Im Flow
Schon als kleiner Junge wusste Johannes: Filmproduzent will er werden! Fast verlor er diesen Traum aus den Augen: ein Leben als Journalist, Sportler, Eventmanager oder im Zirkus wäre ebenso möglich gewesen. Jetzt, mit 32 Jahren, hat Johannes die große internationale Koproduktion Club Zero in der Regie von Jessica Hausner, die im Wettbewerb von Cannes läuft, als Produzent betreut. Wie kam es dazu?
Wenn man mit Johannes spricht, formuliert er überlegt, aber offen. Einige Geschichten leitet er damit ein, dass sie wohl weniger für die Öffentlichkeit interessant seien. Aber diese Geschichten sagen viel darüber aus, wer Johannes Schubert – ein aufstrebender Filmproduzent mit einem bereits beindruckenden Portfolio – ist und was er macht. Zum Beispiel diese:
„Als Kind war ich besessen von Filmen und Serien. Ich habe zunächst exzessiv das Fernsehprogramm auf VHS-Kassetten aufgenommen und dann mein ganzes Taschengeld für meine DVD-Sammlung ausgegeben. Filmklassiker, Pixar-Filme, Fantasy-Epen … alles habe ich verschlungen. Als ich elf Jahre alt war, kam der erste Harry-Potter-Film in die Kinos, ich bin also genauso alt wie Harry, Ron und Hermine gewesen. Natürlich hatte ich auch diese DVDs mit allen Making-ofs. Da haben gesprochen: Cast, Regie, Kamera, Ausstattung und auch ein gewisser David Heyman – der Produzent. Die Art und Weise, wie er über die Charaktere und die Erschaffung der gesamten Welt sprach, faszinierte mich. In dem Moment wusste ich und sagte ich auch meiner Mutter: Das möchte ich machen! Aber wie soll das gehen, Filme produzieren? Für mich war das wie eine Mondlandung. Ich hätte nie gedacht, dass man sowas auch in Österreich machen kann. Heyman war Engländer, lebte in London. Film war für mich also etwas, was im internationalen Kontext stattfand. So habe ich mich als Jugendlicher filmisch sozialisiert. Der Weg war da für mich irgendwie schon vorgezeichnet.“
Schauspielerin Mia Wasikowska und Johannes Schubert am Set von Club Zero. Foto © Ioan Gavriel
Ganz so linear verlief diese When-dreams-come-true-Story dann doch nicht. Johannes, geboren 1990 in Wien, ging zunächst andere Wege. Nach dem Zivildienst als Rettungssanitäter packte ihn das Fernweh und mit 19 wäre er sogar fast auf den Malediven gelandet, um dort als Schnorchelguide zu arbeiten und die Ausbildung zum Tauchlehrer zu machen. Einige Wochen vor Abflug wurde das Angebot um eine Saison verschoben, Johannes blieb also in Wien, und als der Circus Roncalli in der Stadt war, fragte Johannes spontan, ob sie nicht einen Job für ihn hätten. Ein paar Tage später schloss er sich als Manegenrequisiteur für mehrere Monate dem Zirkus an.
Da Johannes nicht nur Filmliebhaber, sondern auch Leistungssportler im Kombinationssport Racketlon (inkl. Weltmeistertitel) war, strebte er zunächst an, Theater-, Film- und Medienwissenschaft sowie Sport zu studieren. Doch zog es ihn mehr in die Praxis: Johannes jobbte beim Radio und bei einer Tageszeitung – beide boten ihm bald Vollzeitstellen an. Zeitgleich tat sich die Türe auf, bei der ORF-Sendung Thema als Praktikant und Regieassistent mitzuarbeiten. Abends organisierte Johannes, meist im Cabaret Fledermaus in Wien, eine Livemusik-Reihe für Soul, Funk und Hip-Hop: die Soulin’ Sessions. Sogar eine Platte wurde produziert. Ein Leben als Eventmanager schien möglich – eher ungewöhnlich für Johannes’ sonst ruhiges Naturell.
Johannes (Mitte) mit der Band Random Trip bei einem Soulin’-Event 2015 in Berlin. Foto © Wlcsek András
Während der vier Jahre beim ORF merkte Johannes, dass er sich in der organisatorischen Rolle am wohlsten fühlte. So erwachte wieder der Wunsch, den er als Junge bereits formulierte: Er könnte doch Filmproduzent werden. An der Filmakademie Wien sah er dafür nur geringe Chancen: „Ich wusste, dass sie dort nur ganz Wenige aufnehmen und ich sah mich nicht als denjenigen, der bei so einem Auswahlprozess heraussticht und ausgewählt wird.“ Nachdem er in der Schulzeit ein Jahr Austauschschüler in Kalifornien war und es ihn immer schon woanders hinzog, strebte Johannes eine Ausbildung im Ausland an und fand diese an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF bei Berlin. Johannes’ Jugendtraum nahm Gestalt an: 2014 begann er, Filmproduktion zu studieren.
Schnell war klar, dass er auch den Sprung nach England machen wollte. Nach dem Bachelorabschluss 2018 in Babelsberg trat Johannes 2019 in den Master-Lehrgang Producing an seiner, wie er sagt, „Traumschule“, der National Film and Television School bei London, ein. Johannes schloss das Studium 2021 ab. Ein wenig mehr als ein Jahr später, im April 2023, wurde bekannt, dass sein erster großer internationaler Kinospielfilm, den er als einer der vier Produzenten umsetzte, im Wettbewerb von Cannes laufen wird. Neun Jahre nach Studiumsbeginn.
Wie konnte er das so schnell schaffen?
Wenn Johannes etwas macht, dann mit größter Hingabe: “Schon in meiner Zeit beim ORF habe ich alles aufgesagt wie ein Schwamm! Ich war so neugierig und habe immer versucht herauszufinden, wie Dinge gemacht werden und funktionieren. Ich bin jeden einzelnen Tag von früh bis spät mit großer Leidenschaft angegangen und wollte ständig dazu lernen. Wenn ich an einem Projekt arbeite und die Sinnhaftigkeit darin sehe, dann mach ich das mit voller Begeisterung.“
Es sind aber zunächst weniger die Filmideen, die für Johannes ausschlaggebend sind, als vielmehr die Menschen dahinter: „Ich geh nicht in erster Linie nach dem stärksten Pitch oder einem krassen Hook. Ich beschäftige mich immer mit den Filmemacher*innen dahinter. Die sind für mich die Ausgangsbasis und meistens der Grund, warum ich mir wünsche, bei einem Projekt dabei zu sein.“
Begeisterung zeigt Johannes für Regisseur*innen mit unverwechselbarem Stil und der Bereitschaft, künstlerische Risiken einzugehen, und für Projekte mit Themen, „die erzählt werden sollten – im Kino“. Wie beispielsweise die beiden Dokumentarfilme Germania (2018, 79 min) und Una Primavera (2018, 80 min). Bei diesen Projekten ist Johannes während des Drehs eingestiegen und als Produzent verhalf er ihnen zur Fertigstellung und Verwertung.
Germania war auch der Film, bei dem wir mit Cinema Next zum ersten Mal mit Johannes in Kontakt kamen. Wir zeigten den Film 2018 in unserer Filmreihe beim Crossing Europe Filmfestival, ohne zunächst zu wissen, dass er von einem jungen Wiener produziert wurde. Im Film begleitet der deutsche Filmemacher Lion Bischof die schlagende Münchner Studentenverbindung Germania. Ein faszinierender, aber gleichzeitig deprimierender Film, zeigt er doch immer noch schwelende konservativ-männliche Geflechte und Stereotype.
Kurze Zeit nach dem Screening von Germania kontaktierte uns Johannes und fragte, ob wir Interesse hätten an einem anderen Film, den er im kleinen Team umsetzte: Una Primavera. Der Editor des Films, Federico Neri, war sein Kommilitone an der Filmuniversität. Dessen Freundin, Valentina Primavera, filmte ihre italienische Mutter beim Versuch, ihrem Ehemann, einem gewalttätigen Patriarchen, zu entfliehen. Zu dritt verwirklichten sie einen eindringlichen Film über das mutige Bestreben einer Emanzipation in einer Gesellschaft, die mehr den Täter schützt, als dem Opfer hilft.
Der Film ist in Österreich beim KINO VOD CLUB online verfügbar.
Mit dem Dokumentarfilm Dear Future Children (2021, 89 min) über drei junge Frauen, die unter lebensgefährlichen Bedingungen für eine bessere Welt protestieren, führt Johannes einen weiteren hochpolitischen Film in seinem Portfolio. (Sein Interview mit The Gap könnt ihr hier nachlesen.) Den deutschen Regisseur, Franz Böhm, lernte er während des Studiums in London kennen. Mit ihm entwickelt Johannes nun ein neues, ebenso politisches Projekt: einen fiktionalen Journalismus-Thriller über die Entdeckung der Internierungslager in Westchina, inspiriert von der wahren Geschichte einer uigurischen Journalistin.
Aber nicht alle Filme, die Johannes bisher produzierte, haben eine derart gesellschaftliche Brisanz. Johannes produzierte auch unterhaltsame, äußerst ambitionierte Animationsfilme wie den hybriden Mascarpone (2018, 14 min) und den Stop-Motion-Puppentrickfilm Laika & Nemo (2022, 15 min), der sogar mit dem Studenten-Oscar ausgezeichnet wurde. „Wir wollten mit Laika & Nemo etwas Besonderes kreieren. Sogar eine Kooperation mit der weltbekannten Puppenmanufaktur Mackinnon & Saunders, die Puppen für Tim Burton, Wes Anderson und Guillermo del Toro baut, wurde eingegangen. Allerdings haben wir uns als studentisches Team mit dem hohem Production Value ziemlich überschätzt“, sagt Johannes heute. Geplant waren zwei Jahre Produktionszeit, aus dem Projekt wurde zuerst ein Bachelorabschlussfilm, dann ein Masterabschlussfilm, am Ende dauerte es sieben Jahre bis zur Fertigstellung.
Johannes mit Regisseur Jonas Riemer am Set von Mascarpone. Foto © Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF / Louis Reiss
Wenn die Projekte nicht politisch sind, sind sie zumindest mutig: „Die Projekte, die ich mache, begehen oft auch Neuland und sind ein wenig verrückt, wie zum Beispiel Mascarpone. Manchmal kann das auch beängstigend wirken, weil man sich nicht ganz sicher ist, ob alles wirklich aufgeht“. Angst vor dem Scheitern hat Johannes aber keine, denn diese „sei Gift für Kreativität“.
Dieser leidenschaftliche Einsatz, den Johannes von sich selbst fordert, ist aber auch mit Risiken verbunden. Dieser ist er sich sehr bewusst, und er geht behutsam damit um. Dazu erzählt er uns folgende Geschichte:
“Als Sportler habe ich mich viel mit ‘Positiver Psychologie’ beschäftigt und war beeindruckt vom Konzept des ‘Flow’ von Mihaly Csikszentmihalyi. In seinem Buch beschreibt er, wie Menschen aus verschiedenen Bereichen, einschließlich Sport, Musik und Kunst, aber auch im Alltag, diesen Flow-Zustand erreichen, indem sie völlig in einer Sache aufgehen. Einer der Schlüssel liegt auch darin, Aufgaben zu finden, die weder zu leicht noch zu schwer sind, sodass man die richtige Balance trifft. Ich denke, das lässt sich auch auf Teams übertragen. Ich frage mich bei jeder Zusammenarbeit, wie man die bestmögliche Atmosphäre und Dynamik erreichen kann. Wie kann ein Team aufgestellt sein, sodass es bestmöglich harmoniert? Was ist die Stärke einer Person und wie kann diese bestmöglich für die Gesamtheit des Teams eingesetzt werden? Ich bin schon lange fasziniert von der sich immer wiederholenden Herausforderung, ein Filmteam optimal aufzustellen und für eine ideale Team-Atmosphäre zu sorgen. Allerdings ist der Aspekt der Nachhaltigkeit und Langfristigkeit sehr wichtig für mich. Ich möchte nicht, dass Leute sich in kurzen Sprints völlig verausgaben, sondern ihre Stärken und Fähigkeiten bestmöglich einsetzen können. Wenn all das funktioniert, auf einem Filmset, mit einem Team, ist das ein magisches Gefühl.“
Um auch persönlich im Flow zu bleiben und Ausgleich zu schaffen, legt Johannes sich Routinen zu. Nach Bürozeiten ist er abends, „in nicht-produktionsentscheidenden Phasen“, wie Johannes hinzufügt, nicht mehr beruflich zu erreichen. Dafür geht er früh schlafen und steht früh auf. In stressigeren Phasen arbeitet er selten bis tief in die Nacht, sondern steht eher noch früher auf. „Für mich ist das ein gutes Modell, mich in einem gesunden Rahmen zu bewegen.“
Den Flow im Team versucht er so zu halten: „Gutes Produzieren bedeutet für mich, zu verstehen, welchen Rahmen die Filmteams brauchen und diesen dann zu ermöglichen. Das ist natürlich bei jeder*jedem Filmemacher*in anders. Eine Jessica Hausner oder ein Franz Böhm haben unterschiedliche Arbeitsweisen und unterschiedliche Wertigkeiten, was ihnen in gewissen Phasen wichtig ist.“
Sein Ziel sei es immer, „die absolut beste Version eines Projekts zu ermöglichen“. Finanzielle Mittel spielen dabei natürlich eine Rolle, aber nicht nur: „Gewisse Beschränkungen können manchmal sogar die Kreativität befeuern. Man muss einfach das meiste rausholen und künstlerische Grenzen herausfordern. Darin ist beispielsweise Jessica Hausner eine absolute Meisterin. Bei ihr gibt es kein ‚Das ist jetzt gut genug‘. Das finde ich beeindruckend!“
Diese Hingabe darf aber nicht zur Selbstaufgabe werden. Offene Kommunikation ist für Johannes dabei key: „Bei einer Kalkulation beispielsweise bespreche ich diese mit den Regisseur*innen sehr kooperativ. Ich halte nichts davon, sie zurückzuhalten und jemandem das Budget aufzuoktroyieren. Das Team, allen voran die Regie, soll wissen, wohin das Geld geht: ins Art Department? Oder in die VFX? Das sind ja auch wichtige kreative Entscheidungen. Das ist der Rahmen, den ich meine.“
Film Still aus Club Zero. Foto © coop99 filmproduktion / Martin Gschlacht
Zum Projekt Club Zero kam Johannes über Barbara Albert, die an der Filmuniversität Regieprofessorin und gemeinsam mit Jessica Hausner eine von fünf Geschäftsführer*innen der coop99 ist. Barbara Albert hatte mitbekommen, welche Projekte Johannes an der Filmuniversität umsetzte und dass er für den Master nach London ging. Jessica Hausners vorheriger Film, Little Joe (2019), war schon eine österreichische-deutsche-englische Koproduktion und ihr neuer Film, Club Zero, sollte das ebenso werden. „Diese Brücke – Österreich, Deutschland und UK – war genau mein Profil und nachdem Jessica sich frischen Wind gewünscht hat, war ich glücklicherweise genau am richtigen Ort zur richtigen Zeit.“
„Club Zero war sicherlich der bisher größte Sprung in meiner produzentischen Laufbahn“, sagt Johannes. „Den Film als Teil des Produzententeams umzusetzen, und das gleich nach dem Studium, das ist tatsächlich außergewöhnlich. Ich bin der coop99 und Jessica sehr verbunden und dankbar, dass sie mir das Vertrauen geschenkt haben, so ein großes Projekt von Anfang bis Ende zu begleiten.“
Ausruhen will Johannes sich nach diesem großen Sprung aber nicht – auch nicht den Eindruck vermitteln, dass er es jetzt „geschafft“ hätte. Die Erfahrung will er mitnehmen und in zukünftige Projekte stecken, die er unabhängig und in verschiedenen Konstellationen realisieren will. Dafür geht Johannes derzeit mit drei Projekten ins Rennen – neben dem oben bereits erwähnten Spielfilm von Franz Böhm mit neuen Spielfilmprojekten von Markus Schleinzer und des österreichisch-ägyptischen Regisseurs Abu Bakr Shawky – und vernetzt und entwickelt diese in einem internationalen Kontext bei Workshops und Festivals: 2022 nahm Johannes teil am „Producers on the Move“ Programm in Cannes, am europäischen EAVE Producers Workshop und 2023 am Berlinale Talent Campus. Sollte eines der Projekte finanziert werden, muss Johannes auch die eigene Firmenstruktur nachschärfen und anders aufstellen. Derzeit agiert er noch alleine. „Ich möchte erstmal klein und wendig bleiben“, sagt er dazu. „Ich möchte nicht in die Verlegenheit kommen, Projekte vordergründig zu machen, nur um eine Struktur aufrecht zu halten. Es soll immer etwas Besonderes sein.“
Johannes Schubert ist Filmproduzent. Sein Jugendtraum wurde wahr. Aber er träumt weiter: „Ich möchte, wie bei Club Zero, pan-europäische Koproduktionen realisieren, die nach filmischer Exzellenz streben.“
Und um zu träumen, muss man auch schlafen gehen – bestenfalls weiterhin nicht zu spät.