Lisa Hasenhütl| BMKÖS Startstipendiatin 2023
Porträts

Lisa Hasenhütl| BMKÖS Startstipendiatin 2023

Januar 2024

Zuerst bissi wehtun, dann laut lachen

 

Lisa Hasenhütl, 1988 in Graz geboren, zog nach dem Studium der Anglistik/Amerikanistik an der Karl-Franzens-Universität Graz nach Luxemburg, um erste Erfahrungen in einer Produktionsfirma und beim Film zu sammeln. Seit 2015 studiert sie Regie mit dem Modul Drehbuch an der Filmakademie Wien, arbeitet aber zeitweise auch als Produktionskoordinatorin und Regieassistentin. Ihre letzten Kurzspielfilme feierten beim Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken Premiere. Für das Startstipendium 2023 hat Lisa sich mit der Idee zu einem Episodenfilm beworben, der vier Geschichtsstränge nach einer folgenschweren Entscheidung weiterverfolgt.

 

Worum geht es im Spielfilmprojekt, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?

Lisa HasenhütlDie Geschichte beginnt folgendermaßen: Ein Taxifahrer vernadert einen Kollegen bei der Polizei, nachdem dieser unerlaubterweise fünf Personen in seinem Taxi mitgenommen hat und sein eigenes Taxi leer zurückbleibt. Der Film folgt daraufhin episodisch den beiden Taxifahrern, der Familie und dem jungen Polizisten, der das überfüllte Taxi aufgehalten hat, und zeigt, wie dieses Erlebnis das Leben dieser Figuren in den nächsten Tagen beeinflusst. Dabei stehen vor allem Themen von Solidarität, Identität, Verlust und Familie im Vordergrund.

Ausgangspunkt des Films ist also eine folgenschwere Entscheidung eines Taxifahrers, der einen Kollegen verrät. Was interessiert dich an diesem Ausgangskonflikt? Und was an der Form des Episodenfilms?

Mich interessiert, wie oft kleine Entscheidungen weitreichende Folgen nach sich ziehen können. Wenige Minuten deines Lebens können plötzlich alles verändern. Und dann spiele ich sehr gerne damit, wie man eine Figur auf den ersten Blick wahrnimmt und wie sich dieser Eindruck im Verlauf einer Geschichte verändern kann. Vorschnell gefasste Meinungen gegenüber Personen werden viel zu leicht getroffen, wenn man sich zuvor nicht ihrer Menschlichkeit bewusst geworden ist. Das, finde ich, fällt Menschen besonders bei Fremdem schwer und da möchte ich genauer hinsehen. Dabei hilft die episodische Erzählung natürlich enorm, weil sie es mir ermöglicht, einen gesellschaftlichen Querschnitt darzustellen, und mir erlaubt, viele verschiedene Perspektiven zu erzählen. Ich folge gerne mehreren Figuren, betrachte ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede und versuche Brücken zu bauen – oder eben zu zeigen, wodurch sie einstürzen können.

Ganz ehrlich: Du studierst im Modul Drehbuch und hast schon einige Kurzfilme geschrieben und als Regisseurin realisiert. Aber wie empfindest du den Sprung zum abendfüllenden Drehbuch? Was kann man von seiner bisherigen Schreiberfahrung zum Langfilm „rübernehmen“?

Normalerweise würde ich sagen, der Unterschied liegt hauptsächlich darin, dass man im Kurzfilm eher Momentaufnahmen erzählt und im Langfilm Geschichtsbögen spannen kann. Lustigerweise geht es mir aber genau umgekehrt. In meine Kurzfilme versuche ich immer „Held:innenreisen“ zu packen, eine Entwicklung zu erzählen, und stoße mich dann am 30-minütigen Filmlimit.

Im Gegensatz dazu interessieren mich in meinen Langfilmtreatments meist Eindrücke und Ausschnitte mehr als klassische Held:innenreisen. Vielleicht kommt das aber auch daher, dass viele Regisseur:innen, die ich zu meinen Vorbildern zähle, so arbeiten. Ich würde fast sagen, von meiner bisherigen Schreiberfahrung nehme ich wenig Technisches mit, sondern eher ein Vertrauen auf mein Bauchgefühl und dass an dem, was ich spannend finde, etwas dran ist. Ich versuche auch bewusst meine Erwartungshaltung runterzuschrauben, um mich nicht zu blockieren. Ein erster Entwurf muss erst einmal nur eines: existieren. Außerdem halte ich mich gerade gerne in der Treatmentform auf, weil ich damit besser den Überblick behalte und es mir leichter fällt, Dinge zu verändern.

In welchem Stadium befindet sich das Projekt derzeit und was wird in den nächsten Schritten die größte Herausforderung?

Momentan existiert ein erster Treatmententwurf. Da wird jetzt die Herausforderung vor allem sein, noch einmal tief in die Figuren zu steigen und zu überprüfen, ob die Aktionen, die sie ausführen, tatsächlich stimmig sind. Außerdem muss ich die Spannungsbögen und Themen noch einmal überprüfen. Wo sind eventuell Längen? Komplementieren sich die Episoden oder fällt eine aus dem Gefüge heraus?

Nachdem drei der vier Figuren einen Migrationshintergrund haben und die Lebensrealitäten dadurch auch sehr unterschiedlich zu meiner sind, gilt es auch hier noch einmal sehr genau zu recherchieren und am liebsten Co-Autor:innen mit ins Projekt zu holen. Ich glaube, dass man über alles schreiben dürfen sollte – immerhin muss es einen sehr persönlichen Grund haben, warum einen eine Geschichte über Jahre hinweg beschäftigt – aber ich finde auch, dass man da sehr genau hinschauen muss, was genau einen daran interessiert, und sich dabei nicht über die in der Geschichte porträtierten Menschen stellen darf. Sonst läuft man Gefahr, Stereotype zu reproduzieren und davon hat die Welt schon genug.

In diesem Stoff beschäftigst du dich mit vielen Männerfiguren, aber beschäftigst dich seit langem schon mit feministischen Inhalten: Du hast deine Diplomarbeit zu Female Empowerment und Transnationalem Feminismus geschrieben, arbeitest für den Verband FC Gloria – Frauen* Vernetzung Film und erzählst in Filmen wie Magda fährt Motorrad (2021, 30 min) von Stärken und Schwächen junger Frauen. Was bedeutet es für dich, in unserer Filmbranche feministisch zu sein und zu arbeiten?

Es bedeutet einfach, dass ich den Anspruch habe, reflektiert meine Sicht auf die Welt abzubilden und so vielleicht Bilder, Geschichten und Frauenfiguren zu zeigen, die bisher noch nicht unbedingt im Filmkanon angekommen sind. Nichts ärgert mich so sehr, als einen Film zu sehen, wo Protagonistinnen eindeutig aus einer männlichen Sicht erzählt sind, überhaupt keine Identifikationsfläche bieten, aber so getan wird, als wären sie mutig feministisch und unkonventionell. Ich will Verletzlichkeit zeigen, ohne Schwäche zu erzählen. Ich will über die Kameraperspektive und den männlichen Blick nachdenken. Ich will kleine Momente erzählen, die ich so noch nicht auf der Leinwand gesehen habe.

Und nachdem jahrzehntelang Frauenrollen hauptsächlich aus männlicher Sicht gezeigt wurden, will ich mir auch das Recht herausnehmen, den Spieß umzudrehen und Männerrollen aus einer weiblichen Sicht zeigen. Das heißt nicht, dass ich über allem stehe, oder etwas besser weiß. Aber ich habe den Anspruch, inhaltlich etwas Neues hinzuzufügen. Auch in der Art, wie wir beim Film zusammenarbeiten, möchte ich neue Wege einschlagen. Weg vom Genie-Gedanken, hin zum Kollektiv und einem respektvollen Miteinander.

Du arbeitest auch als Produktionskoordinatorin oder Regieassistentin für andere Projekte. Helfen dir diese Erfahrungen bei deinen eigenen Projekten?

Jein. Die Arbeit als Produktionskoordinatorin zeigt mir natürlich einmal mehr, was für ein Aufwand hinter jedem Filmdreh steckt, und macht mir als Regisseurin bewusst, welche Auswirkungen meine kreativen Entscheidungen auf andere haben können. Ich weiß aber nicht, ob dieses Bewusstsein immer förderlich für den kreativen Prozess ist, weil das Regiedasein manchmal auch einfach eine Prise Wahnsinn braucht. Man muss erst einmal das vermeintlich Unmögliche erträumen, um zu sehen, was möglich ist.

Die Arbeit als künstlerische (Regie-)Assistenz bei Projekten ist da schon spannender für meine Regiearbeit, weil ich mich dabei mit Stoffen auseinandersetzen darf und nicht nur eine organisatorische Schnittstelle bin. Generell ist für mich die inhaltliche Arbeit mit Stoffen einfach die erfüllendste. Als Produktionskoordinatorin darf ich keine eigenen Entscheidungen treffen, trage sehr viel Verantwortung und stehe am Ende eines Films meist kurz vor einem Burnout. Als künstlerische (Regie-)Assistenz ist es zwar ähnlich, aber ich gehe danach mit vielen wertvollen Erfahrungen nach Hause. Und vor allem der Lust, selbst wieder etwas zu machen.

Für ihren aktuellsten Film nahm Lisa auch die Kamera in die Hand. Der mittellange Dokumentarfilm Von Drachen und Hasen (2024, 40 min, noch unveröffentlicht) erzählt von Lisas Beziehung zu ihrem Vater.

Welche Filme interessieren dich oder kommen dem am nächsten, wie du Filme machst?

Das ist schwierig zu beantworten, weil ich eine Vielzahl an Filmen aus ganz unterschiedlichen Gründen mag. Grundsätzlich mag ich, glaub ich, Tragikomödien am meisten, weil sie sowohl etwas Ernstes, Wahrhaftiges haben, als es auch schaffen, den Humor aus bitteren Momenten herauszukitzeln. Die aufzeigen, dass man sich selbst und das Leben nicht zu ernst nehmen darf. Ich mag Filme, bei denen ich die Liebe der Autorin/des Autors ihren Figuren gegenüber spüre. Ich mag Filme, die mich auf eine Reise mitnehmen und mir kleine Momente zeigen, in denen es menschelt. Filme, die mich überraschen. Die mich lauthals zum Lachen bringen. Oder zutiefst berühren. Ich selbst bin noch auf der Suche, denke ich. Jeder Stoff verlangt nach etwas anderem, und wenn es mich einmal in eine Richtung zieht, dann geht das nächste Projekt meist in die komplett andere. Am liebsten mag ich’s, wenn’s ein bissi wehtut beim Zuschauen und man kurz darauf laut lachen darf. Da will ich hin.

Webseite Lisa Hasenhütl
Porträtfoto © Cinema Next / Martina Lajczak