Anna Lehner | BMKÖS Startstipendiatin 2024
Porträts

Anna Lehner | BMKÖS Startstipendiatin 2024

18.1.2025, 08:04 Uhr

“Da ist kein Bruch zwischen dem Verlangen nach dem Kinderspiel und dem nach der Inszenierung des Films”

 

Anna Lehner, 1991 in Wels geboren, studierte Germanistik sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien. Ihr im Jahr 2022 entstandener Kurzfilm “Brise”, den ersten, den Anna als Regisseurin verantwortete, erhielt den Preis der Jugendjury bei Vienna Shorts. Seit 2019 arbeitet Anna im Produktionsbereich in unterschiedlichen Positionen, bei der aktuell in Postproduktion befindlichen Doku-Fiktion “Bei aktueller Verkehrslage” (Regie Sebastian Brameshuber, Produktion Panama Film) war sie als Ko-Autorin tätig. Für das Startstipendium 2024 hat sich Anna mit dem Spielfilmprojekt “Am Wasser, 2002” beworben, das an zwei auseinanderliegenden Tagen von einer Familie in einem Haus am See erzählt.

 

Du bist erst vor kurzem ins Regie-Fach gestiegen: 2022, mit “Brise”. Der Film wurde beim Filmfestival Max Ophüls Preis gezeigt und gewann bei Vienna Shorts einen Preis. Wolltest du immer schon Filme selbst inszenieren oder kam das Interesse für Regie erst später hinzu?

Anna Lehner: Das Interesse war da, aber mir hat der Mut dazu gefehlt. Ich habe früher immer gerne inszeniert, mit Freundinnen Filme gedreht, und leidenschaftlich gerne Rollenspiele gespielt.

Diesen Teil der Kindheit habe ich sehr genossen. Man ist Kind und spielt: „im Spiel sind wir..“ und man spielt frei dahin und dann wird man Erwachsen. Ab hier ist das Spiel verpönt, bzw. aus unterschiedlichen Gründen vorbei, außer man gibt ihm eine Bezeichnung und sagt „Regie“. Diese offizielle Bezeichnung – der große Respekt vor dem Wort, verbunden mit dem Zweifel, mir dieses Wort selbst zuzuschreiben – hat mich lange abgeschreckt.

Heute sagt mir die Erfahrung, dass da kein Bruch ist, zwischen dem Verlangen nach dem Kinderspiel und dem nach der Inszenierung des Films.

Filmstill “Brise” (2022, 26 min) erzählt von Flora, die für ein Wochenende in ihr Heimatdorf zurückkehrt und merkt, dass der Ort zwar immer Heimat bleibt, aber nicht mehr ganz ihr Zuhause ist. “Brise” ist Annas erster Kurzfilm, der auf dem Max Ophüls Preis prämierte.

Vor “Brise” hast du in anderen Positionen gearbeitet, beispielsweise als Aufnahmeleiterin und auch als Editorin. Jetzt bist du auch als Ko-Autorin bei einem Projekt involviert. Was fasziniert dich am Filmemachen? Was braucht es, um beim Film zu arbeiten und auch zu bleiben?

Anna LehnerIch weiß es eigentlich nicht so genau. Es erfüllt mich einfach mit tiefer Freude. Schon zuhause habe ich sehr viel gefilmt – das Frühstück, die streitenden Geschwister, unsere Hasen, unsere Eltern. Es war ein bisschen eine Sucht. Damals habe ich mir gedacht: ich muss alles festhalten, damit es nicht vergessen wird. Heute denke ich, dass ich aus der Realität, die ich erlebt habe, eine Geschichte machen wollte. Das hat scheinbar geholfen, das Leben zu begreifen.

Um beim Film zu bleiben, braucht es vielleicht dieses Verlangen danach, etwas zu Destillieren. Dabei war mir immer bewusst, wie wenig ich weiß und wie sehr es mich einschüchtert. Deswegen wollte ich Teil der Branche und am Set sein. Die unterschiedlichen Jobs sind eine Möglichkeit, dazuzulernen und auch die Regie zu entmystifizieren.

Ich hatte dann das Glück, feinsinnigen Menschen zu begegnen. Was ich bei ihnen beobachtet habe, war ein Vertrauen in das eigene Gespür und der Mut zu künstlerischen Entscheidungen. Besonders bereichernd war, das Sebastian mir vorschlug, an seinem Film mitzuarbeiten – diese Zusammenarbeit hat mich sehr geprägt.

Worum geht es im Spielfilmprojekt, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?

Anna Lehner: Es geht um eine Familie, die zusammen Ostern und einen Sommertag verbringt. Zwei Brüder und ihre Töchter treffen im Haus ihrer Kindheit aufeinander. Wir lernen nach und nach das Haus und die Familienmitglieder kennen. Der eine Bruder lebt dort, er hat das Haus geerbt, während der andere darauf verzichtet hat. Letzterer hat lange in England gelebt und beginnt sich zu fragen, ob das damals gerecht war. Die Cousinen spielen Wäscherinnen am Wasser und verhandeln die erfundene Welt. Es geht um Geschwister, ihre Leidenschaften und ihre Beziehung zu dem Ort. 

Du hast bei einem Stipendiumstreffen erzählt, dass die dem Film grundlegende Frage sei: Wo beginnt eine Leidenschaft? Was fasziniert dich an der Frage?

Anna Lehner: Ich habe den Anfang mancher Leidenschaften oder Interessen sehr ausgeprägt erlebt. Der Grund dafür ist mir immer noch ein Rätsel. Wieso kommt auf einmal so ein starkes Gefühl auf? Ich vermute, es ist eine wirre Kombination aus Charakter, bisherigen Erfahrungen, Sinneseindrücken, Zufall… Und aber vor allem die Präsenz anderer Menschen.

Ich glaube, dass wir uns gegenseitig stark beeinflussen und manchmal vergessen, wie porös wir eigentlich sind. Ob bewusst oder unbewusst, wir sind immer miteinander verbunden. Wir blicken ständig in die Gesichter von anderen. Von Anfang an lernen wir, indem wir andere imitieren. Auch über den Raum sind wir verbunden: Was ich ausatme, das atmest du wieder ein. Vielleicht hat die Geschichte deswegen so viele Figuren.

 

 

Anna bei einem Recherche-Dreh zum Drehbuch zu „Am Wasser, 2002“. Die Schwestern einer Freundin (Catrin Freundlinger) haben zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Oma ein Ferienhaus ausgeräumt. Ich wollte schauen, wie ich die vielen Personen zusammen mit dem Raum in Verbindung setzen würde.

–> WIP; das ist noch in Arbeit und sieht noch nicht so sexy aus mit der Bildanordnung

Welche Filme kommen dem am nächsten, wie du Filme machen möchtest?

Anna Lehner: Das ist eine schwierige Frage, es gibt so viele Einflüsse. Zwei davon wären: “Somewhere” von Sofia Coppola und “Grey Gardens” von Albert and David Maysles. Das sind Filme, die der Bewegung des Plots eine gewisse Trägheit erlauben und dafür von einer inhaltlichen Dichte geprägt sind. Ich mag Geschichten aus dem Alltag. Ich mag Figuren, die Sehnsucht haben. Die Filme dürfen auf eine schöne Art schmerzen. Dabei rührt mich das Gute am meisten.

Ich habe mich beim Schreiben zwar mit Werken umgeben, die dem ähnlich sind, was ich machen will, aber das sind eher keine Filme. Für die Geschichte “Am Wasser” habe ich immer wieder Die Fahrt zu Leuchtturm von Virginia Woolf gelesen. Absurderweise fühle ich mich dem Film nahe und auch am stärksten inspiriert, wenn ich lese. Ich glaube das kommt aus der Einsamkeit und Freiheit, die das Lesen begleitet. Und gleichzeitig fühle ich mich dabei überhaupt nicht einsam, weil Lesen die Form ist, die mich dem Denken eines anderen Menschen am nächsten bringt.

In welchem Stadium befindet sich das Projekt “Am Wasser, 2002” aktuell und was sind derzeit die großen Herausforderungen?

Anna Lehner: Es gibt ein Drehbuch, das ich zu einem Treatment getrimmt habe, in das ich gerade Feedback einarbeite und dann wieder zum Drehbuch mache. Die nächste Herausforderung wird sein, jemanden von Produktionsseite zu finden, der das mit mir machen möchte.

 

Portraitfoto © Cinema Next | Anna Breit