Mr. Musikvideo
Kein Jahr ohne Musikvideos von Rupert Höller. Während andere diese kurze Filmform auf ihrem Weg zum langen Kinofilm nur streifen, wurde sie für den Filmakademie-Studenten zum beruflichen Mittelpunkt. In der Mischung aus Konzept, Narration, Emotion und Effekt fühlt Rupert sich am wohlsten. Musik bietet ihm die ideale Vorlage, um kreativ zu werden. Und das so erfolgreich, dass man erwarten darf, dass sich bald auch internationale Türen öffnen.
Als wir uns letztes Jahr auf die Suche nach Musikvideos für unseren jährlichen Cinema Next Adventkalender machten, fanden wir nicht weniger als acht Videos, die Rupert 2019 in Regie und Schnitt realisierte. Manche dieser Videos waren auf den ersten Blick schon als ‘Höllersche Werke’ identifizierbar.
“Natürlich habe ich inzwischen so etwas wie eine Handschrift”, meint der 1992 geborene Salzburger im Gespräch. “Mich stört das eigentlich gar nicht, eine erkennbare Richtung zu haben. Ich nehme mir dennoch die Freiheit, da auch wieder auszubrechen. Das ist das Schöne an Musikvideos: dass die Grenzen offen sind, das alles geht. Ein Musikvideo kann alles sein.”
Es brauchte seine Zeit, bis Rupert für sich herausfand, dass ihm die Form der Musikvideos am besten liegt und ihm die Freiheiten gibt, die er beim Filmemachen sucht.
Dabei wäre er schon mal dort gewesen, wo er erst viel später wieder landen sollte. Nur: Da war Rupert 13, 14 Jahre alt und hatte fürs Filmemachen zwar viel Leidenschaft, aber noch keine Ahnung davon, was das beruflich für ihn bedeuten könnte. Ruperts erste Filmversuche waren sehr experimentell und “oft auf Musik geschnitten, also im Grunde viel mehr Form als narrativ”, sagt er. “Das waren keine Kurzfilme mit Geschichte und SchauspielerInnen, sondern Experimente mit Effekten, in denen auch mal Köpfe explodierten. Absurde, verrückte Sachen, etwas Visuelles, das Gefühle auslöst.” Leider sei von diesem Material nichts mehr vorhanden, meint Rupert auf unsere Nachfrage. Oder er will es uns nicht rausrücken …
Dann wurden die Filme narrativer. Die Erwartung, eine relevante oder spannende Geschichte zu erzählen, wog immer stärker als die Möglichkeit, einen Film nur als Gefühl oder experimenteller zu gestalten. Mit Bernhard Wenger, den er in Salzburg in der Gymnasialzeit kennenlernte und mit ihm fortan die Leidenschaft für Film teilte, reichten sie überall, wo sie konnten, ihre gemeinsam gestalteten Filme ein oder machten bei Filmwettbewerben mit. Da diese oft Themen vorgaben, war der narrative Zugang auch diesen Rahmenbedingungen geschuldet.
2011, als Rupert und Bernhard nach dem Zivildienst gemeinsam nach Wien zogen, um zunächst Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Uni Wien zu studieren, blieb der Hang zur Fiktion: “Irgendetwas mit Film zu machen, bedeutete für mich sehr lange, narrativ zu arbeiten. Selbst wenn wir Musikvideos gemacht haben, war immer zuerst die Frage: Welche Geschichte will man erzählen? Die ersten Musikvideos waren dann auch immer wie narrative Kurzfilme.”
Das Studium an der Uni Wien fand nur “alibimäßig” statt, erzählt Rupert. Auch, weil die leidenschaftlichen Jungfilmer schnell merkten, dass sie eine andere Vorstellung vom geisteswissenschaftlichen Studium hatten: Theorie ja, aber eigentlich wollten sie auch Filme machen. So arbeiteten sie neben dem Studium so oft es ging in unterschiedlichsten Positionen an Filmsets oder drehten eigene Kurzfilme. Dabei kristallisierte sich Ruperts Interesse für Schnitt heraus. Naheliegend war schließlich der Wunsch, sich für die Filmakademie Wien zu bewerben: “Unsere Erstbewerbung 2012 war sehr blauäugig. Eine Mischung zwischen mega-ambitioniert, aber doch noch keine Ahnung von dem, wohin man eigentlich möchte.” Erst mit der dritten Bewerbung – Rupert in Schnitt, Bernhard in Produktion – klappte es: Seit 2014 studieren sie gemeinsam an der Filmakademie. Trotz seines Fokus auf Schnitt wollte Rupert aber weiterhin an Sets arbeiten und sich auch als Regisseur ein zweites Standbein aufbauen.
Geprägt von der Arbeit an Musikvideos fand Rupert für sich ein neues Hobby: das Fotografieren. Die Bilder (oben das Bild mit dem Titel High Noon) vereinen Ruperts Interesse an Architektur/Location, Bildkomposition und einer sehr reduzierten Ästhetik. “Ich spiele gerne mit kleinen imperfekten Details, die das komplett Cleane auch wieder brechen. Es entstehen Szenen und Orte, die es so in der Realität nicht gibt. Ich liebe es, wenn mich wer fragt ‘Gibt’s das wirklich?’ oder ‘Wie ist das gemacht?’. Wenn die Leute sich nicht sicher sind, ob das jetzt echt ist oder oder nicht, macht sich für mich genau die Magie bemerkbar, die Film und Fotografie erzeugen können.” Rupert verkauft seine Fotos mittlerweile als ‘minimal photographer’ in einigen Online-Galerien.
Als Cutter arbeitet Rupert vor allem mit Freund und Studienkollege Bernhard, für den er u.a. ENTSCHULDIGUNG, ICH SUCHE DEN TISCHTENNISRAUM UND MEINE FREUNDIN (2018, 23 min) schnitt, der die Kurzspielfilmpreise bei der Diagonale’18 und beim Österreichischen Filmpreis 2019 gewann. In Ruperts Portfolio stehen aber auch Musikvideos für andere Regisseure. Sein Bachelorstudium im Schnitt schloss er mit Dominik Hartls neuem Kurzfilm Die Waschmaschine (2020, 25 min) ab.
Bernhard schätzt an ‘seinem’ Schnittmeister das Gespür für Humor, Emotionalität und feinen Rhythmus – und: “dass ich weiß, dass Rupert etwas, das beim Dreh nicht perfekt lief, in der Postproduktion noch retten kann”. Ebenso wichtig: Ruperts Gespür für Ästhetik und Effekte – besonders sichtbar, mal präsenter, mal leiser, in seinen eigenen Regiearbeiten.
Von den narrativen Arbeiten, die Rupert bisher in Ko-Regie (mit Bernhard) oder in Eigenregie realisierte, listet Rupert nur zwei auf seiner Webseite: den abseits von der Filmakademie produzierten, etwas strategisch wirkenden (große Schauspielnamen, großes Thema), aber sehr erfolgreichen Anti-Rassismus-Kurzfilm Ausstieg Rechts (2015, 6 min) sowie 1+1=1 (2019, 7 min), ein Film, dem man Ruperts Verständnis für Effekte und Emotionen anmerkt, der aber auch seine persönliche Unruhe in sich trägt:
“Als ich den Film gemacht habe, hatte ich noch nicht die Sicherheit, mich nur auf Musikvideos zu konzentrieren. Ich hatte das Gefühl: ‘Ich sollte wieder mal einen Film machen.’ Gleichzeitig aber kam wieder der Stress auf: Alles ist möglich, es gibt weder Grenzen noch Vorgaben. Ich machte das dann zum Thema: ein Film über das Gefühl, nicht zu wissen, wo man gerade steht oder eben alles zu arg zerdenkt. Ein Film, der das Gefühl der Überforderung visualisiert.”
Daher sei der Film auch ein “schwieriger” Film geworden, für ihn persönlich wie auch für die ZuschauerInnen, die in die düstere, effektvoll in Szene gesetzte Gedanken- und Bilderwelten des Protagonisten eintauchen.
Still aus 1+1=1 (© Paul Sprinz).
Die Freiheiten, die die Filmakademie ihren Studierenden lässt, setzten dem jungen Studenten zu:
“Auf der Filmakademie hatten wir oft ein ganzes Semester Zeit, einen Film zu drehen, aber keine große Vorgaben. Dieses ‘Mach, was du willst’ kann einen auch unter Druck setzen. Man kriegt das Gefühl, der nächste Film muss jetzt ein Meisterwerk werden. Aber gleichzeitig wird keine Richtung vorgegeben. Ich kann besser arbeiten, wenn ich einen Rahmen habe. Grundsätzlich habe ich zwar kein Problem damit, mir Sachen einfallen zu lassen, aber ich bin jemand, der eine Zündung braucht, die etwas lostritt. Wenn jemand kommt und sagt: ‘Hier hast du das Geld, mach, was du willst’, kann ich damit weniger etwas anfangen, als wenn jemand kommt und sagt: ‘Hier hast du meine Musik.'”
Und Musik – und MusikerInnen, die ein Video wollen – gibt es in Österreich genug. In der Musik fand Rupert schließlich die Richtung, die ihn als Filmemacher triggert und in der er sich entfalten kann. Nicht filmische Vorbilder oder seine Liebe zur Musik waren für diesen neuen Fokus maßgeblich, sondern der Umstand, dass er mit vielen MusikerInnen befreundet war. So auch mit den Zwillingen der Salzburger Band MYNTH, die er seit seiner Jugend kennt. Und als MYNTH ein Musikvideo wollten, waren Rupert und Bernhard zur Stelle. Mittlerweile sind mehrere Musikvideos für sie entstanden.
Best-Pop-Video! Bei den UK Music Video Awards nahmen Rupert und sein DoP Matthias Helldoppler für ihr grandioses Musikvideo Leyya: Wannabe den “Newcomer”-Preis entgegen.
“Startpunkt ist immer der Song”, beschreibt Rupert seine Herangehensweise. “Manchmal habe ich gleich beim ersten Reinhören eine Idee. Manchmal wird’s ein längerer Prozess, etwa dann, wenn die Band etwas anderes will, als ich mir anfänglich vorstellte. Es gab mal eine Phase, in der ich die Videos performativer angelegt habe. Das pendelte dann wieder zurück und sie wurden wieder etwas narrativer. Grundsätzlich aber halte ich mir das bei jedem Projekt offen.”
Bei einigen seiner aktuellen Musikvideos, bspw. YUKNO: Das Leben ist so schön und HEARTS HEARTS: Rub My Eyes arbeitete Rupert wieder verstärkt mit SchauspielerInnen. “Vor dieser Schauspielarbeit – zu improvisieren oder auch mit Laien zu arbeiten – hatte ich immer einen zu großen Respekt. Bei Rub My Eyes war das Schauspiel zwar gezielter, aber wir haben auch hier viel ausprobiert. Für mich war es total erfrischend und spannend, dass man Dinge einfach auch mal passieren lassen kann. Das war mal wieder so ein neuer Moment, an dem ich gewachsen bin.”
Realisiert hat Rupert Höller bisher unzählige mehr, aber auf seiner Webseite (Stand August 2020) präsentiert er 20 Musikvideos – für Tracks von Bands wie MYNTH, Leyya, Lou Asril, Oehl oder Avec. Man kann also ohne Übertreibung sagen: Rupert visualisiert mit seinen Videos die Musik der heimischen Popszene. Seine Videos sind millionenfach angesehen, zigfach auf Filmfestivals gezeigt und prämiert worden. Bisheriger Höhepunkt: Leyya: Wannabe, das auf YouTube knapp eine Million Views zählt und bei den UK Music Video Awards 2018 als Best-Pop-Video in der Kategorie “Newcomer” ausgezeichnet wurde.
Wir wollten von Rupert hören, welche drei Musikvideos er aus seinem bisherigen Pool rauspicken würde, und warum.
Hier also:
Rupert Höllers eigene Top 3
MYNTH: SMOG war für mich rückblickend ein Wendepunkt, weil ich gesehen habe, dass mich das kreativ mehr erfüllt als das klassisch Narrative mit Drehbuchschreiben und so: also etwas abstrakter, surrealer arbeiten. Der Anstoß kam eigentlich von der Band selbst, die auch mal Teil des Musikvideos sein wollten. Ich wollte aber kein Video machen, in dem man die Band spielen sieht, sondern die Band auf einer anderen Ebene, als zusätzliches, surreales Element reinbringen. Ich habe dann auch bemerkt, dass ich damit eigentlich zu meinen ersten Gehversuchen zurückkehrte, als ich mit 13, 14 Jahren experimentellere Filme auf YouTube hochgeladen habe. Eigentlich erst mit SMOG kam dieser Zugang wieder mehr und mehr rein.
Leyya: WANNABE ist aufgelegt, weil es auch das Erfolgreichste ist. Aber ich möchte es trotzdem nennen, weil hier einfach alles perfekt zusammenspielte: eine Geschichte zu haben, aber sie auf eine visuelle, symbolische Art zu erzählen. Im Song geht es ja darum, dass man sich ständig mit den anderen vergleicht, man immer glaubt, der andere ist besser. Da kam die Idee, aus den beiden MusikerInnen Zwillinge zu machen, die sich gegenseitig watschen, aber dann auch wieder versöhnen. Das Video sollte eben nicht nur cool ausschauen oder eine coole Geschichte haben, sondern diese beiden Elemente sinnvoll zusammenbringen.
Ich mag das Video Oehl: Über Nacht sehr, weil auch hier wieder Abstraktes und Geschichte perfekt ineinander spielen. Es gibt Videos von mir, die mehr Performance-Videos sind wie bspw. die Videos für Good Wilson. Bei Oehl hab ich mich wieder getraut, etwas narrativer zu werden und mich mit diesem Zugang wieder zu versöhnen. Davor war ich diesbezüglich sehr vorsichtig. Bei diesem Projekt ist aber auch alles schön zusammengekommen: Findet man die richtige Location? Oder die Darstellerin, die man gerne hätte? Das ist manchmal halt auch Pech oder Glückssache.
Auch wenn es immer heißt, mit Musikvideos kann man in Österreich kein Geld verdienen und die Budgets seien zu gering, kann Rupert mittlerweile von dieser Arbeit leben. “Dass ich daran etwas verdiene, mal mehr, mal weniger, war schon ausschlaggebend für die Entscheidung, dass ich mit Musikvideos weitermache”, sagt Rupert. Den kleinen Budgets angepasst arbeitet Rupert dann auch im kleinen Team: Oft sind neben Band und Rupert nur noch der Kameramann (Rupert arbeitet hier oft mit Adrian Bidron und Matthias Helldoppler) mit dabei. Aber die Motivation, auch mal was mit einer internationalen Band zu machen, ist da. “In Österreich steht man schnell an, was die Budgets betrifft oder auch die Größe der Bands. Für mich wäre es wieder spannendes Neuland, raus zu gehen und an Projekten in einer anderenGrößenordnung zu arbeiten. Das schließe ich jedenfalls nicht aus oder steuere es auch ein bisschen an.”
Nach dem Preis bei den UK Music Video Awards wurde Rupert von Nexus Studios kontaktiert, einem international tätigen Produktionshaus. Er ist dort einer von 26 talents, die man für Musikvideo- oder Commercial-Pitches buchen kann. Obwohl er seit rund einem Jahr “im roster” sei, kam es noch zu keiner Verpflichtung. Es sei schwierig, auf internationaler Ebene zu pitchen, weil am Ende doch wieder auf Namen zurückgegriffen werde, die mehr Referenzen oder schon für größere Acts oder Brands gearbeitet haben.
An Arbeit fehlt es Rupert derzeit jedoch nicht. Während des Corona-Lockdowns im Frühjahr stand alles still (Ruperts “Quarantäneprojekt” war die schriftliche Bachelorarbeit), danach ging es wieder schnell weiter: Nur ein Projekt wurde ganz abgesagt, die anderen seit Ende Mai nachgeholt. Allein im August drehte er drei Musikvideos, Ende dieses Jahres werden es vermutlich insgesamt um die 14 sein.
“Sehr musikvideolastig, wie meistens”, beschreibt er daher seine aktuelle Situation. Rupert scheint derweil seinen Platz gefunden zu haben. Musikvideos sind für ihn kein Umweg zu einem ‘höheren’ Ziel – etwa wie bei manch anderen FilmstudentInnen ein Kinolangfilm. “Ich habe kein Problem damit, wenn man über mich sagt: ‘Das ist der Musikvideo-Typ!’ Ich find das eigentlich ganz cool.”