Katharina Gruzei| Bildende Künstlerin
Porträts

Katharina Gruzei| Bildende Künstlerin

Dezember 2021
Dieses Porträt ist eine von vier Vorstellungen von Filmemacher*innen, die seit Start von Cinema Next sehr präsent waren, aber wir ein wenig aus den Augen verloren haben. Sie haben entweder einen anderen Fokus oder sind groß‘ geworden und dem Cinema-Next-Nachwuchskosmos einfach auch entwachsen. >> zu den Porträts Was macht eigentlich …?
Katharinas Gruzeis Film Die ArbeiterInnen verlassen die Fabrik ist beim KINO VOD CLUB in der Cinema Next Series kostenfrei online verfügbar.

 

„Gerade der Grenzbereich von Stand- und Bewegtbild interessiert mich

 

2012 war plötzlich Katharina Gruzei da. Mit Die ArbeiterInnen verlassen die Fabrik (11 min) sorgte die 1983 geborene Villacherin, die an der Kunstuniversität Linz Experimentelle audiovisuelle Gestaltung und Kunst- und Kulturwissenschaften studierte, für Aufsehen. In den letzten Jahren fiel sie vor allem mit großartigen fotografischen Arbeiten auf. Hat Katharina, die wir als vielversprechende Filmemacherin kennen lernten, sich vom Filmemachen abgewendet? Wir fragten nach.

 

Wir haben dich 2012 mit dem viel beachteten Film Die ArbeiterInnen verlassen die Fabrik kennengelernt. Der Film ist neu in der Cinema Next Series online verfügbar. In deinen eigenen Worten: Worum geht es im Film?

Katharina Gruzei: Die ArbeiterInnen verlassen die Fabrik ist ein Experimentalfilm, der sich mit dem Thema Arbeit am Ende des industriellen Zeitalters beschäftigt und einen historischen Bezug zum ersten Film der Geschichte herstellt. In den ehemaligen Austria Tabakwerken in Linz gedreht, erzählt der Film auch von der Architektur und dem Entstehen von Leerständen und stellt die Frage, was passiert, wenn unsere bisherige Definition von Arbeit ausläuft und wir unser Verhältnis dazu neu überdenken müssen. Die Körperlichkeit und der Zusammenhalt sind Thema, wenn Arbeitsprozesse sich immer mehr in Richtung Vereinzelung und Immaterialität entwickeln.

Visuell greife ich unter Anderem fotografische Konventionen der Arbeiter*innen-Selbstdarstellung auf. Der Film basiert auf einer Lichtinstallation, die die Architektur rhythmisch ins Licht taucht und wieder im Dunkeln verschwinden lässt. Das Spiel mit Sehgewohnheiten, (Des-)Orientierung und Rhythmik wird in Schnitt und Sound fortgesetzt. Der Film schließt mit einem Zitat auf La sortie de l’usine Lumière à Lyon, bei dem die Arbeiter*innen die Fabrik verlassen. Anders, als bei den Gebrüder Lumière verlassen sie diese in meinem Film jedoch für immer.

Still aus Die ArbeiterInnen verlassen die Fabrik (2012, 11 min, 35mm/HD).

 

Wir haben dich also als Filmemacherin kennengelernt. Du warst aber vorher schon vor allem Fotografin und die Fotografie blieb auch danach (d)ein Fokus. War die Erfahrung (und auch der Erfolg) des Filmemachens nicht ‚nachhaltig‘? Was kann, für dich, Fotografie, und was der Film?

Ich verstehe mich als bildende Künstlerin, die ihre Ideen im am besten geeigneten Medium umsetzt. Ich gönne mir die Freiheit für Ausflüge in andere Gefilde wie den Soundbereich, zu Lichtinstallationen und Projekten im öffentlichen Raum. Das macht mich frei, hält den Beruf für mich spannend und ich kann mich vielfältig ausprobieren.

Das Arbeiten mit Bewegtbild ist nach wie vor eine Konstante in meinem Schaffen. 2015 habe ich den Festivaltrailer für das Crossing Europe Filmfestival Linz gestaltet und zwischenzeitlich sind einige Videoarbeiten entstanden, z.B. YAW (2020) oder Urban Reflectors (2019). Es sind jedoch Formate, die zwischen den Kategorien liegen und daher im Kino nur teilweise funktionieren. Es gibt auch unrealisierte Ideen für Filme, die einen großen Zeitraum beanspruchen, den ich bisher noch nicht hatte.

Obwohl es sehr destillierte Filmformate gibt, ist die Fotografie für mich ein Medium, das stark reduziert und damit seine große Kraft entfaltet. Fotografie ist stumm, sie bewegt sich nicht. Fotografie spricht in wenigen Bildern, der Film in vielen. Gerade dieser Grenzbereich von Stand- und Bewegtbild interessiert mich. Man kann in der Fotografie filmisch arbeiten und fotografische Filme machen, eine tolle Wahlverwandtschaft!

 

CINÉMA VARIÉTÉ, der Festivaltrailer des Crossing Europe Filmfestivals Linz. Der Filmkritiker Michael Pattison fragt sich in einem Festivalbericht: Is ‚Cinéma Variété‘ the Scariest Short Film Ever Made? und nennt den Film a masterpiece“:

 

2008 hast du, als Erste überhaupt, das Ö1 Talentestipendium erhalten. Der Radiosender schrieb in einem Onlinebericht schon damals, dass bei dir ruhigere Phasen „längst der Vergangenheit“ angehören. Wir kennen uns jetzt seit einigen Jahren und in ruhigen Phasen haben wir uns selten getroffen: laufend Ausstellungen und Residencies, viele Auf- und Abbauten, viel organisieren und reisen. Fast jedes Mal, wenn wir in Kontakt sind, bist du in einer anderen Stadt oder in einem anderen Land. Ist das der normale ‚life style‘ einer Künstlerin?

Ich weiß nicht inwiefern „Normalität“, was immer das auch bedeutet, in diesem Beruf zu finden ist. Man manövriert durch so viele unterschiedliche Tätigkeiten und Anforderungen, dass es zeitweise sehr erschöpfend und prekär ist. Die Falle ist, wenn man in zu wenig oder in zu vielen Projekten landet, und das ist schwer zu steuern.

Es ist also kein bewusst gewählter Lifestyle, sondern ein stetiges Reagieren auf Optionen in Kombination mit den eigenen Vorstellungen und Zielen. Die Rahmenbedingungen als freischaffende Künstlerin lassen wenig langfristige Planung und Stabilität zu, andererseits ist es ein sehr sinnstiftender Beruf. Dass es scheint, als wäre jeder individuell gefordert, seinen Weg durch dieses Gestrüpp zu finden, ohne einem Burnout zu erliegen, finde ich problematisch.

Ich liebe es, zu reisen und Ideen zu entwickeln, mich mit einer Vielfalt unterschiedlicher Arbeiten zu beschäftigen. Aber manchmal findet man sich in Situationen wieder, die überfordernd und schlichtweg nicht gesund sind. Ob man sich „ruhigere Phasen“ leisten kann oder sich darauf freuen soll, ist fraglich.

Du hast mir in einer Zeit, als deine Arbeiten viel gezeigt wurden, mal gesagt, dass mit Ausstellungen eigentlich gar kein Geld zu verdienen sei. Ist man also nicht durch Sichtbarkeit in Museen und Ausstellungen ‚erfolgreich‘, sondern erst dann, wenn man Arbeiten auch verkauft? Was läuft richtig, was falsch im Ausstellungs- und Kunstmarkt?

Die Definition von Erfolg ist sehr individuell und kann sich im Laufe der Zeit auch verändern, aber natürlich gibt es auch objektive Messwerte wie Ausstellungen und Verkäufe. Problematisch ist, wenn Präsenz und monetärer Verdienst gänzlich entkoppelt sind. Wenn man entweder gut verkauft, aber im Diskurs nicht sichtbar ist oder umgekehrt. Ist man finanziell nicht anderweitig gestützt, steht man vor der Entscheidung, unter diesen Bedingungen weiter zu strampeln oder nebenbei einen „Geldjob“ anzunehmen, der dich ein Stück weit aus dem Feld entfernt.

Ausstellungen sind sehr viel Arbeit, jedoch werden in den wenigsten Fällen Honorare für die Künstler*innen bezahlt. In meinen Augen läuft es falsch, dass stattdessen mit der Aussicht auf Verkäufe, der Produktion von Kunstwerken und dem wachsenden Renommee argumentiert wird. Das erzeugt einen Hoffnungsloop, von dem man nicht leben kann. Wichtig wäre, dass ein Geldfluss für geleistete Arbeit besteht.

Momentan ist die Diskussion wieder entbrannt, aber Empfehlungen werden wenig Wirkung zeigen. Ein erster Schritt wäre es, an den Bezug von öffentlichen Geldern eine obligatorische Entlohnung der Künstlerinnen durch Ausstellungshonorare einzuführen. Ich bemerke, dass es die Offspaces sind, die sich um zumindest ein kleines Honorar bemühen, während die Institutionen da total nachhinken. Auch im Filmbereich hat sich eine symbolische Kompensation längst durchgesetzt.

Zwei deiner wohl bedeutendsten und aufwändigsten Arbeiten in den letzten Jahren waren die Foto-Reihen Bodies of Work (auch als Buchpublikation 2017) und ganz aktuell Mir Metro (Buchpublikation 2021). Worum geht es dir in diesen Arbeiten? Und kannst du uns aus jeder Reihe Fotos auswählen, die für dich das Wesen der Arbeit am besten beschreiben, und deine Auswahl kommentieren?

Bodies of Work ist eine Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeit, für die ich über eineinhalb Jahre den Bau einer Seefähre in der Linzer Schiffswerft begleitet habe. Es ist keine ausschließlich dokumentarische Fotoserie, sondern sie umfasst abstrahierte Bilder, die die Verwandtschaft des Schiffbaus zur Raumfahrt und die Fragilität der Arbeiterkörper herausarbeitet. Sie zeigen die Verbindung von Körper und Werkstück, die im handwerklich Prozess entsteht, und thematisieren auch Fantasien zukünftiger Arbeit, Stichwort Cyborgs!

 

aus der Serie Bodies of Work (2017), Pigmentprint 120 x 80 cm, kaschiert und gerahmt
Courtesy: Katharina Gruzei, Charim Galerie, Bildrecht Wien

Die Beschäftigung mit einem Industriebetrieb, in dem ein großes Werkstück – zu dessen arbeitsteiligem Entstehungsprozess viele Menschen beitragen – im Zentrum steht, ist gerade in Zeiten der Umwälzung von Berufsfeldern und der Zunahme immaterieller Arbeit reizvoll.

Aufgrund der 180-jährigen Betriebsgeschichte treten in der Werft interessante zeitliche Verschränkungen zutage. Man könnte sagen, ein seltsam anachronistischer Futurismus entsteht, wenn der Schiffsrumpf aus erhöhter Perspektive Assoziationen an Science-Fiction-Raumschiffe auslöst, deren Gestaltung sich stets an der Ästhetik der fertigenden Industrie orientiert hat. Das Aufgreifen der Analogien von Arbeitskluft und Raumanzug sowie das Motiv des (Raum-)Schiffs als Sinnbild für Abenteuer und Entdeckungen – aber auch für Flucht – boten die Möglichkeit, den spezifischen Ort der Werft zu entkoppeln und damit zu anderen Bedeutungsebenen zu gelangen.

 

aus der Serie Bodies of Work (2017), Pigmentprint 120 x 80 cm, kaschiert und gerahmt
Courtesy: Katharina Gruzei, Charim Galerie, Bildrecht Wien

Nachts erscheint das Betriebsgelände in anderem Licht, und auch so war es möglich, Gegenstände wie diesen Presslufttank abseits seiner Funktion im Arbeitsprozess mit einer anderen Bedeutung aufzuladen.

 

aus der Serie Bodies of Work (2017), Pigmentprint 120 x 80 cm, kaschiert und gerahmt
Courtesy: Katharina Gruzei, Charim Galerie, Bildrecht Wien

Im industriellen Fertigungsprozess verschmelzen die Arbeiter mit ihren Werkstücken oder werden zum Scharnier zwischen Maschine und Werkstück. Die Flexibilität des Menschen – die Fähigkeit, situationsbezogen zu agieren, aber auch das Vermögen, den Körper an das Werkstück anzupassen – scheint sein größter Trumpf zu sein. Zugleich zeigt sich diese Flexibilität an der Abnutzung der Körper, die von der Tätigkeit versehrt werden. Die Arbeit schreibt sich in die Körper ein. Die Schutzkleidung deutet auf die Verletzlichkeit des Menschen hin und lässt die Fantasie anklingen, die Arbeit von Maschinen, Robotern und in der Folge von Cyborgs verrichten zu lassen.

 

Mir Metro ist mein Langzeitprojekt über die Moskauer U-Bahn, die mit bis zu 9 Millionen Fahrgästen am Tag zu den meist genutzten Metros der Welt zählt. Sie wurde als Prestigeprojekt der Sowjetunion begonnen (sog. „Paläste für das Volk“) und zugleich mit der Funktion als Bunker gebaut. Bis heute ist sie ein Alltagsort, an dem soziale, politische und gesellschaftliche Tendenzen ablesbar sind. Aufgrund ihres Alters und weil viele Stationen zu bestimmten Themen gestaltet sind, wirken die Fahrten mitunter wie fragmentarische Reisen durch Raum und Zeit, die das offizielle Geschichtsnarrativ russischer bzw. sowjetischer Kultur Revue passieren lassen. Im Zeitraum von 2008 bis 2021 entstand eine Fotoserie, die sich aus unterschiedlicher Perspektive mit diesem außergewöhnlichen Ort unter der Stadtoberfläche beschäftigt und kürzlich als Bildband mit rund 450 Bildern publiziert wurde.

 

aus der Serie Mir Metro (2008-2021), analoge schwarzweiss Fotografie (35 mm)
Courtesy: Katharina Gruzei, Charim Galerie, Bildrecht Wien

Einer der Schwerpunkte dieses Projekts liegt auf der Beobachtung der Menschen, die auf ihren täglichen Wegen die Metro benutzen. Auf den Rolltreppen und in den Zügen verfallen sie in kontemplative Zustände, in ein introspektives Dazwischen. Die räumlichen Begebenheiten, die Lichtverhältnisse und die „Gezeiten“ – die Wellen der Menschenmassen – im Alltag der Metro machten es notwendig, die fotografische Herangehensweise anzupassen. Dabei entstanden Aufnahmen, die aus der Menge heraus situativ festgehalten wurden, und Bilder, die bewusst mit den Porträtierten erarbeitet wurden. Zu weniger frequentierten Zeiten war es möglich, andere Aspekte der Metro wie diverse Gerätschaften, das Mobiliar, die Gestaltung und Architektur, die Stationsgebäude und die Fahrgäste auf ihren Pendelwegen fotografisch festzuhalten.

 

aus der Serie Mir Metro (2008-2021), digitale Fotografie
Courtesy: Katharina Gruzei, Charim Galerie, Bildrecht Wien

Zur Hauptverkehrszeit fluten Menschenmassen die Tunnel. Auf den Rolltreppen blitzen die entgegenkommenden Gesichter in den Lichtkegeln der Beleuchtung auf. In manchen Bildern entsteht eine poetische Ebene, wenn die Körper etwa unter den räumlichen Gegebenheiten der Rolltreppe zur Ruhe kommen und die Personen in gleichgeschalteten Posen verharren, die sie selbst zur Skulptur werden lassen. Der Realmensch und der in den Kunstwerken der Metrostationen dargestellte Idealmensch treten in Dialog oder beginnen sich auf befremdliche Weise zu doppeln.

 

aus der Serie Mir Metro (2008-2021), Mittelformat 6×6
analoger Farbabzug 70 x 70 cm, kaschiert und gerahmt
Courtesy: Katharina Gruzei, Charim Galerie, Bildrecht Wien

Auffällig waren für mich die Frauendarstellungen in den älteren Stationen der Metro im Vergleich zu den aktuell propagierten Frauenbildern in Populärkultur und Werbung. Zwar sind ihre Körper ebenso idealisiert, jedoch tragen sie häufig Gewehr, Presslufthammer und Arbeitskleidung und sind seltener als Ehefrau und Mutter dargestellt. Das Bild der arbeitenden Frau setzte sich für mich im Metropersonal fort, das zu großen Teilen aus ernsten Frauen in adretten Uniformen bestand. Angetan von ihrer Ausstrahlung und aufgrund meines Interesses an der Arbeitswelt in der Metro wurden die „Metro Ladies“ zu einem wichtigen Schwerpunkt innerhalb der Fotoserie.

> zu Katharinas Webseite
Porträtfoto oben © Lia Larrea

In der Cinema Next Series beim KINO VOD CLUB ist der Film Die ArbeiterInnen verlassen die Fabrik (2012, 11 min) kostenfrei im österreichischen Geoblocking im Stream verfügbar. >> zum Stream