durch das Theater habe ich meine grundsätzliche Freude am spielerischen Umgang mit Körper und Sprache entdeckt. Auch die Alltagssprache performt ja. Sie zeigt Dinge: die Beziehung, das Wohlbefinden der Sprechenden, tagesaktuelle Umstände. Wir sind sogar gezwungen, ständig im Sprechen zu „performen“, um uns in der Gesellschaft zu verorten. Unsere Sprechweisen bedeuten Abgrenzung und Zugehörigkeit, egal ob auf der Bühne oder im Wohnzimmer. Das verfolge ich im jetzigen Projekt inhaltlich weiter: Erzeugt das Performen in der Kommunikation Müdigkeit und Erschöpfung? Warum ist es nicht z. B. befriedigend? Welche Rolle spielen also auch Beziehungen zu anderen Menschen für unsere Gesundheit?
Still aus Helgas Freiheit und die Waschmaschine (2021, 40 min). Annas aktuellster Film ist ein filmisches Porträt und die Dokumentation einer kurzen Begegnung mit einer Wienerin.
Worum geht es in deinem Spielfilmprojekt Müde oder, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?
Um zwei junge Frauen und ihr gemütliches, enges Freundschaftsnest, das durch verschiedene Umstände zu klein fürs Leben wird. Die eine verliebt sich ernsthaft in einen jüngeren Mann, die andere ist ernsthaft herausgefordert, sich mit ihrem Körper auseinanderzusetzen: Sie leidet unter einer Tagesmüdigkeit, die sie in eine orientierungslose Odyssee treibt. Die Diagnose einer Schlafapnoe bringt nur oberflächliche Klarheit. Dann zieht noch der neue Freund mit in die WG der Freundinnen und es wird wirklich eng. Am Ende gibt es weder für den Verlust von Nähe, noch für die Schmerzen der Liebe, noch für den Körper eine Form der Heilung. Aber dafür eine starke gemeinsame und visionäre Entschlussfassung auf einem Wasserbett!
Die Tagesmüdigkeit junger Menschen – viele von uns kennen diese. Sie machen dann Yoga oder Autogenes Training, lesen Bücher über Selbstheilung und gesundes Essen oder machen dieses oder jenes, um Stress abzubauen und Balance zu finden. Das kann man lustig finden oder auch sehr tragisch. Wie wird dein Zugang sein?
Ich finde das lustig und tragisch zugleich. Menschliche Disziplinverwalter wie strenge Eltern, befehlende Arbeitgeber*innen oder humorlose Lehrende werden weniger. Voll angenehm! Bindende Werte und einengende Normen scheinen verhandelbar, die Möglichkeiten der Selbstentfaltung grenzenlos. Super!! Das sind sie aber gar nicht wirklich, und das Selbst muss an der unmöglichen Realisation seiner „Entfaltung“ scheitern. Es ist überfordert mit der Uneindeutigkeit der Machtverhältnisse. Ich bin ständig damit beschäftigt, über kommunikatives Verhalten verschiedener Art herauszufinden, wo ich gerade stehe: Wieviel bin ich wert auf dem Arbeitsmarkt, Kunstmarkt, Beziehungsmarkt? Das ist anstrengend und frustrierend. Und, no na, als Frau musst du es doppelt so gut machen. Jetzt bitte lächeln!!!
Ich denke, der Mensch ist ein immer-gefallen-wollendes Tierchen und leidet unter den schwammigen und immersiven Anforderungen der spätkapitalistischen Leistungsgesellschaft. Und er nimmt das zu Recht persönlich. Nicht nur die vermeintlichen Möglichkeiten sind individualisiert, sondern auch die Verantwortung für deren erfolgreiche Umsetzung. Ich nehme diesen Menschen – also mich auch – ernst. Diese Ernsthaftigkeit in einer fast aussichtslosen Sache ist gleichzeitig auch komisch.
Lustige Spielfilmideen von jungen Filmemacher*innen sieht man hierzulande eher selten. Daher ist es umso erfreulicher, dass du deinen Film komödiantisch anlegst, und zwar konkret als „nicht-romantischen Beziehungsfilm mit Elementen einer fish- out-of-water-Komödie“, wie du in der Einreichung schreibst. Was macht in deinen Augen die Komödie zur oft so bezeichneten „Königsdisziplin“? Und siehst du das überhaupt auch so?
Vielleicht kann ich diese Frage erst nach der Umsetzung beantworten, aber ich versuche es mal: Humor ist individuell, basiert auf unterschiedlichen Lebenserfahrungen und findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Situationskomik und Slapstick sind etwas anderes, als sich ganz grundsätzlich über eine schräge Figur zu amüsieren.
Komisch werden Erzählungen für mich durch Überhöhung und Zuspitzung von ernstzunehmenden Problemen, bis sie sich abheben vom Banal-Realen und mir wie ein schlapper Heliumballon im Wurstelprater genau die Sicht versperren. Ich lache aus Dankbarkeit über die abhanden gekommene Klarsicht und die kurze Pause, die dadurch entsteht. Die emotionale Manipulation durch die filmischen Mittel schafft Leichtigkeit, die Situation bleibt aber ernst zu nehmen. Das funktioniert wie ein guter Taschenspielertrick.
Eigentlich wäre so manches in meinem Alltag komisch, wenn ich die Zeit hätte, über den Umstand und über mich selbst zu lachen. Für den Film heißt das vielleicht so etwas wie: Ich muss mich eindeutig identifizieren mit den Figuren, aber die Nähe darf auch nicht zu groß sein. Das ist möglicherweise herausfordernder als bei einer dramatischen Geschichte, bei der die soziale Bewertung im Grunde schon feststeht.
Müde oder soll deine erste längere narrative Filmarbeit werden. In welchem Stadium befindet sich das Projekt derzeit und was, glaubst du, wird in den nächsten Schritten die größte Herausforderung?
Es gibt ein Treatment, mit dem ich schon ganz zufrieden bin. Ich glaube, die größte Herausforderung ist, ein*e Produzent*in zu finden, die*der den Film mit mir so realisieren möchte.
Zum Abschluss eine Frage privater Natur. Wir wissen, dass du sehr aktiv bist bei Zhong Xin Dao I Liq Chuan, ein „innerer chinesischer Kampfkunststil“. Ist das dein persönlicher Zugang, um Erschöpfung und Müdigkeit vorzubeugen? ☺
Nein, Vereinsarbeit ist auch Arbeit 😉 Im I Liq Chuan lernt man das Beobachten von körpermechanischen Prinzipien. Das Verständnis davon kann man gesundheitlich einsetzen, z.B. in Soloübungen seine Körperhaltung verbessern und die Tiefenmuskulatur stärken – oder kämpferisch beziehungsweise spielerisch in Partnerübungen. Ein wichtiges Prinzip ist die körperliche Entspannung, das bedeutet bei uns verkürzt: gleicher Muskeltonus von Beugern und Streckern. Dann kann man mit wenig Aufwand viel Energie generieren. Das ist faszinierend und macht einfach Spaß, und das Unterrichten auch.