„Wir müssen reden, liebes Publikum“
In ihren dokumentarischen und performativen Formaten verhandelt Liesa Kovacs die Verquickung von Arbeit und Leben und die untrennbare Einheit von Kunst und Politik. Die Filmemacherin setzt sich gerne mit Themen auseinander, mit denen sie sich identifizieren kann, um nicht nur ihr Publikum, sondern auch sich selbst mit unangenehmen Fragen rund um Machtverhältnisse und Blickregime zu konfrontieren.
Das Treffen mit Liesa Kovacs findet im Gemeinschaftsatelier X Space, in einem fast unauffindbaren Hinterhof im siebten Bezirk statt. Liesas Kollaborationspartner Nick Prokesch aus Femme-Brutal-Zeiten verabschiedet sich gerade mit einer Tasse Kaffee in das kleine Schneidezimmer nebenan. Liesa und ich bleiben zurück in dem langgezogenen Arbeitsraum, der gerade vom ebenfalls hier ansässigen Kollektiv WE DEY als Ausstellungsfläche genutzt wird. In einer Ecke des Raums steht eine gemütliche Sitzgruppe, wo Liesa Kaffee und Kekse bereitgestellt hat. Und schon sind wir mitten drin in ihrer Lebens- und Arbeitswelt.
Zu Beginn drängt sich natürlich die Frage auf, wie es Liesa seit dem Erfolg von Femme Brutal (R: Liesa Kovacs und Nick Prokesch, AT 2015, 70 min) ergangen ist. Femme Brutal, 2015 gemeinsam mit Nick Prokesch gestaltet, überträgt in sinnlichen Bildern die Auftritte von sieben Performer*innen des Club Burlesque Brutal auf die Leinwand und lässt die Künstler*innen in intensiven Gesprächen miteinander – und gleichzeitig zur Kamera hin – ihren Blick auf und ihre Rolle als weibliche* und queere Körper thematisieren. Nach der Premiere beim Crossing Europe Filmfestival in Linz hat der Film nun eine lange Festivaltour hinter sich, die ihn bis zum London BFI Flare und zum San Francisco Frameline Filmfestival gebracht hat.
„Der Film hat mein Leben stark verändert“, erzählt Liesa, „und das nicht erst, als er fertig war und auf so viele Festivals eingeladen wurde, sondern schon, als wir daran gearbeitet haben. Weil ich auch hier gezwungen war – im positiven Sinn –, meine eigene Position als Autorin und Regisseurin ständig mitzureflektieren und zu hinterfragen.“
„What is mine to tell?“
Liesa erzählt von einem Unbehagen, das sie verspürt, wenn sie ihren Kamerablick auf andere Menschen richtet: „Ich habe mich gefragt: ‚What is mine to tell?’ Wie bilde ich, als weiße, privilegierte Filmemacherin, jemanden ab, der mit mir zum Beispiel über Queernes, Armut oder Rassismus spricht. Inwiefern kann die Person noch für sich selbst sprechen? Mit der Arbeit an Femme Brutal habe ich mich diesen Fragen rund um Machtverhältnisse und Blickregime beim Filmemachen gestellt.“
Liesa beginnt Schnittstellen zu entdecken. In der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Lebensrealitäten und Arbeitsweisen der Burlesque-Performer*innen lernt sie, die Differenzen anzuerkennen, aber auch Gemeinsamkeiten in den feministischen Erfahrungen und Kämpfen zu sehen. „Ich habe also für mich diesen Raum entdeckt, in dem ich mitreden konnte. Und einen anderen, in dem ich zuhören musste. Und dasselbe haben wir dann auch vom Publikum eingefordert: Nick und ich haben entschieden, dass wir nicht immer allen alles erklären wollen. Sodass ein heteronormatives Publikum zuhören kann, sich vor allem aber bewegen muss, um mitzukommen. Das hat uns von bestimmten Seiten zwar den Vorwurf eingebracht, dass der Film etwas Ausschließendes hat, aber vordergründig ‚ausschließend’ kann er wirklich nur aus einer privilegierten Position heraus empfunden werden.“
Liesa und Nick Prokesch bei der Premiere von Femme Brutal auf dem Crossing Europe 2015 (Foto: Crossing Europe Filmfestival).
Liesa hat sich sehr viel auch mit den Kritikpunkten an ihrem Film auseinandergesetzt und man merkt, dass viele vorangegangene Erfahrungen in ihr zukünftiges Filmemachen einfließen werden. So erzählt sie, dass es Femme Brutal schwer hatte, auf Dokumentarfilm-Festivals genommen zu werden und von vielen Veranstalter*innen als „zu spezifisch“, als „Nischenfilm“ bezeichnet wurde. Unterstützung fand Femme Brutal dann vor allem bei Queer-Filmfestivals und der internationalen queer-feministischen Community.
„Es gab zwei Kritikpunkte, die immer wieder gekommen sind und über die ich sehr viel nachgedacht habe“, erzählt Liesa, „zum einen: wir hätten eine langjährige Backstage-Beobachtung machen sollen. Und zum anderen: das leidige Thema der talking heads.“ Derlei Kritik kann eine Filmemacherin schon mal an sich selbst zweifeln lassen. Für Liesa war ihre kollaborative Arbeitsweise, ihr Wunsch nach Austausch und Diskussion mit Co-Regisseur Nick und den Protagonist*innen der richtige Weg, um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
„In unserem Fall weiß ich einfach ganz genau, warum die inszenierten Interviews wichtig und sinnvoll sind. Weil sich da zwei Seiten – die der Filmemacher*innen und die der Protagonist*innen – ein klares Setting ausgemacht haben. In dem dann auch kein klassisches Frage-Antwort-Spiel stattgefunden hat. Wir haben nie eine Person allein vor die Kamera gesetzt. Sie waren immer zu zweit oder zu dritt, und so waren der Austausch miteinander, ihre gemeinsame Stärke und die komplexen Beziehungen zueinander eben auch spürbar. Aus dieser Situation heraus konnten sie streckenweise auch ihr Gegenüber, also uns Filmemacher*innen und das spätere Kinopublikum, ausschließen oder direkt ansprechen. Außerdem haben wir die Gespräche bewusst wieder im Bühnenraum inszeniert und sind nicht privat zu einer Performer*in nach Hause gegangen. Die Protagonist*innen sollten selber entscheiden können, wie viel sie vor der Kamera mit uns teilen wollen.“
Wo das Leben on screen und off screen stattfindet
Die Frage, ob Dokumentarfilm Langzeit-Beobachtung sein muss, ist für Liesa mit einem weiteren wichtigen Thema verknüpft: der Untrennbarkeit von Arbeit – also Kunstproduktion – und Leben: „Die jahrelange Beschäftigung hat es ja gegeben, aber eben nicht on screen, sondern in den Beziehungen der am Projekt beteiligten Personen. Die Beschäftigung ist mir wichtig, aber die Idee einer ‚reinen’ Beobachtung aus einer vermeintlich objektiven Position heraus, die ist problematisch. Auch der Moment, in dem wir dann beschlossen haben, zu drehen, hat sich aus dem Leben heraus entwickelt. Weil irgendwann klar war, dass es den Club Burlesque Brutal nicht mehr lange geben wird. Und da haben wir mit unserem Film diesen Moment des Zurückblickens aufgefangen und weiter getragen.“
Nora (AT 2014, 12 min) ist ein Kurzfilm, der 2014 in Zusammenarbeit mit Cana Bilir-Meier und Lisa Käppler entstanden ist. Auch er verhandelt die Verbindung von privatem und beruflichem Leben in der Kunst- und Kulturbranche. Allerdings mit einem weitaus weniger optimistischem Zugang: Eine junge Frau – Nora – blickt in die Kamera, manchmal auch verlegen daran vorbei, und erzählt von ihrer Erschöpfung im vermeintlich selbstbestimmten künstlerischen Arbeitsalltag. In den Wiederholungen des als Probe inszenierten Monologs löst sich die Textebene zunehmend von der Figur ab. Zwölf Minuten lang oszilliert Nora zwischen den authentischen Momenten einer Inszenierung und der dokumentierten Performance einer Probe hin und her. Ist das vielzitierte „prekäre Leben“ für Liesa Thema geblieben?
„Je älter ich werde, umso grantiger werde ich.“
„Ja“, muss sie gar nicht lange überlegen, „aber auch, weil ich mittlerweile nicht mehr den Anspruch habe, alles machen zu müssen. Eine Zeitlang habe ich versucht, in der klassischen Filmbranche und bei Filmfestivals lohnarbeits-technisch Fuß zu fassen. Jetzt, mit fast 32 Jahren, kann ich sagen: Ich habe viel ausprobiert, ich konnte viele Erfahrungen sammeln, aber bevor ich mich für fremde Projekte abkämpfe, mit denen ich mich nicht identifizieren kann, arbeite ich lieber in Bereichen, die mehr mit mir selbst zu tun haben. Ich war früher auch harmoniebedürftiger und werde mit dem Alter immer grantiger. Aber nicht im dogmatischen Sinn, sondern ich weiß jetzt einfach besser, was ich will und mit wem ich arbeiten will.“
Liesa mit Anna Spanlang und Nick Prokesch am Set von Policeman (AT 2012, 5 min).
So hat Liesa, die an der Akademie der bildenden Künste in Wien studiert hat, in diesem Jahr nicht nur an ihrem neuen Filmprojekt gearbeitet, sondern auch im Medienkulturhaus Wels gemeinsam mit Jugendlichen deren Kurzfilmprojekte realisiert. „Der österreichische Film- und Kunstraum ist ein sehr weißer und elitärer Raum, zu dem nicht alle einfach Zutritt haben, deshalb war es mir auch im Rahmen dieser institutionellen Arbeit wichtig, die verfügbaren Mittel gezielt an queere, feministische, Schwarze und POC Filmschaffende und Nachwuchskünstler*innen umzuverteilen.“
Politik & Kunst
Kunst und Politik waren für Liesa schon immer eine untrennbare Einheit. Hat sie sich während ihrer Schulzeit noch mehr als politische Aktivistin gesehen, hat sich ihr Aktivismus nun auf die Leinwand verlagert. Ein wenig erklärt das auch Liesas Vorliebe für dokumentarische und performative Formate: während das Dokument die Realität zu beschreiben versucht, stellt der offensichtlich ausgestellte, performative Akt den Ist-Zustand infrage und damit zur Diskussion.
In der Videoinstallation Reading TV (AT 2013, 30 min, in Zusammenarbeit mit Anna Spanlang) sieht man in TV-üblichen Shot-Reverse-Shot-Einstellungen Schauspieler*innen beim Lesen von ausgewählten Dialogzeilen populärer Jugendserien zu. Die jeweiligen Charaktere und ihre entsprechenden Beziehungen zueinander werden bei jedem Probendurchlauf neu verhandelt.
Nora (AT 2014, 12 min):
Policeman (AT 2012, 5 min):
In Policeman (AT 2012, 5 min, in Zusammenarbeit mit Nick Prokesch und der queer-feministischen Elektropop-Gruppe PO:SCH) folgt die von Liesa geführte Kamera Performer*innen in polizeitypischen Uniformen und Posen. Im theatralischen Scheinwerferlicht auf einer sich langsam drehenden Bühne findet ein „Queering“ dieses Symbols der Macht und Gewalt statt. Eine Auseinandersetzung mit Uniform, Fetisch und Maskulinität(en).
„Hier habe ich begonnen, meinen eigenen Blick kritisch zu betrachten.“
„Natürlich war bei mir zuerst das Narrative da, der Spielfilm, weil ich ja doch ein Fernsehkind bin. Und von dort war es nicht weit zum Kino“, blickt Liesa zurück, „aber als ich selbst mit dem Filmen begonnen habe, war das ganz klar der Dokumentarfilm. Weil ich das Dokument, das Zeitgeschehen und sich mit Realitäten auseinanderzusetzen, sehr spannend finde. Hier habe ich begonnen, meinen eigenen Blick kritisch zu betrachten: wer filmt und wer steht vor der Kamera. Da ist sofort ein Machtverhältnis da, das ich zuerst vor allem emotional verstanden habe, bis mir die politischen Zusammenhänge klar waren.“
Es ist ein wiederkehrendes Thema, nicht nur in den Arbeiten von Liesa Kovacs, sondern auch in ihrem Nachdenken über Film. Einen neuen (Gedanken-)Schritt möchte sie mit ihrem aktuellen Projekt machen, für den sie auch das BKA-Startstipendium erhalten hat. Das Thema ist ein sehr aktuelles: Wie kann man in unserer gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Situation nicht den Kopf in den Sand stecken?
„Ich kann keinen Film machen, der sagt: Da sind die Nazis und die sind böse, und da drüben, auf der anderen Seite, stehe ich. Sondern ich muss mich fragen: Wo profitiere eigentlich ich von diesem System? Rassismus und Faschismus hat ja nicht mit den Nazis begonnen und auch nicht mit ihnen aufgehört. Nationalsozialist*innen griffen ideologisch und in vielen Bereichen auf koloniale Muster zurück, und dieses rassistische Denken und Handeln wiederholt sich in aktuellen Debatten über Migration und Flucht.“
Liesas Schreibtisch.
„Ich möchte mich kritisch mit der Vergangenheit auseinandersetzen, um die Gegenwart besser zu verstehen. Ich habe in meiner Familie auf beiden Seiten Täter*innen und Mitläufer*innen. Ich habe Gedichte gefunden bei meiner Oma, in denen vom großen, blonden, sportlichen Mädchen die Rede ist, in Briefen an Soldaten an der Front. Ein großes, blondes, sportliches Mädel war ich aber auch einmal. Also habe ich mich gefragt: Was hat das heute mit mir zu tun? Wie kann ich mich dazu verhalten? Und dann bin ich auf ein unverfilmtes Drehbuch und Theaterstück über die damaligen Donaufluchtwege gestoßen, von einem jüdischen Autor. Und dieses Schiff auf der Donau ist ein sehr eindrückliches Bild für mich. Wenn ich jetzt also einen Film über historische Kontinuitäten von rassistischer Gewalt mache, von meiner Seite her, als privilegierte weiße Frau, zu wem muss ich dann reden? Zu denen, die das ganze damals und heute zu verantworten haben. Und zu denen gehöre auch ich.“
Kollaboration und Dialog sucht Liesa nicht nur bei ihren Verbündeten, bei den Menschen, die auch dieses Projekt gemeinsam mit ihr gestalten werden. Diskurs und Konfrontation sucht sie auch auf Seiten des Publikums.
„All meine Arbeiten haben immer in der Auseinandersetzung mit anderen Menschen stattgefunden. Weil ich dadurch nur gewinne und klüger aus den Gesprächen hervorgehe. Ich halte nichts vom Mythos des Regie-Genies, das allein große Fragen aufwirft und sie dann auch noch beantworten kann. Meine Filme tragen eher als Botschaft mit sich: ‚Wir müssen reden, liebes Publikum.’ Nicht, weil ich ihnen sagen möchte, was zu tun ist, um der gemeinsamen (Selbst-)Reflexion wegen. Der Film selbst ist ja auch nicht passiv, sondern er spricht mit seinem Publikum. Da muss man auch nicht gleich eine Antwort darauf haben. Aber vielleicht nach dem Film vor allem die unangenehmen Fragen noch ein bisschen mit sich herumtragen.“