Dieses Porträt wurde bereits im Mai 2016 in unserer Reihe Talents to Watch veröffentlicht. Inzwischen hat Antoinette Zwirchmayr die Trilogie rund um ihre Familiengeschichte mit Im Schatten der Utopie (2017) vollendet.
„Das Persönliche ist immer verschlüsselt“
„Ich bin eine Ausmisterin, ich schmeiße alles weg“, sagt Antoinette Zwirchmayr. Der Stapel an persönlichen Fotos passt zwischen Daumen und Zeigefinger; viele ihrer frühen künstlerischen Arbeiten hat sie zerstört, weggeworfen oder verschenkt; zwei ihrer wichtigsten Filme, mit denen sie auf der Diagonale in Graz Preise gewonnen hat – Der Zuhälter und seine Trophäen (2014, 21 min, Bester Kurzdokumentarfilm) und Josef – Täterprofil meines Vaters (2015, 18 min, Preis Innovatives Kino) –, führt sie erst gar nicht in ihrer Werkliste an. Die Kunst der Salzburgerin ist ein Verschlüsseln von Erfahrungen und Eindrücken, ein persönliches Ab- und Weglegen von Erinnerungen in Filmform.
Die Notizbücher und Kalender von Antoinette Zwirchmayr. Alles wird durchgestrichen, nichts bleibt archiviert oder sichtbar nachvollziehbar.
Zur Kunst hat sie erst spät gefunden. Da ihre Volksschullehrerin meinte, sie sei für das musische Gymnasium, wo sie eigentlich hin wollte, nicht gut genug, ging Antoinette an ein Sprachgymnasium. „Was überhaupt nicht meinen Fähigkeiten entsprach“, erinnert sich Antoinette. Die Maturareise sollte ein Summer Splash in der Türkei werden, „mit einmal gratis Magenauspumpen“, blödelten die Jungs der Klasse. Antoinette fand das nicht sehr lustig und fuhr stattdessen nach Indien und Nepal, kaufte sich eine digitale Spiegelreflexkamera und begann zu fotografieren.
„Da habe ich gemerkt, dass ich das gut kann“, sagt sie heute. Die Fotos will sie aber nicht mehr herzeigen.
Stills aus den „Körperfilmen“ House and Universe (2015, 3:30 min), Josef – Täterprofil meines Vaters (2015, 18 min) und untitled (2012, 2 min). Antoinette zur Arbeit mit Körpern: „Leider ist der Körper so limitiert. Das stört mich. Ich sehe es dann überhaupt nicht ein, warum sich ein Körper nur bis zu einem gewissen Grad verbiegen kann. Am liebsten würde ich manchmal das Ohr oder die Hand abschneiden. Ich möchte so gern einmal mit einem ‚Gummimenschen‘ arbeiten!“
Nach der Reise begann sie, ihre Schulkolleginnen zu fotografieren. Antoinette erzählt:
„Die alle hatten natürlich damals schon Boyfriends, denen sie immer schon erotische Fotos schenken wollten. Genau das hat mich interessiert, dieses Beobachten anderer Frauenkörper. Ich habe auch alles mit ihnen machen können, selbst mit den Schüchternsten der Klasse. Ich habe das so bewundert, wie offen sie mit ihrem eigenen Körper umgegangen sind. Das wäre für mich undenkbar gewesen. Ich war ja selbst so unsicher mit meinem eigenen Ich.“
„Ich habe das eine Zeit lang sehr exzessiv gemacht. Alle habe ich fotografiert. Und allen hat’s immer voll getaugt. Das war das Überraschendste an der Sache: Wie sehr Frauen es lieben, fotografiert oder gefilmt zu werden.“
Die Fotos gibt es auch nicht mehr: Antoinette hat alle digitalen Bilder gelöscht. „Gefallen mir nicht mehr“, antwortet sie auf die Frage, warum sie das gemacht hat.
Mit dem Film Josef – Täterprofil meines Vaters, der den Banküberfall ihres Vaters als Jugendlicher thematisiert, arbeitet sie zum ersten Mal mit einem Männerkörper.
„Weil es die Narration erfordert“, sagt Antoinette pragmatisch. „Aber ich merke schon, dass mich jetzt auch Männerkörper interessieren. Das verändert sich natürlich, weil ich mich verändere und weil sich auch mein eigenes weibliches Selbstbild ändert.“
„Je schonungsloser du dich outest, desto mehr bohrt sie nach.“
Dass die Kunst immer auch mit ihr selbst zu tun hat, zeigen retrospektiv nicht nur die Fotos von ihren Freundinnen, in denen Antoinette auch den Ursprung für ihre darauffolgenden Körperfilme sieht. Die Auseinandersetzung mit sich selbst wurde auch maßgeblich von Friedl Kubelka vorangetrieben, der Gründerin der gleichnamigen Schule für künstlerische Photographie und unabhängigen Film. Nachdem Antoinette zwischenzeitlich ein Jahr lang an der eher kommerziell ausgerichteten Fotoschule Wien studierte und sich erfolglos an der Akademie der bildenden Künste und auch der Universität für angewandte Kunst bewarb, kam sie 2009 über die Empfehlung vom Fotoklasse-Professor der Bildenden, Matthias Herrmann, zur Schule Friedl Kubelka. „Da habe ich geweint, weil ich nicht schon wieder woanders hin wollte. Ich wollte an die Kunstakademie“, sagt Antoinette. Ein Jahr lang studierte sie an der Kubelka-Schule in der Fotoklasse, das Jahr darauf noch Film.
„Die Kubelka-Schule hat mich so verändert”, sagt Antoinette. “Da hatte ich das erste Mal das Gefühl: Ich habe meinen Platz gefunden. Das Umfeld, die MitstudentInnen, die Lehrenden. Auch Friedl Kubelka war unglaublich wichtig für mich. Was die aus mir rausgeholt hat… Je schonungsloser du dich outest, desto mehr bohrt sie nach. Ich kann mich gar nicht erinnern, wie oft ich geweint habe. Alle Arbeiten, die da entstehen, kommen aus deinem tiefsten Inneren.“
„Kubelka hat auch immer gesagt: Macht die Arbeiten so, wie wenn ihr sie nie irgendwem zeigen werdet. Für mich war das eine gute Lehre: Dass man ganz bei sich selbst ist und die Arbeiten zunächst für sich selbst macht.“
Es fällt auf, dass ihre beiden Filme Der Zuhälter und seine Trophäen und Josef – Täterprofil meines Vaters auf Antoinettes Webseite (http://antoinettezwirchmayr.com) nicht auf der Werkliste aufscheinen. Warum? „Das mag komisch klingen“, sagt Antoinette vorsichtig, „aber ich kriege im Nachhinein eine Distanz zu meinen Arbeiten und muss sie mir bspw. im Kino selbst auch nicht mehr anschauen“. Nicht, dass die Arbeiten für sie nicht wichtig wären, aber „die Identifikation lässt manchmal nach“. Wie bei Erinnerungen: Antoinette legt ihre Arbeiten sozusagen zur Seite und ab.
„So passiert das. Ganz unspektakulär.“
Der Zuhälter und seine Trophäen handelt von Antoinettes Großvater, der in Salzburg ein stadtbekannter Bordellbesitzer war, Josef – Täterprofil meines Vaters von ihrem Vater, der mit 17 Jahren in Salzburg eine Bank überfiel. Beides große Tabuthemen in ihrer Familie, beides sehr nahegehende und persönliche Ereignisse.
Das Persönliche in ihren Filmen sei „immer verschlüsselt“, meint Antoinette. So schafft sie Distanz und schützt sich selbst und die involvierten Personen. Vor allem mit Der Zuhälter und seine Trophäen hat sie Grenzen überschritten. Lange hat sie sich auch geweigert, den Film in Salzburg zu zeigen. Es ist ihr auch heute noch unangenehm, darüber zu sprechen.
Beide Filme sind Teil einer Trilogie. Der dritte Teil ist bereits in Entwicklung, aber noch „schwer zu greifen“, meint Antoinette. „Es wird kein Film über mich, sondern über meine Wahrnehmungen in Brasilien als Kind, von der Sexualität, Erotik und den Fantasien. Von einem Ort, wo scheinbar alles besser ist als zuhause.“
In Brasilien war sie immer wieder mit ihrem Vater, der dort eine Edelsteinmine erworben hatte und Salzburg immer wieder für längere Zeit verließ, manchmal mit Antoinette. „Das war natürlich überhaupt nicht kindgerecht. Und natürlich sind die Erinnerungen verzerrt. Aber das Gefühl dieser Sehnsucht, die der Vater mit Brasilien verband, hat mich schon sehr geprägt. Brasilien ist aber auch das Land, das mir meinen Vater weggenommen hat. Für mich ist das jetzt äußerst unangenehm, dass ich da hinfliegen muss.“
Antoinette scheint sich filmisch dort wohl zu fühlen, wo es persönlich immer auch ein bisschen weh tut.
Still aus Antoinettes neuester Arbeit Venus Delta. Das Mädchen hat sie so gefunden: „Für mein Romanistikstudium an der Hauptuniversität habe ich jeden Tag in der Nationalbibliothek gelernt. Da trifft man ja immer dieselben Leute. Und da war dieses Mädchen mit diesen krassen Haaren. Jeden Tag wollte ich zu ihr hingehen, aber habe mich nie getraut. Und am letzten Lerntag konnte ich mich endlich überwinden und sprach sie an. Ich zitterte richtig. Ein paar Monate später haben wir gefilmt.“
Wie findet sie die Bilder für ihre Filme?
„Bei mir passiert das meistens intuitiv. Visuell intuitiv. Ich finde Requisiten, treffe auf Menschen oder sehe Landschaften, die mich faszinieren. Oft trage ich diese Orte, Requisiten oder Personen lange in mir mit, bis es zum eigentlichen Dreh kommt. Ich nehme gewisse Requisiten beispielsweise auf jede Reise (wo ich möglicherweise filme) mit, bis sie irgendwann zum Einsatz kommen. Irgendwann stimmen die Komponenten zusammen und ich beginne die Bilder zu gestalten. Das geduldige Warten lohnt sich meistens.“
Und warum Landschaft?
„Nichts fasziniert mich mehr als Landschaft. Inspiration kommt bei mir immer nur über die Landschaft und die Natur. Städte interessieren mich kaum.“
Die Genese von House and Universe (2015, 3:30 min), der 2015 bei den Kurzfilmtagen Oberhausen im Wettbewerb lief, ist ebenso knapp erzählt: „Da habe ich irgendwo drei Fächer gefunden und gekauft. Und habe sie immer und überall mitgenommen, wenn ich etwas gedreht habe. Auf einer Amerikareise hatte ich dann einen dieser drei Fächer mit. Und dann waren da: der Fächer, die Landschaft und der Körper. Und das Hotelzimmer.“
„So passiert das. Ganz unspektakulär“, sagt Antoinette.
Ausdruck und Reihung der Bildsequenzen von Josef – Täterprofil meines Vaters.
Das, was in ihren ruhigen Bildkompositionen passiert, bezeichnet sie interessanterweise als „ausschalten“. Bewegung gibt es nur in Form von Atmen, Nebel oder Wind. „Oder vielleicht einer Fliege.“ Antoinette montiert die Filme so, wie wenn sie eine Fotoserie hängen würde: Die Filmszenen, praktisch als Einzelbilder inszeniert, werden ausgedruckt und wie ein Puzzle zusammengefügt. Auch bei ihren fotografischen Arbeiten habe sie immer schon seriell gearbeitet.
Hilfreich ist ihr auch das Arbeiten mit ausschließlich analogem Filmmaterial. Das zwinge sie, reduzierter zu arbeiten. „Ich kann mich nicht einmal entscheiden, ob ich ein Käse- oder ein Wurstsemmerl will. Und wenn ich 3.000 Fotos oder 500 Takes zur Auswahl hätte, würde mich das total überfordern.“
Die Arbeit mit analogem Material sei aber keine ideologische oder ästhetische Frage:
„Mich interessiert die digitale Technik einfach nicht. Ich verstehe sie auch nicht. Bei der Bolex brauch ich nicht mal einen Akku. Und in einem Handgriff ist sie eingewickelt. Ich verstehe hier, was passiert. Und natürlich neigt man dazu, jenes Medium zu benutzen, das man am besten kennt und das einem am meisten liegt.“
„Jedes Kunstwerk erfordert aber sein eigenes Medium“, meint Antoinette. Sie sei nicht abgeneigt, wie früher digital zu arbeiten, wenn die Arbeit, die sie realisieren möchte, das erfordere. Auch muss es nicht immer nur Fotografie oder Film sein. Bis sie sich bspw. beim Zuhälter-Projekt für die Form des experimentellen Dokumentarfilms entschied, wurden Super-8-Porträts oder gar ein Puppenhaus aus Schuhkartons ausprobiert.
Antoinettes Verlängerung ihrer Gedanken und Verschlüsselung ihrer Erinnerungen: ihre Bolex-Kamera.
Seit 2011 studiert Antoinette doch noch auf der Akademie der bildenden Künste. Nach den vielen Ablehnungen wurde sie nach der Kubelka-Schule zu gleich mehreren Aufnahme-Interviews eingeladen. Sie wollte in die Fotoklasse, zugeteilt wurde sie der Video- und Videoinstallationsklasse von Dorit Margreiter. „Vertrau uns einfach“, habe ihr die Professorin gesagt, als Antoinette skeptisch war, ob die Videoklasse für sie richtig sei.
Antoinettes bisheriger Weg ist auch geprägt von den Entscheidungen anderer Personen: von der Volksschullehrerin, die sie aufs falsche Gymnasium schickte, von ihrer Cousine, die sie nach der Matura nach Wien holte und ihr dort alles zeigte, von ihrer Familie, die sie mit Bordellen und Brasilien konfrontierte, von den ProfessorInnen der Angewandten und Bildenden, die sie mehrfach ablehnten und dann doch nahmen, oder von Friedl Kubelka, die sie provozierte und förderte.
An ihnen und vielen anderen ist Antoinette als Mensch gewachsen. Sie alle fließen auf eine Weise in ihr Schaffen ein. Die große Kraft ihrer einzigartigen (Film)Kunst aber liegt wohl darin, dass Antoinette ihre, zum Teil sehr persönlichen, Filme zuerst für sich selbst macht – bevor sie sie den anderen und uns allen in die Hände legt.