Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber leiteten von 2009 bis 2014 das YOUKI – Internationales Jugend Medien Festival Wels und übernehmen ab 2016 gemeinsam die Intendanz der Diagonale.
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Eine junge Frau begibt sich samt Kamera und Großeltern auf den Weg von Simmering ans Nordkap, eine Dokumentarfilmerin reist nach Ägypten und begleitet vier Frauen über zwei Jahre hinweg durch den so genannten „Arabischen Frühling“. Ein Salzburger Filmemacher gründet eine argentinisch-österreichische Produktionsfirma und realisiert eine in Buenos Aires situierte Endzeitdystopie, während zwei Geschwister eine wahlverwandte Geschichte als teilimprovisierte Webserie konzipieren …
Das junge österreichische Kino – in vielerlei Diskursen übergreifend als Nachwuchsfilmschaffen bezeichnet – ist in Bewegung, gibt sich formal wie inhaltlich vielschichtig und divers. Auch deshalb ist es häufig Gesprächsthema im Kontext des österreichischen Films: mal mit Fokus auf die prekären Arbeitsbedingungen junger Filmschaffender, mal fragend, ob die Genderverhältnisse im Nachwuchsfilm rosiger sind als jene im derzeit etablierten Filmschaffen. Nicht selten auch aus zukunftssuchender Perspektive: nach (neuen) Möglichkeiten nämlich, junges Filmschaffen einem Publikum zugänglich zu machen.
Gemein ist vielen dieser Diskussionen die hoffnungsvolle Frage, wie es dem Nachwuchs gelingen kann, die erfolgsverwöhnte österreichische Filmgeschichte weiterzuschreiben. Oft gut gemeint, ergibt sich hier eine Krux, auf die wir in unserer Sichtweise eingehen möchten: Geschichte – das ist in der Theorie bekannt – wiederholt sich nämlich allenfalls als Farce, eine Erkenntnis, die in mancher praxisbezogenen Diskussionen gerne ausgeklammert wird. Dann dominiert eine Vorstellung, die dem gelernten Österreich aus dem ländlichen Modell des Erbhofs bekannt ist: Bestehendes wird bewahrt und übergeben. Peu à peu soll der Nachwuchs in die vorhanden Strukturen eingebettet werden: Filmhochschule, Debütfilm, Festivalteilnahmen usw.
Übersehen wird dabei, dass sich Lebens- und Arbeitsrealitäten zunehmend verändern. Schon die gesellschaftlichen Umstände erschweren ein Weitermachen wie bisher. Nicht, weil alles, was jünger und möglicherweise näher am Zeitgeist ist, zwangsweise auch klüger oder richtiger ist, sondern weil sich die Rahmenbedingungen von Film heute vielleicht mehr denn je im Umbruch befinden.
Kulturwissenschaftlich ließe sich gesondert darüber nachdenken, was diese Umbauten für das Weltkino und ein Festhalten an nationalen Kinematografien bedeuten. In der Praxis äußern sich die „neuen Zeiten“ dahingehend, dass alte Strukturen nicht mehr greifen. Auseinandersetzungen zu Förderstrukturen, Verwertungsmechanismen (Urheberrecht, Festplattenabgabe etc.) können als Symptome benannt werden. Daran anschließend lässt sich nun die Frage aufwerfen, welche Erkenntnisse das Kino von morgen bereits gegenwärtig zu dem, was man gemeinhin als Filmkultur fasst, liefern kann?
Universal Filmschaffen – heimisches Nachwuchsfilmschaffen im Kontext globaler Lebensrealitäten
Das Nachwuchsfilmschaffen entspringt zunehmend transkulturellen Lebensrealitäten, fügt sich in globale, intermediale Kontexte ein (oder entspringt diesen) und transportiert dahingehend ein transitorisches Selbstverständnis. Nicht immer bei vollem Bewusstsein zeugen viele der jungen Filmarbeiten davon, dass ein nationalstaatlich gedachtes Kino nur als ideologische Zuschreibung zu haben ist. Längst hat (nicht nur, jedoch vermehrt) junges Filmschaffen nationales Terrain hinter sich gelassen: sowohl was die Produktionsumstände, die Biografien der Filmschaffenden als auch – allgemeiner – den gesellschaftlichen Umbau hin zu globalen Lebensrealitäten betrifft.
Dass diese Tatsache bei Teilen von Branche, Festivals und Publikum noch immer nicht angekommen ist, darauf verweisen Labels und Genreerfindungen wie „Migrationskino“ oder „Multikulti-Kino“. Gut gemeint hantieren derartige Begriffe nicht selten mit Exotismus, positivem Rassismus und doppelten Standards, wie auch die deutsche Jungle World unlängst betonte und anhand einer Reihe französischer Komödien, deren simple Humorstrukturen nur über Stereotype funktionieren, vertiefend analysierte.
Gleichzeitigkeiten – Kinoräume und darüber hinaus
Auch im Hinblick auf seine technische Rahmung macht der Nachwuchsfilm Umbrüche offensichtlich: Crossmedia, mobile Abspielgeräte, Fernsehen (im Stream) weiten den Bewegtbildbegriff, bedeuten aber mitnichten einen generellen Bedeutungsverlust für den Kinoraum. Im Gegenteil:
Nicht wenige junge Filmschaffende reüssieren auf Festivals mit Arbeiten, die explizit der „Black Box“ zugedacht sind – man denke an Katharina Mückstein, Daniel Hoesl u.a. Die Herausforderung für die Gegenwart besteht also nicht darin, Kinogeschichte mit jener des dezentralen Bewegtbildes zu überschreiben (oder ebendas zu verhindern), sondern im Umgang mit Gleichzeitigkeiten – ein Phänomen, das nicht auf den Nachwuchs beschränkt bleibt, mit dem junge Filmschaffende aber zukünftig verstärkt zu tun haben werden.
Zahlreiche Arbeiten, u. a. von Lukas Marxt, Karin Fisslthaler oder Björn Kämmerer, funktionieren heute sowohl im Kinoraum als auch im Ausstellungskontext – freilich jeweils unter anderen Vorzeichen. Oft auch aus ökonomischer Dringlichkeit wird interdisziplinäres Arbeiten mehr und mehr zum Standard erhoben. Ein solcher undogmatischer Zugriff – der im Idealfall nichts mit einer formalen Beliebigkeit oder einem saloppen Anything Goes Anywhere zu tun hat – äußert sich dann nicht nur in der Wahl des Dispositivs:
Wenn Viktoria Schmid in ihrer Installation im Weißen Haus den White Cube zum imaginären Kinosaal umdeutet und ihre präparierten 16mm-Projektoren die ikonische Lichtschwertszene aus Star Wars visualisieren, kollidieren Kinokonzepte und -orte gleich mehrfach: Blockbuster trifft Bildende Kunst trifft Popkultur trifft Ausstellungsraum trifft Kinoraum. Für eine Auswertung im klassischen Kinokontext kommt diese Arbeit freilich nicht in Frage – und dennoch ist sie Teil des weiten Felds „Nachwuchsfilmschaffen“, dessen Protagonist_innen sich mitunter den klassischen Regiebiografien und Produktionsstrukturen verwehren (ohne auszuschließen, diesen Weg in naher Zukunft doch noch einzuschlagen).
Anders formuliert sind sie Teil eines notgedrungen ausufernden Netzwerks – eines Wirkungsgefüges von unterschiedlichen Akteur_innen, Maßnahmen, Strukturen, in das man nicht erst eintritt, wenn für das Produzierte die ersten Kinotickets gelöst werden. So bedeutet ein Nachdenken über den Nachwuchs immer auch ein generelles Nachdenken über Filmkultur; besonders dann, wenn das kommende Kino aus den sprichwörtlichen Fußstapfen tritt, eigene Formen entwickelt und sich dem von Festivals, Kinos, Kritik u.a. geschaffenen Kanon widersetzt.
Wie wir leben wollen
In seiner Sommerserie für die Radiosendung „Im Sumpf“ hat Fritz Ostermayer 2014 augenzwinkernd festgehalten, dass es das Privileg der Jugend sei, darüber zu entscheiden, was Pop ist und was Pop ausmacht. Um darüber zu urteilen, wozu die Teens aus nah und fern tanzen, schmusen, feiern, heulen, trinken … brauchen und brauchten sie noch nie Erwachsene.
Umgemünzt auf den Nachwuchsfilm ließe sich die These aufstellen, dass sich der Nachwuchs (der freilich weit über die Jugend hinausragt) gewissermaßen selbst denkt und man wiederum die Filme heranziehen muss, um sich über den Status quo – nicht nur von Nachwuchsfilm in Österreich – zu verständigen. Was Ostermayer der Jugend, also den Akteuren, zuspricht, möchten wir dabei auf das selbst redende filmische Material anlegen: Die Filmbilder selbst berichten von gegenwärtigen Lebensrealitäten, ihre Rückseiten von Produktionsbedingungen und Verwertungsfragen, die hinkünftig für die gesamte Filmbranche Relevanz haben werden.
So illustrieren auch die vier eingangs kurz skizzierten Filmbeispiele von Lisa Weber (Sitzfleisch), Alexandra Schneider (Private Revolutions), Lukas Valenta Rinner (Parabellum) sowie Anna und Jan Groos (Endzeit) einen Ausschnitt dieser veränderten Rahmenbedingungen. Sie zeigen, dass es nicht mehr das eine System gibt, in dem ein Film konzipiert, finanziert, produziert und verwertet wird – und es wird zweifelsohne eine Herausforderung für Branche und insbesondere Festivals sein, diesen Umbruch zu berücksichtigen und mit ihm Schritt zu halten. Und zwar mit Blick auf das ominöse Ganze, wie er gerade im Kontext von Diskussionen zum jungen Kino häufig verstellt bleibt.
So kann der Nachwuchsfilm hinkünftig nicht nur als Kino von morgen, das sich mit bestehenden Strukturen herumschlagen muss, gelesen werden, sondern als Impulsgeberin für film- und kulturpolitische Debatten, rund um die weiterführende (zugegeben pathetische), aber vielleicht auch alles entscheidende Frage, wie wir leben wollen.