Flavio Marchetti wuchs in Rom auf und studierteRechtswissenschaften an der Università Roma Tre und Filmproduktion an der Filmakademie Wien. 2010 gründete er gemeinsam mit Katharina Mückstein, Michael Schindegger und Natalie Schwager das Arbeitskollektiv und Produktionsunternehmen La Banda Film. 2013–2015 war er als Produktionsleiter bei der NGF – Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion tätig. Mit La Banda produzierte er u.a. den Spielfilm L’Animale sowie die Dokumentarfilme Holz Erde Fleisch und (in Eigenregie) Tiere und andere Menschen.
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Meine KollegInnen von La Banda Film und ich werden oft als „NachwuchsproduzentInnen“ bezeichnet und über die Jahre haben wir gelernt, dass die Bedeutung dieses Begriffs sehr relativ ist. Es kann eine Anlehnung an das „junge“ Alter der ProduzentInnen sein, es kann sich aber auch darauf beziehen, dass jemand schon an Lebensjahren älter und zugleich neu ist in seiner/ihrer Funktion. Mir kommt es so vor, dass der Begriff „Nachwuchs“ in der österreichischen Filmbranche eine Hüllenfunktion hat und je nach Situation mit unterschiedlichen Bedeutungen besetzt ist. Man betont damit einerseits das kreative Potenzial und die innovative Kraft einer neuen Generation, andererseits meint man damit die fehlende Erfahrung und mangelnde Kompetenz der jungen Konkurrenz. So habe ich beispielsweise einmal gehört, wie einer der dienstältesten Produzenten des Landes einen anderen Produzenten mit über 20 Jahren Erfahrung als „talentierten Nachwuchs“ bezeichnet hat. Also selbst mehrere Jahrzehnte Berufserfahrung und eine mehrseitige Filmografie sind keine Garantie, das Etikett „NachwuchsproduzentIn“ loszuwerden.
Als relativ junge ProduzentInnen ist unser Alltag geprägt von Ungewissheit und dem Druck, mit jedem Projekt ein Mindestmaß an Erfolgen nachzuweisen. Mir ist aufgefallen, dass es darum eine gewisse Anstrengung bedeutet, einen Schritt zurückzumachen und sich das System der österreichischen Kinofilmlandschaft aus der richtigen Distanz anzuschauen. Es ist aber zu einfach, die eigene Situation als beispielhaft für das große Ganze zu erachten, denn dabei übersieht man leicht, welche strukturellen Probleme es gibt, die auf unterschiedliche Firmen, Kollektive, Arbeitsgemeinschaften auch unterschiedliche Auswirkungen haben. Um sich den größtmöglichen Handlungsspielraum für die eigenen Produktionen zu schaffen, halte ich es in jedem Fall für unerlässlich, losgelöst vom persönlichen Interesse und der eigenen ökonomischen Existenz, die Film- und Förderlandschaft kritisch zu hinterfragen und ihre Funktionsweisen zu studieren.
Don’t believe the hype
Österreich ist ein sehr kleines Land und ebenso klein ist unsere Filmszene. Diese Überschaubarkeit hat Vor- und Nachteile. Zu den Nachteilen gehören die vielen politischen und persönlichen Verflechtungen und die Art und Weise, wie sich Meinungen Einzelner sehr schnell zu vermeintlichen Wahrheiten entwickeln. Die Frage, wie es mit unserem Beruf, dem Filmemachen, denn überhaupt weitergehen soll, ist ja seit geraumer Zeit in aller Munde. Die technologischen Fortschritte, die neuen Sehgewohnheiten, die heraufbeschworene Krise des Kinos… Wie diese Faktoren in unserer Branche besprochen werden, gibt insbesondere uns jüngeren ProduzentInnen schnell das Gefühl, dass wir viel dafür investiert haben, über die glatte Bordwand auf ein sehr hohes Schiff zu klettern, nur um dann zu erfahren, dass das Schiff bereits voll ist oder sich gar schon im Sinken befindet.
Ich denke, wir könnten aber auch einmal innehalten und fragen, wessen Krise das denn eigentlich ist und wer von den aktuellen Entwicklungen am stärksten betroffen ist. Viel zu oft lassen wir uns von älteren Produzenten (ich verwende absichtlich die rein männliche Form) erklären, welche filmpolitischen Lösungen die Zukunft unseres Berufs sichern könnten. Schaut man genauer hin, sind das meist Maßnahmen, die den Firmen mit großer, alter, teurer Struktur zugutekommen und uns kleinere, flexiblere ProduzentInnen ins Abseits befördern. Manche, die sich als Mäzene der jüngeren Generation geben, arbeiten hinter den Kulissen daran, die sogenannte „Professionalisierung“ des Produktionsgeschäfts voranzutreiben. Mit anderen Worten: Der Zugang zu großen Kinofördermitteln soll jenen vorbehalten oder erleichtert sein, die schon lange arbeiten, aufgrund von TV-Produktionen einen stetigen Cashflow nachweisen können und viele Angestellte beschäftigen.
Eine Besonderheit unserer Generation ist jedoch, dass wir in eine Zeit hineingewachsen sind, in der der Traum von der steilen, linearen Karriere ein Relikt aus unserer Elterngeneration darstellt. Das heißt, viele von uns haben gar nicht die Erwartung, bis ins Pensionsalter Filme zu machen und davon dauerhaft gut leben zu können, wie manche der ProduzentInnen, die sich in den 1980er und 1990er Jahren mit wenig Konkurrenz und vielen Standbeinen ein gutes, wirtschaftliches Fundament anlegen konnten, von dem sie bis heute profitieren. Auch wenn diese Entwicklung im Allgemeinen keine positive ist, so kann ich dem etwas Gutes abgewinnen: Wir sind zäher und flexibler und bereit, neue Wege zu gehen. Wir sind nicht reich und haben nicht viel zu verlieren, und daher kann man auch darüber nachdenken, ob ihre Krise unsere Chance darstellt.
Volksunterhaltung als Daseinsberechtigung
Mein persönlicher Zugang zur Filmproduktion ist der Wunsch, Filme zu machen, die gesellschaftspolitisch relevant sind. Mir geht es darum, künstlerisch hochwertige Wege zu finden, die Welt kritisch anzuschauen, und ich bin überzeugt, dass die Mittel des Filmemachens zu den mächtigsten künstlerischen Ausdrucksformen zählen, die wir Menschen kennen. Aus diesem Grund habe ich ein großes Problem damit, wie wir über „Erfolg“ sprechen, wer „Erfolg“ definiert und welche Wichtigkeit wir dem beimessen. Die ZuschauerInnenzahlen im Rahmen eines österreichischen Kinostarts sollen über die Daseinsberechtigung der Kunst- und Kulturförderung entscheiden, während der Menge an Menschen, die unsere Filme international sehen und besprechen, kaum Rechnung getragen wird. Wer einmal mit einem österreichischen Film um die Welt gereist ist, weiß, dass gerade jene Produktionen, die nicht unbedingt österreichische Publikumsmagnete sind, im Ausland größte Anerkennung und Bewunderung erfahren. Wir müssen die Kategorie „Erfolg“ überdenken und fragen, was das Kino in Zukunft sein soll, insbesondere jetzt, in einer Zeit des politischen Umbruchs.