Fake it till you become it – über Dichtung und Wahrheit
„Christoph Schwarz ist nur ein Name. Christoph Schwarz gibt es vielleicht gar nicht. Christoph Schwarz ist nur ein fiktiver Künstler.“ Selbstbespiegelung, Identitätskonstruktion und -dekonstruktion sowie die Reflexion des Kunstbetriebs, des eigenen Schaffens und Scheiterns: Dieses Spiel ist nicht nur integraler Bestandteil des Œuvres von Christoph Schwarz, sondern bereitet dem 1981 in Wien geborenen Medienkünstler und Filmemacher vor allem eine scheinbar nie enden wollende kindliche Freude.
Das Interesse an elektronischen Medien war von Anfang an da, schon als Jugendlicher realisierte Christoph mit einem Schulfreund die ersten Videoarbeiten. „Der Vorteil dieser technischen Epoche, in der man sich für den Videoschnitt zwei Super-VHS-Rekorder aus dem Medienzentrum ausleihen musste, war, dass man tatsächlich übers Wochenende mit der Arbeit fertig wurde. Als es in den späten 90ern möglich wurde, das Videobild am Computer zu bearbeiten, war das eine magische Initialzündung für mich.“
Es wurden Musikvideos gedreht, gestalterisch und videotechnisch experimentiert und Vorbilder nachgeahmt. Inhaltlich oder dramaturgisch Spannendes kam dabei allerdings nicht heraus, wie Christoph amüsiert zugibt, und der geplante erste große Film wurde niemals fertig: „Wir haben viel Zeit in Ausstattung, Beleuchtung und ein gutes Bild gesteckt, aber unsere Dialoge waren nicht wirklich fertig und ziemlich miserabel. Wir wollten das alles nachsynchronisieren – das ist aber natürlich niemals passiert.“
Wer ist Christoph Schwarz? Still aus CSL (AT 2018, ca. 30 min)
Obwohl er nach der Matura nur ein diffuses Bild davon hatte, was eine Kunstuni sein könnte, erschien Christoph Schwarz das breiter angelegte Studium der Medienkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien naheliegender als die Ausbildung zum Regisseur. Bevor er sich ab 2010 verstärkt narrativen Kurzfilmen widmete, lag sein Fokus auf Videokunst, Installationen und Performances.
„Ich finde die Filmwelt viel konzentrierter und ehrlicher als die Kunstwelt“
Nach den ersten Zusammenarbeiten mit Galerien wurde Christoph klar, dass man es im Bereich der bildenden Kunst mit Medien schwer hat. Abgesehen von der Unmöglichkeit, damit Geld zu verdienen, und seiner, wie er behauptet, handwerklichen Unfähigkeit, „schöne Dinge“ zu machen, vermisste er im Ausstellungsbereich schon immer die nötige Aufmerksamkeit des Publikums: „Ausstellungen sind nur eine soziale Kiste: Die eine Hälfte geht hin, weil sie gratis trinken will, die andere, weil sie dort sein muss. Dann wird zwei Minuten die Kunst abgecheckt, das war’s.“
Eine prägende Erfahrung war die Präsentation seines Kurzfilms Krochacarraldo als Installation auf einer Kunstmesse: „Weil ich wusste, dass sich im Ausstellungskontext niemand einen 18-Minüter anschaut, hab’ ich Flyer mit Sichtungslink und Passwort verteilt, dass man das online nachholt – das haben drei Leute getan. Da war klar, das funktioniert überhaupt nicht.“
Krochacarraldo (AT 2013, 18 min) als Installation bei der Einzelausstellung in der Galerie Frey in Wien.
Auf Kurzfilm-Festivals, die schon immer Interesse an Christophs Arbeiten zeigten, fand Christoph schließlich den passenderen Rahmen: „Dort gibt es ein extrem aufgeschlossenes und aufmerksames Publikum, für das ein 18-Minüter gar nichts ist. Ich finde die Filmwelt viel konzentrierter und ehrlicher als die Kunstwelt. Das Kino gewinnt als Präsentationsraum 10:1 gegen die Galerie. Aber sich einzugestehen, dass man das alles nicht machen würde, wenn man keine Aufmerksamkeit bekommt, fühlt sich extrem falsch an, denn meine Idee ist, dass der Künstler ganz unbestechlich arbeitet. Ich wäre gerne so selbstbewusst, einfach mein Ding zu tun, ohne von der Meinung anderer abhängig zu sein. Ich glaube, dass man sich das Leben schwer macht, wenn man sich zu ernst nimmt.“
„Eigentlich will ich einen Film entwickeln, lande aber immer wieder an dem Punkt, an dem es ein Film über ein Film wird“
Seit dem gescheiterten Schulfilm-Projekt hat Christoph effizientes Arbeiten gelernt: In seinen Kurzfilmen verzichtet er weitgehend auf Dialoge und setzt auf den Off-Text; der Dreh an sich geht immer recht schnell, wie er selbst sagt, weshalb es auch nie Beleuchtung gibt und „das Bild immer nur halb gut aussieht“. Inzwischen verfolgt er aber auch nicht mehr das jugendliche Interesse, einen einfachen narrativen Film zu machen. In allen Arbeiten rückt er stattdessen den Entstehungsprozess in den Fokus.
Pool-Party mit Matthias Peyker beim Dreh von Ibiza (R: Christoph Schwarz und Matthias Peyker, AT 2016, 22 min)
„‚Kunst über Kunst, das führt doch zu nichts’, hat mir mal jemand gesagt. Diese Obsession rührt aber aus meinen eigenen Erfahrungen mit der Kunstwelt und aus meinem Zwang, ehrlich zu sein. Das Publikum weiß ja, dass es einen Film sieht und nicht vor einem Fester zur Welt sitzt.“
Seine Projekte betrachtet Christoph als Mischung aus Kalkül und Zufall, als grob definierte Versuchsanordnungen, bei denen er alle Ergebnisse akzeptieren kann. „Ich könnte gar keinen richtigen Spielfilm drehen. Dazu fehlt mir die handwerkliche Ausbildung, ich weiß überhaupt nicht, wie es auf einem Filmset wirklich zugeht. Ich könnte keine Regieanweisungen geben. Ich würde immer nur sagen: Mach’s so, wie du es ohne Kamera auch machen würdest, mach’s glaubhaft – das ist natürlich die blödeste Regieanweisung überhaupt.“
Niemals frei von Selbstironie und intelligent-witzigen Bild-Ton-Scheren, kreisen Christophs Kurzfilme um Probleme der Aufgabenstellung, der Ideenfindung und der Produktion, um die Strukturen des Kunst- und Medienbetriebs, die er gerne selbstentlarvend auf die Schippe nimmt. Vor allem aber kreisen sie um Christoph Schwarz selbst: Von Supercargo (AT/CN 2010), Schwarz’ Künstlerreise auf einem unbemannten Containerschiff nach Shanghai, den Artist-Residency-Filmen Gift Economy Worker Kyoto (AT/JP 2010), Rhodopia (BG/AT 2012), einem existenzialistischen Roadtrip nach Bulgarien, und dem in einer fiktiven Atelierwohnung im ORF-Zentrum entwickelten „Fernsehkunstwerk“ Der Sender schläft (AT 2013), über Krochacarraldo (AT 2013), das an Werner Herzogs Dschungel-Abenteuer Fitzcarraldo angelehnte Making-of einer gescheiterten Filmproduktion, der dokumentierten Kunstaktion Beingwhale (AT/IT 2014), dem zweiten Supercargo (AT 2015), der sich Peter Moosgaards auf Cargo-Kulte aufbauenden künstlerischen Praxis widmet, bis hin zum partizipativen Filmprojekt LDAE (AT 2017) oder Ibiza (AT 2016), in dem der Filmemacher mit seinem Cousin einen unverhofften Kreativurlaub im ehemaligen Großelternhaus verbringt, und der jüngsten Arbeit CSL (AT 2018), in dem Schwarz einen Männerbund mit österreichischen Namensvettern gründet.
Zu Beginn seines Studiums war Christoph noch nicht klar, dass er sich immer wieder selbst thematisieren würde, doch gerade seine Konzeptkunst-Sicht befeuerte sein Gefühl, dass die Arbeit etwas Organisches, eine persönliche Handschrift bekommt, sobald er sich selbst in das Werk einbringt. Vor allem die letzten drei Filme sind nicht nur aus Christophs Sicht und über ihn, sie zelebrieren geradezu, dass jeder Film vom anderen Film Bescheid weiß und man in jeder Arbeit die beiden anderen Filme sieht.
„Sie sind ein Referenzdreieck, sie entlarven sich gegenseitig. Zuschauer, die nicht alle drei Filme kennen, sind manchmal ein bisschen hilflos, wenn man über zwei Minuten einen Schlenker macht, doch für mich ist das sehr beglückend. Damit ist jetzt aber auch mal Schluss.“
Christoph betrachtet CSL als Endpunkt dieser selbstreferenziellen Film-Reihe. „Es ist einfach immer dasselbe: dieselben Einstellungen, dieselben Witze, ich verwende sogar die gleichen Aufnahmen wieder. Sowas macht man ja eigentlich nicht – man darf es nicht, deshalb fand ich es spannend und lustig.”
„Wenn du alles selbst machst, musst du auch niemandem Rechenschaft ablegen“
Vor allem was die Arbeitsteilung angeht, möchte er zukünftig gerne anders vorgehen und in einem größeren Team arbeiten – auch wenn zugleich die Sorge besteht, als Regisseur zu versagen. „Ich bin extrem entscheidungsunfreudig, also nicht unbedingt zur Regie prädestiniert.“ Obwohl er immer nach externen Entscheidungsinstanzen sucht – worauf auch die Idee zu LDAE gründet, in dem ihm eine Webcommunity alle künstlerischen Entscheidungen abnimmt –, hat Christoph bislang nur drei Filme in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern und Regisseuren verwirklicht. Drei Arbeiten, in denen er zudem nicht als Protagonist, sondern nur als Sidekick oder in einer Nebengeschichte vorkommt: Supercargo mit Peter Moosgaard, Beingwhale mit Marcuse Hafner und Ibiza mit Matthias Peyker (den er allerdings zum oben genannten „Referenzdreieck“ zählt). Bei allen anderen Kurzfilmen hat er nicht nur als Darsteller vor und als Regisseur hinter der Kamera, sondern auch in nahezu allen anderen Departments die Verantwortung übernommen.
„Bis dato finde ich es extrem effizient, alles selber zu machen. Es geht einfach viel schneller, du musst keine zweite Meinung einholen, du kannst aus dem Bauch heraus etwas machen, du musst es nicht mal verbalisieren, du entscheidest es als Einzelkämpfer-Diktator. Ich hab’ auch einfach ein schlechtes Gewissen, wenn Leute Zeit und Mühe in mich investieren müssen. Deswegen hätte ich auch Angst vor einem großen Set-up. Wenn du alles selbst machst, musst du auch niemandem Rechenschaft ablegen. Ich mag mit dieser Art von Filmemachen aber auch andere ermuntern, weil ich mich sehr für die Geschichten interessieren würde, die dabei passieren: Ihr könnt das selber. Es ist nicht viel Arbeit, eine Kamera aufzustellen und einen Text einzusprechen.“
„Christoph Schwarz gibt es gar nicht“
Damit Christoph Schwarz jedoch nicht alles selbst erledigen und schon gar nicht für jeden ‘Unfug’ mit seinem eigenen Namen geradestehen muss, hat er vor zehn Jahren die ARGE Schwarz gegründet – eine intrapersonelle Arbeitsgemeinschaft aus vier Mitarbeitern, die den Filmemacher je nach erforderter Tätigkeit vertreten: Daniel Bleninger, Blacky Palermo, Kiki Panini und Christian Schwab.
„Die vier Mitarbeiter der Arge Schwarz ermöglichen mir zu sagen: Ich hab’ damit eigentlich gar nichts zu tun. Christoph Schwarz gibt es gar nicht. Die Distanz hilft mir, auf meine eigene Arbeit zu blicken. Ich kann alles ein bisschen, was mir für meine eigenen Filme zugute kommt, sodass ich nicht bei allem auf andere Leute angewiesen bin, die ich bezahlen muss: ich kann schneiden, ein bisschen Compositing machen, ein bisschen tricksen. Christian Schwab ist also irgendwie auch eine traurige Figur, die man anheuert und die dann für einen normalen Stundensatz arbeitet, aber jetzt auch nichts macht, auf das man sein Leben lang stolz sein kann. Blacky Palermo kann cool sein und sagen, ich betrink mich jetzt mit Männern, die gleich heißen und muss es nicht einmal zahlen – der ORF zahlt, wir drehen ja einen Film. Kiki Panini ist das große Kind, das überhaupt nichts muss und aus dieser Freiheit heraus die besten Ideen einbringt, und Bleninger hat ein ganz gutes Händchen, Einreichungen zu formulieren oder sinnvoll über meine Filme zu schreiben, aber er könnte jetzt auch kein Geld als Journalist verdienen. Allein hätten die alle nicht so ein rosiges Leben. Es muss schon eine Kombination aus den vier Persönlichkeiten sein.“
Bereits 2008 hat Christoph eine Soundinstallation gemacht, in der die vier miteinander sprechen, 2015 realisierte er das Video Betriebsversammlung, in dem sie sich über die Entwicklung der ARGE austauschen und dabei gegenseitig ihre Betriebsrelevanz infrage stellen.
Trailer zu Betriebsversammlung (AT 2015, 14 min):
Für die Betriebsversammlung im Studio zu sitzen und nach und nach diese vier Typen zu spielen, die er eigentlich gar nicht spielen muss, weil sie allesamt echt sind, hat Christoph enormen Spaß gemacht. „Ich glaube, viele Leute, die diesen Film sehen, denken, das ist alles Klamauk, der Typ spielt jetzt einfach vier verschiedene Personae und versucht Gags zu machen, die halblustig sind. Mir ist wichtig, dass die Leute verstehen, dass diese Gesprächsanordnung komplett ernst gemeint ist und nicht auf eine schnelle Pointe hingedacht ist.“
Christoph zieht in die ORF-Zentrale ein. Still aus Der Sender schläft (AT 2013, 25 min)
Solange Christoph weiß, dass er das Material selbst schneiden kann, steht er auch gerne vor der Kamera – nicht zuletzt deshalb, weil er dann nicht hinter der Kamera stehen muss, um Feedback für das Spiel zu geben: „Bei Supercargo mit Peter Moosgaard habe ich oft nur die Kamera aufgestellt und bin weggegangen, weil ich nicht wollte, dass er mich mit fragenden Augen ansieht.“ Wenn die Leute gar nicht genau wissen, was gebraucht wird und in welchem Teil der Geschichte sie sich gerade befinden, fühlt er sich in seiner Rolle als Regisseur am wohlsten.
„Ich finde es super, wenn das so ist, weil sie dann auf mich reagieren und nicht auf die Kamera. Ich selbst spiele ja immer nur Nullhandlungen: durchs Bild laufen, am Computer sitzen, telefonieren. Ich bin ein urschlechter Schauspieler, keine Körperbeherrschung. Aber auch der beste Schauspieler spielt, es ist eine Übereinkunft, dass man sagt, er spielt toll. Aber eigentlich habe ich noch immer dieses kindliche Problem eines Neunjährigen, der zu seiner Mama sagt: Das ist doch nicht echt. Ähnlich verhält es sich mit dem Off-Text, der kann absolut unglaubwürdig sein, aber es gibt die Übereinkunft, dass wir ihn als Zuschauer glauben – vor allem, wenn man aus der ersten Person berichtet und intime Details preisgibt, wird das schnell als wahr angenommen.“
„Ich bin entwaffnend ehrlich. Aber als künstlerische Praxis sind Mogeleien verlockend“
Immer wieder wird in Christophs Werk die Grenze zwischen Dokumentarischem und Fiktionalem zur Auflösung gebracht, sodass für den Zuschauer nie ganz klar ist, wo die Wahrheit endet und die Lüge beginnt. Bei LDAE kam oft die Rückmeldung, dass die Leute lieber die Endzeit-Story vom brennenden Wien verfolgt hätten, die versprochen wird. Aber den Film, von dessen Entstehung LDAE erzählt, hat Christoph ebenso wenig gedreht wie Krochacarraldo. „Natürlich ist die Kamera damals gelaufen, aber der Freund, der den Kameramann spielte, wusste bis zum Schluss nicht genau, wie die Kamera wirklich funktioniert.“
Bei CSL war die Hauptintention, Menschen mit seinem Namen, also andere Christoph Schwarz’, kennenzulernen, und das Ganze künstlerisch irgendwie zu verwerten. „Obwohl sie mir am Ende geholfen haben, ein paar Szenen zu inszenieren – was ja im Film auch thematisiert wird –, ist CSL viel dokumentarischer als LDAE oder Ibiza, gleichzeitig glaubt man uns überhaupt nichts mehr.“
Einfach nur ein Drehbuch zu schreiben, eine Geschichte fern von jeglicher Realität zu erfinden und irgendwelche Leute zu casten, um einen Film zu machen, käme Christoph nicht in den Sinn – die Loge wurde tatsächlich gegründet, es gab regelmäßige Treffen, von denen es teilweise gar keine Aufnahmen gibt.
Teaser zu CSL (AT 2018):
„Ich bin sowohl privat als auch in meinen Filmen entwaffnend ehrlich, nur die Leute erkennen das nicht mehr. Als künstlerische Praxis sind Mogeleien schon verlockend. Das Schöne an der Kunst ist, dass man Sachen machen darf, die man sonst nicht darf. Da kann man sich Einiges herausnehmen. Ich merke das ja auch bei den Menschen, die in meinen Filmen sich selbst spielen. Die genießen das sehr, dass sie mal ein anderer sein dürfen und ihnen Wörter in den Mund gelegt werden, die sie natürlich nie sagen würden, aber sie machen es trotzdem. Und das Publikum mag es ja irgendwie auch, wenn man ihnen kleine Lügengeschichten erzählt.“
Für den Film Supercargo hatten Schwarz und Moosgaard Ausstellungen inszeniert, die dann aber für Moosgaard auch künstlerisch interessant waren: „Du fakest etwas für die Kamera, darfst dann aber wirklich ausstellen, lernst wirklich Robert Pfaller kennen, der dann wirklich die Ausstellung eröffnet, und irgendwann verkaufst du wirklich Holzhandys über eine Galerie.“
Fake it till you become it, dann ist’s eh dokumentarisch – die unauflösliche Verwobenheit von Kunst und wahrem Leben ist das wiederkehrende Prinzip in allen Filmen von Christoph Schwarz.