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Die Mischung macht’s
Wer sich die Credits aktueller österreichischer Dokumentar-, Kurz- und Studentenfilme anschaut, findet im Sound-Department oft diese Namen: Nora Czamler, Ken Rischard und Theda Schifferdecker. Es sind Namen einer neuen Generation von TonmeisterInnen und SounddesignerInnen. Was sie eint: Sie sind erfahren, viel beschäftigt und warten noch auf ihr Kinospielfilmdebüt.
Wir haben Albert Meisl, der an der Filmakademie studiert und als Regisseur und Regieassistent mit Nora, Ken und Theda bereits zusammengearbeitet hat, gebeten, über ihr Berufsbild, Generationen- und Geschlechterfragen, die Zusammenarbeit mit anderen Departments und den langen Weg zum großen Kinospielfilmdebüt als TonmeisterIn zu reden.
Albert Meisl: Wie seid ihr überhaupt zum Ton gekommen?
Nora Czamler: Filmton war Teil des Tonmeisterstudiums an der ELAK [Lehrgang für Computermusik und elektronische Medien an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien], in dem es vier Schwerpunkte gibt: Musik-Aufnahmeleitung, Radio, Klangregie und Filmton. Zu Beginn macht man alles. Die Entscheidung, mich in diese Richtung zu spezialisieren, kam aus dem Bauch heraus, da dieses Feld einige meiner Interessen vereint. Ich habe vor dem Studium über journalistische Arbeit nachgedacht, als Kind war Auslandskorrespondenz ein Traum von mir. Und nachdem ich jetzt länger im Dokumentarfilm arbeite und viel im Ausland drehe, hab’ ich wieder ein bisschen dorthin zurückgefunden.
Ken Rischard: Ich habe auch an der ELAK zu studieren begonnen, anfangs eher Richtung Musik und klassische Aufnahmeleitung. Jazz war die Richtung, die mich am meisten interessiert hat, weil ich da herkomme. Ich hab’ mit sechs Jahren begonnen, Klavier zu spielen, hab’s aber gehasst und wollte lieber skaten. Meine Mutter hat mich aber gezwungen, den Musikunterricht abzuschließen, um eine Urkunde zu bekommen. Das war mein Glück, denn sonst hätte ich nicht aufs Musikgymnasium gehen können. Durchs Skaten bin ich dann wieder auf die Musik gekommen, weil ein Freund eine Gitarre im Keller hatte. Mit der hab’ ich mich viel beschäftigt, etliche Richtungen gespielt – Metall, Rock, Blues – und dann eben Jazz, bei dem ich geblieben bin. In Amsterdam hab’ ich ein halbes Semester Jazzgitarre studiert, aber eigentlich wollte ich etwas Breitgefächertes studieren. Eine Freundin hat mir vom Tonmeisterstudium in Wien erzählt und dort bin ich schließlich gelandet.
Zum Filmton bin ich durch Nora gekommen, die mich eines Sommers anrief, weil sie einen Boom Operator für einen Dreh brauchte. Das war für Wald der Echos (AT 2016, 30 min, R: Luz Olivares Capelle). Ich hatte keine Ahnung, was man machen muss, aber Nora war mir schon immer sympathisch, weshalb ich zugesagt habe. Ich war gleich begeistert von der Truppe und der Dynamik, die am Set entstand.
Albert: Du warst da also noch nicht an dem Punkt im Studium angekommen, an dem man sich für Filmton spezialisieren muss?
Ken: Ich war noch vor der Spezialisierung, aber nach diesem Event habe ich mir gedacht, dass Filmton ein cooles Feld ist, in das ich mich weiter hineinwagen wollte.
Nora: Ich hatte eigentlich das gleiche Erlebnis mit Theda – ich hab’ für sie geboomt. Das war bei meinem ersten Kurzspielfilm, Erlösung (AT 2014, 28 min) von Mark Gerstorfer.
Theda Schifferdecker: Das war auch eines meiner ersten Projekte. Es war ein extrem cooles Projekt und ich war sehr froh, dass ich das mit Nora schupfen konnte. Ich hatte davor einen kleinen Kurzfilm gemacht, aber Erlösung war schon der erste und aufwendigste, der richtig Spaß gemacht hat und bei dem wir einen richtig guten Ton abliefern konnten.
Nora Czamler, geboren 1990 in Oberösterreich, studiert seit 2011 das Tonmeister-Diplomstudium an der ELAK an der Universität für Musik und darstellende Kunst. Ihre bisherigen Tätigkeiten beim Film: Boom Operator bei Kino- und Fernsehspielfilmen, Tonmeisterin bei Kinodokumentarfilmen und Setton, Tonschnitt, Sounddesign und Mischung für zahlreiche Dokumentar- und Kurzspielfilme. Foto: Nora beim Burning Man Festival in der Wüste Nevadas, USA, für den neuen Dokumentarfilm von Nikolaus Geyrhalter. (Foto © Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion)
Albert: Ihr habt euch die Drehs also alle untereinander vermittelt?
Theda: Genau. Vor allem in unserer Generation ist es noch heute so, dass man sich untereinander austauscht und sich gegenseitig assistiert. Es ist schön, dass man sich unterstützt und voneinander lernt, weil jeder andere Erfahrungen macht.
Ken: Vor allem in der österreichischen Filmwelt und in unserer Generation ist es sehr angenehm, dass die Hierarchien nicht so klar definiert sind. Manchmal bin ich zum Boomen an einem Set und Theda ist Tonmeisterin, beim nächsten Mal ist es andersherum. So lernt man unterschiedliche Arbeitsweisen kennen.
Albert: Beim Ton ist es also üblich, dass man seine Funktion als TonassistentIn und TonmeisterIn wechselt? Im Kamerabereich assistiert man ja ganz bewusst nicht mehr, sobald man Kameramann ist.
Nora: Beim Ton arbeitet man meistens als Duo, bestehend aus TonmeisterIn und Boom Operator. Grundsätzlich kommt es außerhalb des studentischen Umfelds nicht so häufig vor, dass man die Positionen tauscht. Aber doch ab und zu. Das kann ein Freundschaftsdienst sein oder einfach, weil manche TonmeisterInnen das Boomen vermissen. Dabei ist man ja die ganze Zeit mitten im Geschehen, direkt neben Kamera und SchauspielerInnen. Das ist schon eine tolle Sache. Ich kenne auch ein Tonduo, das völlig auf die Definition der Positionen verzichtet und grundsätzlich als gleichberechtigtes Zweierteam auftritt. Das ist eine neue Herangehensweise, die mir sehr gut gefällt.
Theda: Ich denke, dass dieses Austauschprinzip aus der Zeit der Studentenprojekte geblieben ist. Vermutlich hängt die Arbeitsweise bei uns damit zusammen, über welchen Weg man in den Beruf findet. Ich habe kein Tonmeisterstudium und bin auch nicht an die Assistentenjobs bei den älteren Tonmeistern herangekommen. Ich war am SAE Institute in Wien, habe das Studium aber nach dem berufsbegleitenden Diplom beendet und keinen Bachelor gemacht. Das war für mich herausgeschmissenes Geld, weil ich gemerkt habe, dass ich dort nicht kriege, was ich eigentlich will. Deshalb habe ich mich entschieden, zu arbeiten, habe viel Veranstaltungstechnik gemacht, Klanggestaltung für Theater und Performances. Zum Film bin ich über die Elektroakustik gekommen: Ich habe mit Leuten, die Computermusik auf der ELAK studiert haben, gespielt und Veranstaltungstechnik gemacht. Zwei Leute haben mich zum Assistieren zu einem Filmdreh mitgenommen. So bin ich dann auch zu den Filmakademie-Studenten gekommen und zu den anderen TonmeisterInnen und durfte mit denen wachsen und lernen.
Albert: Hat sich der Weg zum Filmton bei dir aus Zufällen entwickelt, oder war das schon eine Berufsidee, die du während oder vor deiner Ausbildung an der SAE hattest?
Theda: An der SAE, die vor allem auf Studiotechnik ausgelegt ist, wurde Filmton so rudimentär behandelt, dass man nicht wirklich einen Einblick bekommen hat – es war ja auch kein Schwerpunkt, sondern eher ein Kennenlernen. Ich habe dort eine gute Basis an technischem Know-how bekommen, aber der künstlerische Input und Austausch haben gefehlt. Dass ich nebenbei gearbeitet und eigene Projekte verfolgt habe, hat mir für meinen Weg zum Film mehr gebracht als die Ausbildung – gelernt habe ich von den anderen Tonmeistern und indem ich einfach ein Projekt nach dem anderen gemacht habe.
Ken Rischard, geboren 1990 in Luxemburg, absolvierte 2019 das Tonmeister-Diplomstudium an der Universität für Musik und darstellende Kunst. Er arbeitet als Boom Operator sowie als Tonmeister und Sounddesigner für Dokumentar-, Kurz- wie auch VR-Filme. Foto: Ken als Boom Operator am Set des neuen Films von Stefan Ruzowitzky, Hinterland. (Foto © Ricardo Vaz Palma)
Albert: Ich weiß gar nicht, seit wann man an der ELAK überhaupt Filmton studieren kann. Ursprünglich war das ja ein Institut für elektroakustische Komposition – deshalb der Name. Die älteren Tonmeister – und ich sage jetzt bewusst Tonmeister und nicht Tonmeisterinnen, denn es gibt meines Wissens keine – haben ja allesamt nicht an der ELAK studiert. Habt ihr das Gefühl, dass da eine große Differenz zu euch besteht? Also zwischen euch, die das studiert haben und sehr früh bereits als TonmeisterInnen bei Studentenfilmen gearbeitet haben, und jenen, die den klassischen Weg vom Assistenten zum Tonmeister in der Branche gehen mussten?
Theda: Ich habe noch nicht für so viele ältere Tonmeister gearbeitet – wenn, dann waren das immer nur einige Tage. Jetzt habe ich mein erstes Projekt, bei dem ich für einen ganzen Monat als Assistenz bei einem Dreh bin. Ich würde sagen, selbst wenn man studiert hat, muss man viel dafür tun. Man muss sich ständig weiterbilden, man muss viel kennenlernen, denn jeder hat seine eigene Herangehensweise, jeder sucht für sich ständig nach Optimierung – sei es bei der Equipmentzusammenstellung oder bei Arbeitsabläufen. Im Endeffekt ist das alles Learning by Doing. Diejenigen, die den Lehrlingsweg über Praktika usw. gehen, haben oft den Vorteil, sehr früh zu lernen, auf großen Sets zu sein. Die großen Spielfilmcredits haben wir erst einmal nicht.
Nora: Es ist wichtig, das Handwerk zu erlernen. Wie der Weg dorthin ist, ist aber eigentlich irrelevant. Natürlich haben wir einen großen theoretischen Hintergrund, der ein sehr wertvolles Fundament für die Arbeit bildet. Aber ich musste sehr viele praktische Dinge lernen, als ich angefangen habe, den Job zu machen. Es gibt Leute, die wahnsinnig viel Praxiserfahrung haben und schon Jahrzehnte lang einem Tonmeister bei der Arbeit zuschauen konnten. Die machen das vermutlich souveräner beim ersten Job als wir, die aus der Schule kommen und den ersten Studentenfilm machen. Trotzdem möchte ich meine Ausbildung auf keinen Fall missen und empfinde sie als großes Privileg.
Theda Schifferdecker, geboren 1991 in Wien, schloss 2012 das Diplom-Studium Audio Engineering am SAE Institute ab. Sie arbeitet als selbstständige Filmtonmeisterin in den Bereichen Setton, Tonschnitt und Sounddesign und als freie Künstlerin mit Schwerpunkt auf Elektroakustik und Klanggestaltung. Foto: Theda beim Dreh von present:perfect, Marie Alice Wolfzahns Kurzfilm für Renault/Viennale 2018. (Foto © Matea Acimovic)
Albert: Ihr habt alle an Filmakademie-Projekten mitgewirkt. Welchen Stellenwert haben diese Kooperationen für euch?
Theda: Einen total hohen! Gerade wenn man anfängt, ist das eine großartige Option. Wenn man mit den Studierenden mitwächst und dann wieder mit jüngeren Generationen dreht, merkt man auf einmal, wie stark man selbst gewachsen ist, was Schnelligkeit, Entscheidungs- und Lösungsfindung angeht. Man hat Zugang zu unterschiedlichstem Equipment. Das kennenlernen zu können war auch sehr hilfreich.
Nora: Wenn man als TonmeisterIn von der Musik oder Studiotechnik kommt, hat man keine Ahnung von der Praxis am Set. Bei Studentenfilmen hab’ ich nicht nur gelernt, was das Ton-Department macht, sondern auch, was alle anderen Departments machen. Es sind weniger Leute beteiligt als bei großen Produktionen, der Umgang ist familiärer. Man wird automatisch stärker in die Arbeit der anderen Departments involviert, weil improvisiert wird und jeder hilft, wo er kann. Das ist eine große Qualität von Studentenfilmen. Für mich war dieses Eingebundensein sehr wichtig, um die eigene Rolle zu verstehen und zu erlernen.
Theda: Es gibt unter den Filmakademie-Projekten ein paar Meilensteinprojekte für mich, bei denen ich gemerkt habe, wie viel an Verständnis ich durch die Arbeit dazugewonnen habe. Wartezeit (AT 2016, 11 min, R: Clara Stern) war beispielsweise ein Projekt, bei dem es darum ging, mit Stille zu arbeiten. Das war ein Bewusstwerdungsprozess bezüglich der unterschiedlichen Herangehensweisen, wie man durch den Einsatz von Stille Spannung im Film erzeugen kann. Intensiv war auch perForming me?(!) (AT 2018, 30 min, R: Luz Olivares Capelle), weil es darum ging, das gesamte Sounddesign nur mit Stimmen zu gestalten. Sich im Sounddesign konzeptuell so stark zu begrenzen, aber dann so viel wie möglich rauszuholen, war einerseits eine großartige Chance, andererseits war es aber auch ein sehr intensiver Prozess, die richtige Balance für den Film zu finden. Es ist ein Sounddesign, auf das ich stolz bin. Sehr viel Freude hatte ich auch bei Grimmelstein (AT 2019, 25 min, R: Bruno Kratochvil), der unglaublich belebt sein musste. Wir haben auch humoristisch gearbeitet – in eine Schiene hineinzuarbeiten, Konnotationen und Spitzen zu setzen, ohne zu auffällig zu sein, ist nicht so einfach, wie man zunächst denkt. Wir haben Tage verbracht, um für eine Szene Vögel auszusuchen und sie millimeterweise hin- und herzuschieben. Bei Dreharbeiten waren für mich die schwierigsten Erfahrungen letztlich die Momente, die einem am meisten bringen.
“Wenn ich sage, dass ich Boom Operator, Tonmeister und Sounddesigner bin, glauben die, dass ich ein riesen Pfuscher bin, der nichts kann”
Albert: Was macht denn einen guten Setton aus?
Ken: Er muss sehr sauber sein, also frei von allen Nebengeräuschen. Wenn man etwa in einem Café dreht, muss man schauen, dass die Komparsen nicht reden, die Kühlschränke ausgeschaltet sind – dass alle Störgeräusche eliminiert sind. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass der Boomer immer on point angelt. Er muss den Dialog im Kopf haben, wissen, wer wann spricht, er muss das Drehbuch kennen. So auch der Tonmeister, weil der im Nachhinein Töne fürs Sounddesign abliefern muss. Man kann nicht einfach ans Set kommen, die Angel hinhalten und am Abend die Files abgeben. Man muss auch das Konzept des Films verstanden haben, schauen, um welches Genre es sich handelt und was man am Set alles mitnehmen kann, um möglichst viel für das Sounddesign zur Verfügung stellen zu können.
Albert: Wie ist denn das Verhältnis zum Sounddesign? Freut man sich, wenn alles, was man aufgenommen hat, verwendet wird? Es kann ja auch sein, dass der Sounddesigner alles wegwirft und nachvertont.
Ken: Es ist schade, wenn man nicht weiß, aus welchem Grund das Material weggeworfen wird. Es gibt schon Regieanweisungen, bei denen etwa der Ausdruck des Schauspielers bemängelt wird und alles nachgesprochen werden muss. Das sind künstlerische Freiheiten von Regie und Sounddesign. Aber wir versuchen unser Bestes, einen guten Sound abzugeben.
Theda: Immer wenn ich Atmos oder Töne aufnehme, katalogisiere ich sie auch für meine eigene Sammlung. Ich weiß dann, dass ich in diesem Kaffeehaus eine Atmo aufgenommen habe oder im Wald einen Vogel oder Bachlauf. Das könnte mir in meiner Arbeit als Sounddesignerin irgendwann hilfreich sein. Ich habe keine allzu große emotionale Bindung an das Material. Da ich die Arbeit kenne, weiß ich, dass man generell eher zu viel statt zu wenig liefern sollte, wovon dann eben auch manchmal etwas weggeworfen wird.
Ken: Man freut sich schon, wenn man im Kino den Vogel hört, den man aufgenommen hat.
Theda: Ja, und auch dann, wenn man das Feedback bekommt, wie super es war, dass das eine oder andere Geräusch noch aufgenommen wurde.
Albert: Bekommt man eigentlich immer Feedback oder findet der Dialog mit dem Sounddesign eher selten statt?
Theda: Man muss sich aktiv einbringen oder einen Sounddesigner haben, der gewillt ist, Feedback zu geben, denn sonst bekommt man das nicht mit. Mühsam sind manche Sounddesigner, die niemals selbst Setton gemacht haben, weil sie die Problematiken nicht kennen, die sich beim Dreh ergeben können.
Albert: Ist es generell schöner, wenn man bei einem Film, bei dem man den Setton gemacht hat, auch das Sounddesign durchführt? Oder ist es angenehmer, wenn man das Sounddesign an jemand anderen abgeben kann?
Nora: Das hängt vom Film ab. Grundsätzlich ist es natürlich toll, wenn man auch das Sounddesign machen kann, weil es dann möglich ist, dieses am Set schon mitzudenken und zu gestalten. Das geht allerdings auch nur dann, wenn man während des Drehs bereits den fertigen Film zumindest in Umrissen im Kopf hat und weiß, in welche Richtung es gehen soll.
Albert: Ist es in der Branche überhaupt üblich, dass man SettonmeisterIn und SounddesignerIn in Personalunion ist?
Nora: Das kommt bei Dokumentarfilmen häufiger vor. Bei großen Spielfilmproduktionen werden die Departments in der Regel mit unterschiedlichen Leuten besetzt.
Albert: Wäre das für jeden von euch eine Option, hauptberuflich eher in den Bereich des Sounddesigns zu gehen, oder ist Setton die Präferenz?
Nora: Die Hoffnung wäre eine Mischung aus beidem. Erfahrungsgemäß ist es so, dass einige Produktionen oder RegisseurInnen eher für Setton, andere für Sounddesign anfragen – das hängt oft davon ab, wie man sich kennengelernt hat. Dass man für beides angefragt wird, kommt selten vor.
Ken: Bei den größeren französischen und belgischen Produktionen, die ich bisher gemacht habe, sind die Funktionen strikt getrennt. Wenn ich sage, dass ich Boom Operator, Tonmeister und Sounddesigner bin, glauben die, dass ich ein riesen Pfuscher bin, der nichts kann. Für die ist man entweder nur Boom Operator oder nur Tonmeister. Aber das ist auch eine Frage der Einstellung – und sicher auch ein bisschen des Alters. Wenn man Setton und Sounddesign macht, ist man auch im jeweils anderen Bereich fit. Wenn ich weiß, was ich im Sounddesign mithilfe der technischen Mittel alles machen kann, dann weiß ich auch am Set, dass gewisse Störgeräusche keine Probleme darstellen.
Theda: Als Sounddesigner ist es sehr wichtig, über Dramaturgie und über Schnitt Bescheid zu wissen. Und am Set ist es wichtig zu wissen, was die anderen Departments machen. Die gegenseitige Unterstützung ist ein großer Aspekt bei der Filmarbeit, aber dafür muss man das alles auch ein bisschen kennen.
“Es bringt nichts, wenn der eine mit der Musik in die eine Richtung will und das Sounddesign in eine völlig andere”
Albert: Filmton ist ja ein sehr technischer Beruf, der sich sehr stark gewandelt hat. Gibt es für euch als TonmeisterInnen Vorbilder, von denen ihr sagt, die haben einen tollen Ton gemacht? Regisseure haben ja sehr oft Idole aus früheren Dekaden des Kinos.
Ken: Also beim Setton habe ich keine großen Vorbilder – es gibt natürlich Leute, mit denen man arbeitet und von denen man sich Dinge abschaut, aber historisch gesehen kann man sich schwer jemanden aussuchen. Die haben eben mit den vorhandenen technischen Mittel gearbeitet, die sie hatten – gab es eine Totale, dann hat das auch sehr weit entfernt geklungen. Bei den SounddesignerInnen heutzutage gibt es ein paar, bei denen ich mit einem ziemlich fetten Sound rechne, sobald ich deren Namen lese – Skip Lievsay zum Beispiel, der etwa für The Silence of the Lambs (USA 1991, R: Jonathan Demme) oder Gravity (GB/USA 2013, R: Alfonso Cuarón) den Sound gemacht hat.
Albert: Ab wann beginnt der Filmton als Kunstform für euch eigentlich historisch interessant zu werden? Am Anfang ging es ja eher darum, dass der Ton an sich die Sensation war.
Nora: Ich fand ja M – Eine Stadt sucht einen Mörder (DE 1931, R: Fritz Lang) auch schon sehr interessant, aber da geht es vor allem um den dramaturgischen Einsatz von Ton. Technisch vermutlich ab den 1970ern, da die Musik und das Sounddesign ab da auf jeden Fall mutig, progressiv und miteinander verwoben auftauchen. Sobald man technische Möglichkeiten hatte, etwas zu gestalten, wird es interessant.
Theda: Frühe Science-Fiction-Filme sind auf jeden Fall interessant. In Österreich haben wir davon nicht so viele, aber es ist schon spannend, welche Sounds man sich für Apparaturen oder Kreaturen überlegt hat – selbst wenn’s vom technischen Aspekt her dreckig klingt. Ich habe mich vor einem Jahr mal wieder mit Mickey Mousing beschäftigt. Was ein Orchester mit Musikinstrumenten damals vertont hat, ist schon super und nicht zu unterschätzen.
Albert: Wie steht ihr zu Orchesterscores und Filmmusik generell? Im österreichischen Arthouse-Kino geht man damit ja sehr reduziert um. Und man kann ja manchmal mit Mitteln des Sounddesigns einen filmischen Klangraum bauen. Ist das Sounddesign am Ende die wahrere und zeitgemäßere Musik des Films?
Theda: Generell mag ich Filmmusik, solange es nicht 0815-Stimmungsmusik ist, die schon tausendmal wiedergekäut wurde. Das ist meistens nur fad. Ich habe schon öfter mit Musikern zusammengearbeitet. Dann stellt sich schon die Frage, wer jetzt die Führung der Szene übernimmt: die Musik? Das Sounddesign? Mischt man die Musik mit dem Sounddesign? Es ist natürlich schade, wenn man eine Soundspur aufwendig ausgestaltet hat und dann am Ende doch laut Musik drüber kommt.
Albert: Habt ihr schon viel Erfahrung, wie man in solchen Fällen mit Komponisten kooperiert?
Theda: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich oft Bindeglied zwischen MusikerIn und Regie bin. Da ich dann schon intensiv mit der Regie zusammengearbeitet habe und wir bereits ein gemeinsames Vokabular gefunden haben, konnte ich gut zwischen Regie und Musik vermitteln.
Albert: Hat man die fertigen Musiken schon, wenn man die Arbeit am Sounddesign beginnt?
Ken: Oftmals hat man einen Platzhalter, also Moodmusik, die eine gewisse Stimmung vorgibt.
Theda: Es ist immer eine Frage: Soll das Grading fürs Sounddesign schon fertig sein? Für die Mischung wäre das eigentlich superwichtig. Soll die Musik schon fürs Sounddesign fertig sein oder erst für die Mischung? Natürlich arbeite ich lieber mit einem gegradeten Bild und mit fertiger Musik, weil ich sie dann besser einbinden kann. Aber wenn akzeptable Platzhalter oder Vorversionen da sind, kann man damit auch sehr gut arbeiten.
Ken: Grundsätzlich bin ich kein Freund von Musik im Film. Oftmals wird Filmmusik als Allround-Kleber eingesetzt für Szenen, die vom Drehbuch her vielleicht hätten optimiert werden müssen. Wenn schon, dann diegetische Musik.
Theda: Ich mag Musik auch gern, weil ich versuche, mit meinem Sounddesign musikalisch zu arbeiten. Es sind keine komponierten Stücke, aber schon musikalische Klangwelten. Wie sehr ich mich in dieser Richtung austoben kann, hängt natürlich immer vom Film und der Musik ab, die verwendet wird.
Nora: Bei Zalesie (AT/PL 2017, 35 min) von Julia Zborowska war ich in so einer Situation. Da haben wir während des Sounddesign-Prozesses angefangen, uns über Musik Gedanken zu machen und mit einem Komponisten zu arbeiten, den ich vom Studium gekannt habe. Die Challenge war in dem Fall der Workflow, das gemeinsame Am-Strang-Ziehen. Es bringt nichts, wenn der eine mit der Musik in die eine Richtung will und das Sounddesign in eine völlig andere. Wir mussten sehr präzis kommunizieren. Auch weil wir die Musik dann mit einem echten Streicherensemble aufgenommen haben und nicht mit MIDI-Instrumenten, bei denen man bis zur letzten Sekunde noch Kleinigkeiten verändern kann. Da funktioniert aber jeder Film anders. Letztendlich muss die Arbeitsweise den Anforderungen des jeweiligen Films angepasst werden.
“Am Set arbeitet man eher prozess- als ergebnisorientiert … Man ist Diplomat und Vermittler.”
Albert: Setton verlangt zuvorderst, unauffällig zu arbeiten und möglichst viel und qualitativ gut aufzunehmen. Wie steht es dabei um die Möglichkeiten der kreativen und künstlerischen Gestaltung?
Ken: Es geht schon eher in Richtung Dienstleistung. Vor allem bei größeren Projekten. Bei kleineren Projekten hat man manchmal auch einen sehr guten Draht zur Regie und kann eingreifen und Vorschläge unterbreiten.
Nora: Am Set arbeitet man eher prozess- als ergebnisorientiert. Und in der Gestaltung des Prozesses sehe ich beim Tonmeisterberuf auch das größte Potenzial. Man ist Diplomat und Vermittler. Der Fokus liegt oft nicht auf dem fertig gemischten Film, sondern man versucht, kleinste Schräubchen zu drehen, um gutes Material aufzunehmen. Das ist manchmal sehr schwierig und erscheint Außenstehenden wie Erbsenzählerei. Am Ende ist es aber die Summe der Kleinigkeiten, die einen guten Ton ausmacht. Eitelkeit ist dabei fehl am Platz.
Theda: Kreativität am Set funktioniert meist nur bei Projekten, die einen Genre- oder einen starken künstlerischen Einschlag haben. Für mich war das perForming me?(!) von Luz Olivares Capelle. Da haben wir am Set viel ausprobiert und sind gemeinsam auf Ideen gekommen, was man mit den DarstellerInnen noch versuchen könnte, da es in dem Film sehr viel um Stimmen geht. Wir hatten einen intensiven und guten Austausch und ich habe mich sehr gefreut, dass ich die ganze künstlerische Arbeit, die am Set passiert ist, auch in der Postproduktion fortführen und verwenden konnte. Aber generell ist Setton schon eher eine Dienstleistung.
Albert: Was wünscht man sich eigentlich von der Zusammenarbeit mit der Regie?
Nora: Wenn bei der Regie das Interesse an der Arbeit des Ton-Departments gegeben ist, ist die Kommunikation viel einfacher und befruchtender. Wenn das nicht so ist, fühlt man sich bei jeder Frage, die man hat, wie ein Störenfried. Als Tonmeisterin kann ich zwar bis zu einem gewissen Grad autonom Entscheidungen treffen, wenn mir aber Dinge unklar sind, etwa bezüglich der Auflösung, die ja oft erst im Prozess entsteht, und ich wissen muss, ob es noch eine Totale oder eine Nahaufnahme geben soll, müsste ich das für meine Arbeit kurz besprechen. Man bemüht sich ohnehin, den KollegInnen am Set das Leben nicht schwer zu machen, ihnen nicht mit Schatten oder durch Eintauchen des Mikros in die Quere zu kommen und sich tendenziell im Hintergrund zu halten. Aber wenn es darum geht, Komparsengespräche einzudämmen oder Dinge, die im Off passieren, abzuschalten, verhalten sich die verschiedenen Regie-Departments sehr unterschiedlich. Manchmal passieren solche Dinge automatisch, ohne dass man irgendwas sagen muss, und manchmal liege ich ihnen ständig damit in den Ohren. Das kann dann schon anstrengend für alle sein.
Ken: Der Draht zum Regisseur entsteht ja im besten Fall in der Vorproduktion, sodass man im Vorfeld Probleme erkennen und ausmerzen kann.
Theda: Es ist auch nicht immer gegeben, dass man Zeit bekommt, um Töne aufzunehmen, etwa mit Komparsen, die eine Crowd spielen sollen. Es ist toll, wenn ich mit nur einem Blick sagen kann, ob sich die Aufnahme ausgeht oder nicht und die Regie die bewusste Entscheidung treffen kann, ob die Szene für die Schauspieler trotzdem ausgespielt werden muss, wir aber noch einen Take machen. Man versucht im Hintergrund zu bleiben, wenn andere arbeiten, aber man muss eben Zeit bekommen, wenn man sie braucht, weil sich manchmal Situationen ergeben, die das notwendig machen. Da ist das Verständnis der Regisseure schon gut.
Albert: Inwieweit trifft man bei der Mikrofonie Entscheidungen mit inhaltlichen Folgen für den Film?
Theda: Die Wahl der Mikrofone folgt natürlich technisch-akustischen Aspekten, wie man etwas am besten aufnehmen kann. Dabei geht es etwa auch darum, ob es nur wichtig ist, den Dialog sauber aufzunehmen, oder ob man gleichzeitig auch Umgebungsgeräusche einfangen soll.
Nora: Bei Dokus passiert etwas und in Wirklichkeit ist man eh schon zu spät. Und es gibt nicht mehr die Möglichkeit, die Leute zu verfunken. Wenn man das doch machen will, greift man stark in die Szenerie ein und zerstört bisweilen das, was man eigentlich einfangen wollte. Da stellt sich oft die Frage: Wie geht das mit dem Ton? Geht das überhaupt? Soll das so klingen oder nicht? Da ist am meisten Abstraktionsvermögen verlangt und man braucht einiges an Erfahrung.
Theda: Wenn etwas Unvorhergesehenes passiert oder eine Person sich aus dem Off einschaltet, muss die Regie eben auch wissen, ob sie mit einem eher unsauberen Ton leben oder ob man ein Ereignis wiederholen kann.
“In einem Filmstudio zu sein, in dem alles vorbereitet ist, ist toll, aber nach einer Weile wird’s fad und man will wieder raus etwas mehr Rock ’n’ Roll erleben”
Albert: Was macht denn mehr Freude beim Setton: das Chaotische, wenn man ad hoc reagieren muss, oder das Wohlgesetzte, wenn man viele Stellproben hat, Teppiche auslegen kann etc., um einen möglichst perfekten Ton aufnehmen zu können?
Ken: Ich glaube, auch da macht’s wieder die Mischung. Einen Nine-to-five-Job zu machen, in einem Filmstudio zu sein, in dem alles vorbereitet ist, ist toll, aber nach einer Weile wird’s fad und man will wieder raus etwas mehr Rock ’n’ Roll erleben und mit einem Kameramann quer durch Wien laufen und schauen, was sich ergibt. Beim Dokumentarfilm ist generell alles viel persönlicher, man arbeitet in kleinem Team, kann sich selbst auch mehr einbringen.
Nora: Ich mag Rock ’n’ Roll wahnsinnig gern. Es kann unglaublich spannend sein, aber manchmal auch nervenzerfetzend. Man muss in der Sekunde entscheiden, ob unvorhergesehene Situationen im Film tontechnisch funktionieren können und arbeitet oft unter technisch schwierigsten Umständen, während man Material für die große Leinwand einfängt. Eine aufregende Herausforderung, für die man aber auch eine hohe Frustrationstoleranz braucht. Wenn man dann wieder unter Umständen arbeiten kann, die einem die Möglichkeit bieten, sich auf jede Situation technisch genau vorzubereiten, ist das auch sehr angenehm.
Theda: Bei Dokus lernt man viel mehr Geschichten und Menschen kennen, als letztlich im Film landen – das macht enormen Spaß. Aber einen perfekten Ton an einem durchgeplanten Spielfilmset aufnehmen zu können, auf den man richtig stolz sein kann, ist auch schön.
Albert: Schätzt ihr beide Arbeitsoptionen gleichermaßen?
Theda: Ja, die Mischung macht’s: Setton, Postproduktion, Doku, Spielfilm – das ist alles gut. Ich hoffe, wir klingen nicht zu unentschlossen!
Albert: Bei Dokus macht man den Ton ja in der Regel allein, beim Spielfilm manchmal auch. Ist es unangenehm, wenn man niemanden hat, mit dem man sich besprechen kann?
Nora: Beim Dokumentarfilm ist meistens jedes Department klein, man arbeitet allein, ohne Assistenz. Beim Spielfilm ist man schon zu zweit ein Minidepartment, das ständig overruled wird. Der technische Apparat ist da auch viel komplexer. Oft wäre es gar nicht möglich, die Aufgabe allein zu meistern.
Ken: Wenn der Regisseur darauf besteht, dass das Tonteam beim Spielfilm aus einer Person besteht, muss man ihm die Problematiken, die dadurch auftauchen könnten, auch klar machen.
Nora: Die Größe der Departments lässt auch auf eine Arbeitsweise schließen. Technisch präziser wird es meist mit mehreren Leuten.
Theda: Ich frage beim Spielfilm, wie „klein“ das Kamerateam ist. Sobald das Kamera- oder Licht-Department auch aus mehreren Personen besteht, dann bestehe ich meist auch auf eine zweite Person. Ich will zumindest das gleiche technische Level halten können wie die anderen Departments.
“An manchen Spielfilmsets habe ich mehrmals täglich gehört, dass die Leute verwundert sind, wenn eine Frau boomt”
Albert: Tonmeister war ja immer ein männlich dominierter Beruf – im Gegensatz zu Kamera oder Regie weiß ich aber nicht, dass es große Klagen darüber gegeben hätte, dass der Frauenanteil so gering ist. Wie ist das jetzt für euch, Theda und Nora? Ist man bei professionellen Arbeiten damit konfrontiert, dass die Leute sich wundern, eine Frau als Tonmeisterin oder Boomerin zu haben?
Nora: Dass der Beruf nicht wahnsinnig öffentlichkeitswirksam ist, macht es vielleicht ein bisschen einfacher, als Frau einzusteigen. An manchen Spielfilmsets, bei denen ich als Assistenz geboomt habe, habe ich aber trotzdem mehrmals täglich gehört, dass die Leute verwundert sind, wenn eine Frau boomt – sehr wohlgesonnen und positiv zwar, man reflektiert das aber trotzdem und ich überlege manchmal auch, was das mit meinem Selbstbewusstsein macht, so häufig als Ausnahmeerscheinung aufzufallen. Offene negative Ressentiments habe ich aber noch nicht wahrgenommen. Unterschwellige Signale sind natürlich etwas anderes – da frage ich mich dann aber, was davon meine eigene Interpretation ist. Ich kann mich ja auch nicht in die Perspektive eines Mannes versetzen, der den gleichen Job macht, um zu beurteilen, wie er behandelt wird.
Albert: Hast du das Gefühl, dass es für eine Frau schwieriger ist, Tonmeisterin zu werden, als für einen Mann? Dass man gerade, wenn es um größere Projekte geht, an Grenzen stoßen könnte?
Nora: Schwer zu sagen. Konkret gibt es zwei Werkstattprojekte, für die ich als Tonmeisterin angefragt wurde – das sind beides Filme von jungen Regisseurinnen. Bei dem Film, der wahrscheinlich als erstes realisiert wird, wird auch eine Frau Kamera machen, mit der ich schon häufiger gearbeitet habe und die ich sehr schätze. Bei diesen Projekten habe ich überhaupt keine Bedenken, dass es zu einer ungünstigen Dynamik kommen könnte. Aber ich würde nicht ausschließen, dass es in Zukunft auch zu Konstellationen kommen kann, wo diese Grenzen tatsächlich spürbar wären. Das kann aber vielleicht auch mehr von einem Generationenkonflikt als einem Geschlechterkonflikt herrühren.
Theda: Ich erlebe das ähnlich. Vor allem im Dokubereich fragen öfter mal die branchenfremden Leute, ob das nicht extrem schwer ist, die Angel den ganzen Tag zu halten. Das nervt schon. Aber von Kollegen habe ich nie Ressentiments gespürt. Als Tonmeisterin und Head of Department eckt man, glaube ich, weniger an als als Boomer: Die meisten Boomer sind groß und schlacksig – ich bin genau das Gegenteil. Ich arbeite dann eben etwas anders, komme aber genauso überall hin.
Albert: Gibt es jenseits eurer Generation in Österreich eigentlich Tonmeisterinnen?
Nora: Im Spielfilmbereich fällt mir da niemand ein, bei Dokus sind Tonmeisterinnen etwas verbreiteter.
“Dann kommt die Frage, ob man Spielfilmerfahrung hat, was ich eben nur verneinen kann. Dann heißt es: ‘Komm zurück, wenn du diese Erfahrung hast.’ Das ist ein Teufelskreis. Wie soll man diese Erfahrung ohne Chancen machen?”
Albert: Kann man beim Filmton in Österreich relativ schnell zum Zug kommen – vielleicht sogar schneller als in anderen filmischen Gewerken? Oder ist der Ton noch stark durch eine ältere, etablierte Generation dominiert, sodass man sich durch sehr viel Independentfilme und unbezahlte Studentenfilme hocharbeiten muss? Anders formuliert: Ist die Branche offen für euch?
Ken: Ich glaube, Bedarf ist auf jeden Fall da – Ton ist schon häufig gefragt. Ich bin noch nicht etabliert genug in Österreich, um beurteilen zu können, wie die Lage ist. Auf Festivals lernt man oft Tonmeister kennen, man bietet sich an. Dann kommt die Frage, ob man Spielfilmerfahrung hat, was ich eben nur verneinen kann. Dann heißt es: “Komm zurück, wenn du diese Erfahrung hast.” Das ist ein Teufelskreis. Wie soll man diese Erfahrung ohne Chancen machen? Natürlich haben die Alten auch einen Pool an Leuten, mit denen sie arbeiten.
Nora: Bei großen Spielfilmproduktionen ist es wahrscheinlich so, dass man gemeinsam mit der Regie oder der Produktion in die Branche hineinwächst. Es wäre wirklich ungewöhnlich, dass ein Fremder anruft und sagt: “Wir machen einen Kinofilm. Du hast zwar noch nie als Head einen Spielfilm gemacht, aber magst du nicht Tonmeisterin für uns sein?” Aber es gibt Werkstattprojekte und es gibt sehr loyale FilmemacherInnen, die mit ihren Leuten aus der Studentenzeit weiterarbeiten, wenn sie ihre ersten Schritte im professionellen Bereich machen. In Teams zu arbeiten, in denen man sich schon kennt und schätzt, ist ohnehin das Schönste.
Theda: Ich spüre auf jeden Fall, dass es diese ältere Generation noch gibt. Immer kommt die Frage, ob man Kinospielfilmerfahrung hat – Kinodokus mit Spielfilmelementen zählen da nicht, egal wie gut sie sind. An schlechten Tagen habe ich das Gefühl, ich muss Jahre absitzen, gut weiterarbeiten und irgendwann mal ein bisschen Glück haben.
Anfang Oktober in Wien: Albert Meisl, Nora Czamler, Ken Rischard, Theda Schifferdecker und Michelle Koch treffen sich zum Gespräch. (Foto © Cinema Next)
Albert: Boomer – eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit und mit “Tonassistenz” eigentlich falsch beschrieben –, TonmeisterIn, SounddesignerIn: Womit würdet ihr denn am liebsten alt werden?
Theda: Ich würde sagen, wieder macht’s die Mischung.
Ken: Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit sechzig noch immer einen Boom halten kann. Ich denke, notgedrungen muss man irgendwann zum Tonmeister aufsteigen. Ich kann mich da noch nicht so in die Zukunft hineindenken. Im Moment mache ich meinen Filmtonjob gerne – egal in welcher Position. Vielleicht aber irgendwann dann doch eher die Postproduktion, also Sounddesign oder Foley Artist – das würde mich auch interessieren.
Nora: Im Tonstudio vermisst man manchmal das Tageslicht, die Bewegung und den Kontakt mit anderen Menschen. Ein bisschen Action und Adrenalin muss manchmal sein. Aber nach einigen durchfrorenen Nachtdrehs und zahlreichen, stressigen Überstunden, die der Drehalltag manchmal so mit sich bringt, freut man sich auf einen geregelteren Alltag und geht gern für eine Zeit lang wieder ins Studio. Darum würde ich eigentlich auch gern bis zum Ende in den unterschiedlichen Bereichen aktiv sein.
Albert: An was arbeitet ihr denn momentan?
Nora: Ich arbeite gerade an einem Dokumentarfilm über das Schigymnasium in Stams. Ich wechsle mich mit einem Kollegen ab, sodass wir den Ton in unterschiedlichen Drehblöcken jeweils allein machen.
Ken: Ich arbeite ab nächster Woche an meinem ersten Kinospielfilm – ein historischer Film von Stefan Ruzowitzky mit dem Titel Hinterland – als Tonassistent von Alain Goniva, einem französisch-luxemburgischen Tonmeister. Wir drehen nur im Studio – in Luxemburg und Wien. Ich freue mich schon auf meinen Nine-to-five-Job!
Albert: Wie bist du dazu gekommen?
Ken: Ich war einmal bei der Amour Fou Filmproduktion, weil ich gerade ein eigenes Doku-Projekt als Regisseur mache, um mich mit Bady Minck, der Produzentin, zu treffen. Sie wollte wissen, was ich sonst so mache. Sie meinte, dass sie ohnehin auf der Suche nach Tonmeistern und -assistenten sei und hat mich weitervermittelt.
Albert: Und bei dir, Theda?
Theda: Ich bin jetzt gerade vor meiner letzten Woche als Assistenz für einen Fernsehkrimi. Momentan passiert eigentlich recht viel. Zwei Einreichungen für nächstes Jahr müssen noch durchgehen: Ein Kinodokumentarfilm und ein Kinospielfilm, ein Werkstattprojekt. Ab nächster Woche muss ich wieder in der Postproduktion reinhackln und den Tonschnitt für einen Spielfilm machen. Ich hab’ bereits einige Fernsehreportagen gedreht, aber davon möchte ich mich eigentlich lösen, weil die Bezahlung zu schlecht ist. Fernsehspielfilm ist neu für mich, auch, dass ich so lange als Assistenz am Stück arbeiten kann, da ich eben einen anderen Weg gegangen bin. Das Werkstattprojekt wäre mein erster Spielfilm als Head of Department … endlich! Die erste Kinodoku, bei der ich als Tonmeisterin mitgearbeitet habe – Jetzt oder morgen (AT 2020, R: Lisa Weber) –, ist gerade in der Fertigstellung. Wir haben drei Jahre gedreht. Ich freu mich schon, bald das Ergebnis hören zu können.