Lukas Marxt (Jg. 1983) aus Graz studierte 2004 bis 2009 Audiovisuelle Gestaltung an der Kunstuniversität Linz. Kurz vor der Meisterschülerprüfung an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig ließ er sich exmatrikulieren, das Postgraduiertenstudium an der Kunsthochschule für Medien in Köln hat er 2012 erfolgreich absolviert. 2014 erhielt er auf der Diagonale für High Tide den Preis für Innovatives Kino und für Reign of Silence eine lobende Erwähnung, heuer gestaltete er den Festivaltrailer. Lukas realisiert Filme und Installationen und lebt zurzeit zwischen Köln, Brüssel und Graz.
Lukas Marxt hat einen ausgeprägten Entdeckerinstinkt. Für seine Projekte reist er auf die kanarische Vulkaninsel Lanzarote, eine Bohrinsel in der Nordsee vor Norwegen, zu den Fjorden der Arktis, einer Uranmine im australischen Northern Territory. Dort macht er lange Erkundungen und Beobachtungen – von den Landschaften und sich selber.
Every Molecule on the Surface of the Earth has been Affected by Humans. So der Titel eines Katalogsbeitrags des Sonic Acts Festivals 2015 in Amsterdam, bei dem Lukas soeben zwei Filme, High Tide und seine neueste Arbeit Captive Horizon, die im Rahmen der Diagonale als Installation zu sehen sein wird, präsentierte. Und nach diesen menschlichen Spuren sucht er an den Enden und in den Ecken dieser Welt.
Ausschnitt aus High Tide (2013, 7 min):
Früher habe er seine Filme als „Zeit-Dokumente“ zu beschreiben versucht, die Orte und Begebenheiten festhalten. Aber wo das Dokumentieren endet, beginnt das künstlerische Erschaffen – und das Reflektieren über Fragen, an denen sich die Filmkunst des Lukas Marxt, zumindest die der letzten Jahre, entfaltet.
„Wahrnehmung in Einsamkeit“, Frustrationszustände inklusive
Die Frage nach der Bedeutung von Zeit beispielsweise:
„Jeder Ort hat seine eigene Zeit, jeder Mensch besitzt seine eigene Wahrnehmung der Zeit. Raum und Zeit können nicht geteilt werden. Wir können nur wählen, an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit zu sein, jedoch wissen wir nicht, was an diesem Ort geschehen wird. Die Frage ist, wie die zeitliche Wahrnehmung über den Raum verteilt ist, und welches unsere Möglichkeiten sind, die dort vorhandene Zeit zu nutzen.“
Die Methode dazu beschreibt Marc Ries in einem Text über Rising Fall (2011, 41 min) als eine „Wahrnehmung in Einsamkeit“.
„Dass ich mich komplett isoliere, ist wichtig“, beschreibt Lukas den Arbeitsprozess. „Das ist natürlich schwierig zuhause, in einem alltäglichen sozialen Umfeld.“
Darum reist er in unwirtliche Gegenden: „Ich suche oft Landschaften auf, welche mich auf meine Grundbedürfnisse zurückwerfen. Diese Begrenzungen sind Teil einer Arbeitsmethode, um meine Wahrnehmung bewusster einzusetzen und Instinkte zu wecken, die ich in meinem normalen Dasein derart nicht benötige. Es soll ein Ausbruch sein, um mich für eine Weile abzugrenzen, um ein Leben nach meinen eigenen Regeln und den der Natur führen zu können.“
Und darum reist er auch immer alleine: „Ich habe es auch schon mit meiner Freundin versucht oder bin mit einem Freund ums Schwarze Meer gefahren. Aber da war ich völlig blockiert. Das ist natürlich ein Problem von mir persönlich, daran könnte und sollte ich arbeiten. Aber ich muss mich frei machen, um in diesen Zustand zu kommen und das funktioniert bis jetzt halt nur alleine.“
Lukas bei einem Probedreh mit einer Drohne. „Ein Drohnen-Selfie“, nennt er das Bild. „In San Franciso gibt es eine krasse Dienstleistung: Drones on Demand. Man bestellt online eine Drohne, die dann angeflogen kommt und ein Foto macht. Mittlerweile hat dort jede 5. Hochzeit einen Drohnenfotographen.“
„Das Isolieren kann natürlich auch schmerzhaft sein“, berichtet Lukas. „Diese unangenehme Langeweile. Oder Frustrationszustände. Irgendwann aber kommt man an und dann fängt die Arbeit an.“ Die Drehphase vergleicht er mit einem Schreibprozess: „Es ist wichtig, einfach mal mit dem Schreiben zu beginnen. Die ersten Seiten kann man meistens auch nicht verwenden. Doch nach einer Weile entsteht ein Rhythmus und der Stein kommt ins Rollen.“
Für Black Rain White Scars (2014, 9 min) hat er sich zum ersten Mal in einer Großstadt verschanzt, Hong Kong. „Ich merke, wie schwierig es für mich ist, in einer Stadt zu arbeiten, ein Subjekt zu finden und sich zu isolieren.“
Wo und wie findet er eigentlich die Orte für seine Projekte? Schnelle Antwort: „Oft über Google Maps. Ich scanne tagelang die Landschaft und suche nach Unregelmäßigkeiten.“
„Ich suche in den Landschaften immer einen menschlichen Bezugspunkt“
Isoliert er sich an einem Ort („Einsam kann nur der Betrachter sein, niemals jedoch seine Umgebung“), sieht er sich als eine „Schnittstelle zwischen Natur und Mensch“. „Ich suche in den Landschaften immer einen Gegenpol, einen menschlichen Bezugspunkt. Das kann bspw. über Architektur funktionieren oder ich kann auch meine eigenen Spuren hinterlassen.“ So entstehen Dramaturgien und Manipulationen, die bei manchen Filmen klar erkennbar, bei manchen weniger sichtbar, aber trotzdem immer da sind.
„Man kann’s schon Manipulieren nennen“, meint Lukas. Bspw. sei die Sound-Ebene von Double Dawn (2014, 30 min) sehr stark manipuliert. (Der Film besteht aus einer einzigen, halbstündigen Aufnahme einer Sonnenfinsternis.) Oder der plötzlich auftretende Schatten in Captive Horizon, der die Maßstäbe des Gefilmten wieder hinterfragt. „Mir geht es um das Erschaffen von neuen Räumen“ – und das in einer zeitlich und räumlich scheinbar erstarrten Umgebung. „Da bin ich natürlich sehr weit weg von den erwähnten Zeit-Dokumenten – und schon bei einer Narration, auch einer Audio-Narration.“
„Ein Film wie Reign of Silence lässt sich nicht so einfach wiederholen“
Interessant an Lukas’ bisheriger Filmografie ist, dass seine Filme vor 2011 weder auf seiner Webseite stehen noch auf der Diagonale zu sehen waren oder bei sixpackfilm in den Verleih genommen wurden.
Das mit seiner Webseite sei „reine Faulheit“ und werde er nachholen. Das andere habe auch ihn überrascht. Nach der Eishöhle (2007, 30 min) war seine, wie er sagt, „erste ernst zu nehmende Arbeit“ als Student an der Kunstuni Linz. Eine starke Arbeit, in der Lukas gemeinsam mit Michael Petri die Videoaufnahmen seines Vaters zu einem beklemmenden Familienportrait zusammenschnitt und 2007 beim Studentenfilmfestival film:riss die Doku-Jury sowie beim Crossing Europe die Local-Artist-Jury überzeugte.
Seine weiteren experimentellen Found-Footage- und Reisefilme, pass by (2008, 6 min), four by (2008, 5 min), Fire Walk Me Home (2009, 12 min) und Second Night (2009, 19 min) waren alle beim Crossing Europe in Linz zu sehen, aber erst mit Nella Fantasia (2013, 55 min), seinem ersten ‚Landschaftsfilm’, wurden hierzulande andere Festivals und Plattformen auf ihn aufmerksam.
Ein Ausschnitt aus Second Night wurde zum Festivaltrailer des film:riss 09 Studentenfilmfestivals, Salzburg:
Höhepunkt war dann Reign of Silence (2013, 7 min), der gemeinsam mit High Tide (2013, 7 min) und Low Tide (2013, 3 min) als Teil einer Trilogie bestimmt war, die wir hier zum ersten Mal online präsentieren können (siehe „Filme online“ rechts oben).
„Bei Reign of Silence hat einfach alles gestimmt. Mir war’s von Anfang klar, dass die anderen beiden Filme nicht die gleiche Aufmerksamkeit erhalten werden. Vielleicht ist High Tide eher installativ zu sehen, und als Trilogie funktionieren sie auch super.“
Still aus Reign of Silence
Nach dem Erfolg von Reign of Silence habe er auch lange gebraucht, die Erwartungen an das nächste Projekt wieder in ein gesundes Verhältnis zu bringen. Reign of Silence ist im Oktober 2012 gedreht worden, der nächste Film, Double Dawn, gleich anschließend im November. „Es hat aber fast zwei Jahre gedauert, bis ich mich durchringen konnte, Double Dawn zu veröffentlichen. Ein Film und Erfolg wie Reign of Silence lässt sich nicht so einfach wiederholen. Und ich habe etwas gebraucht, um zu realisieren: muss es auch nicht.“
„In Köln wurde abgefeiert,
was in Leipzig keinen wirklich interessierte“
Mit Erfolg und Misserfolg hat Lukas auch schon bei seinen Studienorten seine Erfahrungen gemacht. Nach dem Studium in Linz studierte er parallel an der KHM Köln und HGB Leipzig. „In Köln wurde abgefeiert, was in Leipzig keinen wirklich interessierte“, erinnert er sich. Von der HGB hat er sich auch kurz vor dem Studienabschluss exmatrikuliert, weil die Kommission bei der Abschlussprüfung nur Filme von 20 Minuten erlaubten. Sein Abschlussfilm Rising Fall aber war 41 Minuten lang. „Schon irrsinnig, auf einer Kunstuniversität, noch dazu im Studienzweig Neue Medienkunst, zur Abschlussprüfung nicht frei wählen zu können, wie lange dein Film sein darf.“
Lukas Marxt meint es also ernst mit seiner Kunst, ist zielstrebig und bleibt trotzdem entdeckungsfreudig und instinktiv genug (derzeit arbeitet er gleich an mehreren neuen Projekten). Und er trägt nicht nur privat eine sympathische Coolness in sich: diese spiegelt sich auch in seinen Filmen wider, manchmal in subtiler Komik oder fein gesetzten Dramaturgien und Sensationen. Seine Filme machen dann einfach auch nur: Spaß.
Da passt auch irgendwie, was seine ersten filmischen Versuche waren: „Skater-Videos, etwas Jackass-orientiert.“