Die Realität hatte die Fiktion überholt
oder
In einer schmerzlichen Ironie des Schicksals ist uns der Gletscher zwischen Locationscout und Dreh davon geschmolzen
Stephanie Falkeis, 1994 in Wien geboren und mit Tiroler Wurzeln, studierte Transmediale Kunst an der Angewandten und als Fulbright-Stipendiatin Regie und Drehbuch an der Columbia University. Am österreichischen Kulturforum New York kurierte sie drei Jahre lang ein Filmfestival. 2020 war sie BAFTA Newcomer Talent und Preisträgerin des Drehbuchwettbewerbs „Heldinnen in Serie“, 2022 wurde sie von StudioCanal für eine Drehbuch-Residency in Cannes ausgewählt, 2023 erhielt sie das scriptLAB-Stipendium des Drehbuchforum Wien und vor einigen Wochen den Rainin Grant für Social Justice Storytelling der San Francisco Film Society. Für das Startstipendium 2024 hat sich Stephanie mit dem Spielfilmprojekt “Requiem für einen Gletscher” beworben, der von einer Gletscherforscherin handelt, die bei einem Auftrag in ihrem Heimatdorf zwischen die Fronten gerät.
Worum geht es im Spielfilmprojekt, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?
Stephanie Falkeis: “Requiem für einen Gletscher” handelt von der jungen, erfolgreichen Gletscherforscherin Nora, die nach Jahren im Ausland in ihr entlegenes Heimatdorf berufen wird, um ein Gutachten über den nahegelegenen Gletscher zu erstellen. Die touristische Erschließung des Berges wird als letzte Chance propagiert, den Ort vor dem wirtschaftlichen Untergang zu bewahren; Von Nora wird “grünes Licht” für das Vorhaben erwartet. Ihre wissenschaftliche Unabhängigkeit gerät nun von mehreren Seiten unter Druck, als sie auch von ihrer charismatisch-manipulativen Mutter herausgefordert wird. Als Anführerin der aktivistischen Gegenbewegung vor Ort will ihre Mutter die Zerstörung des Gletschers um jeden Preis verhindern und greift zu immer radikaleren Mitteln. Noras Arbeit wird indessen zur Autopsie: sie steht einem sterbenden Gletscher gegenüber, der sie zu ihrem Beruf – den sie als Berufung versteht – ursprünglich erst inspiriert hat. Im Brennpunkt widersprüchlicher Interessen stehend muss Nora ihre tiefsten Überzeugungen hinterfragen und sich der jahrelangen Entfremdung von ihrer Heimat – und ihrer Mutter – neu stellen.
Du bezeichnest dein Spielfilmprojekt “Requiem für einen Gletscher” in dem von dir eingereichten Treatment als “zeitgenössischer, feministischer Anti-Western vor dem Hintergrund einer sterbenden Landschaft”. Könntest du deine Gedanken hierzu näher erläutern?
Stephanie Falkeis: Hier geht es mir um eine Dekonstruktion auf ideologischer Ebene, vor dem zeitgenössischen Hintergrund von antropogenem Klimawandel. Das Westerngenre hat den (westlichen) Mythos des unbegrenzten Wachstums um jeden Preis trotz limitierter Ressourcen über Jahrzehnte propagiert, legitimiert und auch romantisiert. Mit dieser Geschichte möchte ich die Untragbarkeit dieses Mindsets greifbar und emotional erfahrbar machen. Der Gletscher wird zum last frontier, zur letzten unberührten Wildnis und weißen Fleck auf der Landkarte, der kolonialisiert werden muss.
Mich hat das dem Menschen scheinbar ureigene Verlangen, die Natur zu “zähmen” beziehungsweise zu “unterwerfen”, schon immer fasziniert. Vor allem in einem zeitgenössischen Kontext wird hier oft mit einem “profitabel machen” der Wildnis argumentiert, was letztlich meist in ihrer Zerstörung endet. Die Jahre in Amerika haben da stark geprägt und mein kritisches Auge für kapitalistische Wachstumsmythen und deren ideologische Verankerung geschärft. Durch diese Linse habe ich dann auch die Skigebiets-Expansionspläne in Tirol gelesen.
Du hast lange Zeit in den USA gelebt und hast in den letzten Jahren eine internationale Filmausbildung u.a. an der Columbia University absolviert. Warum hast du dich dazu entschieden, dass dein Debütfilm in Österreich spielt und hierzulande zu drehen?
Stephanie Falkeis: In gewisser Weise schließt sich hier ein Kreis, denn die ursprüngliche Inspiration – auch schon für den Kurzfilm – stammt aus Tirol. Den Anstoß gab ein sehr konkretes Gefühl der Ohnmacht, mit dem ich mich nach vielen Jahren im Ausland bei einem Besuch des Gletschers meiner Kindheit konfrontiert fand. Er war in der Zwischenzeit bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft, die Gletscherzunge weit zurückgewichen. Mir wurde bewusst, dass das Verschwinden dieses Jahrtausende alten Gletschers zu meinen Lebzeiten stattfinden wird. Dieses prekäre Bild entwickelte eine melancholisch-poetische Sogkraft, die mich bis in meine Träume verfolgte.
Obwohl mich vor allem die universelle Komponente des Stoffs faszinierte – das Gletschersterben ist von Norwegen bis Neuseeland ein Thema – merkte ich dann doch rasch, dass die geopolitische und klimarechtliche Lage in den Ländern sehr unterschiedlich ist. Gerade in Tirol gibt es Zustände und Machtverhältnisse, die ich mit dem Langfilm kritisch hinterfragen will. Also kehre ich für dieses Projekt – ähnlich wie meine Protagonistin – mit ambivalenten Gefühlen zu meinen Wurzeln zurück.
Welche Parallelen beziehungsweise Unterschiede finden sich zwischen dem Kurzfilm “Elegy for A Glacier” und deinem Spielfilmprojekt?
Stephanie Falkeis: Ich sehe den Kurzfilm und den Langfilm als Schwesternprojekte, da ihre Entstehungsgeschichte parallel verläuft. Ich habe bereits früh in der Recherche für den Kurzfilm gemerkt, dass ich noch viel mehr in die Tiefe gehen möchte, und begonnen, den Langfilm zu entwickeln. Die erzählerische Ausgangsposition ist ähnlich, in beiden Projekten verhandle ich anhand einer Mutter-Tochter Geschichte generationsbedingte Fragen an der Schnittstelle von Feminismus und Aktivismus. Die Beziehungen der Figuren zueinander und der Bogen verfolgt jedoch eine neue Richtung, es geht u.a. darum, wie wissenschaftliche Gutachten durch eine gezielte Interventionspolitik ad absurdum geführt werden können.
Der Kurzfilmdreh in den Rocky Mountains auf fast 4000m Höhe bei extremen Temperaturschwankungen war eine echte Herausforderung. In einer schmerzlichen Ironie des Schicksals ist uns der Gletscher zwischen Locationscout und Dreh davon geschmolzen, sodass wir den Gletscher mit VFX in der Postpro nachbauen mussten. Die Realität hatte die Fiktion überholt. Das hat mir (noch einmal) mit Dringlichkeit vor Augen gefühlt, wie wichtig es ist, den Spielfilm möglichst zeitnah umzusetzen.
Filmstill aus dem Kurzspielfilm “Elegy for A Glacier” (2023, 16 Min.), Stephanies aktuellster Kurzfilm über eine Gletscherforscherin, die in ihren Heimatort kehrt zurückkehrt und auf ihre Mutter, eine radikale Umweltaktivistin, trifft. (Ev dazu: der Film feierte Österreichpremiere bei der Diagonale)
Du hast u.a. in New York, Paris und Berlin gelebt. Inwieweit hast du das Gefühl, dass deine Auslandsaufenthalte deine Geschichten und deinen Stil (oder deine Art) des Filmemachens beeinflusst haben? Welche Art von Filmen interessiert dich?
Stephanie Falkeis: Mich hat es schon sehr früh ins Ausland gezogen, einerseits war da eine Neugierde auf das Unbekannte, ein Bedürfnis, eigene Überzeugungen – die Bilder, die man sich macht – aktiv herauszufordern und in Frage zu stellen. Andererseits ein gewisses Fernweh, das Gefühl, sich in der Fremde mehr zu Hause zu fühlen. Das Zurückkehren ist oft der größere Kulturschock als das Weggehen. Im Kunststudium wollte ich narrative Filme machen, im Filmstudium war ich geprägt von meinem experimentellen Background. In Tirol bin ich die Wienerin, in Wien die Tirolerin. Diese Dualität, diesen Zustand des sowohl außerhalb als auch innerhalb Stehens, finde ich fürs Geschichtenerzählten sehr fruchtbar. Oft bildet die Auseinandersetzung damit den Kern meiner filmischen Arbeit – in “Eigenleben” werden diese Fragen auf einer sprachlichen Ebene verhandelt, in “Requiem” auf einer geopolitischen.
Ich finde Filme spannend, die sich mit politischen Fragestellungen auf einer poetischen Ebene befassen. Alice Rohrwachers “Lazzaro Felice”, Claire Denis’ “White Material”, Mati Diops “Atlantique”, das Werk von Céline Sciamma, Christian Petzold, Ken Loach.
PLATZHALTER STILL “EIGENLEBEN”?
In welchem Stadium befindet sich “Requiem für einen Gletscher” aktuell und was sind derzeit die großen Herausforderungen?
Stephanie Falkeis: Ich arbeite schon seit mehreren Jahren an dem Projekt, das von einer intensiven Recherche begleitet wird, und tausche mich regelmäßig mit Wissenschafter:innen, Aktivist:innen und politischen Entscheidungsträger:innen aus – soziopolitische Veränderungen fließen dann in die weiteren Entwicklung des Drehbuchs ein. Derzeit schreibe ich an der dritten Drehbuchfassung und bin mit den Gedanken bei der Umsetzung.
In praktischer Hinsicht wird eine Herausforderung ganz klar die Finanzierung sein, da die Kosten für die Filmproduktion in den letzen Jahren stark angestiegen sind. Deshalb denke ich derzeit auch wieder verstärkt über eine Koproduktion im Alpenraum nach, wofür der Stoff eigentlich wie gemacht ist, was aber gerade bei einem Debüt den Finanzierungsprozess in die Länge ziehen kann.
Nicht nur die Tatsache, dass die Gletscher rasant davon schmelzen, sondern auch, dass sich der Diskurs zu der Thematik sehr rasch wandelt, und der Stoff so explizit auf aktuelle politische Vorgänge Bezug nimmt, stellt eine besondere Herausforderung dar. Die Uhr tickt, aber auch der Prozess, die richtigen Partner:innen und Mitstreiter:innen zu finden, braucht seine Zeit.
Stephanie setzt sich viel mit dem Thema Climate Storytelling auseinander; hier zu sehen bei einem Panel zu Green Storytelling im Rahmen der Hofer Filmtage 2024.