Lisa Weber | Filmemacherin
Porträts

Lisa Weber | Filmemacherin

Dezember 2014

Voller Begeisterung erzählt Lisa Weber von ihren Eindrücken des Festival du nouveau cinéma Montréal, auf dem ihr aktueller Dokumentarfilm Sitzfleisch (2014, 79 min) soeben seine Nordamerika-Premiere feierte. Die 24-jährige Filmemacherin, die seit 2009 Regie bei Michael Haneke und Wolfgang Murnberger an der Filmakademie Wien studiert, ist seit Anfang des Jahres mit ihrem ersten Langfilm auf den renommierten internationalen Festivals vertreten, beim Filmfestival Karlovy Vary erhielt sie eine lobende Erwähnung, und am 19. Dezember 2014 startet Sitzfleisch in den österreichischen Kinos.

7000 Kilometer gemeinsam mit den Großeltern in einem Auto, das stellte sich Lisa in erster Linie lustig vor. Weil sie den Humor des Opas gerne mag und seine Eigenheiten, wie eben auch diese, dass er eine Reise machen will, bei der es weniger darum ging irgendwo anzukommen als vielmehr darum, möglichst lang und viel Auto fahren zu können.  Gemeinsam mit ihrem Bruder Lukas stellte sich die Filmemacherin und Enkelin der Herausforderung einer Reise, deren Ziel zwar eigentlich das Nordkap, aber doch vielmehr der Weg war, und zu deren Beginn Lisa auch filmisch noch keine konkrete Route im Kopf hatte. Das einzige, das sie wusste: Für den Roadtrip musste sie Sitzfleisch beweisen.

„Spontan sein ist das wichtigste.“

Auch wenn es ihr nicht immer leicht fällt, will Lisa so wenig wie möglich planen. Sie mag nicht im Vorhinein Konzepte ausarbeiten und sich schon gar nicht überlegen, welche Absichten sie mit ihren Filmen verfolgt. Vielmehr reizt es sie in die Lebenswelt von Menschen einzutauchen und sie ein Stück weit zu begleiten. „Ich glaub, die Lisa interessiert sich gar nicht so für Filme, sondern mehr für Menschen“, hat ein Freund einmal über sie gesagt. Durch ihre Neugierde am Leben von Menschen teilzuhaben, das so anders als ihr eigenes ist und Dinge zu entdecken, die sie nicht kennt oder auch nicht gleich versteht, werden ihre Filme zu Momentaufnahmen, die genügend Raum lassen, um eigene Geschichten in den Bildern zu finden.

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Still aus Die und der von da und dort

Ein schönes Beispiel für solche Momentaufnahmen ist die Kurzdoku Die und der von da und dort (2011, 7 min), in der sich auf der Straße angesprochene Touristen aus aller Welt für Lisa und die Kamera vor Wiener Sehenswürdigkeiten in Pose werfen. Zu den stummen Bildern erzählt die Filmemacherin aus dem Off, was sie in der kurzen Zeit über diese Menschen erfahren hat. Manchmal sind es auch nur Fantasiegeschichten, wie sie sich die Welt dieser fremden Menschen vorstellt. Kleine Geschichten voll Poesie und Weltsicht.

Lisa entdeckte schon sehr früh, dass Film für sie das beste Medium ist ihre Gedanken auszudrücken, ihre Eindrücke zu sammeln und festzuhalten.  „Film vermittelt für mich immer ein stärkeres Gefühl als die Erzählung, und weil‘s schön ist, wenn ich das Erlebte mit anderen teilen kann.“

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Tanzen üben, 2013, 4 min

Mit 14 nahm sie an einem Workshop vom wienXtra-medienzentrum teil und realisierte dort gemeinsam mit Jennifer Fasching ihren ersten Dokumentarfilm Nirgendwo in Österreich, der 2004 bei den wiener video&filmtagen seine Premiere hatte. Mit 19 bewarb sie sich an der Filmakademie Wien und wurde dort auch gleich aufgenommen. Teil der Aufnahmeprüfung war es, innerhalb einer Woche einen Kurzspielfilm zum Thema „Begegnung“ zu realisieren. Das Bild, wie zwei Menschen ein Gedenkkreuz am Straßenrand aufstellen, die Geschichten, die sich dahinter verbergen und wie Menschen sich an so einem Ort begegnen, fand Lisa interessant und somit hatte sie schon mal ihre Story. Bis dahin hatte sie noch nie mit Schauspielern gearbeitet, auf den Vorschlag eines Freundes mit Menschen zu arbeiten, die sie kennt, fielen ihr sofort ihre Großeltern ein (damals waren es allerdings die anderen Großeltern).

SonnenstrahlDrehbuch
Drehbuch Kommt ein Sonnenstrahl in die Tiefkühlabteilung und weicht alles auf

Mit einem Drehbuch, das aus acht Punkten mit Stichworten bestand, machte sie sich gemeinsam mit Tonmann und Kameramann auf den Weg zu Oma und Opa nach St. Valentin. Auf der Autofahrt wurde noch schnell der Drehplan erstellt (“einfach chronologisch”), die Auflösung diskutiert und dann ließ Lisa ihre Großeltern Alltagsmomente nachspielen. Durch das vorgegebene Thema war aber eine Art von Pointe notwendig, sie musste aus der Beobachtung heraus und in die Inszenierung gehen. Eine klassisch narrative Geschichte für einen Zweck  oder eine Pointe zu erzählen, das mochte und mag zwar Lisa nach wie vor nicht so gerne an dem Film, anscheinend aber viele andere: Kommt ein Sonnenstrahl in die Tiefkühlabteilung und weicht alles auf (2010, 8 min) gewann den Preis für den besten österreichischen Kurzfilm beim Vienna Independent Shorts und lief bei den renommierten Kurzfilmtagen Oberhausen im internationalen Wettbewerb. Erst im Nachhinein wurde Lisa bewusst, wie renommiert dieses Festival für den Nachwuchs ist. Aber darüber, dass all ihre Filme bisher erfolgreich auf nationalen und internationalen Festivals gelaufen sind, will sie gar nicht so nachdenken, „das stresst mich nur“.

„Ich mag’s, wenn ich ein wenig im Leben von wem anderen mitmachen kann. Das macht die Welt ein bisschen größer für mich.“

Lisas filmischer Zugang ist vorrangig zwar ein dokumentarischer und beobachtender, sie möchte aber auch mit diesen Methoden im fiktionalen Bereich arbeiten. Am allerliebsten wäre es ihr, über so etwas wie Spielfilm oder Dokumentarfilm gar nicht nachdenken zu müssen. Die Form soll dem Inhalt folgen und der Inhalt soll Lisa überraschen oder berühren. Zuvor Ausgedachtes zu inszenieren reizt sie im Moment nicht, viel spannender findet sie es, wenn da plötzlich Aktionen und Emotionen dazukommen, die zuvor nicht in ihrem Bewusstsein waren, wie sich Menschen in den verschiedensten Situationen verhalten würden. „Ich will von den Menschen ihre Details kriegen. Stell dir vor, du hast zum Beispiel 300 Leute und jeder sagt zum anderen ‚Du bist das Tollste auf der Welt‘. Jeder wird‘s anders machen. Und das ist das Beste!“

Hanna
Hanna

Obwohl sie nicht so gerne Konzepte und Drehbücher schreibt, ist das Schreiben für Lisa wichtig. Ihr Zimmer ist voll mit Notizzetteln, auf denen sie oft nur einzelne Gedanken oder Situationen festhält, die sie schön findet und die sie bewegen. Das Schreiben, “sinnentleertes Herumkritzeln” und vor allem das Reden mit anderen helfen ihr, Dinge klarer zu sehen, an den Kern vorzudringen und durch das Detail das Große Ganze zu verstehen. Sie sieht das Schreiben auch als einen Umweg, um zu verstehen, warum sie bestimmte Momente und Situationen berühren.

„Mehr zuschauen statt ansagen“

Was tut die Beobachterin, die am liebsten niemandem etwas vorschreiben will, wenn der Studienplan dann einen klassischen Kurzspielfilm, gedreht in einer Studiokulisse, vorsieht?

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Still aus Twinni oder so

Die Idee zu ihrem Kurzfilm Twinni oder so (2012) kam Lisa eigentlich durch Recherchen für ein Dokuprojekt. Sie wollte das Leben von Teenagern auf dem Land und in der Stadt portraitieren. Ihre späteren Darstellerinnen, Bianca und Claudia, entdeckte sie in einer Wohnsiedlung in ihrem Heimatgrätzl Simmering, heimlich in einer Ecke rauchend. Für die beiden Mädchen war Lisa interessant, weil sie mit ihrer Kamera ein cooles Spielzeug dabei hatte. Lisa selbst bekam durch die Kamera Distanz zum Geschehen und einen Rückzugsort  als Beobachterin. So hat sie die beiden über längere Zeit begleitet. Einen Film aus dem Material hat sie letztlich nie geschnitten, dafür hat ihr immer “der Arschtritt” gefehlt. Den hat sie aber dann an der Uni in Form von Deadlines regelmäßig bekommen.

Die Dialoge für das Drehbuch zu Twinni oder so haben die 13jährigen Mädchen vorgegeben. Die Bedingung der Kulisse brachte allerdings ein gewisses Risiko mit sich, weil die beiden aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen wurden. Um die größtmögliche Intimität am Set herzustellen, war es Lisa wichtig, nur mit einem ganz kleinen Team zu arbeiten, das die Mädchen schon im Vorfeld kennengelernt hatten. Die Störfaktoren am Set mussten so gering wie möglich sein, eine reduzierte Kameraarbeit sollte das Gefühl der Unmittelbarkeit unterstützen.
Die Szenen im Film sind dem Alltag der beiden Teenager entnommen, und wenn sich Lisa bestimmte Situationen überlegt hat, gab sie zwar eine Richtung vor, aber die Interpretation war ihren Darstellerinnen überlassen. „Ich hab mir die Mädchen ja nicht geholt, damit sie mir das, was ich mir ausgedacht hab, nachspielen. Ich hab sie mir geholt, damit sie daraus etwas besseres machen. Ich will überrascht werden!“ Lisa schafft es auch in der Inszenierung das Authentische, ihren Protagonisten Eigene, beizubehalten und so steht am Ende ein Film, der uns schonungslos mit dem Alltag zweier Teenager konfrontiert, denen einfach nur „urfad“ ist.

„Ich mag keine Filme, die dir vorschreiben, was du zu denken hast“

Für den Dokumentarfilm Sitzfleisch machte sich Lisa also ohne Konzept auf den Weg. Meist blieb sie die stille (manchmal die kichernde) Beobachterin hinter der Kamera und filmte alles, was ihre Neugierde weckte. Und so kam Lisa erst mal mit 35 Stunden Bildmaterial von ihrer Reise zurück. Da ihr der Blick von außen fehlte, brauchte sie jemanden, der das Material sortierte. In ihrem Cutter Roland Stöttinger fand sie zugleich einen Dramaturgen, der ihr half ihre Gedanken zu ordnen und dem Film eine Struktur zu geben. „Ein Großteil der Schnittarbeit war reden. Ich musste lernen mich auszudrücken, damit Roland verstand, was die Bilder für mich bedeuten, warum mir etwas gefällt oder nicht. Im Laufe der Zeit mutierte er immer mehr zum Mini-me. Er kann sich echt gut in andere einfühlen.“ In der Schnittphase vom Film wurde Lisa auch bewusst, wie wichtig es ihr ist eine Geschichte zu erzählen, die immer offen genug für Interpretationen und Assoziationen des Betrachters ist. “Jeder soll seinen eigenen Film sehen.” Ebenso weiß sie, dass sie für das, was sie zeigen will, die Verantwortung übernehmen muss, und dass die Grenzen des Zeigbaren oder Zumutbaren für jeden unterschiedlich sind. Schlussendlich kann nur Lisa für sich entscheiden, wo ihre Grenze liegt.

Lisas Art Geschichten zu erzählen, ihr Gespür für Menschen und Situationen, ihr klarer, ungefilterter Blick und ihre Neugierde lassen eine große Freiheit zu. Es bleibt zu wünschen, dass sie sich diese Freiheit behält und weiterhin „jedem Herzklopfen, das das Hirn übertönt“ folgt.

von Katja Jäger, Dezember 2014

CV Lisa Weber

AFC Interview mit Lisa Weber und Rudi Takacs zu Sitzfleisch (Juli 2014)

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