„Filme sind meine Form des Ausdrucks“
Sybille Bauer-Zierfuß, 1989 in Linz geboren, studierte zunächst Anglistik und Amerikanistik sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien, bevor sie zwischen 2014 und 2018 einen Master in Zeitbasierte Medien an der Kunstuniversität Linz absolvierte. Sie lebt und arbeitet als Filmemacherin und Künstlerin in Wien. Für das Startstipendium 2022 hat Sybille sich mit dem Dokumentarfilmprojekt Das Patriarchat tötet beworben, das eine Frau, die ihren Mann tötete, und einen Mann, der seine Frau tötete, in deren Gefängnisalltag begleitet.
Worum geht es in deinem Dokumentarfilmprojekt Das Patriarchat tötet, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?
Sybille Bauer-Zierfuß: Das Konzept von Das Patriarchat tötet hat sich während des Stipendiums stark verändert. Der Film soll nun das Thema „Femizide in Österreich“ dechiffrieren. Im Fokus stehen solche Femizide, welche von einem Mann/Freund an seiner Freundin/Frau verübt werden oder welche kurz nach Beendigung einer Paarbeziehung geschehen.
Das Patriarchat tötet zeigt, dass das Patriarchat als gesellschaftliches Konstrukt für Femizide verantwortlich gemacht werden kann. Der Film betrachtet das Thema „Femizid“ nicht als ein isoliertes Ereignis, sondern deckt das prozessuale Geschehen bis zum Femizid auf. Somit legt er unterschiedliche Dysfunktionen offen, welche zu Femiziden führen oder führten. Systemische, sozio-historische sowie individuell- und gesellschaftlich-psychologische Missstände werden aufgedeckt. Systemische Gewalt ist multifaktoriell in ihren Gründen und Wirkungsräumen und steht in einem Wechselverhältnis zu der Lebenswelt des Individuums. Diese filmische Arbeit versteht sich daher als eine Investigation des Werdens, nicht des Seins.
Die Frage, warum Menschen töten, ist seit Menschengedenken existenziell – und wissenschaftlich, philosophisch, journalistisch, künstlerisch … schon viel thematisiert. Mit welchen Fragen gehst du in diesen Film hinein und welche Antworten erhoffst du dir am Ende?
Leider wird und wurde das Thema des Femizids, die Tötung von Frauen, noch viel zu wenig thematisiert, besonders in Österreich. Die zugrunde liegenden Problematiken sind tabuisiert und wurden bis dato nicht gesellschaftlich aufgearbeitet. Fragen, mit denen ich mich in dem Film beschäftige, sind: Wie und warum werden Mörder zu Mördern und Opfer zu Opfern? Inwieweit tragen toxische Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder dazu bei, dass Femizide möglich werden? Was hat Sprache, wie wir mit und über Opfer bzw. Frauen sprechen, mit Femiziden zu tun? Warum bleiben viele Täter von Femiziden bis zur Tat unauffällig? Wo versagt das gesamte gesellschaftliche System? Warum können die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen oder auch sexistische, beiläufige Witze als Mitverursacher von Femiziden gesehen werden? Dies sind Fragen, welchen dieser Film nachgehen wird.
Ich erhoffe mir gleichzeitig keine Antworten von Filmen. Ich glaube, das kann ein Film nicht leisten, nämlich einen (individuell konstruierten) Anspruch auf Vollständigkeit zu erfüllen oder die „Wahrheit“ zu liefern. Das wäre ein didaktischer Zugang, finde ich. Mir geht es darum, wichtige Fragen zu stellen und dann zu sehen, wo die Reise hingeht. Und selbst wenn ich für mich persönlich Antworten auf die Fragen habe, heißt das nicht, dass diese es wert sind, sie mit der Öffentlichkeit zu teilen. Ich mache den Film nicht nur für mich, sondern für ein Publikum. Was ich diesem zumute und wie ich etwas erzähle, ist eine komplexe Entscheidung, in der ich manchmal, je nach Form und Thema, meine persönlichen Vorlieben oder Meinungen rausnehmen muss.
Viele deiner vorherigen Filme thematisieren Persönliches aus deinem nahen Umfeld: Das harte Leben deiner Oma in Mariedl (2014, 10 min), die Krankheitsgeschichte deines Vaters in Mein Befinden ist gut, nur zeitlich sehr begrenzt (2016, 36 min) oder den emotionalen Missbrauch innerhalb der eigenen Familie in Was eine Familie leisten kann (2021, 30 min). Kannst du den „Drang“ beschreiben, dich filmkünstlerisch sehr Persönlichem und der eigenen Familie anzunähern?
Ich beschäftige mich mit Dingen, zu denen ich einen Bezug herstellen kann, die mich (emotional) bewegen, von denen ich glaube, eine Ahnung zu haben. Der Drang, Dysfunktionen aufzuzeigen, Dinge zu analysieren, unangenehme Fragen zu stellen, begleitet mich schon so lange, dass der Ursprung dessen nicht erinnerbar ist. Dieser meinige „Drang“ ist nicht nur im Außen zu verorten, sondern auch introspektiv vorhanden. Das heißt, ich blicke in meiner Arbeit nicht nur in die Abgründe und die Tiefen anderer, sondern auch in die eigenen, auch wenn es anstrengend und schmerzhaft ist.
Auf TikTok thematisierst du auch offen das Leben als Autistin und mit ADHS. Auch in deiner künstlerischen Arbeit beschäftigst du dich mit dieser Diagnose. Du stellst also nicht nur deine Kunst aus, sondern auch dich selbst, es gibt wenig Trennung zwischen Sybille Bauer-Zierfuß als Mensch und Sybille Bauer-Zierfuß als Künstlerin. Das kann einengend sein, aber auch befreiend. Wie siehst du das?
Wenn ich persönliche Themen künstlerisch bearbeite, bleiben sie nicht an mir als Person „haften“. Daher steht in meinen Arbeiten der Versuch im Vordergrund, die formale Ebene eines Films so zu gestalten, dass das dargestellte Thema eine allgemeine Gültigkeit bekommt. Der Ursprung jedes Films liegt immer in einem tiefgründigen, starken Interesse, gewisse Themen und vor allem Menschen verstehen zu wollen, Unsichtbares sichtbar zu machen. Wenn ich das Ergebnis dieses Unterfanges mit der Öffentlichkeit teile, entsteht im besten Fall ein Diskurs, oder ich kann anderen helfen, etwas offenlegen, zum Nachdenken anregen. Mein Interesse für spezifische Dinge, wiederum, entspringt aus mir „persönlich“. Also die Frage nach dem, was „persönlich“ und was „künstlerisch“ ist, stelle ich mir nicht.
Wenn ich persönliche Themen anderer künstlerisch thematisiere, möchte ich selbst bereit sein, vulnerabel zu sein, ansonsten fände ich meinen Ansatz hypokritisch. Die Abgründe, die Ambivalenzen, die Vielschichtigkeiten von Personen beschäftigen mich genauso wie meine eigenen. Authentizität ist mir wichtig.
TikTok und meine filmischen Arbeiten haben eher diametrale Funktionen für mich. Meine TikTok-Videos sehe ich eher als ein Mittel, um mich mit Autist*innen zu vernetzen, eine Community zu haben. Die App hilft mir, mit meinen Problemen humoristisch umzugehen. Die kurzen Videos entstehen meist sehr spontan. Das Filmemachen hingehen verstehe ich eher als „meine Sprache“ und erfordert viel Zeit und Überlegung. Nachdem Autist*innen oftmals Probleme haben, sich verbal auszudrücken, schaffe ich das – als Autistin – mit meinen Filmen. Sie sind meine Form des Ausdrucks.
Es war eine bewusste Entscheidung, meinen Autismus öffentlich zu machen. Ich möchte ihn nicht „verstecken“. Schließlich habe ich das, mehr unbewusst als bewusst, mein ganzes Leben lang probiert, habe versucht, mich anzupassen, um „dazuzugehören“. Ich bin meist kläglich gescheitert. Mit der Diagnose Autismus weiß ich nun: Ich bin autistisch, seitdem ich auf die Welt gekommen bin, mein Autismus ist ein inhärenter Teil von mir. Mein Autismus bzw. auch mein ADHS fungieren auch als effektive Ausschlusskriterien: Wenn Leute damit nicht umgehen können oder herablassende, ableistische Kommentare fallen, dann weiß ich, mit wem ich in Zukunft nichts zu tun haben möchte.
Mit Das Patriarchat tötet verlässt du die eigene Familie, auch wenn der Themenkomplex (Trauma, sexuelle und strukturelle Gewalt) immer auch hochpersönlich bleibt, selbst wenn er nicht autobiografisch ist. Hier begibst du dich aber in deiner Verantwortung als Filmemacherin in ein anderes Feld: Du erzählst die persönliche Gewaltgeschichte von anderen. Wie verändert diese Position deine Kunst?
Bereits in früheren essayistischen, experimentellen Filmen thematisierte ich die Gewalterfahrung von anderen, wie z.B. in Mariedl, der Film über meine geliebte Oma, oder in Die übrigen Mädchen, in dem es um eine biblische Erzählung einer Vergewaltigung geht. In meinem Dokumentarfilm Kein halbes Leben durfte ich Menschen begleiten, die einen schweren Verlust mithilfe ihrer Hunde verarbeiteten. Ich kann mich aber, seitdem ich meine eigene Familiengeschichte in Was eine Familie leisten kann filmisch bearbeitet habe, noch intensiver anderen widmen. Die Auseinandersetzung mit den eigenen schmerzlichen Erfahrungen, also der Prozess der Introspektion, erweiterte schlichtweg mein Verständnis für gewisse Themen. Ich durfte bereits durch meine Filme viel über andere Lebenswelten, über mir nahestehende und nicht nahestehende Menschen und auch über mich lernen. Die Beschäftigung mit tabuisierten, unangenehmen, „persönlichen“ Themen haben mir immer wieder neue Perspektiven eröffnet und mich dahin gebracht, wo ich heute bin.
Still aus dem Essayfilm Was eine Familie leisten kann (2021, 30 min).
In welchem Stadium befindet sich das Projekt Das Patriarchat tötet derzeit und was wird in den nächsten Schritten die größte Herausforderung?
Das Patriarchat tötet hat ein thematisch fundiertes Konzept, das ich mit der Hilfe von ca. 22 Expert*innen und weiterführender Lektüre ausarbeiten durfte. Jetzt möchte ich mich auf die Suche nach einer Produktionsfirma machen, die den Film gerne produzieren mag. Die Herausforderung bei meinem Projekt wird auf alle Fälle die Frage sein, wie die dramaturgische Ebene spezifisch funktioniert. Während des Stipendiums konnte ich die Komplexität des Themas durch die intensive Recherche-Möglichkeit für mich, und ich glaube auch für meine Kolleg*innen, greifbar machen. In der letzten Phase des Stipendiums bekam ich auch viel spannenden Input von meinen Kolleg*innen und den Workshopleiterinnen bezüglich der dramaturgischen Umsetzung. Das hat mich zunächst überwältigt, weil es so viele spannende Möglichkeiten gibt. Diese Möglichkeiten muss ich präzise durchdenken und -arbeiten. Das braucht Zeit und Raum. Jedoch empfände ich dahingehend die Meinung von Produzent*innen als hilfreich. Der Blick von außen ist in einer Phase wie dieser essenziell.