„Mich treibt eine Mischung aus Neugier, Naivität und Wut an“
Birgit Bergmann, 1985 geboren und nahe Villach aufgewachsen, schloss 2015 das Diplomstudium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien und das Schnitt-Masterstudium an der Filmakademie Wien ab. Ihr Abschlussfilm war der Kurzspielfilm Esel (R: Rafael Haider), für den Birgit den Würdigungspreis der Universität für Musik und darstellende Kunst erhielt. Als Editorin hat sie u.a. den Kinodokumentarfilm Kern (R: Veronika Franz, Severin Fiala) geschnitten und sie verfasste für das gleiche Regieduo auch den Rohschnitt am Set des Spielfilms Ich seh, Ich seh (2014). 2018 realisierte Birgit als Editorin und in Ko-Regie (mit Steffi Franz und Oliver Werani) den Kinodokumentarfilm Zu ebener Erde. Für das Startstipendium 2020 hat sie sich mit dem Spielfilmprojekt MAMA beworben. Wir haben Birgit ein paar Fragen zu ihrem neuen Projekt und ihrer Arbeitsweise gestellt.
Worum geht es in deinem Spielfilmprojekt MAMA, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?
In dem Film geht es um eine Frau mit Behinderung, die schwanger wird und sich ab dem Moment in einem Kampf um Mutterschaft und selbstbestimmtes Leben wiederfindet.
Nach einigen realisierten Dokumentarfilmen willst du das Thema nun fiktiv über einen Spielfilm angehen. Warum arbeitest du für diesen Stoff nicht wieder dokumentarisch?
Zum Zeitpunkt der Einreichung hatte ich die spezielle Geschichte einer Frau im Kopf, die auch ein Buch über ihr Leben im ‘Elektrorolli’ mit Kind verfasst hat. Da das Kind mittlerweile erwachsen ist und ich aber ihre Geschichte so spannend fand, war es für mich naheliegend, in die Fiktion zu wechseln. Außerdem stößt man beim Dokumentarfilm permanent an die Grenzen des Erzählbaren und muss vieles auslassen. In der Fiktion hat man alle Freiheiten und kann auch schwierigere Themen, wie in diesem Fall Sexualität und Behinderung, behandeln und zeigen.
Hast du bereits ein Gefühl dafür, wie du im Film den Blick in die Gedanken- und Gefühlswelt einer Frau, die nicht der Norm entspricht, ermöglichst?
Schon beim Lesen ihres Buches hatte ich gleich die klare Vorstellung, dass die Frau, die in Wirklichkeit nicht sprechen kann, eine (Off-)Stimme bekommt. Die gesprochenen Worte sollten ausschließlich aus ihrem Buch, das auch viele Tagebucheinträge beinhaltet, kommen und so einen Einblick in die Gedanken und die Gefühlswelt geben.
Du hast in deiner Bewerbung für das Startstipendium in deiner Biografie explizit die Geburten deiner beiden Töchter erwähnt. Waren sie ein Trigger dafür, dass du dir Gedanken über unkonventionelle oder gar tabuisierte Formen der Sexualität und Mutterschaft gemacht hast?
Einerseits gehören meine beiden Töchter zu meinem Lebenslauf, andererseits wollte ich sie auch erwähnen, damit erkenntlich wird, dass ich auch eine Mutter bin. Und ja klar, wenn ich keine Mutter wäre, wäre ich eventuell gar nicht auf das Thema gekommen, das mir eher zufällig in meiner großräumigen Recherche über behinderte Menschen unterkommen ist.
Als Regisseurin hast du dich in deinen letzten Dokumentarfilmen mit Obdachlosigkeit (Zu ebener Erde, 2018, 91 min) oder alternativen Wohnformen (Treibstoff, 2012, 74 min, Dreck ist Freiheit, 2013, 80 min) beschäftigt, mit deinem ersten Spielfilmprojekt greifst du das Thema Behinderung und Mutterschaft auf. Das sind Themen, von denen die Gesellschaft in der Regel den Blick lieber abwendet. Was treibt dich an?
Ich glaube mich treibt eine Mischung aus Neugier, Naivität und Wut an. Ein genereller Weltschmerz sitzt auch tief im Nacken. Ich möchte immer etwas Neues entdecken und freue mich über die Herausforderung, in verschiedenste Welten einzutauchen, die in unserer Gesellschaft an den sogenannten Rand gedrängt werden. Dass Leute ihre Wohlfühlblase für kurze Zeit verlassen und die Welt ‘draußen’ kennenlernen, um die eigene danach vielleicht auch mit anderen Augen wahrzunehmen, interessiert mich. Über meinen naiven Zugang bin ich dann während der Recherche immer wieder selbst überrascht. So dachte ich zum Beispiel nicht daran, dass behinderte Menschen mit nicht-behinderten Menschen um ‘ihre’ Parkplätze streiten müssen oder dass preisgekrönte barrierefreie Wohnhäuser nur am Papier barrierefrei sind. Da entsteht dann wiederum Wut, die in der künstlerischen Übersetzung ein Ventil findet.
Als ausgebildete und erfahrene Schnittmeisterin hättest du dich auch nur auf diesen Berufszweig konzentrieren können. Aber du hast — wie deine Stipendiatskollegin Samira — auch ins Regiefach gewechselt. Warum?
Ich glaube, es schlagen einfach zwei Herzen in mir. Einerseits liebe ich den Schneidetisch, bin aber auch unfähig, als reine Editorin zu arbeiten und einfach alles zu schneiden. Ich muss mit dem Thema, Zugang und Material etwas anfangen können, ansonsten kann ich nicht mein ganzes Herzblut reinstecken. Bis jetzt habe ich wirklich nur externe Projekte geschnitten, bei denen ich für mich einen großen Anreiz sah. Es hängt für mich da auch viel Lebensenergie dran. Mit was beschäftige ich mich über Monate? Das muss für mich wirklich passen, ansonsten bin ich frustriert. Andererseits sitz’ ich auch nicht gern nur vorm Computer. Ich brauche die Abwechslung und gehe gern hinaus in die ‘echte’ Welt. Auch liebe ich es, Geschichten von Menschen zu erzählen, die ansonsten wenig Gehör bekommen.
Birgit, ganz rechts, mit Team und Protagonist*innen bei der Kinopremiere von Zu ebener Erde.
In welchem Stadium befindet sich das Projekt MAMA derzeit und was glaubst du, wird in den nächsten Schritten die größte Herausforderung?
Nach neun Monaten Kontaktanfrage habe ich vor kurzem die Frau und ihren Sohn, die als Vorlage zum BMKÖS-Startstipendium dienten, auch das erste Mal getroffen. Es war sehr berührend und für mich unvergesslich. Zuvor gab es mit der Mutter einen mehr oder weniger regelmäßigen Austausch über WhatsApp, ihrem Schlüssel zur Welt. Von Seiten der Mutter und ihres Sohns herrscht prinzipielles Interesse an der Verfilmung ihrer Geschichte. Gerade gilt es auszuloten, inwieweit sich mein Anspruch auf künstlerische Freiheit mit ihrem Anspruch auf eine wahrheitsgetreue Erzählung deckt. Im besten Fall finden wir einen Weg, der für uns beide funktioniert. Das ist gerade ein Prozess und vermutlich die größte Herausforderung. Die Grundzüge der Geschichte sind jedenfalls bereits verschriftlicht, ein vollständiges Treatment ist der nächste Schritt.
Du hast zu unserem Fotoshooting als Objekt eine Postkarte mitgenommen. Warum?
Diese Karte begleitet mich schon seit meiner Jugend. Bei allen Umzügen, und es waren bisher sieben, war sie immer mit dabei und wurde auch immer aufgehängt. Man kann sagen, sie ist eine Konstante in meinem Leben und auch der gezeigte Inhalt treibt mich voran. Der Spruch verdeutlicht es nochmal: Ohne Leidenschaft gibt es keine Genialität. Es ist einfach ein Zugang, der mich anspricht. Bisher halte ich mich mal an die Leidenschaft. Für die Genialität ist noch Zeit …