Iris Blauensteiner| BKA Start-Stipendiatin 2014
Porträts

Iris Blauensteiner| BKA Start-Stipendiatin 2014

Januar 2017

Iris Blauensteiner (Jg. 1986) aus Wien absolvierte Film- und Kunststudien und ist Autorin und Regisseurin – und eine der fünf START-StipendiatInnen 2014 der Filmabteilung der BKA-Kunstsektion, die wir im Jänner 2015 als unsere Talents to Watch vorstellen.

Dass Iris Blauensteiner aktuelle Stipendiatin des BKA-Startstipendiums ist, passt gut, arbeitet sie doch gerade an dem Drehbuch zu ihrem ersten Langfilm und begibt sich damit in eine neue Größenordnung der Produktion. Andererseits ist sie alles andere als eine Anfängerin, die Starthilfe benötigt: Denn schon seit mehr als 16 Jahren arbeitet sie kontinuierlich an Projekten.

Bilder für Stimmungen

Der Film beginnt. Auf der schwarzen Leinwand erscheint unvermittelt ein Schriftzug: Schwitzen. Gleichzeitig und ebenso unvermittelt setzt Technomusik ein, die auch zu hören ist, wenn wir die ersten Bilder sehen: eine flache, grüne Landschaft, leere Felder, Stromleitungen. Dann eine Tankstelle, eine menschenleere Dorfstraße, Einfamilienhäuser. Auf der asphaltierten Straße läuft eine Jugendliche, Elisa. Sie joggt, doch scheint es nicht primär um Fitness zu gehen, sondern vielmehr um den Umgang mit der eigenen Energie, darum, eine Möglichkeit zu finden, den Kopf frei zu kriegen.

In diesen ersten Sekunden von Schwitzen (2014, 30 min) steckt schon viel, was den Film ausmacht. Er setzt mit hohem Energieniveau ein, beginnt auf der Tonspur pulsierend, im Bild beschaulich, jedoch eine Beschaulichkeit, der nicht zu trauen ist. Das Spannungsverhältnis, das so aufgebaut wird, scheint sich durch den ganzen Film zu ziehen. Und spätestens, wenn die Musik vom Off-Klang zur Musik aus Elisas Kopfhörer wird, ist zu merken: Wir nehmen diese Landschaft, dieses Dorf durch die Augen und Ohren der Protagonistin wahr.

Mit der nächsten Einstellung wird noch etwas klar: Nicht eine Protagonistin hat dieser Film, sondern zwei. Zwei Freundinnen, beide um die 15 Jahre, die in den Sommerferien in ihrem Dorf zwischen Lähmung und Aufbruch gefangen sind.

Und in diesen ersten Sekunden steckt viel, was die Arbeiten von Iris Blauensteiner ausmacht: Sowohl als Drehbuchautorin als auch als Regisseuren schafft sie es, durch Details ihre Erzählungen reichhaltig zu machen, entwickelt die Stimmungen ihrer Filme aus den Schauplätzen und kann selbst in stummen Szenen viel über ihre Figuren erzählen.

FIimstill - Agnes Wilfinger und Michelle Lechner in Schwitzen_2
Filmstill: Agnes Wilfinger und Michelle Lechner in Schwitzen
Iris bei der Motivbegehung mit Kamerafrau Carolina Steinbrecher zu Schwitzen
Motivbegehung für Schwitzen: Iris mit Kamerafrau Carolina Steinbrecher

Diese Qualitäten sind in vielen Aspekten von Blauensteiners kreativen Prozess angelegt, so bereits in ihrer Arbeit am Drehbuch: „Je genauer meine Vorstellung ist, desto genauer kann ich auch beschreiben. Wenn ich nur schreibe ‘Ein Speisesaal’, dann weiß ich selber, ich hab überhaupt keine Vorstellung von dem Speisesaal. Wenn ich eine klare Vorstellung davon habe, beschreibe ich ihn über seine Details.“ Hierfür geht sie oft von eigenen Erfahrungen und bekannten Orten aus und entwickelt daraus ihre Stimmungen, Figuren, Situationen, Beziehungen.

Beziehungen,
die sich in den Räumen abspielen und entwickeln

So entstand  Milch (2009, 21 min) etwa aus dem Interesse für ein Hotel, in dem Iris mit ihrer Familie oft Urlaub gemacht hatte. Die scheinbar anonymen Räume interessierten sie, Zimmer, in denen man sich nur wenige Tage aufhält. „Ein Raum ist ein Bild für eine Stimmung, für ein Gefühl.“ Zu sehen sind in Milch oft Zwischenräume, Durchgangsorte: Ein Aufzug, ein Gang, die Hotelrezeption, die Hotelbar. Sogar das Schwimmbecken des Hotels lässt sich in diese Reihe eingliedern. Denn was macht man in einem Schwimmbecken anderes, als es ständig zu durchqueren und nie lange darin zu verweilen? Und wenn Olivia, die Protagonistin des Films, in einer stillen Nachtstunde ruhig im Wasser treiben will, wird sie auch gleich vom Bademeister zum Gehen aufgefordert: „Get out!“

Judith Mauthe am Set von Milch
Judith Mauthe am Set von Milch

Was im Zentrum von Iris Blauensteiners Interesse steht, sind die Beziehungen, die sich in diesen Räumen abspielen und entwickeln. In Milch sind diese von Flüchtigkeit geprägt, Menschen kommen und gehen. Während zum Beispiel der Mann, von dem man vermuten kann, er sei Olivias Freund, schon nach wenigen Minuten Filmzeit nicht mehr auftaucht, ist bereits der Grundstein für eine neue Beziehung gelegt: Im Speisesaal des Hotels fällt Olivia eine Frau auf, mit welcher sie später eine Zigarette auf dem Hotelbalkon teilen und eines dieser Gespräche führen wird, die man eben so führt unter Reisenden. Doch gerade, wenn es so scheint, als könne sich eine tiefere Beziehung zu der Frau entwickeln, reißt auch diese Verbindung wieder ab. Am Ende ist alles im ständigen Fluss. Nicht mal der Name der Protagonistin ist mehr sicher.

Milch zeigt deutlich, dass Blauensteiner ihr Interesse für Stimmungen und Beziehungen auch gekonnt in formale Gestaltung übersetzen kann. In Schwitzen ist das auch zu sehen, in Milch vielleicht deswegen deutlicher, weil er experimenteller funktioniert. Die Gleichförmigkeit des „normalen“ Zeitverlaufs wird manchmal gestört, Dinge laufen rückwärts oder schneller ab. Und an einer Stelle wird die Kamera sogar wörtlich zur Fly on the Wall – erforscht im Flug den Raum und beobachtet unsere Hauptfigur vom Küchentisch aus.

Ein Möglichkeitsraum,
in dem sich Lebensgeschichten überkreuzen

In eine enge Beziehung mit Milch lässt sich Blauensteiners Arbeit Doublage (2007, 5 min) setzen. Nicht nur auf Grund der zeitlichen Nähe ihrer Entstehung, sondern auch hinsichtlich ihrer ästhetischen Gestaltung. Wieder war der Ausgangspunkt die Beschäftigung mit einem Ort, einem Altbau, in den Iris damals frisch eingezogen war. Die lange Geschichte dieses Hauses gab den Grundstein für eine filmische Auseinandersetzung mit Anwesenheit und Abwesenheit: „Was, wenn ich ihnen sage, dass die Person, die vor Ihnen steht, nicht ich bin?“ Mit diesem ersten Satz ist das Bild, das wir vor uns sehen – eine junge Frau in gelber Jacke vor einer Ziegelwand – auch schon wieder in Frage gestellt. Wir sehen zwar, wie sie ihre Lippen bewegt, doch kommt die Stimme merklich aus dem Off.

Filmstill - Kathrin Wojitowicz in Doublage_2
Filmstill: Kathrin Wojitowicz in Doublage

Doublage ist das Ausloten eines Ortes als palimpsesthafter Möglichkeitsraum, in dem sich Lebensgeschichten überkreuzen, die sich dort tatsächlich abgespielt haben, als auch jene, die sich dort hätten abspielen können: „Vielleicht würde sie, eine junge Frau mit gelber Jacke, in diesem Haus wohnen, wenn ich nicht eingezogen wäre“, sagt die Stimme.

Aufmerksam – den Figuren und dem Team gegenüber

Es sind diese feinen Überlegungen und genauen Beobachtungen, die Iris Blauensteiner als Filmemacherin ausmachen. Ihr Gespür erschöpft sich hierbei jedoch keineswegs nur im Evozieren stimmungsvoller Bilder und Einstellungen, sondern Blauensteiner beweist ebenso sensibles Bewusstsein für zwischenmenschliche Beziehungen im Film wie auch in der Zusammenarbeit am Set.

Dieser Vorgang beginnt schon im Schreibprozess: „Ich versuche so zu schreiben, dass alle, die an dem Film mitmachen, verstehen, was gemeint ist. Das heißt aber nicht, dass es bei der Umsetzung genau so sein muss. Als ich zum Beispiel für Schwitzen das Zimmer der beiden Mädchen beschrieben habe, war wichtig, dass man Reste aus der Kindheit sieht. Da hab ich ins Drehbuch geschrieben: Alte Bücher und Stofftiere. Und dann haben unsere Ausstatterinnen vorgeschlagen, dass wir für die Stofftiere Raubtiere nehmen. Das hat genau gepasst!“ So ist für Blauensteiner das Drehbuch zwar Vorgabe, aber vor allem auch die Grundlage für eine Zusammenarbeit aller an der Entstehung des Films beteiligter Personen.

Iris am Set von Schwitzen
Am Set von Schwitzen

Diese Aufmerksamkeit für ihre Figuren weist die Arbeitsweise von Iris Blauensteiner vom Schreiben bis zum letzten Cut auf. Schwitzen zeigt das und ihr neues Projekt Wachs lässt Ähnliches erhoffen. Wieder geht es um Beziehungskonstellationen und wieder verändern sich diese Beziehungen je nachdem, in welchen Räumen sie bestehen. In Wachs geht es um zwei Menschen, die sich nach einer Skype-Affäre das erste Mal real treffen. „Plötzlich haben sie einen echten, anderen Menschen vor sich, für den sie sogar weit gereist sind“, so die Info zur Drehbuchentwicklung. Mit welchen Details Iris Blauensteiner diese Geschichte wohl erzählt und welche Bilder für Stimmungen sie mit ihrem Team wohl findet? Wir sind gespannt.

von Stefan Huber, Jänner 2015
(Portraitbild oben von Natascha Unkart)

Dunkle Eiche, Kurzprosa in The Gap, Nr. 136

Iris Blauensteiner über ihre Arbeiten, Oktoskop vom 19.10.2014