„Es geht mir um einen Blick hinter die Realität“
Lorenz Tröbinger, in Linz geboren und aufgewachsen, hat Bildende Kunst / Kunst & Digitale Medien an der Akademie der bildenden Künste in Wien und zudem ein Jahr am Central Saint Martins College in London studiert. Seit 2013 arbeitet Lorenz als freier Filmemacher an Auftragsarbeiten und Kurzfilmen (u.a. WATTMARCK, 2017). Er ist als Filmemacher und Darsteller Mitglied der Theatercompany Nesterval. Für das Startstipendium 2020 hat er sich mit dem Spielfilmprojekt Sohn beworben. Wir haben Lorenz ein paar Fragen zu seinem neuen Projekt und seiner Arbeitsweise gestellt.
Als du für uns im Oktober den Instagram-Takeover zur Viennale gemacht hast, hast du dir in 10 Tagen 23 Filme angeschaut. Beim davor stattfindenden SLASH Filmfestival hast du auf Instagram ein Foto mit 24 Kinotickets gepostet. Viele sagen von sich, sie lieben Filme, aber bei dir scheint das augenscheinlich zu sein. Woher kommt deine Faszination für Film und Kino?
Also ich gehe (leider) nicht immer so viel ins Kino. Aber da ich mir heuer schon im Frühjahr den Slash-Pass gesichert und dank euch die Möglichkeit hatte, bei der Viennale viel zu sehen, wollte ich dann komprimiert alles nachholen, was 2020 sonst an Kinobesuchen verunmöglicht hatte. Mir ist es einerseits wichtig, mich damit auseinander zu setzen, was im Kino und im Film der Gegenwart passiert – viel mehr, als mich durch einen Kanon der Filme zu arbeiten, ‘die man gesehen haben muss’. Andererseits führt diese Menge an Filmen in so kurzer Zeit auch dazu, dass man wieder ganz neue Blickwinkel auf die eigene Arbeit und auf Projekte, bei denen man vielleicht schon einen Tunnelblick entwickelt hat, entdeckt. Das geht zwar auch beim Zuhause-Schauen, aber mit dem Kinoerlebnis kann der Fernseher natürlich nicht mithalten.
Du bist Genrefilmen wie Horror offensichtlich nicht abgeneigt. Gibt es hier Einflüsse, die deine künstlerische Arbeit prägen?
Ich denke, Horror führt uns vor Augen, wie brüchig die ‘Realität’ ist, in der wir leben. Wenn man als schwuler Jugendlicher am Land aufwächst, dann spürt man diese Brüchigkeit schon in jungen Jahren sehr persönlich, weil das, was andere als selbstverständlich und alternativlos empfinden, einem selbst total fremd ist. Bis man das versteht und in Worte fassen kann, vergehen oft viele Jahre. Dieses Nicht-in-Worte-Fassen-Können, die Konfrontation mit Dingen, in der Welt und in einem Selbst, die man nicht versteht und nicht verstehen kann, ist für mich die Essenz von Horror und Fantastischem Film. H. P. Lovecraft war da immer ein wichtiger Einfluss für mich, auch wenn man natürlich sehr kritisch sein muss, woraus sich bei ihm diese Angst vor dem ‘Anderen’ speist. Generell finde ich es sehr wichtig, Genretraditionen zu hinterfragen, weil viel zu oft das ‘Andere’ am Schluss ausgetrieben oder umgebracht wird, um den Status Quo wiederherzustellen. Was das Gegenteil von dem ist, worum es mir geht.
Still aus Lorenz’ Abschlussfilm an der Akademie der bildenden Künste, Seeing Pan (2020, 28 min), Kamera: Lukas Swatek.
Still aus WATTMARCK (2017, 19 min), Kamera: Lukas Swatek.
Still aus Herzschnittmacher (2019, 6 min, Teil des Episodenfilmes DON WHO? der Universität für angewandte Kunst), Kamera: Bernhard Schlick.
‘Zustände’ sind vielfach Teil deiner Filme. Zustände, die über Ängste, Drogen oder auch Musik evoziert werden. Was interessiert dich an diesen ekstatischen Zuständen?
Ich glaube, auch da geht es mir um einen Blick ‘hinter die Realität’. Wir leben (leider oder zum Glück?) in einer sehr rationalen, nach klaren Regeln funktionierenden Welt ohne Spielraum für Übernatürliches. Aber in unseren Köpfen kann alles passieren, wenn man es zulässt. Drogen sind da nur ein (mit vielen Nebenwirkungen behafteter) Weg von vielen. Kino kann auch einer sein. Da ich selbst keine Drogen nehme und auch seit einigen Jahren so gut wie nichts mehr trinke, versuche ich vielleicht über meine Filme, diese Ekstase zu erreichen. Der Fokus bei meiner Arbeit ist dann auch, dass in den Menschen, die den Film sehen, bestimmte Zustände ausgelöst werden: Verwirrung, Angst, Unwohlsein, Neugierde, das Gefühl, dass es da noch mehr zu entdecken gibt. Charaktere und die Geschichte sind im Grunde auch ‘nur’ Werkzeuge, um das zu erreichen. Darum ist es für mich auch nicht so schlimm, wenn man am Ende nicht alles verstanden hat, solange der Film etwas mit einem macht.
Worum geht es in deinem Spielfilmprojekt Sohn, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?
In Sohn geht es um eine Ärztin, die sich mit ihrem zwanzigjährigen Sohn in seiner Wohnung einschließt, um ihn durch einen kalten Entzug zu begleiten. Dabei werden sie mit lange aufgestauten Spannungen in ihrer Beziehung konfrontiert und die Mutter muss erkennen, dass hinter dem Drogenproblem des Sohnes etwas noch viel Unerklärlicheres lauert.
Du hast 2019 eine Stoffentwicklungsförderung für eine Spielfilmidee erhalten, deren Realisierung du aufgrund des Umfangs in deiner derzeitigen Situation als unmöglich erachtest. Auch Sohn liest sich in deiner Projektbeschreibung nicht nur inhaltlich, sondern auch visuell außergewöhnlich und unkonventionell, mit szenenbildnerisch und/oder technisch aufwendigen Herausforderungen. Wie sehr denkst du in deinen Filmen die (analoge oder auch digitale) ‚Ausstattung‘ schon beim Schreiben mit? Und ist es hierzulande überhaupt möglich, visuell so ausschweifend zu erzählen?
Die Ausstattung, also Räume und ihre Materialität, die Objekte, mit denen Charaktere interagieren, sind für mich auf jeden Fall im Schreibprozess immer schon präsent. Das hängt wieder mit den Zuständen und deren Hervorrufung zusammen. Orte und Gegenstände schaffen Atmosphäre und geben den Figuren Kontext. Man muss aber aufpassen, dass das Drehbuch nicht zu einer Einrichtungsbeschreibung wird. Gerade bei dem in eurer Frage angesprochenen Stoff Yamantau wurde mir während des Schreibens klar, dass die Geschichte eine sehr aufwendige visuelle Ebene fordert, die für einen Erstling zu teuer wäre. Ich finde aber, dass man mit den bei uns verfügbaren Mitteln trotzdem sehr viel machen kann und Filme wie The Trouble with Being Born (R: Sandra Wollner, 2020) oder Stille Reserven (R: Valentin Hitz, 2016) beweisen das ja. Der limitierende Faktor ist, glaube ich, neben der Höhe der Budgets, vor allem die Planung. Je früher man beginnt, Szenenbild, Atmosphäre und Look zu entwickeln und mitzudenken, desto mehr kann man aus den vorhandenen Ressourcen machen.
In deiner Einreichung beschreibst du den Film als „charakterbezogenes Kammerspiel“, das auch vom Schauspiel her einiges abzuverlangen scheint. Denkst du bei der Figurenzeichnung schon an Castingoptionen und Schauspiel?
Auf jeden Fall, ja. Vor allem weil mir klar ist, dass der Film die Darsteller*innen teils sicher an ihre Grenzen führen wird und sich darauf auch erst einmal jemand einlassen muss. Ich denke auch viel darüber nach, wie ich als Regisseur genug Halt und Unterstützung geben und einen Raum schaffen kann, in dem man sich als Schauspieler*in sicher genug für so etwas fühlt. Bei aller Herausforderung glaube ich aber auch, dass der Film die Möglichkeit bietet, Figuren zu spielen, die sonst (gerade im deutschsprachigen Raum) nicht wirklich vorkommen und dass das hoffentlich für viele spannend ist. Das Casting selbst ist für mich aber im Moment noch sehr weit weg, auch wenn ich natürlich Ideen habe, wen ich gerne dabeihätte.
Trailer für Seeing Pan (2020, 28 min) :
WATTMARCK (2017, 19 min):
Als Absolvent der Akademie der bildenden Künste arbeitest du nun an deinem ersten Drehbuch für einen langen Kinospielfilm. Vor welchen Herausforderungen stellt es dich – als jemand, der keine ‘klassische’ Filmausbildung absolviert hat –, ein Langfilmdrehbuch zu schreiben?
Dass ich nie das Handwerk eines Drehbuchautors im universitären Kontext gelernt habe, ist sicher eine Herausforderung. Ich empfinde es aber auch als etwas, das mir sehr viel Freiheit gibt in der Herangehensweise an einen Stoff. So war das auch schon während des Studiums. Was die Bildende an Infrastruktur und technischer Ausbildung nicht hat, hat sie dafür an Freiraum zum Experimentieren. Ich glaube nicht, dass ich WATTMARCK oder Seeing Pan an einer Filmhochschule machen hätte können, wo man die Unterschrift aller Professor*innen braucht, bevor man drehen darf.
In welchem Stadium befindet sich das Projekt Sohn derzeit und was glaubst du, wird in den nächsten Schritten die größte Herausforderung?
Die erste Fassung des Drehbuchs ist fertig und gerade bin ich dabei, eine Produktionsfirma zu suchen, die das Projekt mit mir gemeinsam weiterentwickeln und umsetzen möchte. Es wird sicherlich eine Herausforderung sein, Förderstellen zu überzeugen, dass das Projekt, mit den Mitteln, die einem bei einem Erstlingsprojekt in Österreich zur Verfügung stehen, umsetzbar ist. Auch wird der Erfolg von Filmen bei uns immer noch hauptsächlich über im Inland verkaufte Kinotickets bemessen. Filme, die ein sehr spezifisches (z.B. ein queeres oder Genre-)Publikum haben und das international auch erreichen können, tun sich aber schwer, in einem kleinen Land mit sowieso nicht sehr starker Kinobesuchskultur, die ‘Massen’ zu erreichen. Festivalerfolge können das zum Teil ausgleichen, aber ich glaube, wir müssen bei der Auswertung von Filmen in Zukunft noch viel internationaler und gleichzeitig spezifischer denken.
Du hast zu unserem Fotoshooting als Objekt einen Lötkolben mitgenommen. Warum?
Weil ich bei meinen bisherigen Filmen auch meistens als (Ko-)Szenenbildner an der Ausstattung beteiligt war und dabei am Ende immer irgendwelche Elektroinstallationen zu löten waren. Seien es die Synthesizer in WATTMARCK oder das Körpervermietungsgerät in Seeing Pan. Das ist aber immer mehr aus der Not heraus passiert, da ich nicht gewusst hätte, wer mir das ohne Budget sonst hätte bauen sollen. Und auch wenn mir das Szenenbild immer wichtig sein wird, hoffe ich den Lötkolben in Zukunft nicht mehr selbst anwerfen zu müssen.