Josephine Ahnelt | Filmemacherin
Porträts

Josephine Ahnelt | Filmemacherin

März 2017

Universelle Assoziationen

 

Als Kind machte sie Batman-Persiflagen, als Jugendliche aufwändige Bewerbungsfilme, als junge Erwachsene filmte sie nur schwarz-weiß und ohne Ton und heute macht sie unter anderem asynchrone Filme. Josephine Ahnelt legte auf ihrem Weg hin zur Filmemacherin immer mehr von dem ab, was sie bis dahin vom Film und Kino gelernt hatte und begann, Geschichten auf ihre eigene Weise und mit ihrem einzigartigen Blick zu erzählen.

Josephine, 1987 in Wien geboren, war schon als Kind Filmemacherin. Ihre Eltern formten gemeinsam mit vier anderen Familien eine eigene betreute Kindergruppe. Eines Tages kam der Vater von Josephines bestem Freund mit einer Hi-8-Kamera nach Hause. Die wilde Kinderclique schnappte sich das Gerät und filmte drauf los.

Ihre ersten Filme waren Persiflagen auf Batman und Robin. „Wir haben sechs Episoden gedreht“, erinnert sich Josephine, „und dann unsere Schulklasse zu einem Videonachmittag eingeladen. Da haben wir uns gegenseitig interviewt und Hollywood-Regisseure nachgeahmt: mit Zigarren, Sonnenbrillen und Schals.“

Auch James Bond musste herhalten: „Bei uns hieß er James Blond. Weil mein Freund Benni blond war. Damals gab es ja noch keinen blonden James Bond. Im Kino lief grad Die Welt ist nicht genug. Wir haben daraus Ein WC ist nicht genug gemacht und im Film lauter Fäkal-Witze gemacht.“ Diesen Film hat der Vater bei den Wiener Film- und Videotagen eingereicht, Josephines ersten Kontakt mit einem Filmfestival.

Fundstück aus der Kindheit: eine Sherlock-Holmes-Persiflage. Josephine, zuerst im Schrank, dann hinter der Kamera und damals 8 Jahre alt, filmt mit ihrer Kinderclique.

„Ironisches Fandom“ nennt Josephine ihr kindliches Verhalten, das in der Kindergruppe sehr verbreitet war. Man konnte Fan von etwas sein, durfte aber nichts zu ernst nehmen. In ihrem Zimmer hingen dann neben Simpsons-Postern auch Umweltplakate und im Regal standen Spice-Girls-CDs. „Durch die Ironie habe ich mich nicht verwundbar gefühlt“, sagt Josephine heute.

Die Clique machte weiterhin „ironische Filme“. „Auch zu Silvester haben wir jedes Jahr einen Film gemacht. Als ich 14 war, wollten wir ein Mash-up machen aus Dawsons’s Creek und irgendeinem Horrorfilm. Das Projekt hieß Ayurveda, weil meine Mutter damals ständig ayurvedisch kochte und ich die Art von Küche so mysteriös fand. Das Projekt scheiterte völlig und war unser letztes ironisches Projekt.“

ttw_schreibtisch1995Josephines Schreibtisch, ca. 1995.

Im Teenageralter begann dann die Auseinandersetzung mit ernsteren Themen und Autorenfilmern wie Fellini, Godard, Lynch. Mit 15 Jahren hat Josephine dann, wie sie sagt, ihren ersten „Handschrift-Film“ gedreht: T.R.A.P.P.E.D. „Englisch geschrieben, aber deutsch ausgesprochen“, schiebt sie nach. Ein Film über ein desillusioniertes Mädchen, für den Josephine bei den Film- und Videotagen einen Preis gewann.

Auch mit dem Experimentalfilm kam Josephine in Kontakt. In der Unterstufe gehörten die Tochter der Experimentalkünstlerin Billy Roisz und in der Oberstufe Xenia Blum, die Tochter des Kameramanns Johannes Hammel, zu ihren besten Freundinnen. „Womöglich war ich da auch schon einmal bei einem Screening von sixpackfilm, ohne es zu wissen“, vermutet Josephine. Zusammen mit Billy Roisz fuhr sie 2001, im Alter von 14 Jahren, auf die Diagonale.

Im Gymnasium auf der Graphischen musste Josephine dann lernen, was es heißt, im Rahmen des Unterrichts Filme zu machen: Filme als Aufgabenstellung und mit Vorgaben. „Erst im letzten Jahr konnten wir wieder machen, was wir wollten“, sagt sie. „Wir drehten dann mit den Leuten aus der Parallelklasse einen Erotikfilm. Die Erotik bestand nur darin, dass einer von denen nackt rumliegen musste und die anderen um ihn herum miteinander gekuschelt haben.“

Nach der Matura war für Josephine klar: Sie will Film studieren. Dafür kam für sie nur die Filmakademie Wien in Frage: „Ich war so auf Film fixiert, dass für mich weder die Angewandte noch die Bildende eine Option waren. Das war mir zu sehr bildende Kunst.“

Für die Bewerbung wollte sie sich gut vorbereiten, hat viel über Theorie gelesen und darüber, was bei Regie zu beachten sei. Die Filme, die aus diesen Überlegungen entstanden, waren aber „sehr rigide und starr, weil ich versucht habe, möglichst viel von diesen How-to-Sachen einzubauen“.

Zusammen mit ihrem narrativen Diplomfilm auf der Graphischen, ihr bisher aufwändigster Film – „mit Lichtequipment, einem professionellen Kameramann und slicken Bildern“ –, reichte sie die Mappe ein. Sie wurde abgelehnt.

Josephine weiß, warum: „Die lassen sich natürlich nicht davon beeindrucken, ob jemand die bekannten Tricks kennt, sondern schauen, wer ein Gespür für Geschichten und Rhythmus hat. Ich hatte auch keinen Spaß beim Machen der Filme und war nur gestresst.“

ttw_Diplomfilm2007Am Set ihres Diplomfilms, den sie auch für die Bewerbung für die Filmakademie einreichte. „Die Bewerbungsmappe habe ich total verhaut, weil sie mich so nervös gemacht hat. Ich habe da gemerkt, wie schlecht ich auf Bewerbungen reagiere. Ich konnte überhaupt nicht mehr klar denken.“

Über einen Zeitungsartikel erfuhr Josephine schließlich von der Schule Friedl Kubelka für unabhängigen Film.

Eine Anekdote beschreibt das Umfeld, in dem sie sich damals befand, ganz gut: Nachdem sie auf der Filmakademie Wien nicht aufgenommen wurde, besuchte Josephine dort Lehrveranstaltungen als außerordentliche Hörerin. In einer zeigte Michael Palm den Film La Jetée von Chris Marker. Ein Studienkollege meinte: „Das ist ja nicht wirklich ein Film.“ Ein paar Stunden am selben Tag später saß Josephine beim Aufnahmegespräch für die Kubelka-Filmschule. Albert Sackl sah sich ihre Mappe an, darunter auch ihren an der Graphischen realisierten Diplomfilm. Sackl meinte: „Das ist nicht wirklich ein Film.“

Sie wurde trotzdem genommen, und auf der Schule für unabhängigen Film sollte sich das, was Film ist, für die ambitionierte Filmemacherin neu definieren.

ttw_ahneltportraitIn der Dunkelkammer. (Foto: Samuel Erik Colombo)

„Friedl Kubelka“, sagt Josephine, „war mir sofort sympathisch und die Stimmung in der Schule lag mir sehr. Den Schwerpunkt auf das analoge Filmmaterial habe ich anfänglich zwar nicht ganz verstanden. Und ich habe vor allem im ersten Jahr sehr viel Kritik für meine Zugänge erhalten. Kubelka fragte mich einmal, ob ich stark genug für die Kunst bin.“

Nach dem einen Jahr in der Kubelka-Schule konnte sich Josephine nicht mehr vorstellen, in ein System wie der Filmakademie zurückzukehren. „Ich habe schon in der Schulzeit diesen Stundenplan und das ewige Sitzen nicht ausgehalten. Und ich wusste, dass die Filmakademie vor allem zu Beginn so aufgebaut war. Auch die großen Sets und die Regeln des Filmemachens haben mich mit Anfang 20 sehr stark daran zweifeln lassen, ob ich überhaupt Filmemacherin werden kann. Die Kubelka-Schule hat mir da sehr geholfen zu zeigen, dass man das gar nicht so machen muss. Dass es auch ohne diese Regeln geht.“

Anstatt sich wie geplant 2008 noch einmal für die Filmakademie zu bewerben, hing sie ein weiteres Jahr bei der Filmschule an. Und bewarb sich gleichzeitig auf der Akademie der bildenden Künste, an der sie aber erst ein Jahr später im zweiten Anlauf aufgenommen wurde und dann unter Harun Farocki studieren konnte.

„Ich hatte ein wahnsinniges Glück mit Kubelka und Farocki“, sagt Josephine. „Sie suchen immer die Parallelen zwischen der Kunst und der Person, die sie macht. Damit man seine eigene Handschrift entwickelt. Harun hatte ein angenehm breites und offenes Verständnis dafür, was Film ist. Und Kubelka einen Riesen-Detektor dafür, wo Leidenschaft drinsteckt.“

Josephines Leidenschaft sind Menschen, die Geschichten in und mit sich tragen; ihre Handschrift ein neugieriger, weltoffener und einzigartiger Blick durch die Kamera.

ttw_TicTacTic Tac realisierte Josephine noch an der Kubelka-Schule, aber erst Jahre später veröffentlichte sie ihn: „Ich hatte lange Zeit einen Perfektionismus laufen und habe nie meine Filme wo eingereicht oder öffentlich gezeigt. Nach einem filmkoop-wien-Screening von Tic Tac auf der Viennale 2011 kam Gerald Weber von sixpackfilm zu mir und meinte, ich soll den Film bei ihnen einreichen. Der Film wurde genommen, lief im Wettbewerb in Oberhausen und erhielt dort sogar eine lobende Erwähnung. Das hat mich dann rausgeholt aus diesem Sachen-nicht-herzeigen.“

Der knapp drei Minuten lange analoge Dokumentarfilm Tic Tac (2011, Super8) ist der erste Film, mit dem Josephine Ahnelt an die Öffentlichkeit trat.

Über den Film sagt sie:

„Parcours interessierte mich anfänglich gar nicht, aber ich fand die Gruppendynamik der Personen so spannend: junge Männer, zwischen 8 und 24. Man hat ein ganzes Spektrum der Pubertät vor sich. Ich wollte das Spektakel vermeiden, mich interessierten die Gesichter.“

Gesichter. Josephine erinnert sich, wie sie mit 15 eine Ausstellung im Westlicht mit Arbeiten von Mary Ellen Mark, einer amerikanischen Fotojournalistin, besuchte. „Ich war so fasziniert von ihrer Arbeit. Portraits, die narrative Geschichten erzählen, die ganz stark sind.“ Zu der Zeit hat Josephine auch oft fotografiert. „Damals war bspw. noch die Punkszene am Westbahnhof. Da habe ich mich einfach dazugesetzt und Fotos gemacht. Ich glaube, auch bei den Persiflagen ging es mir vermutlich eher darum, meine Freunde zu filmen. Eine Form von Dokumentation von ‚spielen’.“

ttw_MaryellenmarkTinyStreetwiseRevisitedAus Mary Ellen Marks Serie Tiny: Streetlife Revisited.

ttwFotos von Josephine Ahnelt von Menschen auf der Straße (links) und von Klassenkameraden, 2002.

Ihr Dokumentieren hat selber etwas Spielhaftes – und etwas Suchendes. Und Spiel und Suche beginnen bei ihr immer beim Menschen. Am liebsten filmt sie solche, die sie kennt. Oder gerne kennen lernen will: Auf dem Weg zum Flughafen saß ihr einmal im Zug ein junges Mädchen gegenüber. Josephine war von ihr fasziniert, gab ihr ihre Visitenkarte mit der Einladung, sie doch mal filmen zu dürfen. Ein paar Facebook-Kontakte später filmten sie gemeinsam Wasser aus Korn (2013, 13 min, Super8).

Bei Venus & Periphery (2016, 21 min, Super16), Josephines aktuellster Arbeit, die auf der Diagonale’17 in Graz gezeigt wird, gab es ein Risiko: Josephine wusste nicht, wie gerne sie Jacque Fresco, der in Florida einen utopischen Ort erschaffen hat, filmen würde. „Ich hab mir gedacht, es muss doch faszinierend sein, einen 100-jährigen Mann, der soviel Leidenschaft hat, zu filmen. Ich muss aber zugeben: Ich war hinter der Kamera lebendiger bei den Drehs außerhalb des Areals. Also bei den anderen Leuten, zu denen ich auf natürliche Art gravitiert wäre; zu denen es mich automatisch hingezogen hätte.“

ttw_VenusPeripheryJacque Fresco in Venus & Periphery.
ttw_Venus&PeripheryEine Gruppe am Strand in Venus & Periphery.

Was Josephine interessiert, sind Geschichten, die nicht offensichtlich da liegen und einfach erzählt werden können. Geschichten, die sich anders vermitteln als über Dialog oder klare Dramaturgie: sondern über Gesichter, Blicke, Bewegungen.

Im Film 16 x 4 Hände (2015, 7 min, Super16), nach langer Zeit wieder ein Film in Farbe, ist ein junges Paar in vielen Einstellungen zu sehen: Es sitzt einfach nur da, draußen vergehen Zeit und Jahreszeiten. Seine Geschichte ist von Drogenabhängigkeit gezeichnet. „Ich wollte aber nichts herzeigen, sondern den entgegen gesetzten Zugang nehmen: Wie viel kann ich zurücknehmen und was erkennt man trotzdem? Durch Blicke oder wie Leute da sitzen, wie sie sich halten? Oft schafft das eine stärkere Bindung zu den Charakteren, wenn man dem Zuschauer gar nicht vorgibt, was sie sehen sollen, sondern ihm die eigene Assoziation lässt.“

„Manche dieser Assoziationen sind sicherlich kulturell bedingt“, sagt Josephine. „Es gibt aber auch universelle Assoziationen. Auch Stimmungen und Atmosphären verstecken oft so etwas wie eine universelle Geschichte.“

ttw_16x4HaendeDas junge Paar in 16 x 4 Hände.

Die analoge Kamera ist ihr Instrument, um diese universellen Assoziationen zu empfangen. Und bestenfalls gleich und direkt wiederzugeben: Früher hat sie viel direkt in der Kamera geschnitten, bspw. Wasser aus Korn zu Zweidrittel und Tic Tac zur Gänze. Für Josephine ist die Kamera wie kopf-eigenes Kino, das sie unvermittelt weitergibt. „Das Gehirn funktioniert ja eh viel schneller“, sagt sie. „Es hat das gewisse Etwas eines Bildes schon erkannt, bevor man es sprachlich formulieren kann.“

Ihre letzten Filme hat sie aber doch in die Hand eines Schnittkollegen gegeben: Manuel Stettner übersetzte in 16 x 4 Hände und Venus & Periphery Josephines Kopf-Kino. Dem eigenen Schnittgefühl steht sie immer etwas kritisch gegenüber: „Das Problem beim Schnitt ist, dass man Dinge zu oft sieht und dann in Einzelheiten etwas hinein interpretiert, was dem Zuschauer, wenn er den Film zum ersten Mal sieht, völlig egal ist. Da denkt man: ‚Ah, diese Handbewegung: die bedeutet jetzt dies oder das.’ Aber das übersetzt sich dann überhaupt nicht. Im Austausch mit Manuel verliere ich mich auch nicht so. Wenn ich einen Impuls bestätigt brauche (oder auch nicht), ist diese Bestätigung gleich da.“

Die Assoziationen wirken aber nicht nur über das Bild: In Venus & Periphery arbeitet Josephine (gemeinsam mit Wolf-Maximilian Liebich) zum ersten Mal mit Ton, verzichtet aber gänzlich auf Synchronizität. „Ich mag das In-die-Kamera-Schauen“, sagt Josephine dazu, „aber nicht das In-die-Kamera-Sprechen. Leute verstecken sich manchmal, indem sie sprechen.“ Indem sie die Ton-Bild-Schere ansetzt, bricht Josephine diese Schutzmechanismen auf. Um das freizumachen, was dann ausstrahlen könnte. Damit das wiederum von der Kamera – oder auch dem Tongerät – erfasst werden kann.

ttw_vpdreh“Wenn ich etwas finde, was mich interessiert, dann bleibe ich und beobachte.” Beim Dreh zu Venus & Periphery.

Aktuell arbeitet Josephine an einem Dokumentarfilmprojekt in Japan und will dort die Noise-Szene und alternative Lebenskulturen filmen. Sie möchte in naher Zukunft aber auch etwas „mit Internet und YouTube machen“, meint sie. „Meine Arbeiten werden auf Festivals gezeigt, worüber ich mich natürlich sehr freue. Aber ich habe Lust, etwas parallel zu haben, wo man auch andere Leute erreicht und auch eine andere Kommunikation da ist.“

Nachdem sie sich von allen Regeln befreite, baut sich Josephine jetzt ihre Filme neu zusammen: nach schwarz-weiß kam Farbe hinzu, nach stumm der Ton, die Filme wurden länger und folgten einem Schnitt. Wohin das auch immer führen mag: Josephine hat ihren Blick auf und ihr Gehör für das Kino und die Welt für sich neu gefunden. Und ihre Wahrnehmung ist intuitiv, assoziativ und erfrischend spielerisch.

Josephine Ahnelt sagt heute: „Kinomagische Momente haben die Eigenschaft, mit Leichtigkeit zueinander zu sprechen.“*

von Dominik Tschütscher, März 2017
Fotos zur Verfügung gestellt von Josephine Ahnelt
Portraitbild von Friedl vom Gröller
*Zitat aus der 10-Jahres-Publikation „Schule Friedl Kubelka für unabhängigen Film, November 2016“