Dem Publikum auf Augenhöhe begegnen
oder
“Wenn man einmal vom 5 Meter Turm ins Wasser gesprungen ist, wirkt der 10 Meter Turm nicht mehr ganz so hoch.”
oder
Existenzielle Fragen kommen in Ausnahmesituationen besser zum Vorschein
Özgür Anil, 1994 in Wien geboren, studierte Filmwissenschaft und Philosophie an der Universität Wien, bis er 2014 an der Filmakademie Wien das Regie-Studium begann, das er 2022 abschloss. Während seines Studiums realisierte er mehrere Kurzfilme, die u.a. am BFI London Filmfestival und dem Sarajevo Filmfestival gezeigt wurden, „Das Urteil im Fall K.“ erhielt 2020 auf der Diagonale den Preis für den besten Nachwuchsfilm. Sein langer Abschlussfilm „Wer wir einmal sein wollten“ lief 2024 in der ersten Ausgabe von New Voices in den österreichischen Kinos. Neben seinem Studium war Özgür auch viele Jahre als Filmkritiker tätig. Für das Startstipendium 2024 hat sich Özgür mit dem Spielfilmprojekt “Chaos” beworben, in dem zwei türkische jugendliche Brüder nach einem tragischen Unfall ihren Halt im Leben verlieren.
Worum geht es im Spielfilmprojekt, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?
Özgür Anil: Darum, dass Menschen um jeden Preis Ordnung ins Chaos bringen wollen und wie dieses Bedürfnis gesellschaftliche Strukturen formt und persönliche Beziehungen bestimmt.
Schon im Kurzfilm “Das Urteil im Fall K.” (veröffentlicht in der Cinema Next Series) erzählst du von einer Familie, die versucht, nach einem tragischen Vorfall den Weg in die Normalität zurückzufinden. In “Chaos“ ist der Vorfall noch zerstörerischer: zwei Brüder verlieren bei einem Brand ihre gesamte Familie. Was interessiert dich an solchen tiefgreifenden Ereignissen und den Menschen, die sie zu bewältigen versuchen?
Özgür Anil: Ich möchte mich in meiner Arbeit mit existenziellen Fragen beschäftigen und die kommen in Ausnahmesituationen besser zum Vorschein. Diese Themen bestimmen unterbewusst auch unseren Alltag, aber die Kraft, uns mit ihnen tatsächlich auseinanderzusetzen, bringen wir erst durch einschneidende Erlebnisse auf.
Teaser zu “Das Urteil im Fall K.” (2020, 30 Min.), der 2020 auf der Diagonale den Preis für den besten Nachwuchsfilm erhielt.
In deiner Einreichung zum Startstipendium schreibst du, dass du bei “Chaos” nicht so sehr auf Dialoge, sondern auf Bilder setzen möchtest, um eine “poetische Abstraktion zu kreieren”. Welche Art von Filmen inspiriert deine Art des Filmemachens?
Özgür Anil: Ich mag Filme, die dem Publikum auf Augenhöhe begegnen und bereit sind einen Interpretationsspielraum zuzulassen. Für mich ist es auch wichtig einen formalen Anspruch zu haben, der über das reine Erzählen einer Geschichte hinausgeht, um filmische Erfahrungen zu kreieren, die nur schwierig in Worte zu fassen sind.
Welche Erkenntnisse aus „Wer wir einmal sein wollten” kannst du für dein nächstes Projekt mitnehmen?
Özgür Anil: Man lernt bei jedem Projekt etwas dazu, ich glaube, dass in einer künstlerischen Arbeit das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten besonders wichtig ist. Man muss bereit sein, neue Wege zu gehen und wenn man einmal vom 5 Meter Turm ins Wasser gesprungen ist, wirkt der 10 Meter Turm nicht mehr ganz so hoch.
Trailer “Wer wir einmal sein wollten” (2023, 83 Min.), Özgürs Abschlussfilm an der Filmakademie Wien. Anna jobbt in einer Schauspielschule, wo sie regelmäßig daran erinnert wird, wer sie einmal sein wollte: nämlich Schauspielerin. Nun möchte sie jedoch Jus studieren und arbeitet auch sonst hart für ihre Unabhängigkeit. Als ihr Bruder dann mit einem blauen Auge auftaucht, gerät Anna irgendwo zwischen familiärer Verantwortung und Autonomie zusehends ins Stolpern.
In welchem Stadium befindet sich das Projekt “Chaos” aktuell und was sind derzeit die großen Herausforderungen?
Özgür Anil: Das Projekt befindet sich gerade in der Finanzierung. Eines der größten Herausforderungen wird das Casting werden. Den beiden Hauptfiguren wird emotional viel abverlangt, aber sie sind so jung, dass die Besetzung mit Profis äußerst unwahrscheinlich ist und wir uns auf die Suche nach besonders talentierten Laien begeben müssen.
Du warst lange als Filmkritiker für film.at tätig. Welche zwei Filme aus 2024 würdest du aus welchen Gründen als die besten Filme des Jahres bezeichnen?
Özgür Anil: Da ich nicht mehr als Kritiker arbeite, habe ich dieses Jahr nicht viel gesehen. Mir haben „Black Dog“ und „L’Empire“ gut gefallen. Es sind zwei sehr unterschiedliche Filme, die viel Wahrheit in sich tragen.
–> Da Antworten sind halt so kurz bei ihm geraten – nochmal nachfragen?