A Writing Life
„Warte kurz, ich erzähl mir gerade eine Geschichte!“ — Schon als kleines Kind hat Malina Nwabuonwor ihre Begeisterung fürs Erfinden und Erzählen von Geschichten entdeckt und musste ihre Familie dafür manchmal mit diesen Worten um Ruhe bitten. Heute arbeitet sie als Dramaturgin und Drehbuchautorin und wünscht sich vor allem, andere Menschen mit ihren Geschichten erreichen und bewegen zu können. Im Gespräch erzählt Malina – eine der der fünf StartstipendiatInnen 2019 der Filmabteilung der BKA-Kunstsektion – von ihrer frühen Begeisterung fürs Fernsehen, einem tollpatschigen Hund als Inspirationsquelle sowie von den Herausforderungen und der Schönheit des Schreibens.
Begonnen hat Malinas Liebe zum Schreiben mit den Geschichten ihrer Mutter: „Meine Mutter hat mir, als ich klein war, immer Märchen erzählt und eigene Versionen davon neu erfunden. Ich durfte entscheiden, welche Figuren vorkommen und dann hat sie on the go die Geschichte umerzählt. Das ging über Stunden hinweg, ich konnte nicht genug bekommen.“ In der frühen Jugend kam dann die Faszination für den Film und zunächst das Fernsehen hinzu: „Meine Mutter wird das nicht gerne hören, aber ich habe eine Zeit lang sehr viel ferngesehen und fand es irrsinnig spannend, wie diese Bilder Gefühle evozieren können. Ich wusste, irgendwo anders, in einem anderen Land, teilt jemand gerade eine ähnliche Emotion, während er das Gleiche sieht.“
Malinas erstes Filmerlebnis war Gangs of New York (US/IT 2002), dessen Aufbruchsstimmung sie sehr beeindruckt hat. Die Reichweite von filmischen Bildern, das Auslösen von Stimmungen und Empfindungen weckten in Malina den Wunsch, beim Film zu arbeiten: „Ich hab’ als Kind geglaubt, dass Film eigentlich nur Schauspiel ist, also dass das der einzige Beruf ist, den man in diesem Feld ausüben kann. Und als ich dann dahinter gekommen bin, es gibt auch Drehbuch, war ich so super happy, weil ich unbedingt mit Film arbeiten wollte, aber wusste, Schauspiel ist nicht meins.”
Die Faszination für die Kraft des Mediums prägt sie auch heute noch: „Das wär der Traum, wenn ein Buch von mir ein großes Publikum erreicht, und zumindest ein oder zwei Menschen angeregt werden, entweder Dinge zu hinterfragen oder über die Welt nachzudenken, oder ein gutes Gefühl bekommen. Ich glaub’, das ist mein Wunsch: dass es was bewegt in den Leuten.“
Malinas beruflicher Weg führte sie aber zuerst an die Grafik HTL in Linz, der safe plan, und dann nach Amsterdam, wo sie als Grafikerin arbeitete. Der Gedanke, an der Filmakademie Wien zu studieren und Drehbuchautorin zu werden, erschien „wie ein Traum, der eh nie wirklich werden kann“. Doch dann hat es bei der ersten Bewerbung auf Anhieb geklappt: Seit 2014 studiert Malina Drehbuch und Dramaturgie in der Klasse von Götz Spielmann und Sandra Bohle. Mit ihrem Bachelor-Abschlussdrehbuch Tobias war sie 2019 für den renommierten deutschen Nachwuchspreis First Steps Award nominiert.
Die nominierten Filmschaffenden beim First Steps Nominiertentag 2019 in Berlin (Foto © Florian Liedel / Deutsche Filmakademie).
Tobias erzählt die Geschichte eines Jungen, der sich zwischen seiner pubertierenden Freundesclique, seiner Mutter und deren neuem Freund verloren fühlt. Als er Manuel, den Anführer einer rechtsradikalen Gruppierung, kennenlernt, will Tobias dem charismatischen jungen Erwachsenen um jeden Preis gefallen. Er entfernt sich immer weiter von seinem alten Leben — und findet zuletzt dennoch in seiner Mutter eine unerwartete Stütze.
Inspiration für das Drehbuch war ein Junge aus Malinas Nachbardorf — und die Fragen, die er bei ihr aufwarf: „Wer ist dieser Typ eigentlich? Ich fand das immer sehr spannend und dachte mir, den würde ich eigentlich gern kennenlernen. Weil das eine politische Richtung ist, die ich so gar nicht verstehen kann — es ist aber wichtig, einen Dialog zu suchen, damit man nicht so voneinander abdriftet, links und rechts.“
Auszug aus dem Drehbuch Tobias mit Anmerkungen von Malina.
Meistens ergeben sich Malinas Drehbuchideen aus einem gesellschaftspolitischen Thema, das sie interessiert, verknüpft mit einer privaten Erinnerung oder Beobachtung. So auch das Spielfilmprojekt Der erste letzte Sommer, mit dem sie sich für das BKA-Startstipendium beworben hatte. Darin erzählt sie von der siebenjährigen Marie, deren erster Begegnung mit dem Tod und von einem tollpatschigen Bull Terrier, der sie dabei begleitet.
Am Anfang der Drehbuchidee stand eine Anekdote aus Malinas Kindheit: „Ich wollte immer einen Hund haben, aber meine Großeltern und meine Mutter haben mir das nie erlaubt. In dem Sommer, in dem mein Opa gestorben ist, wurde er zuhause gepflegt. Mein Opa war Tischler. Er hat schon immer einen sehr großen Platz in dieser Familie eingenommen. Meine Mutter dachte sich dann: Damit der Sommer für mich nicht so arg wird, erlaubt sie mir, einen Hund zu sitten. Dann stand eben dieser Kampfhund auf einmal vor der Tür, so ein richtiger kleiner, bulliger Kampfhund, ein Bull Terrier, und meine Mutter war gleich ein bisschen geschockt, weil sie diese ganzen Horrordokus über Kampfhunde gesehen hatte. Und dann war dieser Hund da und ich habe ihn geliebt, er war wirklich so ein Bröckchen Muskel, ich hab’ auf ihm geschlafen und mit ihm im Schlamm gespielt, das war super. Aber er hat auch alles auseinandergenommen im Haus, alles, was mein Opa aus Holz gemacht hatte, hat er zerlegt. Ich fand es retrospektiv sehr spannend, wie dieser Hund, Attila hieß er, diesen eher tristen Sommer auf den Kopf gestellt und am Schluss irgendwie trotzdem eine schöne und extrem lockere Stimmung hinterlassen hat.“
Seit 2014 ist Malina Teil des Teams der Witcraft Filmproduktion, (v.l.): Robert Buchschwenter, Laura Wichmann, Ursula Wolschlager, Malina Nwabuonwor, Naima Schmidt, Senad Halilbašić (Foto © Lukas Beck).
Malina ist mit ihren 25 Jahren bereits bestens in der Filmbranche vernetzt. Seit 2014 arbeitet sie als Dramaturgin und bietet Script Consultings und Stoff-Lektorate für Produktionsfirmen an. Ihre Fähigkeiten und Erfahrungen in dem Bereich bringt sie auch in ihrer Arbeit für die Produktionsfirmen Witcraft und FreibeuterFilm sowie beim Drehbuchentwicklungsprogramm Diverse Geschichten mit ein, wo sie als Dramaturgin tätig ist und andere Filmbegeisterte beim Drehbuchschreiben unterstützt. Im Rahmen von Drehbuchworkshops und bei Vorträgen, bspw. bei der Juvinale 2019 in Salzburg, teilt sie Einblicke in Arbeitsprozesse sowie „Tipps, Tricks und Spielereien“ mit filmbegeisterten Menschen – eine Arbeit, die Malina viel zurückgibt.
Viele dieser Spielereien schulen die Aufmerksamkeit und Beobachtungsgabe: Dinge, die Malina seit ihrer Kindheit kultiviert hat. Vom Schreiben von morning pages – dem morgendlichen Niederschreiben von Gedanken als Einstimmung in den Tag – bis hin zu Dates mit sich selbst im Museum: Inspiration zieht die Autorin häufig aus Beobachtungen, aber auch aus Fotografien, Malerei, dem Umherwandern im Museum. Neue Eindrücke konnte Malina auch während ihres einjährigen Studienaufenthalts in Mexico City sammeln, wo sie Screenwriting am Centro de Capacitación Cinematográfica studierte. Mitgebracht hat sie auch Einblicke in die lebendige mexikanische Kulturszene und eine neu gewonnene Liebe zum Theater. Literatur sei sowieso eine ständige Inspirationsquelle, sagt Malina. Eines ihrer Lieblingsbücher sei Wounds of Passion, die Memoiren der US-amerikanischen Literaturwissenschaftlerin bell hooks. Der Zusatztitel des Buches passt übrigens gut zu Malinas Leben: A Writing Life.
Dennoch gilt Malinas Leidenschaft dem Medium Film. Ihre Tätigkeit als Drehbuchautorin sieht sie als logische Folge: „Was ich schön finde am Film ist, dass er so viele Leute erreichen kann. Aber ich würde gerne einmal im Leben einen Roman schreiben. Ich habe davor sehr viel Respekt, aber das würd’ ich sehr gern machen. Ich bewundere Leute, die über 300 Seiten einen Gedanken fortführen können und alles bleibt stimmig. Ich glaub’, meine Begeisterung für Film und fürs Schreiben haben irgendwie automatisch eine gute Symbiose ergeben — Drehbuchschreiben schien der beste Weg zu sein, beides zusammenzubringen.“
Szenische Lesung bei Diverse Geschichten IX im Stadtkino Wien (v.l.): Robert Buchschwenter, Tizza Covi, Senad Halilbašić, Malina Nwabuonwor (Foto © Diverse Geschichten).
Da Drehbücher ganz anders funktionieren als Kurzgeschichten oder Romane, musste Malina sich im Laufe ihres Studiums und ihrer Arbeit bestimmte Dinge erst angewöhnen. Zum Beispiel einfache, simple Sätze zu schreiben: „Oft sind Drehbücher, die schön zu lesen sind, schlicht geschrieben. Ich liebe Schachtelsätze, diese Vorliebe musste ich echt aufgeben fürs Drehbuchschreiben. Es ist mir sehr schwer gefallen am Anfang. Ich mochte dieses Verlängern von Sekunden, dieses detaillierte Schreiben irrsinnig gern. Und das ist im Drehbuch eher schwierig, weil man Gefühle oder Inneres nicht auserzählt. Ein Drehbuch ist ja eine Vorlage für einen Film, damit arbeiten Leute noch weiter. Das unterscheidet es eben auch gänzlich vom Roman. Und so sehe ich das Drehbuch jetzt auch: als ein Ding, eine Anleitung für einen Film — das Drehbuch löst sich dann ja einfach auf, wird zu einem Film.“
Wichtig ist für Malina auch der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen an der Filmakademie Wien. Gemeinsame Dramaturgiearbeit — für ihre Projekte und die ihrer Mitstudierenden — funktioniert am besten, „wenn man sich wirklich ein paar Stunden Zeit nehmen und dann auch Szene für Szene durchgehen kann“. Bislang wurden bereits mehrere Projekte, bei denen sie als Dramaturgin oder Koautorin mitgewirkt hat, umgesetzt. Zum Beispiel der Kurzspielfilm TNT Boxerstory (AT 2018, 20 min) von Mark Gerstorfer, der seine Premiere 2018 beim Montréal World Film Festival feierte, oder die Kurzspielfilme Josef Markus Julian (AT 2019, 24 min) und Das Urteil im Fall K. (AT 2020, 30 min) des Regiestudenten Özgür Anil.
Dadurch, dass viele Regiestudierende auch meist selbst die Drehbücher schreiben, ist es oft für DrehbuchautorInnen gar nicht so leicht, ihre eigenen Stoffe umsetzen zu können. Die Folge: AutorInnen führen dann selbst Regie. Malinas erste Regiearbeit, für die sie auch das Drehbuch schrieb, befindet sich in Fertigstellung: Auf einem sehr experimentellen Drehbuch basierend, ist Einmal noch Elise in enger Kooperation mit AnimationskünstlerInnen entstanden und setzt sich aus Stop Motion und digitaler Animation zusammen.
Stills aus Einmal noch Elise (in Fertigstellung), Animationen: Gerd Zimmermann und Julian Grumer, Ausstattung: Lorenz Tröbinger, Kamera: Hanna Hofstätter, Buch & Regie: Malina Nwabuonwor.
Bei den Arbeitschancen für eigenständige DrehbuchautorInnen sieht sie Verbesserungspotenzial: Durch den bisherigen Trend hin zum AutorInnenfilm fehle es oftmals an Vernetzung und an Möglichkeiten, wirklich als Autorin — und nicht als Autorenfilmemacherin — zu arbeiten und bei RegisseurInnen anzudocken. Als inspirierend nennt Malina Arbeitssettings wie Writers’ Rooms und die Arbeit an Serien, bei denen der AutorInnenberuf von der Regiearbeit meist klar getrennt ist. Mehr Chancen einander kennenzulernen wären hilfreich, denn: „Man muss ja auch zusammenpassen; es ist fast so, wie einen Kurzzeitpartner zu finden!“
Derzeit arbeitet Malina gleich an mehreren Projekten. Neben ihrem Spielfilmdrehbuch im Rahmen des BKA-Startstipendiums schreibt sie gerade an einem Exposé für eine groteske Krimi-Komödie und fungiert als dramaturgische Beratung für RegisseurInnen wie Nathalie Borgers. Auch bei der First-Steps-Veranstaltung vergangenen September haben sich viele schöne Gespräche ergeben. „Drück mir die Daumen!“, sagt sie, als sie von ihren geplanten Projekten erzählt.
Ihr Plan für die Zukunft ist zunächst „ganz ganz viel schreiben“ und sich noch stärker als Autorin und Dramaturgin zu positionieren. Mit der Zuerkennung von gleich zwei wichtigen Stipendien, dem BKA-Startstipendium und dem Drehbuchstipendium der Literar Mechana, war 2019 für Malina ein äußerst erfolgreiches Jahr und ein wichtiger Schritt auf ihrem Weg. Man darf sich auf viele weitere spannende Projekte freuen — beide Daumen sind gedrückt!