Stefanie Weberhofer| Die Magie des analogen Films und die filmkoop wien
Porträts

Stefanie Weberhofer| Die Magie des analogen Films und die filmkoop wien

März 2024

Ich kann nicht nicht Filme machen

 

Stefanie Weberhofer ist eine experimentelle und analoge Filmemacherin, Medienkünstlerin und aktives Mitglied der filmkoop wien, ein artist-run film lab und Kulturverein, dem sie auch einige Jahre den Vorsitz hatte. Auf der kommenden Diagonale in Graz wird die filmkoop ihr 15-jähriges Bestehen feiern. Bei unserem Gespräch ist schnell klar: Stefanie brennt für ihre Arbeit und vor allem für das Medium, mit dem sie arbeitet.

In einem ehemaligen Schulgebäude im 5. Bezirk hat Stefanie Weberhofer ihr Atelier eingerichtet. Hier arbeitet sie Seite an Seite mit anderen Künstler*innen aus den unterschiedlichsten Bereichen. In ihrem „Klassenzimmer“ wird zum Beispiel auch über Künstliche Intelligenz geforscht. Stefanie wurde 1988 in Schladming geboren und hat schon früh mit Film experimentiert. Mit der Kamera vom Onkel durfte sie gemeinsam mit ihrem Cousin Renato Unterberg, der ihr weiteres künstlerisches Leben begleiten sollte, immer spielen und Zaubershows à la Georges Méliès veranstalten. „Wir haben gefilmt, wie ich mich in eine Kiste gesetzt habe, dann die Kamera schnell gestoppt, ich bin aus der Kiste herausgestiegen, wir haben die Kamera wieder eingeschaltet und die Kiste die Treppe runter geschmissen.“ Aus den kindlichen Spielereien wurde bald eine ernsthafte Begeisterung für den Film. Bei Stefanie entstanden viele Fragenzeichen, die durch ihr MultiMediaArt-Studium an der FH Salzburg nicht beantwortet werden konnten. „Wenn man gleich beim Digitalen einsteigt, fängt man mittendrin an in der Geschichte. Ich wollte aber die Grundkenntnisse lernen, wollte wissen, wo kommt Film her.“

Der Kameramann Viktor Schaider nimmt sie während eines Praktikums mit nach Wien in die filmkoop, deren Gründungsmitglied er ist. „Und plötzlich hat es Klick gemacht.“ Hier kommt Stefanie das erste Mal mit dem Handwerk in Berührung, versteht nun was es heißt, einen Film – in der Spule der Kamera – zu drehen, ihn – am Schneidetisch – zu schneiden. Plötzlich ergibt alles Sinn. „Dadurch habe ich die Filmgeschichte verstanden.“

Schnell steht der Umzug nach Wien und der Beitritt in der filmkoop wien fest. Ihre Ausbildung übernimmt sie selbst. An der FH habe sie ständig einen Druck auf Output verspürt. Vermutlich wäre die Schule Friedl Kubelka für sie der bessere Weg gewesen, bemerkt sie heute. Aber sie wollte damals ihren eigenen Weg gehen und für sich selbst herausfinden, wie das Filmemachen geht. „Dadurch, dass ich so eine Ausdauer gehabt habe und es mir selbst beigebracht habe, bin ich darin jetzt so gefestigt. Ich weiß jetzt ganz genau, was ich tue.“

Ihren ersten Film fertigt Stefanie 2014 beim 10-tägigen Medienkunstfestival Schmiede in Hallein. Für Gelöst (AT 2014, 2 min, 16mm) filmt sie drei chemische Prozesse durch ein Mikroskop. Ein Jahr später zerstört sie ihr Erstlingswerk für ihren Film Aufgelöst (AT 2015, 4 min, 16mm). „Zuerst ging es darum, wie kann ich es schaffen, dass überhaupt ein Film herauskommt, und der nächste Schritt war, wie kann ich bewusst etwas falsch machen.“

Dafür hat sie den Film jenen drei chemischen Prozessen ausgesetzt, die sie zuvor gefilmt hatte. Der Filmstreifen über Kristallisation wurde in Salzwasser eingelegt, die Elektrolyse wie Spaghetti im Topf gekocht und der Film über Schimmel für ein halbes Jahr in den feuchten Keller gelegt. „Der kaputte Film schimmelt noch immer weiter, ich stelle ihn manchmal als Ruine aus.“

Bei der Schmiede hat Stefanie auch ihre ersten Farbfilmszenen gedreht, die am Beginn in Letter from a Friend (AT 2021, 55 min, Super8) zu sehen sind. Der Film, der 2023 mit dem Salzburger Nachwuchspreis Simon S. der Stadt Salzburg ausgezeichnet wurde, erzählt die Reise ihres Cousins Renato Unterberg vom Sänger zum buddhistischen Mönch – und auch Stefanies Weg als analoge Filmemacherin.

Stefanie (Mitte) gewinnt mit Letter from a Friend den Hauptpreis des Filmnachwuchspreises Simon S. der Stadt Salzburg, Dezember 2023. © wildbild/Doris Wild

„Mit diesem Film schließen sich ganz viele Kreise“, sagt Steffi. Über sechs Jahre hat sie zusammen mit Renato Material gedreht, Filmtechniken ausprobiert und Musikvideos hergestellt. Anfänglich ging es darum, Renatos Musikkarriere zu dokumentieren. „Es war immer schon der Gedanke: In 20 Jahren ist das mal voll cool.“ Mit der Zeit wurde Stefanies Arbeitsweise immer professioneller, Renatos Lebensentscheidung immer klarer. Nach einem dreijährigen Indienaufenthalt besucht Stefanie ihren Cousin und versteht: Er wird sein Leben dem Buddhismus widmen. „Die Welt braucht einen coolen Film über Rock und Buddhismus“, denken sich die beiden oft, filmen bei ihren Treffen weiter, wie sie es schon immer seit ihrer Kindheit getan haben, beginnen auch die ersten Minuten des Films zu schneiden.

Doch dann wird die Lebensentscheidung zu persönlich, um sie in einem Film vermarkten zu wollen. Renato löscht seine ganze Musikpersönlichkeit von allen Plattformen, schließt mit seiner Vergangenheit und dem Filmprojekt ab. „Wir haben wirklich darüber geredet, dass wir die Festplatten löschen.“ Kurz bleibt noch die Idee, Stefanie könne den Film alleine fertig stellen, doch auch sie merkt bald, dass sie seine Perspektive und Vision nicht erfüllen kann. „Das musste ich erst verarbeiten. Man hatte den Film ja doch über Jahre im Hinterkopf und dann macht man es doch nicht.“ Bei einem Spaziergang mit einer Freundin spricht Steffi gerade über den Film, als Renato sie anruft und über eine Möglichkeit nachdenkt, den Film doch noch fertigzustellen. „Aber so ist es oft im Leben, dass man erst Nein sagen muss, damit ein Ja wieder möglich ist.“ Renato kommt für zehn Tage in Steffis Atelier nach Wien, danach ist der Rohschnitt des Films fertig. „Beim Schnitt war er federführend, da habe ich mich total zurückgenommen, weil ich wusste, das muss er mit sich selbst ausmachen. Das ist seine Geschichte, sein Abschiedsbrief.“

Wie Briefe wirken auch Renatos Lieder in Letter from a Friend, die sich auch mit der buddhistischen Philosophie beschäftigen. „Es gibt so ein paar Sätze, die fahren mir immer wieder voll ein. Out of the blue he fell into pieces, as he reflects on the time he had spent.” In dieser Zeile aus dem Song Innuendo erkennt Stefanie die Frage: Was habe ich bisher mit meinem, diesem wertvollen Leben gemacht?

Letter from a Friend. „Der Film erzählt auch eine Geschichte über mich als analoge Filmemacherin.“ Im Abspann sieht man Eindrücke aus der „alten“ Filmkoop im 8. Bezirk.

Renatos Musik ist auch in Wellenbande (AT 2018, 13 min, Super8) zu hören, einem Familienfilm, für den Stefanie alte Super8-Aufnahmen mit selbstgedrehten Aufnahmen kombiniert und so über verschiedene Zeitebene hinweg ihre Familienmitglieder beim Sommerurlaub in Lignano miteinander kommunizieren und sich Kusshände zuwerfen lässt. „Man kann diese Kindheitsidylle nicht zurückholen, aber mit Film eigentlich schon.“

Sehr persönlich wird Steffi auch in dem Film Ich würde gerne aber ich hab leider keine Zeit (AT 2023, 3 min, Super8), in dem es um die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Seit 2021 ist Stefanie Mutter. Der Film zeigt im Splitscreen auf der einen Seite den vollgepackten Alltag im Zeitraffer, parallel dazu einen Moment mit ihrem Kind, der in Zeitlupe nebenher abläuft. „Da habe ich gemerkt, dass ich eine Vollblutfilmemacherin bin. Der Film ist in einem Moment der kompletten Überforderung an einem Wochenende entstanden. Ich hatte keine Zeit für irgendwas und ich mache einen Film“, lacht sie. „Ich brenn da so dafür, ich kann nicht nicht Filme machen.“ Als sie den Film sieht, beschließt sie ihren Bürojob zu kündigen und widmet sich voll und ganz ihrem Kind und der Kunst. „Ich mache jetzt mit Abstand mehr Filme wie zuvor, weil man die Zeit mehr nutzt. Out of the blue he fell into pieces, as he reflects on the time he had spent.”

Stefanie liebt jeden Aspekt der Filmherstellung. „Ein ganzer Tag in der Dunkelkammer – das Beste. Wie ein ganzer Tag kochen.“

Die Küche in der filmkoop. © Stefanie Weberhofer

Auch die Freude am Ausprobieren hat sie sich bewahrt. So experimentiert Steffi auch immer wieder mit alternativer, umweltfreundlicher Filmentwicklungschemie. In einem Blogbeitrag schreibt sie zum Beispiel über ihre Erfahrung mit Heidelbeeren. Das Ergebnis wird ab 29. April 2024 einen Monat lang in der Fotogalerie Wien zu sehen sein. Auch einen Heidelbeer-Workshop soll es im Mai in der filmkoop geben. „Letzte Woche habe ich das erste Mal mit Bier entwickelt, das hat super funktioniert, noch einfacher als mit den Heidelbeeren.“ Herauszufinden wie es geht, um dann bewusst etwas falsch zu machen und einzigartige Ergebnisse herauszubekommen, entspricht ganz und gar Stefanies prozessorientierter Arbeitsweise. „Ich bin keine verkopfte Filmemacherin. Ich habe ein Gefühl oder eine grobe Idee und dann probiere ich es mal aus.“ Stefanie ist fasziniert von der Fülle an Möglichkeiten durch das Medium Film: ob die Arbeit in der Dunkelkammer oder mit der Kamera. Schnittrhythmus, Chronologie, Mehrfachbelichtung, das komplette wegfallen einer Postproduktion, die Arbeit mit den Projektoren, all das fasziniert sie am Analogen. „Der Film hilft immer mit, ich habe das Gefühl, der schaut selbst, dass das Beste daraus wird.“

Making of Kopierwerk Kopierwerk ist ein im Jahr 2020 auf 35mm gedrehter Found-Footage-Film, eine Hommage an den analogen Film und das Kino als Maschine. In einem kurzen Porträt zeigt Stefanie sich selbst und gibt Einblick in die Herstellung.

Und dann demonstriert Stefanie auf einmal, wie schnell und einfach analoge Projektion wirklich geht. Als wir über ihre Performances sprechen und ihre neue Arbeit mit Expanded Cinema, holt sie einen kleinen Projektor und eine Menge Filmstreifen hervor, teils Found Footage, teils selbstgedreht, die sie zu Loops zusammengeklebt hat. In wenigen Minuten projiziert sie den ersten Film an die Atelierwand, zeigt mir, wie die Streifen auch übereinandergelegt werden können. „Das ist ein bisschen wie DJing“ sagt sie. In der Performance FMR, was für Ephemer, also flüchtig, im Moment, steht, geht es um Signale.

Gemeinsam mit dem Filmemacher Guillermo Tellechea an vier Projektoren und den Musikern Marko Sulz und Mirza Kebo an Modularsynthesizern wird die Performance bei der Diagonale 2024 in Graz zu sehen sein. „Alles passiert im Moment und es ist jedes Mal was anderes. Ich reagiere auf die Musik und auf die Bilder des anderen. Aktuell macht mir das am meisten Spaß.“ In Zukunft möchte Steffi mit ihrer „Band“ öfter auftreten und auch eine Solo-Performance realisieren.

Filmstill aus Arbor Labor. © sixpackfilm

Arbor Labor (AT 2024, 7:30 min, 16mm) ist Stefanies aktuellster Film und beschäftigt sich mit der Klimakrise. „Ich versuche damit umzugehen, dass wir auf eine volle Katastrophe hinsteuern.“ Mit ihrer Kamera begegnet Stefanie hier dem Wald, um der Frage nachzugehen, wie sie sich als Filmemacherin einbringen kann. „Ich kann die Vision teilen und zeigen, dass die Natur unsere Rettung ist. Das ist meine Lösung, damit als Künstlerin umzugehen. Darum ist mir der Film so wichtig.“ Der Film zeigt auch, was man alles in der Kamera machen kann, der Film ist in der Bolex-Kamera entstanden. Durch diesen komplett analogen Prozess hat der Film auch eine filmpolitische Aussage. „Nur mit der aktiven Nutzung der analogen Infrastruktur wird diese Erhalten.“ schreibt Stefanie in der Presseaussendung. Die Arbeit Arbor Labor ist noch unveröffentlicht.

Auch ein Waldfilm ist ein weiteres Filmprojekt, das allerdings gar nicht auf Fertigstellung ausgelegt ist. Bei einem Symposium über analogen Film in Berlin 2018 kommt Stefanie die Idee zu einem unendlichen Projekt. Sie bittet internationale Filmemacher*innen, ihr einen 16mm-Filmstreifen mit einem Baum zu schicken. Ob schwarz-weiß, Farbe oder animiert, alles hat Platz und alles darf sein. In Steffis Atelier befindet sich eine Box mit Briefen und Paketen aus der ganzen Welt, die alle Filmstreifen enthalten. Der Film wächst stetig weiter. „Es beschreibt diese Szene so gut. Es gibt so viele analoge Filmemacher*innen, wir halten das am Leben. Wir sind die einzelnen Bäume, gemeinsam sind wir ein riesiger Wald. So sehe ich die Laborszene und die Koop.“

Die neue filmkoop wien. Der Raum ist wandelbar und bietet Platz für Veranstaltungen, Workshops und Filmvorführungen. © Cosma Grosser

Klettert man auf die eingezogene Plattform, findet sich dort ein kleines Büro. Auch über der Dunkelkammer ist ein versteckter Arbeitsbereich. © Cosma Grosser

Und dann machen wir uns auch auf den Weg zur filmkoop in die Zirkusgasse im 2. Bezirk. Seit November 2022 befindet sich das „artist-run-film-lab“ an seinem neuen Standort, der Umzug aus dem vorherigen Gemeindebau-Keller im 8. Bezirk sei ein wichtiger Schritt gewesen, so Steffi. Nicht nur, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, sondern auch als Neuanfang für die aktuellen Mitglieder. 2008 wurde der Kulturverein filmkoop von Absolvent*innen der Friedl Kubelka Schule gegründet, um sich eine ähnliche Infrastruktur aufzubauen, die sie während ihrer Ausbildung zur Verfügung hatten. Hauptanliegen ist es, Wissen und Equipment um und über den analogen Film zu teilen und das möglichst niederschwellig. Jeder und jede kann hier Mitglied werden, Veranstaltungen besuchen und Freitag nachmittags stehen die Türen für Besucher*innen offen. „Die Hürde ist das Sich-Aneignen“, so Steffi. „Ich biete Super8-Workshops an, da braucht man vorher nichts können und hat am Ende einen fertigen Film gemacht.“ Ihren ersten Workshop hat Steffi kurz nach ihrem Beitritt im Jahr 2013 in der Koop angeboten. „Da hab ich noch gar nicht so viel gewusst, meine Workshops sind auch immer besser geworden“, lacht sie.

Die Dunkelkammer der filmkoop. © Stefanie Weberhofer

Stefanie ist schnell Teil des Vorstands und als Mitglied sehr aktiv. Gemeinsam mit Cinema Next organisiert sie ein Screening zum 5-jährigen Bestehen der filmkoop. „Ich bin in der Arbeit sehr aufgegangen.“ Nach einem Auslandssemester in Kanada, währenddessen sie viele analoge Filmemacher:innen kennenlernt, tourt sie mit einem Programm der filmkoop von Montreal über Toronto nach New York und verliebt sich in die Community. Inzwischen gibt es 67 internationale Labs, die im ständigen Austausch sind. „Konkurrenz hat überhaupt keinen Platz in dieser Welt. Wir kämpfen ja ums Überleben. Wenn man ein neues Wissen hat, dann teilt man das gerne. Es ist eine coole Szene.“ Mittlerweile ist die filmkoop auch erwachsener geworden, wird gefördert und umfasst ungefähr 30 Mitglieder, davon noch ein Gründungsmitglied. Bei der diesjährigen Diagonale feiert sie mit einem Programm ihr 15-jähriges Jubiläum.

Das Kino der filmkoop © Cosma Grosser

Die Frage nach der Besonderheit des analogen Films stellt sich Stefanie mittlerweile nicht mehr. Für sie ist klar, dass das ihr Medium und ihr Weg als Künstlerin ist. „Es ist ganz viel noch nie gemacht worden, weil der analoge Film für ein Medium eigentlich nur kurz groß war. Ich kann locker ein ganzes Leben damit füllen.“

von Katharina Stöger, im März 2024
Porträtfoto oben (Ausschnitt) © Elsa Okazaki
Webseite Stefanie Weberhofer