Jakob Pretterhofer (Jg. 1985) aus Graz studierte 2005–2012 Drehbuch an der Filmakademie Wien. Er ist Preisträger des Carl-Mayer-Drehbuchwettbewerbs 2011 – und einer der fünf START-StipendiatInnen 2014 der Filmabteilung der BKA-Kunstsektion, die wir im Jänner 2015 als unsere Talents to Watch vorstellen.
Im Laufe unseres Gesprächs in einem der wenigen alten Kaffeehäuser Wiens, das die Kaffeehauskultur nicht mit Aplomb vor sich herträgt, wird mir klar, dass Jakob Pretterhofer gerade sein erstes Interview gibt. Drehbuchautorinnen und -autoren, außer sie führen bei ihren Büchern selbst Regie, stehen generell selten im Rampenlicht, werden kaum zu den oft jahrelang dauernden Recherche- und Schreibprozessen befragt. Sie sind – das liegt in der Natur der Sache – eher zurückhaltende Persönlichkeiten. Im Falle von Jakob Pretterhofer auch gänzlich uneitel.
Bezeichnenderweise wird der Autor, der lange überlegt, bevor er Antworten gibt, nur ein einziges Mal während unseres Gesprächs vehement. Er hat als circa 15-Jähriger, wie er sagt, „Sachen“ zu schreiben begonnen. Vier Jahre lang hat niemand gewusst, dass er das tut. Er habe es für sich gemacht. „Ich fand das als Jugendlicher – und das zipft mich auch heute noch an – immer schon das Schlimmste, wenn Leute die Sachen, die sie machen, so groß präsentieren und so groß darüber reden, was sie da jetzt machen. Ich hab immer das Gefühl gehabt, es ist nicht wirklich was dahinter. Diese Großtuerei bei künstlerischen Arbeiten, das empfinde ich als eines der furchtbarsten Dinge, die es gibt.“
Nachsatz: „Das ärgert mich wirklich.“
Nackte Kanone oder Problemfilm?
Jakob ist alles andere als der Typ gebeutelter Künstler. Er war in seiner Jugend intensiv in einem Fußballverein aktiv, hatte „eine Computerzeit“ und hat nach der Matura an der Filmakademie in Wien Drehbuch studiert. Seine Eltern waren und sind unterstützend. Das Erfrischendste an seinem Zugang zur eigenen Arbeit ist, dass er in dieser von selbstreflexiver Kunst geprägten Zeit in geradliniger Konsequenz (wenn auch, wie er sagt, manchmal ungeduldig) einfach tut, was er tut. „Das Wichtigste, was ich während des Studiums gelernt habe, ist, dass es keine Regeln gibt, egal ob für’s Schreiben, Schnitt oder Regie.“
„Man lernt an der Uni verschiedene Arbeitsweisen kennen, die sich alle voneinander unterscheiden und jeder der Lehrenden glaubt natürlich, die eigene Arbeitsweise ist die einzig Wahre. Und ich glaub, das Wichtigste, was ich gelernt habe, ist, selber herauszufinden, warum man das macht, was man macht, was einen interessiert, was nicht und wie man das macht.“
Die eigenen Leidenschaften kennen? Wissen, wofür man brennt? Geht es darum, das eigene Tun psychoanalytisch zu hinterfragen? „Nein, nein“, sagt er und denkt lange nach. „Es macht einfach wenig Sinn, wenn man gerne Die Nackte Kanone schaut, aber selbst Problemfilme macht, weil man glaubt, dass es das ist, was man machen muss. Dann werden die Filme schlecht und man selbst unzufrieden.“
Ein Esstisch-Film: Tuppern
Jakob Pretterhofer ist über das Schreiben von Kurzgeschichten zum Drehbuch gekommen. Es scheint das Naheliegendste, wenn man sich, so wie er, zwischen Literatur und Film nicht entscheiden kann. Beides ist ihm gleich wichtig. Dazu kommt, sagt er, „das Kooperationsmoment, wo dann mehr entsteht, als das, was jemand alleine geschrieben hat, etwas, das man sich selbst gar nicht gedacht hat.“
Im Falle des 2013 realisierten Kurzspielfilms Tuppern (siehe Video-Link rechts oben) ist bereits das Drehbuch in Kooperation mit zwei anderen Autorinnen, Clara Trischler und Vannessa Gräfingholt, entstanden. Tuppern ist ein Esstisch-Film, in dem eine hypernervöse, mit Happysnacks, Rosésekt und Nachdruck auf das Wohl ihrer Gäste besorgte Hausfrau zu einer Tupperparty einlädt. Clara Trischler hat die erste Fassung auf Papier gebracht, Jakob Pretterhofer strukturell gearbeitet und sich die Dramaturgie überlegt. Auch die Charakterzeichnung der insgesamt sechs Filmfiguren wurde aufgeteilt, so dass eine Art Bibel der Persönlichkeiten und deren Interaktion entstanden ist.
Patricia Hirschbichler, Valerie Pachner und Martina Spitzer in Tuppern.
Die Figurenzeichnung schrammt haarscharf am Parodistischen vorbei und legt die Langeweile einer Häuslichkeit frei, deren Perspektive darin besteht, den Küchenalltag in seiner Aufbewahrungs- und Verwertungseffizienz zu optimieren. Jede Frau ist auf ihre Weise unzufrieden unglücklich, sei es, weil sie geschieden oder sei es, weil sie verheiratet ist. Oder sei es, weil das Dasein als Karrierefrau, wie sie im Frauenmagazin beschrieben steht, auf Dauer mürbe macht. Derweil bemüht sich die eingeladene Tupper-Vertreterin redlichst, den Anwesenden die Vorzüge von Speedy-Boy und Co. nahe zu bringen.
Das Essentielle
Jakob bezeichnet sich selbst als eher langsamen Schreiber, der „alles immer 15 Mal überarbeiten muss“. So war er bei Tuppern äußerst erstaunt, dass der Film Ende des Sommers gedreht wurde, obwohl die drei AutorInnen erst im Frühling desselben Jahres zum ersten Mal zusammen gekommen sind. Es störe ihn nicht, lange an einer Sache zu arbeiten, das Geschriebene liegen zu lassen, wieder und wieder zu überarbeiten, auf den Kern zu reduzieren und letztlich ein Buch zu schreiben, in dem es um das geht, „worum´s eigentlich geht“. Er muss sich nicht dazu zwingen, allein zu sein. Er ist gern allein. Und versucht, was manchmal schwierig ist, beim Drehbuchschreiben jedes Adjektiv zu vermeiden. Bereits seine 2006 beim Kurzgeschichtenwettbewerb „Wortlaut“ von FM4 ausgezeichnete Geschichte „Rot, Gelb, Grün“ über eine Vater-Tochter-Beziehung ist in knappen Sätzen, die Handlungen und nicht Zuschreibungen formulieren, geschrieben.
„Ganz am Anfang, wie ich begonnen habe, Kurzgeschichten zu schreiben, waren für mich Agota Kristof und Raymond Carver total wichtig, weil die beiden einen kurzen, prägnanten, reduzierten Stil haben. Das ist mir deswegen auch beim Drehbuchschreiben so wichtig, weil es eine Geschichte auf das Essentiellste runterbricht und moralische Kategorien außen vor lässt. Menschen können zwar bösartige Sachen machen, aber niemand ist nur böse.“ Was bei dem Projekt, an dem er derzeit arbeitet, eine besondere Herausforderung ist.
„Da gab’s vier Krankenschwestern und da ist irgendwas passiert. Das war’s.“
Jakob Pretterhofer ist 1985 geboren. Er war vier Jahre alt, als im April 1989 der größte Pflegeskandal der Zweiten Republik an die Öffentlichkeit kam. Aber selbst als Kind hat er mitbekommen, dass es vier Krankenschwestern gab und etwas passiert ist. Den so genannten „Todesengeln von Lainz“, auch als „Mordschwestern“ bezeichnet, wurden in einem Prozess im Jahr 1991 42 Morde an Patientinnen und Patienten im Pavillon V des mittlerweile umbenannten Krankenhauses Lainz nachgewiesen.
Michael Fuith im Teaser zum Gefängnisfilm Die Frau, die sich als Geisel nahm. Buch: Jakob Pretterhofer. Regie: Mark Gerstorfer
Pretterhofer ist während der Recherchen für seinen ebenfalls in Entstehung begriffenen Gefängnisfilm Die Frau, die sich als Geisel nahm (Debütfilm von Mark Gerstorfer (Regie), vermutlich 2016) auf die Mordserie gestoßen, über die, wie er mittlerweile weiß, „im Wikipedia-Eintrag gar nichts stimmt“. Der ehemalige Chef des Wiener Sicherheitsbüros, Maximilian Edelbacher, hat Pretterhofer erzählt, dass man zunächst überhaupt keine Beweise, sondern nur Hinweise hatte, auf die hin zwei Krankenschwestern zur Vernehmung abgeholt wurden. Es war Nachmittag und es war Stau und die Fahrt vom Krankenhaus ins Sicherheitsbüro hat nicht 20 Minuten, sondern eine Stunde gedauert. Während dieser Fahrt hat eine der beiden Krankenschwestern bereits ein Geständnis abgelegt.
„Ich hab mich über den Fall informiert“, sagt Pretterhofer, „wobei es da ziemlich wenig gibt. Er ist nicht aufgearbeitet. Aber ich fand das arg, dass dieser extrem große Fall, der vom Boulevard monatelang beackert worden ist und der von der Zahl der Toten her der größte Fall der Zweiten Republik war, durch so etwas Banales wie ein Gespräch in einem Auto aufgeklärt wurde. Der Fall alleine hätte mich nicht so sehr interessiert, dass ich mich näher damit beschäftigt hätte, aber diese Kombination fand ich unglaublich interessant.“
Daher liegt auch der Fokus des Drehbuchs, an dem er arbeitet, auf der Vernehmungs- und Gesprächssituation im Auto und darauf, wie man über etwas derart Unvorstellbares spricht. Pretterhofer hofft, dass man der Dämonisierung, von der praktisch sämtliche frei zugänglichen Quellen geprägt sind, ausweichen kann. „Was ich außerdem total interessant finde, ist, dass das ein Match Akademiker gegen Nicht-Akademiker war. In den Akten sind die Ärzte immer der Herr Doktor Sowieso und andrerseits dann die Schwester Fanny. Es gab drei junge und eine ältere Angeklagte und rundherum waren ausschließlich Männer, Anwälte , die zwischen 70 und 75 Jahre alt waren, und auch die Gutachter waren alte, grauhaarige Männer und die Polizisten natürlich auch Männer.“
Mittlerweile, so scheint es, ist Jakob Pretterhofer zu einem Spezialisten in Sachen Mordschwestern geworden; die umfangreiche Recherche dient ihm, nicht nur für diesen Film, als Sprungbrett. Einerseits, um nicht wiederzukauen, was man in anderen Filmen gesehen hat, und andererseits erreiche man in der Recherche irgendwann den Punkt, an dem man so viel weiß und derartig viele unterschiedliche Varianten gelesen habe, „dass man sich halbwegs sicher fühlt, selbst etwas zu erfinden.“
P.S.: „Ich mag lieber Nackte Kanone als Problemfilm.“