Sallar Othman| BMKÖS Startstipendiat 2021
Porträts

Sallar Othman| BMKÖS Startstipendiat 2021

Februar 2022

„Leider ist es einfacher, profitorientierte Produktionen zu verwirklichen als gesellschaftskritische“

 

Sallar Othman wurde 1992 in AL-Hasaka Kurdistan-ROJAVA (Nordsyrien) geboren. Dort drehte er seinen ersten Kurzfilm, gründete eine Theatergruppe und inszenierte Straßentheater in der Region. Aufgrund von Verfolgung und Krieg ergriff er 2015 die Flucht und kam nach Österreich. Hier dreht er als Autor und Regisseur Kurzfilme und Musikvideos und arbeitet für Produktionsfirmen in unterschiedlichen Positionen. Für das Startstipendium hat Sallar sich mit dem Spielfilmprojekt Die Reise beworben, das von einem Dutzend Menschen handelt, die im LKW aus Ungarn kommend nach Österreich fliehen wollen.

 

Worum geht es in deinem Spielfilmprojekt Die Reise, wofür du das Startstipendium erhalten hast und auch schon vom Drehbuchforum gefördert wurdest?

Sallar Othman: Dieser Film zeigt den gefährlichen Weg der Flucht auf europäischem Festland in einem Kühltransporter. Er erinnert im ersten Moment an die Tragödie bei Parndorf im August 2015. Dabei bezieht er sich nicht nur auf dieses tragische und politisch bewusst in Kauf genommene Ereignis, sondern greift auch historische sowie gegenwärtige Konfliktlinien verschiedener Regionen auf. Ich selbst habe einen Teil meiner Reise aus Kurdistan Rojava (Nordsyrien) in Transportern zurückgelegt und die Umstände – Emotionen, Schwierigkeiten, Konflikte sowie Banalitäten einer Flucht durch mehrere europäische Länder – erlebt. In der Struktur dieser Geschichte verknüpfe ich eigene Erfahrungen und biografische Ausschnitte von Freund*innen und Verwandten mit den Erfahrungen fiktionaler Charaktere. Sie zeigen Wege und Erfahrungen von Flucht neben der massenmedial verbreiteten Seeweg-Szenarien auf.

Mit Fluchtbewegungen kommen viele Geschichten, die darüber zu erzählen sind. Was ist, als Drehbuchautor und Regisseur, dein Anliegen bei und auch dein Zugang zu diesem Thema?

Hinter vielen Fluchtbewegungen nach Europa steht ein Krieg, hinter jeder eine tiefgreifende Krise. Menschen, die den Ort, an dem sie geboren und aufgewachsen sind, aufgrund jahrelanger Kriege oder ökologischer, ökonomischer, in jedem Falle gewalt- und zwangvoller Gründe verlassen müssen, haben alle etwas verloren: Freund*innen, Familie, Hoffnung. Einige wurden zu Menschen ohne Seele, denn das, was sie erleben mussten, hat ihnen jede Hoffnung auf ein Leben in Würde genommen. In Europa wird über die Massen berichtet, der einzelne Mensch mit der eigenen Biografie geht verloren. Mein Anliegen ist es, die Menschen als die Individuen darzustellen, die sie sind – mit ihren eigenen Geschichten und Hintergründen.

Daneben ist es mir ein Anliegen, dem rechtspopulistisch geprägten Diskurs in breiten Teilen Europas Gegennarrative entgegenzubringen. Von rechten Akteur*innen angeführt, dominieren nämlich nicht die Schicksale der Menschen die Debatte um Geflüchtete, sondern bewusst geschürte Ängste und Hass auf „die Anderen“. So wird über Menschen gesprochen, deren größter Wunsch lediglich ist, einen sicheren Ort zu finden. Ein Ort, an dem keine Bomben fliegen, an dem Wasser und Brot vorhanden ist, an dem Eltern sich nicht darum sorgen müssen, ob ihre Kinder lebendig von der Wasserstelle zurückkommen. Auf der Suche nach Sicherheit, Freiheit und dem Respekt ihrer Menschenrechte machten sie sich auf den Weg nach Europa.

Ich habe selbst solche Erfahrungen gemacht, die zu einer Flucht nach Europa führen. Nach einigen Jahren in Österreich finde ich nun den Zugang, diese Erfahrungen filmisch zu verarbeiten. Krieg ist nichts Normales und darf es nie werden. Filme zu machen, gibt mir die Möglichkeit, die Jahre der Flucht fast schon therapeutisch aufzuarbeiten.

Sallar will persönliche Geschichten über Krieg und Flucht als Gesellschaftskritik erzählen. Still aus Sie sind von hier gegangen (2018, 10 min), einer von fünf Kurzfilmen, den Sallar geschrieben und inszeniert hat, seit er seit 2015 in Österreich lebt.

In deiner Einreichung schreibst du, du willst die Biografien der Filmcharaktere workshophaft erarbeiten und zwar „in Anlehnung an sozialwissenschaftliche Methoden der Aktionsforschung“. Was meinst du damit bzw. wie funktioniert das?

Den therapeutischen Zugang, den ich durchs Filmemachen gefunden habe, möchte ich mit anderen Menschen teilen. Ich bin mittlerweile in der Lage, meine Geschichten durch Filme auszudrücken, aber zehntausende Menschen haben diese Möglichkeit nicht. Deshalb erfolgt die Stofferarbeitung für meinen Film Die Reise in einer großen Workshopreihe mit Menschen, die in diesem Rahmen Raum finden, um ihre Erfahrungen und Vorstellungen wiederzugeben. Das Konzept für diese Workshops erarbeiten wir in Anlehnung an Methoden der Aktionsforschung, was letztlich bedeutet, das Menschen durch professionelle Anleitung einen sicheren Rahmen vorfinden, um Erlebtes zu formulieren und Fragen aufzuwerfen, die der Film weiter aufgreift, darüber in Aktion zu treten und letztlich den Film mitzugestalten, zu kreieren. Die Teilnehmenden bekommen bei diesen Workshops einen Raum, um sich als wirkungsvolle Akteur*innen wahrzunehmen, deren Biografien in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext stehen und Einfluss haben – über die Filmcharaktere und den Stoff hinaus.

Du hast dich bereits in Kurdistan Rojava (Nordsyrien) als Schauspieler und Regisseur im Theater engagiert. Als du nach Österreich kamst, bist du Schauspieler der Performance-Theatergruppe .EVOLve geworden. Was kann, für dich, das Theater, was der Film nicht kann, und umgekehrt?

Die Liebe zum Theater habe ich mit meiner ersten Gruppe in Kurdistan Rojava entdeckt. Mit unseren Stücken erreichten wir Menschen selbst in den abgelegensten Orten, ganz ohne elektronische Medien wie Fernseher oder Internet. Wir agierten lange auf offener Straße und haben trotz großer Gefahr weitergespielt, denn das Regime hat politisches Theater strikt verboten. Wir wurden schließlich verhaftet, erlebten Tage unter psychischer und körperlicher Folter im Gefängnis. Doch wir haben auch danach weitergespielt. Wir versuchten, den Menschen selbst unter den widrigsten Umständen des Al-Assad-Regimes Freude und Hoffnung, Ablenkung und Stoff für Diskussionen zu bringen. Das Theater lässt den direkten Kontakt mit den Menschen zu und ist für mich die erste und letzte Kunst.

Als ich nach Wien und zu .EVOLve kam, lernte ich eine neue Art und Weise der Theaterproduktion kennen. Es gab kein vorgefertigtes Skript. Stattdessen zielte die Regisseurin, Barbara Wolfram, auf die Darstellenden in ihrer Individualität und den unterschiedlichen Biografien ab und machte daraus den Stoff für das Skript. Dieser Zugang gefiel mir sehr und prägt meine Arbeit bis heute. Allerdings faszinierten mich die Möglichkeiten, die der Film bezüglich Reichweite bietet, noch mehr. Wo ich aufgewachsen bin, hatten wir darauf kaum Zugriff, aber hier werden Millionen von Menschen durch Filme in den Kinos, im Internet und im Fernsehen erreicht.

Ein Blick von außen, als jemand, der nicht in Österreich aufwuchs, nicht hier studierte und sich ein Netzwerk erst aufbauen musste: Wie ‚offen‘ und unterstützend ist die heimische Filmbranche für motivierte junge Filmemacher*innen wie dich?

Ich habe solche und solche Erfahrungen in Österreich gemacht. Als ich mich nach meiner Ankunft in Österreich erholte hatte, begann ich mit ein, zwei Theaterproduktionen. Dann tauchte ich ins Filmemachen ein. Ich begann ohne Erfahrungen im Filmbereich, aber mit dem Drang, meine Geschichten zu erzählen. Die erste Zeit war hart, da ich weder Kontakte noch Geld hatte, nicht studiert hatte und auch kaum Deutsch sprach. Trotzdem verband ich mich mit jeder Person, die mir begegnete und irgendwie mit Film zu tun hatte. Ich tat alles, um Kontakte zu knüpfen und lernte über Freund*innen schließlich in Wien die Produktionsfirma Dockyard kennen. Die Leute dort waren sehr nett zu mir. Dockyard ermöglichte mir ein Praktikum. Dabei lernte ich nicht nur die filmische Darstellung von Geschichten, sondern auch wie die gesamte Produktion abläuft. Parallel konnte ich mein erstes Drehbuch für einen Kurzfilm schreiben. Meine engste Freundin Susa Siebel, die mich bis heute unterstützt und mit mir arbeitet, organisierte die Produktion und so habe ich meinen ersten Film aufgenommen.

Die Unterstützung von Freund*innen und Einzelpersonen ermöglichten mir die ersten Schritte in der Filmbranche in Österreich, die ich aber ansonsten als sehr konservativ wahrnehme. Viele der Filmproduktionen sind groß angelegt, mit sehr viel Budget, aber ohne klare Aussagen, inhaltlich leer. Außerdem wurde mir lange nicht zugetraut, selbst hinter der Kamera zu stehen und Regie zu machen. Stattdessen wollten manche Leute Filme über mich in meiner Rolle als Geflüchteter machen. Mich davon loszumachen, dauerte lange. Was hingegen problemlos möglich war, war als Set-Assistenz bei kommerziellen Werbeproduktionen mitzuwirken. Bedauerlicherweise ist es um einiges einfacher, profitorientierte Produktionen zu verwirklichen als gesellschaftskritische.

Sallar und sein Team im Herbst 2021 in Kurdistan am Set seines nächsten Kurzspielfilms, der sich derzeit in Postproduktion befindet.

In welchem Stadium befindet sich das Projekt Die Reise derzeit und was, glaubst du, wird in den nächsten Schritten die größte Herausforderung?

Die Reise befindet sich in der Phase der Stoffentwicklung. Das heißt, ich bin viel mit Recherche beschäftigt. Der kommende Workshop ist ein wichtiger, herausfordernder Teil davon. Wir laden ja nicht nur Schauspieler*innen ein, sondern insbesondere Menschen mit Fluchterfahrungen, die teils keine Schauspielerfahrung haben. Einen Zugang zu ihren Geschichten zu bekommen, erfordert ein hohes Maß an Sensibilität und Professionalität. Deshalb ist es uns so wichtig, dass diese Menschen in unserem Workshop nicht als die Geflüchteten wahrgenommen werden, sondern ihre Erfahrungen aus ihrer neuen Situation in Österreich heraus beschreiben und ein eigenes, nicht aufgedrücktes Narrativ über sich selbst kreieren können. Herausfordernd für mich persönlich wird die Konfrontation mit meinen eigenen Fluchterfahrungen, die unweigerlich hochkommen. Neben den inhaltlichen Aspekten müssen wir uns permanent um Förderungen bemühen, weil unser Projekt sonst nicht weiterkommt. Das kostet viel Zeit.

Beschäftigst du dich mit weiteren Themen, die du filmisch verarbeiten möchtest?

Momentan beschäftigt mich sehr der rechtsextreme Diskurs, der wieder mehr Oberfläche gewinnt. Ich schreibe mit Susa Siebel an einem Drehbuch zu der Frage, wie es einer Mutter geht, deren Sohn sich in rechtsextremen Strukturen bewegt. Generell beschäftigen mich die Momente der Menschlichkeit und die Begegnungen, die uns tagtäglich zu denen machen, die wir sind. Was heißt es, menschlich zu sein und wo sind die Scheidewege, an denen wir unsere Menschlichkeit einbüßen?

Porträtfoto © Cinema Next / Mafalda Rakoš