Pipi Fröstl | BMKÖS Startstipendiatin 2024
Porträts

Pipi Fröstl | BMKÖS Startstipendiatin 2024

18.1.2025, 10:55 Uhr

Aus dem „Ich“ sprechen immer auch die Anderen

 

Pipi Fröstl, 1992 in Wien geboren, studierte Drehbuch- und Dramaturgie an der Filmakademie Wien, davor war sie als Filmredakteurin und -kritikerin tätig. Für ihr Abschlussdrehbuch “(w)hole” erhielt sie 2021 den Carl-Mayer-Drehbuchpreis sowie 2022 den Drehbuchpreis bei FIRST STEPS. Ihr Kurzspielfilm “Strangers like us”, für den sie gemeinsam mit Felix Krisai das Drehbuch verfasste und Regie führte, erhielt im Rahmen der Diagonale 2024 den “Thomas Pluch Drehbuch-Preis für den besten kurzen und mittellangen Film”. Für das Startstipendium 2024 hat sich Pipi mit dem Spielfilmprojekt “Grasp” beworben, das von mehreren Figuren, ihrem Bedürfnis zu Greifen und der Schwierigkeit loszulassen erzählt.

 

Du hast bei deinen bisherigen Filmprojekten immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen geschrieben – mal alleine, mal in Co-Autor:innenschaft und auch bereits in einem Writers Room. Hast du eine Präferenz, wie du am liebsten schreibst?

Pipi FröstlIch habe keine Präferenz. Es hat beides etwas für sich. Wenn man alleine arbeitet, lernt man viel über sich selbst. Ich kann genau sagen, welche Motive sich bei mir wiederholen und warum. Ich kann benennen, was diese Dinge mit mir zu tun haben. Ich mache eine Erfahrung mit mir selbst und der Welt. Das gibt mir Sicherheit im Erzählen.

Beim Zusammenarbeiten muss man sich zurücknehmen, Kompromisse finden und man trägt nicht die alleinige Verantwortung. Die Arbeiten sind Mischformen verschiedener Signaturen. Vielleicht kann es den Druck des Individuums reduzieren besonders singulär, genial, originell, intelligent oder sonst was sein zu müssen. Es befördert kollektives Denken, etwas, das für unsere Welt sehr wünschenswert ist.

Generell mag ich den Gedanken, der im Essayfilm und der Écriture feminine ohne Autorität vertreten ist: dass aus dem „Ich“ immer auch die Anderen sprechen. Das stellt in Frage, ob es überhaupt so etwas, wie ein isoliertes Schreiben geben kann, denn es sind immer auch die Anderen am Werk.

Während die einen mehrere Jahre an einem Stoff schreiben, listet dein Lebenslauf in den letzten drei Jahren neben GRASP und (w)hole noch einen dritten Langfilmstoff. Bist du eine Vielschreiberin?

Pipi Fröstl: Ich schreibe gerne an mehreren Sachen nebeneinander, weil mir das hilft. Die verschiedenen Arbeiten können sich gegenseitig bereichern. Manchmal erweisen sich Ideen beim Ausarbeiten als schwieriger und stagnieren. Dann ist es gut, etwas anderes aufgreifen zu können. Aber zu viele Projekte zu haben ist auch nicht gut. Ich glaube, es ist wichtig die Balance zu finden. Übrigens schreibe ich auch jahrelang an meinen Stoffen.

Filmstill aus „NACH OBEN KEIN ENDE“, ein experimenteller Kurzspielfilm, der im Kollektiv mit Anna Sophia Rußmann, Kilian Immervoll, Pia Huemer und vielen anderen gerade im Entstehen ist.

Worum geht es im Spielfilmprojekt, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?

Pipi FröstlIm Zentrum der Erzählung steht eine junge Frau, die fühlt, dass ihr Arm nicht zu ihrem Körper gehört. Sie sehnt sich nach einer Amputation, ein Umstand, der den meisten Menschen unbegreiflich erscheint. Auch die anderen Figuren hadern mit ihren Körpern, den empfundenen Unzulänglichkeiten und dem Bedürfnis diese in den Griff zu bekommen. Der Körper wird zu einer Sache, die sie zu beherrschen versuchen. Vielleicht, um einer gefühlten Ohnmacht zu begegnen, denn ist nicht sehr vieles auf dieser Welt „out of our hands“?

Für mich beschreibt der Konflikt der Zentrumsfigur außerdem ein Paradoxon: Auf der symbolischen Ebene steht der Arm für Handlungsfähigkeit, im weiteren Sinne Kontrolle. Dass ihr Bedürfnis nach Kontrolle über den Körper damit zusammenhängt Kontrolle abzugeben finde ich interessant. Das ist widersprüchlich und ihr Konflikt bleibt unauflösliches Dilemma, weil sie ihr Ziel nicht erreichen kann.

In dem Spiefilmprojekt führt die Zentrumsfigur quasi ein Doppelleben. Was interessiert dich an dieser Doppel-Identität oder doppelten Identität?

Pipi Fröstl: Identität erscheint einerseits als etwas Fixiertes, andererseits als etwas Konstruiertes und Flexibles. Das interessiert mich. Zugehörigkeit ist dabei ein wesentlicher Aspekt. Meine Zentrumsfigur besucht den Amputierten-Sport, weil sie sich dort zugehörig fühlt, aber eigentlich gehört sie da nicht hin. Sie lebt mit dem inneren Konflikt, dass sie weder hierhin noch dorthin passt. Man könnte sagen, sie bewegt sich im Dazwischen. Das Doppelleben ist ein Motiv, das von dieser Unentschiedenheit erzählt.

Auch der (Arbeits-)Titel steht für eine Begriffspluralität – Kannst du diesen näher erläutern?

Pipi FröstlTitel sind mir sehr wichtig, weil sie eine gute Möglichkeit darstellen, dem Film etwas hinzuzufügen und sie sind ein Verweis darauf, wie ein Film gelesen werden kann. Der Titel zeigt aufs Thema, er trägt erzählerisch bei. Mir ist es wichtig, das mit einem Titel zu schaffen.

In “Grasp” versuche ich mich einem ungreifbaren Zustand anzunähern und auch diegetisch geht es ums Greifen nach dem Ungreifbaren. Der Titel steht aber auch für Unbegreifbarkeit, also für das Unverständnis. Er beschreibt außerdem den klammerhaften Griff nach Kontrolle und die Unmöglichkeit, sie dadurch zu erlangen. Es geht in gewisser Weise um Unerreichbarkeit. Das alles sind kleine Abwandlungen, Nuancen. Ich versuche einen Bedeutungskontext anzureichern, ohne Hoffnung auf Totalisierung. Vielleicht lässt sich eine Analogie zwischen meiner begrifflichen und meiner inhaltlichen Auseinandersetzung herstellen: Es geht mir um eine Annäherung, nicht um die Endgültigkeit.

In welchem Stadium befindet sich das Projekt aktuell und was sind derzeit die großen Herausforderungen?

Pipi Fröstl: Das Projekt ist in der Stoffentwicklungsphase. Ich habe ein Treatment und eine Drehbuchfassung und bin gerade am Überarbeiten. Um den Figuren näherzukommen, versuche ich immer so schnell wie möglich, ins szenische Schreiben zu kommen. Dann aber gehe ich oft wieder zurück und arbeite an der Struktur, ändere Figuren, Motive und eigentlich alles, was geändert werden muss, um dem näherzukommen, was ich in der Essenz erzählen will. Da ich an mehreren Dingen gleichzeitig arbeite, muss ich die verschiedenen Projekte koordinieren und schauen, dass ich sie nacheinander zu einem Abschluss bringe. 

In einem deiner letzten Kurzfilme “STRANGERS LIKE US” gibt es eine Abfolge von Absurditäten, die sich zwischen zwei Paaren Mitte Dreißig beim Zelebrieren des vorstädtischen Lebens ereignen. Welche Art von Filmen interessiert dich grundsätzlich?

Pipi Fröstl: Für mich sollte ein Film Komplexität abbilden. Ich mag, wenn es verschiedene Interpretationsmöglichkeiten gibt oder eine Frage aufgeworfen wird, die keine klare Antwort erzwingt. Ich mag es zum Denken aufgefordert zu sein und ich glaube, es ist notwendig Geschichten zu erzählen, in denen sich die Figuren nicht auf heldenhafte Weise in optimalere Menschen verwandeln oder die nicht auf die Lösung eines Problems abzielen. Meistens reden wir über Inhalte, aber die Struktur ist mindestens so relevant, wie das, wovon die Geschichte handelt. Sie bildet in noch viel stärkerem Ausmaß die Haltung der Erzählenden ab, sie ist Ausdruck einer Weltsicht. 

Filmstill aus dem Kurzspielfilm “STRANGERS LIKE US” (2024, 22 Min.), bei dem Pipi gemeinsam mit Felix Krisai das Drehbuch verfasst und Regie geführt hat.
Portraitfoto © Cinema Next | Anna Breit