„Geschichten von Freundinnen, von Frauen, von mir“
Samira Ghahremani, 1990 geboren und in Wien aufgewachsen, schloss 2012 das Studium Medientechnik an der FH St. Pölten ab. Dazwischen studierte und arbeitete sie in Leeds, Nairobi und Wien. 2014 folgte das Schnittstudium an der Filmakademie Wien (Abschluss 2020), seit 2018 studiert Samira auch Regie. Seit 2014 arbeitet sie als freischaffende Editorin und Schnittassistentin für Kino (bspw. der auf der Viennale’20 ausgezeichnete Please Hold the Line, R: Pavel Cuzuioc) und Fernsehen (bspw. Serie Reiseckers Reisen). Als Regisseurin realisierte sie u.a. den Kurzspielfilm Voltage (2017), der auf der Berlinale gezeigt wurde. Für das Startstipendium 2020 hat sie sich mit dem Spielfilmprojekt All of the Lights beworben. Wir haben Samira ein paar Fragen zu ihrem neuen Projekt und ihrer Arbeitsweise gestellt.
Auffallend in deiner früheren Biografie: Du hast 2012 ein fünfmonatiges Praktikum in Nairobi, Kenia absolviert. Wie kam es dazu und hat dich diese Erfahrung auch im Hinblick auf deine Arbeit geprägt?
In meinem damaligen Studium Medientechnik musste man im letzten Semester ein Praktikum absolvieren. Die Gelegenheit habe ich genutzt. Die Länderauswahl war ziemlich random, da wollte ich einfach weit weg. In Nairobi hat es dann geklappt.
Die Menschen, die ich kennengelernt habe, waren beharrlich. Einerseits meine Kolleginnen und Kollegen, die mit Mitte zwanzig schon voll im Berufsleben standen und für Familie und Kinder zu sorgen hatten. (In Kenia ist der Altersschnitt viel jünger und die Frauen bekommen früher Kinder.) Andererseits habe ich abseits von meinem Praktikum auch Regisseur*innen und Produzent*innen kennengelernt, weil ich für meine Bachelorarbeit über “Kenianischen Independent Film” recherchiert habe. Und die brennen richtig für die Sache. In Kenia gibt es nämlich kaum Kinofilmproduktionen. Das liegt daran, dass es keine Förderungen wie bei uns in Österreich gibt, aber auch keine wirkliche Filmlandschaft, wo es Sponsoren gäbe. Filme werden mit sehr wenig Geld, das privat auf die Beine gestellt wird, finanziert und haben wenig Publikum. Und trotzdem gibt es Filmemacher*innen, die das aus Überzeugung machen.
Du hast auf der Filmakademie ein Schnittstudium absolviert, seit 2018 studierst du Regie. Woher kam der Wunsch, auch ins Regiefach zu wechseln?
Ich habe mich 2011, drei Jahre vor dem Schnittstudium, schon für Regie beworben, wurde aber nicht aufgenommen. Dann dachte ich, ich wäre dafür ungeeignet, wollte aber beim Film bleiben. Ich habe bei Golden Girls und Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion als Schnittassistenz gearbeitet und erste kleinere Schnittarbeiten übernommen. Dort habe ich großartige Editor*innen kennengelernt, die ich bei ihrer Arbeit beobachtet habe. So habe ich mein Interesse fürs Montieren von Geschichten entdeckt. Als ich auf der Filmakademie studiert habe, ist der Wunsch, Geschichten selbst zu inszenieren, einfach nicht weggegangen. Ich habe Regie als Modulfach gewählt und meinen ersten Modulfilm gedreht, das war Voltage (2017, 15 min). Mit u.a. dem Film habe ich mich nochmals für Regie beworben.
Still aus Voltage (2017, 15 min), © Johannes Hoss.
Still aus Abseits (2016, 9 min), © Leander Leutzendorf.
Du schreibst nun das Drehbuch für deinen ersten langen Kinospielfilm. Auf welche Hürden trifft man da als Autorin, die bisher Kurzfilmgeschichten geschrieben hat?
Ich habe mal was von Gärtner*innen und Architekt*innen gelesen, also in Bezug auf das Drehbuchschreiben. Die Gärtner*innen arbeiten im Detail und verfeinern die Szene, während die Architekt*innen in der Gesamtstruktur rumzeichnen. Die Fähigkeit, beides zu kombinieren, bewundere ich.
Beim Langfilm betreffen die Entscheidungen, die man fällt, alles, was danach kommt, deshalb braucht man einen starken Kern. Kurzgeschichten lassen sich schneller ändern. Da kann man auch mal drauflos schreiben und schauen, was rauskommt. Beim Langfilm hingegen muss man immer wieder auf das Gesamte als Miniatur schauen, überlegen, wo die Figuren hin wollen, wo man als Autorin hin will, wo die Auslassungen hingehören und wohin nicht. Das kann schnell einmal wie ein großer, nicht zu bewältigender Berg aussehen. Da Schritt für Schritt voranzugehen, ist sicher eine Herausforderung. Durch das Stipendium im Kontakt mit anderen erfahrenen Autor*innen zu sein, hat mich angespornt, immer weiterzumachen.
Worum geht es in deinem Spielfilmprojekt All of the Lights, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?
Um eine Schwesternbeziehung und die Angst, keinen Platz in der Welt zu finden. Irgendwie auch, das Falsche zu machen. Wir wissen oft, welcher der richtige Weg ist, und entscheiden uns trotzdem für den falschen – der, der andere Menschen verletzt oder auch die eigenen Grenzen. Einfach weil man nicht aus seiner Haut raus kann, egal wie sehr man es sich wünscht. Das erlebt Tara, die im neunten Pflichtschuljahr die Schule schmeißt und bei ihrer älteren Schwester unterkommt, zu der sie schon lange keinen Kontakt mehr hatte. Die hat allerdings einen exzessiven Lebensstil, den Tara nachzuahmen beginnt. Sie sind im Moment die einzig brauchbare Familie füreinander und dennoch merken sie, dass sie nicht füreinander sorgen können.
In deinem letzten Kurzfilm Voltage geht es um eine junge Frau, die einer verlorenen Liebe nachläuft. Auch in All of the Lights geht es um junge Frauen, die sich (u.a.) in Liebesnetzen verstricken. Was reizt dich daran, Geschichten aus der Perspektive von jungen Frauen zu erzählen?
Es sind die Geschichten von Freundinnen, von Frauen, die ich kennengelernt habe, von mir.
Jugend ist die Zeit, in der man die Resonanz vom sozialen Geschlecht vollends zu Gesicht bekommt, in der man Gesellschaft lernt, sich einen Moralkompass aneignet und die eigenen Grenzen auslotet. Ich habe das als recht intensiv erlebt. Es ist irgendwie die Zeit, in der sich die Vorstellung von der Welt zu Ende formuliert. Und damit auch den Ort, an dem man sich positioniert. Also der Moment, in dem das Universum im Kopf entsteht, so wie beim Urknall.
Voltage im kostenfreien Stream: zum Abspielen auf das Bild klicken!
Körperlichkeit, Intimität, aber auch eine Form von Aggressivität sind in der aktuellen Projektbeschreibung von All of the Lights zentrale Themen. Was interessiert dich daran?
Das war für mich immer eine ambivalente Sache: Körper und Umwelt und Sexualität. Das macht mir einen Knoten im Kopf. Ich will wissen, wie das zueinander steht, wahrscheinlich setze ich mich deshalb damit auseinander. Zum einen drückt sich vieles einer Gesellschaftsordnung über Sexualität aus. Die Unterdrückung von Frauen drückt sich ja auch u.a. über die Unterdrückung ihrer Sexualität aus. Und auf der anderen Seite gibt es Mechanismen, denen wir freiwillig folgen. Das muss nicht immer von außen kommen, nicht entgegen dem Konsens erfolgen. Es gibt Momente, in denen man nicht mehr weiß, ob man etwas macht, weil es sich richtig anfühlt, oder weil es von einem erwartet wird, oder weil es einem Zuneigung bringt oder weil man es einfach gewöhnt ist. Sexualität kann etwas Intimes sein oder ein Werkzeug – z.B. für Anerkennung, es kann eine Form von Zuneigung oder von Aggression sein.
Gibt es Filme, Geschichten, Bilder, die dich in deiner / für eine Filmarbeit inspirieren?
Ich schaue kaum Filme. Es sind vor allem die Geschichten von Freund*innen, die mich inspirieren. Der Anstoß zu dieser Geschichte in All of the Lights kam von einer langjährigen Freundin, die mir von Erfahrungen als Lehrerin berichtet hat. Wiederum andere Elemente sind Erfahrungen von einer Freundin, die Grenzerfahrungen gemacht hat, und nochmals andere von Personen, die ich zu dem Thema interviewt habe. Und es gibt Fotografien, die einiges in mir auslösen, wie die von Jitka Hanzlová oder Helen van Meene.
In welchem Stadium befindet sich das Projekt All of the Lights derzeit und was glaubst du, wird in den nächsten Schritten die größte Herausforderung?
Es ist ein unfertiges Treatment. Das zu überarbeiten und die Zuspitzung des Konflikts auszubauen wird der größte Schritt.
Du hast zu unserem Fotoshooting als Objekt ein Fotobuch mitgenommen. Warum?
Ich habe einige Zeit lang keinen sinnvollen Satz zu Papier gebracht. Das war zermürbend. Ich habe dann morgens beim Kaffee vor Arbeitsbeginn immer dieses Buch durchgeblättert. Es heißt fast pefrekt und beinhaltet eine Sammlung von Pannen – Arbeiten, die zur Gänze in die Hose gegangen sind und durch die spannende Kunstwerke entstanden sind. Eine gegen die Mauer stehende Bank, ein zugemauerter Balkon ohne Tür, ein rollstuhlgerechtes Klo, in dem die Klopapierhalterung auf der anderen Seite des Raumes montiert ist, usw. Das fand ich aufmunternd.