Der folgende Text war Maria Lisas Input beim Cinema Next Breakfast Club auf der Diagonale 2024 zum Thema „Alles außer Spielfilm“.
Maria Lisa Pichler studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien im Fachbereich Kunst und Film bei Thomas Heise, seit 2021 im Masterstudium Schnitt an der Filmakademie Wien. Maria Lisa ist freiberuflich als Editorin und Regisseurin tätig. Auf der Diagonale lief ihr Langdokumentarfilm Mâine Mă Duc – Tomorrow I Leave (realisiert gemeinsam mit Lukas Schöffel).
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Man könnte heute über vieles reden. Zum Beispiel darüber: Einen abendfüllenden Dokumentarfilm zu schneiden ist sicher nicht einfacher als einen Spielfilm, das weiß jede:r, der:die es einmal versucht hat (das Verhältnis der Gagen spiegelt sich hier aber nicht wider).
Oder darüber, dass an der Filmakademie die dokumentarische Übung im ersten Semester abgehakt wird, bevor man sich dann dem Spielfilm zuwendet.
Oder dass mit dem Ende der Professuren für Thomas Heise und Tizza Covi an der Akademie der Bildenden Künste ein Vakuum entstanden ist, was die Auseinandersetzung mit Dokumentarfilm angeht.
Ich möchte aber heute die Zeit nutzen, um über ein anderes Thema zu sprechen, das auch nah an der Montage ist und mir sehr am Herzen liegt. Hier ein Zitat des Schweizer Dokumentarfilm-Regisseurs Peter Liechti:
“Manchmal stelle ich fest, dass sich das eigentliche Thema eines Films erst im Verlauf der Arbeit herausbildet. Oft wird mir erst im Nachhinein klar, was ich eigentlich gesucht hatte. Die Arbeit am Film – vor allem in den sehr langen Phasen der Montage – wird zum persönlichen Forschungs-Prozess (…). Geteilte Freude ist doppelte Freude, geteilter Schmerz ist halber Schmerz – geteilt mit meinem Publikum …
Als Zuschauer habe ich genau den gleichen Reflex: Wird mir eine schöne Geschichte erzählt oder ein aktuelles Thema vorgestellt, doch der Film bleibt ‘anonym’, dann fühl’ ich mich auch nicht angesprochen. Spür’ ich aber den Blick, das Suchen, den Witz, die Wut… eines Autors [/einer Autor:in, Anm.], so hat der Film eine Identität, und ich bin viel eher bereit, mich einzulassen und mit-zu-erleben.”
Heute werde ich über das Erzählen im Dokumentarfilm sprechen.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Erwartung an die Dramaturgie eines Kino-Dokumentarfilms mehr der eines Spielfilms ähnelt. Bei Pitchings werden Biografien zu Thrillern. In Filmbeschreibungen werden Protagonist:innen zu Held:innen und Kämpfer:innen.
Doch was kann man überhaupt mit so einer Vereinfachung erzählen? Wie lässt sich ein Leben darauf reduzieren?
Anders gefragt, was ist DEIN „Konflikt”?
Die letzten vier Jahre habe ich am Dokumentarfilm Mâine Mă Duc – Tomorrow I Leave über die 24-Stunden-Betreuerin Maria Gliga und ihre Familie in Rumänien gearbeitet. Mit einer Spielfilmdramaturgie kann man ihr Leben sicher nicht beschreiben. Alle vier Wochen pendelt sie zwischen Rumänien und Österreich, ein Rhythmus, der immer gleich ist – und leider keine Heldinnenreise.
Als wir für die Einreichung spielfilmartige Szenen schreiben mussten, hatte ich sofort Klischeebilder im Kopf: weinende Kinder bei der Verabschiedung am Gartenzaun, Video-Telefonieren mit der Familie, die ewiggleichen Handgriffe in der Pflege. Es ist leicht, sich selbst zu bestätigen und die Bilder zu drehen, die man zuvor bereits im Kopf hatte. Während des Drehs haben wir uns dann bemüht, die beschriebenen Bilder nicht zu drehen, bis ich mir dann im Schnitt wiederum gewünscht hätte, ich hätte ein paar mehr davon gedreht, um es mir einfacher zu machen… Aber das ist eine andere Geschichte.
Doch ist das Dokumentarfilme-Machen nicht eher eine Suche? Verbirgt sich das wirklich Spannende nicht abseits der Vereinfachung und Zuspitzung, in Überraschungen, in Situationskomik, im Ungeplanten, im Einlassen auf das Unbekannte? Für mich geht es darum, durch Bilder, Töne und deren Montage Momente von „Gewicht” zu schaffen, wie Peter Nestler es beschreibt. Etwas im Alltäglichen zu finden, das ehrlich berührt und bleibt. Jemandem auf Augenhöhe zu begegnen.
Ich glaube, davon können alle Filmschaffenden profitieren, auch diejenigen, die Spielfilme machen.
Enden werde ich mit einem Hitchcock-Zitat: „Drama is life with the dull bits cut out.“ Das hier ist ein Plädoyer für die „dull bits”, für die genaue Erforschung der Routinen. Dafür, sich zu trauen, sich aufs Alltägliche einzulassen. Wer weiß, was sich dahinter versteckt.