Die Macht der Bilder und die Komplexität des Lebens
Ob sie in Kollektiven oder eigenständig arbeitet, Kunst bedeutet für Franziska Kabisch: die Schnittmenge aus politischem Aktivismus und künstlerischem Anspruch zu finden. Franziska ist 2019 eine der fünf StartstipendiatInnen der Filmabteilung der BKA-Kunstsektion.
Es war ausgerechnet ihr politisches Engagement, das Franziska Kabisch veranlasst hat, sich mit Kunst zu beschäftigen. Heute muss sie darüber lachen: „Ich bin an die Kunsthochschule gegangen, weil ich schon immer großes politisches Interesse hatte. Ich wollte mit Leuten zusammenarbeiten und die Welt verändern. Aus heutiger Sicht klingt das absurd.“ Mit 19 Jahren beginnt die im deutschen Münster aufgewachsene Franziska ihr Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. „Mit der Zeit und durch viel Austausch mit anderen habe ich aber festgestellt, dass die Kunstuni auch eine große Egomaschine ist, sehr wettbewerbsorientiert und neoliberal. Ich habe das anfangs stark internalisiert und musste mich da erst wieder rausarbeiten.”
Genauso vielfältig wie Franziskas Filme sind bereits früh ihre Interessen: Tanz und Theater, Bilder und Sprachen, Bildungs- und Medienarbeit. Nach Exkursen in Richtung Performance, Fotografie und Zeichnung entsteht 2012 ihr erster Film. Ein Film – so der Titel – ist ein vierminütiger Kurzfilm, der ein Foto auf das nächste folgen lässt, während Franziska mit je einem Wort den (vermeintlichen) Inhalt der Bilder benennt: „Ein Haus. Eine Straße. Eine Stadt.“ Gezeigt werden, wie stock photos, ein rotes Landhaus, ein Straßenzug mit Hochhäusern, eine Skyline. Wie unterschiedlich die Worte aufgefasst werden können, wird bei ihrer Wiederholung deutlich. Gegen Ende des Films heißt es erneut: „Ein Haus. Eine Straße. Eine Stadt” – doch nun sieht man: einen Plattenbau, Sexarbeiterinnen auf einer Straße, bewaffnete Polizisten.
Ein Film (DE 2012, 4 min):
„Ausschlaggebend für den Film war ein Erlebnis, dass ich in Paris hatte“, erinnert sich Franziska. „Ich habe eine weiße Frau gesehen mit einem Schwarzen Kind im Arm und mein erster Gedanke war: Hat sie das Kind adoptiert oder wie kommen die beiden zusammen? Ich wurde also mit meinen eigenen Vorurteilen konfrontiert und habe mich gefragt: Welche Stereotypen sind angelernt und inwieweit sind wir von den Medien geprägt?”
Ein Freund bringt Franziska auf die Idee, ihr Erstlingswerk bei Filmfestivals einzureichen: „Viele Festivals waren damals im Umbruch. Man musste nun keine DVDs mehr hinschicken, sondern es genügte ein Link zum Film. Und weil die Anmeldungen auch nahezu gratis waren, hab’ ich den Film zu ziemlich vielen Festivals geschickt.”
Ein Film läuft am Riga International Short Film Festival in Estland, am OFF Odense in Dänemark, am Uppsala International Short Film Festival in Schweden und beim Festival des Cinémas Différents et Experimentaux de Paris. „Damals habe ich mir gedacht: die Kunstszene ist so elitär in ihren Kriterien, wer zu welcher Ausstellung geladen wird. Aber beim Film: da kann jeder bei Festivals einreichen, alles ist super-zugänglich und total demokratisch.” Diese Euphorie hat sich jedoch in der Zwischenzeit wieder gelegt: „Bei meinem nächsten Film, ein paar Jahre später, haben Festivals 30 Euro und mehr Einreichgebühr verlangt und der ganze Anmeldeprozess war komplizierter. Heute würde ich sagen: Ohne Produktionsfirma oder Verleih, die/der sich die Arbeit mit den Einreichungen antut und die Gebühren zahlt, hat das keinen Sinn.”
Podium (DE 2014, 51 min), Franziskas Abschlussfilm an der Hamburger Kunsthochschule, war wieder „nur“ im Ausstellungsraum zu sehen – in diesem Fall aber ohnehin die geeignetste Präsentationsform. Podium ist weniger ein Film als eine Versuchsanordnung: Gezeigt wird eine Podiumsdiskussion mit sechs ExpertInnen unterschiedlicher Disziplinen, von Literaturwissenschaft bis Soziologie. Thema ist die Bedeutung und Hinterfragung von ExpertInnen für Podiumsdiskussionen. Anstelle eines Gesprächs der sechs DiskutantInnen miteinander werden sie jedoch nacheinander aufs Podium geladen. Mittels eingespielter Videos können sie ihre VorrednerInnen zwar sehen und hören. Wenn sie ihnen etwas entgegnen wollen, müssen sie das Video jedoch anhalten oder über sie sprechen.
„Sprache und Macht sind Themen, die mich schon immer interessiert haben“, erklärt Franziska. „Auf Podien wird eine Überlegenheit besonders deutlich, weil dort nur Expert*innen sprechen dürfen. Aber was macht eine Person zur Expert*in? Was befähigt ihn oder sie, über etwas oder jemanden zu sprechen. Im Deutschen drückt dieses über schon eine Hierarchie aus. Und dann: Wie reden die Leute miteinander? Wer lässt wen ausreden? Und wer nimmt wieviel Raum ein, weil er denkt, das ist jetzt mega-wichtig, was er zu sagen hat? Diese Hierarchien wollte ich offenlegen.“
Im Ausstellungsraum waren die sechs Video-Lectures (ungeschnitten) und ein siebenter Film, die zusammenfügende Schnittfassung und damit „subjektiver Kommentar“ von Franziska, zu sehen. Das Spannendste für Franziska an dem Projekt war, wie viel sie selbst von den ExpertInnen gelernt hat: „Vor allem von der Autorin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo. Sie hat zum Beispiel alle anderen Redner*innen stumm gestellt. Das fand ich sehr radikal. Und dann hat sie sich vorgestellt, ‚in erster Linie als Mutter’, wie sie sagt: Sie hat mehrere Kinder, das sei das, was ihren Alltag bestimme und deshalb sei für sie die Bezeichnung ‚Mutter’ ein politischer Begriff.“
Nach ihrem Bachelor in Hamburg zieht es Franziska nach Wien, um hier den Master in Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste zu machen. Um der Kunstpraxis mehr Theorie und Wissenschaft zur Seite zu stellen, wie sie sagt. Es ist das Jahr 2015 und eineinhalb Millionen Menschen, vorwiegend aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, sind auf der Flucht und auf dem Weg nach Europa. Franziska wird bei Fluchthilfeaktionen aktiv und engagiert sich im Autonomen Kollektiv Offene Deutschkurse im Amerlinghaus.
In der Zwischenzeit hat sich die Gruppe Feige zusammengefunden, ein „Kollektiv für queer-feministische Bildproduktion und Bildung“. Neben Franziska gehören Ebru Düzgün, Magdalena Fischer, Malu Blume und Sofi Utikal zu den Mitgliedern. „Ich habe auch davor immer mal wieder in Kollektiven gearbeitet“, erzählt Franziska über erste Erfahrungen in Hamburg. „Dort war ich in der Klasse von Michaela Melián, die als Künstlerin aus einem stark politischen Kontext kommt, auch mit ihrer Band F.S.K.. Sie hat viel Wert auf Gruppenprojekte gelegt, auf politischen Austausch und Auseinandersetzung.“
Mitgliederinnen von „Feige – Kollektiv für queer-feministische Bildproduktion und Bildung“ mit Freund*innen.
Mit ihrer Freundin Sofi Utikal vom Kollektiv Feige macht Franziska bei einer Ausschreibung der MA 24, dem Magistrat für Gesundheit und Sport mit. Ihr Projekt wird ausgewählt und sie produzieren ihre dreiteilige YouTube-Serie Bauch, Beine, Pommes (AT 2017), die sich gegen Bodyshaming im Internet richtet.
Drei junge Frauen unterschiedlicher Körpergrößen und -formen führen in Fitnessoutfits durch die fünfminütigen Videos: Toni, Lifestyle-Influencerin und Bauchexpertin, Alex, ihres Zeichens Ernährungsexpertin und Lisa, die Beinexpertin. „Hier seht ihr zwei Bilder von mir“, erklärt Toni in energetischem Tonfall und vor dem Hintergrund eines rhythmischen Beats, „ein Vorher- und ein Nachherbild. Das eine ist vor meinem Frühstück, das andere nach dem Frühstück.“ Auf dem ersten Foto sieht Toni traurig aus, auf dem zweiten reibt sie zufrieden ihren Bauch. Und dann beginnt die erste Übung: Alex macht Sit-ups, mit dem Ziel, die 500 Gramm Schokolade zu ihren Füßen Stück für Stück aufzuessen.
„Wir haben ausgewählte Medien angeschrieben, das Missy Magazine, Influencer, Blogs“, erzählt Franziska von der Arbeit, die sie nach dem Dreh noch in das Projekt investiert haben, „und es kam viel positives Feedback zurück. Sogar von einem kleinen Sportklub im Ruhrgebiet und so. Diese Art von Austausch ist mir sehr wichtig. YouTube war da eine gute Plattform für unseren feministischen Bildungsanspruch.“ Mehr als 23.000 Menschen haben die Videos bis heute angeklickt.
Folge 1 der Webserie Bauch, Beine, Pommes (AT 2017, 5 min):
Folge 4 der Webserie Liebe, Sex und Klartext (AT 2018, 3 min):
Ein Jahr später gestaltet das Kollektiv die nächste Webserie für die MA 24. Liebe, Sex & Klartext (AT 2018) lautet diesmal das Motto. Es entstehen 14 YouTube-Videos, in den elf junge Frauen unter anderem darüber sprechen, ob es auch dann Liebe ist, wenn man nicht gleichzeitig kommt, ob alle Mädchen eine Vagina haben und ob sich bisexuelle Menschen nur nicht entscheiden können, ob sie Burschen oder Mädchen lieben. Eine der größten Ehrungen erhält die Webserie, als die feministische Rapperin Sookee die Videos teilt.
Wie Arbeit im Kollektiv funktionieren kann, hat sich für Franziska vor allem bei diesem Projekt gezeigt: „Wir hatten in der Gruppe alle einen unterschiedlichen Erfahrungsbereich. Manche hatten schon einiges mit Film gemacht, andere eher weniger. Bei Liebe, Sex & Klartext haben wir also gesagt: Wir wollen unser Wissen teilen. Sofi wollte Kamera lernen, also hatten wir zwei Kameras: eine hat Magdalena gemacht, die kannte sich aus, und Sofi hat die zweite Kamera gemacht.“ Auch in anderer Hinsicht hat für Franziska eine kollektive Kunstproduktion Vorteile: „Ich finde Kunst machen sehr anstrengend. Es gibt immer zu wenig Geld, man muss flexibel sein und sich ständig neu motivieren. Kollektives Arbeiten kann eine emotionale Stütze sein. Man kann sich gemeinsam besser gegen Stress von außen abschirmen. Gegen die Deadlines, den Zeitdruck, den Professionalitätsanspruch. Manchmal klappt das sehr gut und manchmal eher nicht. Ein Kollektiv kann leider auch nicht alle gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten auffangen.“
Beim Dreh der Webserie Liebe, Sex und Klartext (AT 2018).
A Film About The Desire To Make It Work (AT 2018, 30 min) ist Franziskas aktuellste Arbeit. Ein halbstündiger Fiktions-Dokumentar-Hybrid, in ein experimentelles Narrativ gefasst: Die Radiomoderatorin Jeanne hat ihre Stimme verloren und sucht in unterschiedlichen Disziplinen nach Antworten. Sie trifft eine Ärztin, eine Sprach- und eine Körpertrainerin, eine Forscherin, eine Tontechnikerin – und bleibt doch sprachlos. Entstanden ist der Film im Rahmen des multimedialen Projekts Die Sprache der Stimme, das eine Zusammenarbeit mit der Filmemacherin Laura Nitsch war und von der ORF III-Schiene Pixel, Bytes & Film (eine Kooperation aus ORF, BKA, Arte und Akademie der bildenden Künste) und der MA 7, Abteilung Film, der Stadt Wien finanziert wurde. Mit einem Budget von mehreren tausend Euro ist A Film About … Franziskas bisher größtes Projekt: „Wir haben mit Leuten gearbeitet, die selbst Musiker*innen, Sprachtrainer*innen usw. sind. Das heißt, es gab fast kein Skript, sondern Workshops und die Leute, die beruflich ohnehin mit der Stimme arbeiten, haben ihr Wissen eingebracht. Auf der Basis haben wir dann die Rollen festgelegt und den Rest improvisiert.“ Das Resultat sind präzis gesetzte Bilder, eine durchdachte Schnittdramaturgie und ein kluges Spiel, das der Frage nachgeht, wie Stimmen und Körper genormt werden und was es heißen kann, entlang dieser Normen „nicht zu funktionieren“.
A Film About The Desire To Make It Work (AT 2018, 30 min).
Anfang 2019 hat Franziska ihr Studium in Wien beendet und wollte erst dann wieder einen Film machen, wenn es eine richtige Herzensangelegenheit ist. Between Images ist nun das Projekt, das Franziska – auch aus persönlichen Gründen – seit einem halben Jahr beschäftigt und für das sie ihr BKA-Stipendium bekommen hat. „Ich hatte vor fünf Jahren eine Abtreibung und habe gemerkt, dass in der Zwischenzeit die politische Stimmung dagegen viel krasser geworden ist. In Österreich mit der Anti-Abtreibungs-Kampagne ‚Fairändern’, in Deutschland mit den Anklagen gegen Gynäkolog*innen, wenn sie auf ihrer Homepage schreiben, dass sie Abtreibungen vornehmen, weil das als Werbung gilt. Und in den USA sowieso.“
Between Images ist als Dokumentarfilm geplant, als Kombination aus forschendem Filmemachen und politischem Anspruch, wie Franziska erklärt. Harun Farocki sei eines ihrer Vorbilder. „Ich bin ja Filmemacherin, setze mich also mit Bildern auseinander, wie sie entstehen und welchen Effekt sie haben. Und das prominenteste Bild in Filmen zum Thema Abtreibung ist das der betroffenen Frau, die aus dem Fenster oder auf einen Schwangerschaftstest schaut. Abtreibungen werden in der Regel als schwerwiegendes, traumatisches Ereignis dargestellt und nicht als normalisierter Vorgang, der aufgrund einer aktiven und selbstbestimmten Sexualität auftreten kann.“
Diesen stereotypen Bildern neue, andere, alternative entgegenzusetzen, ist die Aufgabe, die Franziska sich nun gestellt hat: „Es geht ja auch nicht darum, etwas zu beschönigen, sondern eine Komplexität zuzulassen. Ich möchte mit Menschen sprechen, die eine Abtreibung hatten, und so die Vielschichtigkeit der Realität darstellbar machen.“