„Ich will einfach spielen und nicht ‚Schauspielerin sein‘“
Drei Menschen, die wir gern auf der Leinwand sehen: Marlene Hauser, Thomas Schubert und Anna Suk sind eine neue Generation an Schauspieler*innen, die nicht nur in vielen Kurzfilmen von jungen Filmemacher*innen mitwirken, sondern ihr Talent auch in großen Kino- und TV-Produktionen unter Beweis stellen. Regisseurin und Casterin Ulrike Putzer hat für uns mit den drei Jungschauspieler*innen ein langes Gespräch geführt über das schwierige Erlernen des Filmschauspielberufs, die Sinnhaftigkeit von E-Castings und die Eigenheiten der Filmwelt-Bubble.
Ulrike Putzer: Erzählt doch mal, wie ihr zur Schauspielerei gekommen seid. Eure Geschichten sind ja vermutlich sehr unterschiedlich.
Marlene Hauser: Ich bin in meiner Kindheit und Jugend einfach aus Interesse sehr viel ins Theater gegangen. Als ich 14 war, hab ich mich in Linz am Landestheater beim Jugendclub mit einem Vorsprechen beworben und dort dann zwei Projekte gemacht, bis ich 17 war. Weil ich wusste, dass ich unbedingt Schauspiel studieren wollte, aber nur sehr wenige Bewerber*innen aufgenommen werden und man das vermutlich öfter probieren muss, dachte ich mir, dass ich schon während der Schulzeit mal schauen sollte, ob das klappt. Also hab ich am Max Reinhardt Seminar in Wien vorgesprochen. Und ich bin aufgenommen worden. Dann hab ich noch ein Jahr lang die Matura gemacht und bin dann ans Reinhardt Seminar.
Ulrike: Kommst du aus einer künstlerischen Familie?
Marlene: Nein, das kam aus eigenem Interesse. Ich weiß gar nicht genau, wie ich dann zum Film kam. Was zunächst gezündet hat, war das Theater.
Thomas Schubert: Ich komme auch nicht aus einer Familie, die künstlerisch besonders tätig wäre. Ich bin mehr oder weniger zufällig zu meinem ersten Kinofilm gekommen. Das war zu einer Zeit, in der ich überhaupt nicht wusste, was ich machen sollte. Ich hab ständig die Schule gewechselt, und mit den unterschiedlichen Ferialjobs konnte ich auch nichts anfangen. Ich hatte also überhaupt keine Zukunftsvorstellungen. Und dann hab ich die Hauptrolle in einem Kinofilm, das war Atmen von Karl Markovics, bekommen und mir war ganz schnell klar: Das ist die Richtung, die ich gehen will. Und dann hab ich auch alles andere stehen und liegen lassen, I burnt down bridges, wie man im Englischen sagt, hab sofort die Schule abgebrochen und wollte nur noch Schauspiel machen. Da war ich 17 oder 18.
Ulrike: Wie hast du von dem Casting erfahren?
Thomas: Ein Freund von mir ist hingegangen. Er hatte auch überhaupt nichts mit Schauspiel am Hut, er hat in seiner Schule einen Flyer in die Hand gedrückt bekommen und dachte sich: “Was soll’s? Ich geh einfach hin.” Und ich bin mitgegangen.
Thomas’ erste Filmrolle war gleich die Hauptrolle für einen Kinospielfilm: Atmen von Karl Markovics (2011). Thomas, 1993 in Wien geboren, ist Schauspieler, seit er 17 Jahre alt ist. Seither arbeitet er für sowohl österreichische wie deutsche Kinofilme – bspw. Das finstere Tal (2014, R: Andreas Prochaska) und Wilde Maus (2017, R: Josef Hader) – und Fernsehproduktionen – bspw. Polizeiruf 110: Bis Mitternacht (2021, R: Dominik Graf). > zum Portfolio
Anna Suk: Ich war von 15 bis 17 auch in einem Theaterclub – bei mir war es das Theater der Jugend in Wien. Über den Club haben wir dann immer auch Castings weitergeleitet bekommen, von der Filmakademie und andere größere Sachen. Ich bin einfach zu jedem Casting hingegangen, weil ich das lustig gefunden hab. Es ist aber nie etwas geworden, ich war immer in der Endrunde und dann bin ich rausgeflogen. Dann dachte ich mir, okay, dann halt nicht, und hab mich vollkommen neu orientiert. Und dann kamen plötzlich Rollenangebote rein und alles hat sich langsam verselbstständigt, weil ich durch diese Filme auf mich aufmerksam machen konnte und weitere Rollen bekommen habe. Meine Familie ist schon eher künstlerisch unterwegs, hat aber gar nichts mit Theater oder Film zu tun, es sind fast alle Musiker*innen und im Sozialbereich tätig. Wir sind eine sehr große Familie, jeder macht irgendetwas Kreatives und wir sind alle eher bodenständig.
Ulrike: Haben eure Eltern euch immer unterstützt? Oder wie haben sie zu eurer Berufswahl gestanden?
Thomas: Als ich ihnen gesagt habe, dass ich die Schule abbrechen will, haben sie einen Herzkasperl gekriegt. Es gab viele Diskussionen. Aber dann haben sie den ersten Film gesehen und meine Entscheidung dann doch recht schnell verstanden. Außerdem wissen sie, dass ich ein Sturschädel bin und mir nichts sagen lasse.
Anna: Auf der einen Seite haben sie gesagt: Wir unterstützen dich bei dem, was du machen möchtest. Auf der anderen Seite ist aber immer die Frage nach der finanziellen Absicherung im Raum gestanden. Es war schon ein Weg, bis meine Eltern gesagt haben: Gut, das ist ein Beruf, mit dem man Geld verdienen kann.
Ulrike: Hast du denn noch etwas zu studieren angefangen?
Anna: Ich habe vieles zu studieren angefangen und abgebrochen. Jetzt studiere ich wieder und find’s sehr angenehm. Ich bin auf einem Kolleg für Sozialpädagogik. Das ist natürlich die große Freude für meine Mutter: ein sicherer Job und dazu noch etwas Soziales. Und für mich ist es auch erfreulich, weil ich das einfach sehr gern mag.
Annas erste Filmrolle war für den Kurzspielfilm MUSIK von Stefan Bohun (2014). Für ihre Nebenrolle im Kinospielfilm COPS (2017, R: Stefan A. Lukacs) wurde sie beim Filmfestival Max Ophüls Preis als Bester Schauspielnachwuchs ausgezeichnet. Für die Hauptrolle im Kurzspielfilm Freigang (2019, R: Martin Winter) erhielt sie mehrere Preise. Anna ist 1994 in Wien geboren. > zum Portfolio
Marlene: Ich hab nicht so viel darüber geredet, was ich machen will, und zu Hause immer gesagt, dass ich vielleicht Lehrerin werden will. Ich hab das Vorsprechen eher für mich behalten, hab dann nur gesagt: “Mama, Papa, ich geh vorsprechen, werd aber sowieso nicht aufgenommen.” Dann ist das aber passiert und ich hab ihnen eigentlich gar nicht so viele Chancen gelassen, Kritik zu üben. Aber generell ist natürlich schon gesagt worden: “Es wäre gut, wenn du Wirtschaft studierst.” Aber das kann ich nicht.
Ulrike: Und wie hast du dich auf das Vorsprechen vorbereitet?
Marlene: Mit der Regisseurin vom Jugendclub, Katharina Bigus, die mich auch heute noch sehr unterstützt. Sie war und ist vor allem jemand, der an mich glaubt, das war eine sehr wichtige Unterstützung für mich. Denn in der Drucksituation des Vorsprechens macht man es dann eh so, wie man es macht, aber ihr Glaube an mich war schon wohltuend.
Ulrike: Und wie hat es dir am Reinhardt Seminar gefallen? Wie war die Ausbildung für dich?
Marlene: Ich hab mein Studium 2019 abgeschlossen und alles was ich gelernt hab, hat sich in den letzten Jahren erst begonnen abzusetzen. Dass man auch anwenden kann, was man gelernt hat, dauert. Am Anfang, wenn man das Schauspielhandwerk oder die -technik lernt, kommt man sich oft ein bisschen fremdgesteuert vor, weil man alles zerlegt. Bis das dann wieder organisch und zum Eigenen wird, braucht es eine gewisse Zeit. So würde ich das bei mir jedenfalls beschreiben.
Ulrike: Und was zum Beispiel ist so etwas, von dem du das Gefühl hast, dass du es jetzt anwenden kannst?
Marlene: Im Theater ist es auf jeden Fall der Umgang mit Textstrukturen und Stimme, den man erlernt, was man beim Film nicht so braucht, weil die Sprache eher etwas Unmittelbares oder Alltägliches hat. Im Theater braucht man eine andere Körpereinstellung, wenn man auf die Bühne geht, aber auch im Film, wenn man vor die Kamera tritt, ist die nötig. Zusammenfassend hab ich wahrscheinlich gelernt zu differenzieren und Vorgänge zu benennen.
Ulrike: Ist das Reinhardt Seminar eher auf Theater ausgerichtet?
Marlene: Ja, es ist schon sehr theaterlastig. Aber es gibt Film-Workshops. Ich weiß gar nicht, wie das momentan ist, aber wir hatten für ein paar Wochen lang einen Workshop, der sich „Arbeit vor der Kamera“ nannte, mit Sebastian Brauneis. Aus diesem Unterricht konnte ich sehr viel mitnehmen. Und ich bin sehr froh darüber, dass ich während meiner Ausbildung viel mit der Filmakademie habe machen können.
Ulrike: Passierte diese Zusammenarbeit aus Eigeninitiative?
Marlene: Das hat sich so ergeben. Es war super, weil man mit Gleichaltrigen lernt und sich ausprobieren kann.
Seit 2014 steht Marlene, 1996 in Freistadt geboren, für Kurzfilme – aktuell beispielsweise Hollywood (2020, R: Leni Gruber & Alex Reinberg) –, Kinofilme – bspw. 3Freunde2Feinde (2019, R: Sebastian Brauneis) – und Fernsehen – bspw. Tatort (2023, R: Evi Romen) – vor der Kamera. Eine ihrer Hauptrollen spielte sie im Kurzspielfilm Im engsten Kreis (2019, R: Julia Reiter, siehe Plakat). > zum Portfolio
Ulrike: Habt ihr euch, Anna und Thomas, schon mal überlegt, auch eine Schauspielschule zu besuchen?
Anna: Ich wollte das eine Zeit lang, aber es hat mir an Biss gefehlt, um herumzufahren und mich an verschiedenen Schulen zu bewerben. Dann habe ich mich auch nicht ganz damit identifizieren können. Theatermenschen sind groß, im Sinne von: Sie sind eine Erscheinung, wenn man sie trifft. So fühle ich mich nicht. Ich fühle mich beim Film besser aufgehoben, weil die Kamera Dinge wahrnimmt, die ich selbst nicht wahrnehmen kann. Und dann hatte ich auch nicht den Glauben, dass ich das kann. Dafür hat es nie gereicht. Es war mir nie so wichtig, dass ich mich durchgerungen hätte.
Ulrike: War das auch Grund für dich, dass du dich nun für andere Berufe öffnest? Das Gefühl, dass du Schauspiel “nicht kannst”?
Anna: Es hat verschiedene Gründe: Zum einen ist der Beruf sehr unsicher und man weiß nie, wie lange das gut geht. Bei mir ist das jedenfalls so. Ich hatte zeitweise ganz viel zu tun, dann wieder nichts. Ich kann damit umgehen, aber ich muss eben nicht damit umgehen. Das ist für mich urschön zu wissen, dass es noch andere Dinge gibt. Und mir hat auch der Bezug zur Realität immens gefehlt. Man lebt beim Film in einer Blase, in einer ganz anderen Welt, die so realitätsfern ist. Allein wie du als Schauspielerin am Set behandelt wirst. Man muss fast nicht mehr denken, weil einem so viel abgenommen wird. Ich mochte dann zeitweise nicht, was das mit mir macht.
Beispielsweise als es mit Corona losging: Alle mussten am Set eine Maske tragen, nur die Schauspieler*innen nicht. Und dann fährst du mit der U-Bahn und vergisst fast, dass du wieder eine tragen musst. Die Sonderstellung in dieser Blase hat mir nicht gefallen. Das ist wie ein schöner Urlaub, aber ich will dann auch wieder in die Realität. Sozialberufe geben mir diese Realität zurück, und die brauche ich.
Marlene: Wenn man wartet und gerade nichts zu tun hat, denke ich mir auch immer, dass ich das eh nur nebenberuflich mache. Wenn dann etwas zu tun ist, hat man wieder die volle Energie. Aber man ist von so vielen Dingen abhängig, dass es schon hilft, wenn es noch andere coole Dinge im Leben gibt.
Thomas: Es hilft bei der Arbeit auch extrem, wenn man weiß, dass man kann, aber nicht muss. Denn immer, wenn du den Job dringend brauchst, hast du keine Chance, ihn zu bekommen. Es ist, als würde man das an dir riechen. Die Sicherheit zu haben, das nicht machen zu müssen, strahlt man auch aus, das gibt einem eine ganz andere Haltung und eine sichere Basis, von der man arbeiten kann. Ich habe zwischendurch eh auch immer etwas anderes gemacht, aber ich mag diese Bubble ja auch sehr. So insane sie auch ist, ich mag die Welt und die Leute, die ich treffe, sehr. Für mich war immer klar, dass ich dabeibleiben möchte. Und in den Dürreperioden mache ich eben etwas anderes.
Ulrike: Hast du dir überlegt, noch eine Ausbildung zu machen?
Thomas: Ja, schon, aber für mich war eigentlich immer klar, dass ich beim Film bleiben will. Theater ist dann nochmal eine andere Bubble. Mit einer kleinen Gruppe von Leuten sehr intensiv an einem Stück zu arbeiten, empfinde ich nochmal als ein viel geschlosseneres System als Film. Die Hierarchien sind eben auch komplett hart.
Ulrike: Beim Film aber doch auch.
Marlene: Aber als Schauspielerin hat man das Privileg, dass jeder schaut, dass es einem gut geht. Dass man spielen kann, was man spielen soll.
Thomas: Beim Theater ist das eher so: “Spielen wir das jetzt so!” Und beim Film ist das eher so: “Kannst du mir das bitte so spielen?” Deshalb hab ich mir das mit der Ausbildung auch nie so ernsthaft überlegt. Weil ich auch überhaupt keine Lust habe, jemanden so an mir arbeiten zu lassen. Dafür war ich von Anfang an viel zu sehr bei mir. Ich war nie der Typ, um mich auseinanderbrechen und dann neu formen zu lassen. Jeder und jede, die ich treffe, sagt, dass das nichts für mich wäre.
Anna: Das ist bei mir auch so.
Ulrike: Ihr habt also am Set auf learning by doing gesetzt. Hattet ihr denn je das Gefühl, dass euch eine bestimmte Technik fehlt? Gab es Situationen, in denen etwas verlangt wurde und ihr nicht wusstet, wo ihr das herholen sollt?
Anna: Man glaubt ja immer, dass man die Technik vor allem für die schwierigen Momente braucht, etwa für emotionale Ausbrüche. Bei mir sind es seltsamerweise die einfachsten Dinge, die ich nicht schaffe. Ein Beispiel: Es ging darum, einen bestimmten Weg zu gehen und im letzten Moment einem Hindernis auszuweichen. Es ist mir nicht gelungen, mich von diesem Hindernis überraschen zu lassen, weil ich wusste, dass es da ist, ich hab es gesehen und konnte es nicht ausblenden. Ich dachte mir, es muss schon cool sein, Emotionen darzustellen, ohne sie zu fühlen. Aber mir taugt das nicht so, auch beim Anschauen. Ich hab den Eindruck man merkt einen Unterschied, ob etwas vorgespielt ist oder ob es jemand wirklich fühlt. Ich glaube, das Rohe macht es ja auch interessant. Bei manchen Laien, also auch bei uns, hat man oft den Eindruck, dass sie überhaupt nicht wissen, was sie tun, aber es schaut einfach geil aus.
Ulrike: Aber geht das nicht auch total an die Substanz?
Anna: Ja, sicher. Aber es hat auch was Befreiendes. Bisschen wie eine Therapieform. Man steigert sich total in etwas rein und dann lässt man es raus in dem Moment, in dem alle etwas davon haben, und dann ist es weg.
Thomas: Man kann so etwas ausleben, was man im normalen Leben nie ausleben könnte.
Ulrike: Und wie ist das bei dir, Marlene? Hast du auch das Gefühl, dass das an die Substanz geht, oder ist es durch die Ausbildung abgefedert, weil du nicht so echt in eine Emotion hineingehen musst?
Marlene: Nach einem Theaterspiel fühle ich mich manchmal ausgepowert wie nach einer Stunde Jogging oder einer guten Massage. Beim Film fühle ich mich danach manchmal, als hätte ich einen Hirngatsch. Aber in ein Gefühl reinzugehen und danach zu suchen, ob ich dieses Gefühl selbst schon einmal hatte, das funktioniert bei mir nicht wirklich, so kann ich irgendwie nichts transportieren. Ich mag es, etwas in einem künstlichen Raum zu entwickeln und dann etwas auszuleben, was man im echten Leben nicht ausleben kann. Die Trigger dazu sind urpersönlich, die verrate ich niemandem. Ich bohre da in mir selbst. Ich empfinde es aber nicht so, dass es an meine Substanz geht, weil ich die Kontrolle behalte.
Ulrike: Hast du das Gefühl, dass du die Ausbildung für den Film gar nicht gebraucht hättest, weil beim Film eh etwas anderes verlangt wird als beim Theater? Manchmal hat man ja das Gefühl, dass Leute ihre Natürlichkeit nach einer Schauspielausbildung erst wieder ein bisschen herstellen müssen.
Marlene: An der Schauspielschule probiert man sich natürlich in viele verschiedene Richtungen aus. Später wird man dann eher nach seinem sogenannten Typ besetzt. Dann kann man natürlich sagen, es wäre gar nicht nötig gewesen, so viele Rollen auszuprobieren. Aber ich denke, alles was man macht, jede Rolle, die man spielt, hinterlässt Spuren in einem, man lernt etwas von jeder Rolle. In dieser Hinsicht empfinde ich die Ausbildung als großen Luxus: soviel in einer doch sehr komprimierten Zeit ausprobieren zu können.
Anna Suk, Marlene Hauser und Thomas Schubert in den Gängen des Gartenbaukino Wien.
Foto © Theresa Wey für Cinema Next
Ulrike: Wie war das nach euren ersten Rollen? Man beginnt dann ja zu überlegen, ob man zu einer Agentur geht. Was würdet ihr anderen raten? Ich höre von vielen, dass es ein großes Thema ist, herauszufinden, wie man die Karriere angehen soll.
Thomas: Ich könnte das gar nicht pauschalisieren. Für mich ist nach meinem ersten Film alles automatisch weitergegangen. Als ich 18 war, hat es großen Bedarf an Leuten gegeben, die jung ausschauen und ein bisschen Talent haben. Die Agenturen haben sich dann bei mir gemeldet.
Ulrike: Nach welchen Kriterien hast du dann die Projekte ausgewählt?
Thomas: Man probiert einfach mal aus. Vielleicht nach den Leuten, die einem sympathisch waren, denn man weiß ja noch gar nicht, was Agenturen eigentlich können sollen, was eine gute Agentur ausmacht. Ich hatte das Glück Peers zu haben, die mir geholfen haben. Ich kann eigentlich niemandem Ratschläge geben, was man tun muss, um Kontakte zu bekommen, wenn man noch unbekannt ist. Ich glaube, wenn mir nicht alles zugeflogen wäre, wäre das für mich in dieser Form auch gar nicht so passiert. Österreich ist eben schon recht klein und man kennt schnell alle Leute. Wenn man sich anschaut, welche Leute etabliert sind, dann sind das die gleichen Leute, die auch vor zwanzig Jahren schon etabliert waren. Da gibt es wenig Durchmischung.
Ulrike: Wie war das bei euch, Anna und Marlene?
Anna: Ich kann mich da nur Thomas anschließen, denn mir sind die Rollen dann auch eher zugeflogen, weshalb ich eigentlich keinen Rat geben kann. Beim Filmfestival Max Ophüls Preis hat mal jemand zu mir gesagt: Wenn du das oder das vorweisen kannst, dann kannst du dir deine Agentur quasi aussuchen. Das war dann auch die Zeit, in der sich die Agenturen bei mir gemeldet haben. Und ich hab schnell die gefunden, zu der ich wollte. Ich kannte ein paar Leute, die bei ihr waren, und fand sie sympathisch. Und bei der fühle ich mich nach wie vor gut aufgehoben, weil man sich gut versteht und einander mit Rücksicht und Respekt begegnet. Und ich bin sicher keine einfache Klientin.
Ich mag zum Beispiel keine E-Castings. Das ist natürlich der Horror für eine Agentin. Corona hat ihnen dann ein bisschen in die Hände gespielt. Ich hab mich dann auch darauf eingelassen, E-Castings zu machen. Es ist ja auch ökologisch sinnvoll, wenn Castings in einem anderen Land stattfinden. Aber generell ist es für mich ein massiver Aufwand, auf den ich in den meisten Fällen keine Rückmeldung bekomme. Das rentiert sich für mich nicht. Und man darf halt auch nicht vergessen, dass die Caster*innen dafür bezahlt werden, dass sie das Casting machen, eine Kameraperson einstellen, eine*n Anspielpartner*in einstellen – das wird alles bezahlt. Und wenn ich das nun alles alleine machen muss – mich selbst filmen soll, eine Kameraperson und eine*n Anspielpartner*in finden –, dann finde ich das schon dreist. Da werden die Ärmeren wieder ausgebeutet, und es funktioniert, weil sich alle ihre große Chance erhoffen. Es gibt so viele Leute, die so viel investieren und nichts dafür zurückbekommen. Man bekommt dann zwar gesagt, dass die Qualität egal sei, dass man sich mit dem Handy filmen kann, aber das stimmt eben nicht, weil es einen Unterschied macht, ob ich mich selbst gut inszenieren kann, mich in ein super Licht setze und eine*n super Anspielpartner*in habe oder ob ich mich aus einem beschissenen Winkel mit schlechter Handykamera filme.
Thomas: Für große Projekte hauen ja auch diese E-Casting-Plattformen Anfragen an so viele Leute raus. Ich habe mal für einen Til-Schweiger-Film eine E-Casting-Anfrage bekommen, die war mega aufwendig: mehrere Szenen, teilweise mit fünf Schauspielern. Ich habe dann von immer mehr Leuten erfahren, dass sie an diesem Casting auch teilnehmen, und es hat sich herausgestellt, dass die einfach an zehntausend Schauspieler*innen Casting-Anfragen ausgeschickt hatten, die sich jetzt alle die Zeit nahmen, diese Aufnahmen zu machen.
Marlene: Man nimmt sich dann für ein solches Casting Tage Zeit, um daran zu arbeiten, und weiß genau, dass die Casting-Direktor*innen sich durch diese Clips nur durchklicken. Die schauen sich das gar nicht an. Das ist der Widerspruch im Schauspielberuf: Wenn man am Set ist, wird man mit Samthandschuhen angegriffen, aber bis man dort ist, ist der Weg oft zermürbend und oft bekommt man gar keine Rückmeldung. Wenn man sich in diese Arbeit hineinstürzt, ohne dass konkretes Interesse an einem besteht, ist das nicht vorhandene Feedback und der Umgang mit einem teilweise sehr respektlos. Es passiert immer wieder mal, dass man keine Rückmeldung bekommt. Dass man vergessen wird. Das bringt der Beruf so mit sich.
Ulrike: Wie war das bei dir mit der Agentur-Findung?
Marlene: Meine Agentin ist auf mich zugekommen, weil sie ein Stück mit mir im Reinhardt Seminar gesehen hat. Seitdem bin ich bei ihr. Ich habe also weder Erfahrung mit der Suche nach Agenturen noch damit, dass mir die Anfragen gerade so zufliegen.
„Wenn ich weiß, was ich zu tun hab, kann ich frei werden im Wie.“
Ulrike: Wie ist das für euch, zu Castings zu gehen – sofern es überhaupt noch Live-Castings gibt. Wie sind da eure Erfahrungen, sowohl die positiven als auch negativen?
Marlene: Ich erarbeite mir die Rolle. Für mich ist es kein großer Unterschied, ob ich ein Casting mache oder ans Set gehe. Ans Set gehe ich logischerweise mit einem größeren Selbstvertrauen. Weil ich die Rolle ja schon habe. Wenn man ganz kurzfristig Bescheid bekommt unter dem Motto: Komm mal vorbei!, und man bekommt nur die Szenen und weiß nicht, worum es überhaupt geht, weil die Drehbücher nicht ausgeschickt werden, kann das zach sein. Ich finde es immer super, wenn ich ein Drehbuch bekomme, selbst wenn es nur um eine kleine Rolle geht, weil ich gerne weiß, in welchem Rahmen man sich bewegt, welche Atmosphäre, welchen Rhythmus die Szenen davor haben oder danach, und was die Geschichte ist. Das ist aber oft nicht so, dass man ein Drehbuch oder eine Figurenbeschreibung bekommt.
Thomas: Es gibt ja auch sehr unterschiedliche Zugänge von Regisseur*innen und/oder Caster*innen, wie sie mit den Schauspieler*innen arbeiten wollen beim Casting. Manche wollen sich eher den Typ ansehen und schauen, wie die Regie mit den Schauspieler*innen arbeiten kann, wie diese reagieren, wenn man ihnen Anweisungen gibt und ob man generell miteinander arbeiten kann. Und dann gibt es den Zugang, den Marlene gerade beschrieben hat: dass man die Rolle vorbereiten soll und schon so spielen soll, wie man es am Set machen würde. Das heißt, als Schauspieler*in muss man schon ein bisschen in Erfahrung bringen, was von einem verlangt wird beim Casting. Dann gibt es natürlich Konstellationen, bei denen geschaut wird, wie verschiedene Leute zusammenpassen.
Ulrike: Habt ihr denn schon sehr negative Erfahrungen gemacht bei Castings?
Marlene: Wenn man das Gefühl hat, dass die Regie selbst nicht so genau weiß, was sie will und worauf sie sich konzentriert, ist das als Schauspieler*in schwierig, weil man Anweisungen braucht. Wenn ich weiß, was ich zu tun hab, kann ich frei werden im Wie.
Ulrike: Kommt es öfter vor, dass ihr einfach mal etwas anbieten sollt, ohne konkrete Anweisung?
Anna: Es kommt natürlich auf das Maß an. Wenn jemand sagt, “Biete mal etwas an”, ist das ja nichts Schlechtes. Wenn dann aber gar nichts kommt, das Gegenüber gar nicht weiß, was es will, bietet man als Schauspieler*in alles an, aber dann läuft das alles ins Leere. Ich hab auch das Gegenteil erfahren, wo mir von Anfang an gesagt wurde: “Mach jetzt das, mach jetzt das, …”, wo überhaupt nicht angebracht war, eine Frage zu stellen. Und dann stelle ich mir die Frage: Wenn ich die Rolle bekommen sollte, will ich sie dann überhaupt? Der*die professionelle Schauspieler*in sagt vielleicht: “Da stehe ich drüber.” Aber dadurch, dass ich mich nicht als professionelle Schauspielerin sehe, kann ich sagen: “Danke, Tschüss.”
Thomas: Was wieder ein Argument für Live-Castings ist. Man muss die Leute ja auch kennenlernen, für die man arbeitet.
Ulrike: Aber E-Castings ersetzen die Live-Castings ja nicht gänzlich, oder?
Marlene: Doch, ich hab manchmal nur E-Castings gehabt. Ich bin gespalten was E- und Live-Casting angeht. Ich weiß nicht, was ich lieber mag.
Ulrike: Ist es nicht auch praktisch, so ein E-Casting? Man kann so oft aufnehmen, wie man will, und am Ende den besten Take wegschicken.
Anna: Wenn du beim Live-Casting bist, dann ist die Zeit vorgegeben und die sagt dir: Danke, jetzt ist es genug. Wenn ich ein E-Casting mache, denk ich mir nach jeder Aufnahme: Oh Gott, was mach ich da eigentlich? Das muss man irgendwie lernen abzulegen.
Thomas: Die Übung ist eine ganz andere. Denn die Übung ist dann, zu inszenieren, und nicht, zu spielen. Aus dem Spielen sollst du ja eigentlich nicht rauskommen. Und plötzlich schaust du auf ganz andere Dinge: Was ist meine gute Seite? Stimmt das Licht? Und dann spielst du überhaupt nicht mehr.
Marlene: Ich bin auch froh, wenn ich nicht entscheiden muss, was gut gespielt war und was nicht. Ich bin froh, dass sich das andere anschauen und darüber entscheiden. Aber man muss da schon auch mal durch und sich selbst anschauen, um etwas dazuzulernen. Um zu wissen, wie etwas wirkt und eine gewisse Distanz zu bekommen, um sich neu ausprobieren zu können.
Ulrike: Geht es euch noch immer so, dass ihr euch schwertut, euch selbst anzuschauen?
Anna: Es kommt immer auf die Rolle und auf die Szene an. Es gibt Szenen, die mag ich, und andere, die kann ich mir nicht anschauen. Wenn die Lichtsetzung toll ist, kann das ja sehr schmeichelhaft sein. Und dann gibt es Szenen, da sollte es einem vielleicht nicht schmeicheln.
Thomas: Sich nicht sehen zu können, ist ja irgendwie genauso egozentrisch, wie sich gern anzuschauen. Denn es ist ein Film, an dem dreißig Leute mitgearbeitet haben, und bei dem es nicht nur um dich geht.
Marlene: Man muss eine gesunde Distanz zur Rolle aufbauen. Ich stehe ja nicht als Marlene Hauser vor der Kamera – das ist ja das Schöne daran, dass man das eben nicht tut. Die Trennung zwischen Rolle und Schauspieler*in wird mir immer wichtiger. Die Zuseher*innen nehmen diese Trennung ja auch oft nicht vor. Man bewegt sich immer in einem Rahmen, der von wem anderen geschaffen wird und nicht von mir selbst.
Thomas: Man muss schon lernen, sich selbst zuzuschauen, weil man dann auch ganz praktische Dinge über sich lernt. Ich hab zum Beispiel ständig den Mund offen.
Marlene: Für eine Rolle passt das, für eine andere vielleicht nicht, aber wenn man’s weiß, kann man’s ändern.
Ulrike: Ist euch auch mal etwas an euch aufgefallen?
Anna: Ich spanne meinen Mund immer an.
Marlene: Am sinnvollsten wäre es vermutlich, sich mal mit Schnittmenschen zu treffen. Die wissen genau, wo die Macken liegen.
„Ich würde gern mal ein Arschloch spielen, der nicht versteckt doch sympathisch ist“
Ulrike: Wie ist es eigentlich mit Type-Casting, also dass man euch immer nach demselben Typ besetzt? Habt ihr damit Erfahrungen?
Marlene: Da darf ich nicht drüber nachdenken, denn dann beginne ich mir zu überlegen, was andere Leute über mich denken und wie sie mich sehen. Aber was bringt mir das? Als ob man da irgendeinen Einfluss darauf hätte. Ich weiß nicht, was mein Typ ist, ich glaube es manchmal zu erahnen, aber schlussendlich ist es mir wurscht. Darüber muss ich mir ja auch keine Gedanken machen, denn dafür gibt es das Casting oder die Regie. Ich spiele das, was ich anhand eines Drehbuchs bekomme, und darin versuche ich möglichst genau zu sein und mich mit allem, was habe, zur Verfügung zu stellen.
Thomas: Ich mache mir in letzter Zeit immer mehr Gedanken darüber, wie ich besetzt werde und warum ich wie besetzt werde. Und wenn man sich einmal damit auseinandersetzt, ist es ganz interessant herauszufinden, was die Leute in einem sehen. Ich finde, man muss mit dieser Erwartungshaltung, die andere mir gegenüber als Schauspieler haben, auch ein bisschen spielen. Ihr habt mich zwar deswegen besetzt, aber ihr bekommt etwas ganz anderes …
Marlene: … oder ihr kriegt genau das!
Thomas: … um dem auch ein bisschen zu entkommen und ein bisschen mehr anbieten zu können. Vielleicht ist das aber auch egozentrisch und es geht vielmehr darum, sich im Rahmen einer Geschichte zu bewegen, diese Rolle zu erfüllen.
Marlene: Schlussendlich ist es ein Spiel.
Ulrike: Was wären eure Traumrollen? Was würdet ihr gern mal spielen?
Marlene: Das ist schwer zu sagen. Mir sind immer die Leute am wichtigsten, mit denen ich arbeite.
Ulrike: Und wer wäre das?
Marlene: Mir ist der Arbeitsprozess wichtig, die Art und die Inhalte, mit denen man sich gemeinsam auseinandersetzt. Die Zusammenarbeit und die Art, wie man künstlerisch Dinge verarbeitet und daraus einen Film macht. Ich weiß gar nicht, was die Rolle wäre, die ich gerne spielen würde – ich finde in jedem Spiel einen Spaß.
Anna: Ich habe sie vor kurzem gespielt, meine Traumrolle: im neuen Kurzfilm Fireworks von Sebastian Schmidl. Es geht um eine Person, der ein Unrecht passiert ist und die einen Racheakt plant. Da waren halt auch Kampfszenen dabei, das heißt, ich hatte in der Vorbereitungszeit Stunttraining und Krav Maga, das war schon toll. Ich mag Charaktere, die man nicht so dingfest machen kann, die beispielsweise eine irrsinnige Härte haben, aber auch zerbrechlich und sanft sind. Auf jeden Fall Rollen, in denen man viel machen kann. Ich kann Leuten nicht mehr zuschauen, die nur schauen. Auch wenn’s mir gefällt und vielleicht 80 Prozent des Filmschauspiels ausmacht, nur das ist halt auch fad. Ich mag es schon, wenn’s körperlich und emotional wird.
Thomas: Ich würde gern mal ein Arschloch spielen, der nicht versteckt doch sympathisch ist. Ich spiele mit einer Freundin öfter das Spiel, in dem man Schauspieler*innen unterscheidet zwischen Pöbel und Adel. Und fast bei jedem*jeder Schauspieler*in – bis auf wenige Ausnahmen – kannst du eine Linie ziehen, ob er*sie Pöbel oder Adel spielt. Ich wäre gern mal Adel.
Ulrike: Das kommt dann vielleicht mit dem Alter!?
Thomas: Vielleicht kommen dann auch die Ermittlerrollen. Es ist halt auch das Lustige, dass man in unserem Alter immer nur Drogenabhängige oder Sozialfälle spielt, denn die älteren Rollen sind alle Ermittler. Junge Ermittler braucht’s.
Ulrike: Das wär was für dich?
Thomas: Ja, zum Beispiel.
Marlene: Mir gefällt einfach am Schauspiel – und deshalb kann ich es nicht auf eine Rolle festlegen – der Moment, in dem man vor allem mit der Spielpartnerin oder dem Spielpartner in Kontakt tritt und in diesem Spiel etwas erlebt. Das ist das, was mich an diesem Beruf und dieser Kunstform berührt.
„Was ich extrem lustig finde und was mich auch extrem befremdet, ist der Superlativ in dieser Branche“
Ulrike: Habt ihr jemals einen Tipp bekommen, der euch als Schauspieler*in wirklich weitergeholfen hat, irgendetwas Konkretes, an das ihr nie gedacht habt?
Thomas: Mir hat einmal jemand gesagt, Schauspieler sind Leute, die etwas erleben. Das knüpft gut daran an, was Marlene gerade gesagt hat. Das ist ja auch eine der schwierigsten Sachen, die es gilt herzustellen: wirklich im Moment sein und in der Figur den Moment erleben. Und wenn du da hinkommst, ist es das Allerbeste. Darum geht’s irgendwie.
Marlene: Wenn man merkt, dass dieses Erlebnis das ganze Set ergreift. Oder im Theater der Moment, in dem sich ein Gedanke im ganzen Raum ausbreitet, man ihn kollektiv begreift, das sind schöne Momente, weswegen man sich Filme und Theater, glaube ich, auch anschaut.
Ulrike: Ich glaube, im Theater ist das noch viel ausgeprägter.
Marlene: Film ist ein anderes Medium, mit dem du dank Kameraperspektive Dinge natürlich viel präziser darstellen kannst.
Ulrike: Aber es ist ja alles sehr zerhackt, filmisch drehen ist ja immer nur ein paar Sekunden diese Einstellung, dann ein paar Sekunden diese Einstellung.
Marlene: Ich empfinde Film gar nicht als so organisch, obwohl es immer heißt, man könne beim Film so natürlich bleiben. Es ist oft ein Stop and Go.
Anna: Aber die Wiederholung macht es halt auch irgendwie. Wenn ich etwas oft hintereinander mache, was beim ersten Mal vielleicht nicht so natürlich wirkt, desto natürlicher wird es. Wie wenn du ein Instrument lernst: Zu Beginn spielst du die Töne abgehackt, und mit der Zeit wird das Ganze dann immer zarter und dynamischer. Und ich glaube, so ist es auch, wenn man spielerisch miteinander in einen Dialog tritt. Man kennt die Person, mit der man spielt, ja oft noch gar nicht und muss sich aneinander anpassen, das gemeinsame Tempo finden, die gemeinsame Welle. Beim ersten Mal ist das vielleicht noch ein bisschen starr, aber mit der Zeit wird es geschmeidiger. Wie wenn man zusammen ein Instrument spielt, das man gerade erlernt. Beziehung eben.
Ulrike Putzer, links, im Gespräch mit unseren Schauspiel-Gästen.
Ulrike: Wie habt ihr euch Film vorgestellt, bevor ihr beim Film wirklich gespielt habt? Wie ist die Arbeit in echt?
Marlene: Für mich war glaub ich diese Schattenseite des Berufs neu: dass man mit anderen in Konkurrenz steht. Damit habe ich mich vorher überhaupt nicht auseinandergesetzt. Aber während der Ausbildung habe ich einen Umgang damit gefunden, dass man sich dadurch nicht wahnsinnig machen lässt. Es ist eben ein System, das auch Konkurrenz befördert. Ich sage das immer so ungern, aber natürlich wird zwischen Bewerber*innen ausgewählt nach dem Casting. Aber schlussendlich ist eben jede*r Schauspieler*in auch einzigartig. Und wenn man eben nicht ausgewählt wird, darf man nicht denken, ich hab’s nicht gebracht oder bin nicht gut genug. Und ich habe mich eben vor dem Studium überhaupt nicht damit auseinandergesetzt, dass man die Zweifel nicht zu groß werden lässt, wenn man Absagen bekommt, sondern versucht, das Ganze eher sportlich zu sehen. Ich kriege meistens Absagen und man braucht einen langen Atem. Das gehört einfach dazu.
Ulrike: Bekommt man mit der Zeit eine dickere Haut?
Marlene: Der Umgang damit wird ein anderer. Ich bereite mich auf die Rollen vor und versuche, das möglichst gut zu machen und möglichst frei zum Casting zu gehen, und dann schließe ich das ab und mache mir keine Hoffnungen.
Thomas: Mein Gehirn hat einen Selbstschutzmechanismus, der dann in Gang gesetzt wird: ‚Es wird eh ein Scheißfilm. Eh gut, dass es nicht klappt.‘
Anna: Als ich zum Film gekommen bin, war ich ganz jung und naiv, jetzt bin ich’s glaub ich immer noch. Natürlich war es nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber ich hatte auch keine Vorstellungen – woher auch. Ich bin als absoluter Nobody und ohne Bezug zur Branche in diese Welt gekommen. Was ich lustig finde und im gleichen Maße befremdlich, ist der Superlativ in dieser Branche. Es ist oft vieles wow und toll und großartig. Die Übertreibung hat hier ihren Stellenwert. Für mich ist das interessant, aber eben auch absurd und befremdlich. Wen man hochsteigen lässt, der kann auch immer sehr tief fallen. Es ist ein bisschen wie Urlaub – eine ganz eigene Welt.
Thomas: Ich glaube, der stärkste Eindruck, den ich vom Filmemachen hatte, stammte aus einer Extended-Edition von Der Herr der Ringe, in der stundenlanges Material über die Hintergründe dabei war. Das hat mich immer fasziniert, wie sie das Sounddesign und das Foley gemacht haben. Und so ist es dann auch irgendwie. Ich fand es immer toll, wie Leute sich etwas einfallen lassen, um sich kreativ in den Film einzubringen, und dass so viele Menschen an einer Sache beteiligt sind.
Anna: Ich habe es mir tatsächlich anstrengender und langweiliger vorgestellt. Und hab dann aber gleich eine richtige Liebe zu Dreharbeiten entwickelt. Das Drehen an sich taugt mir so sehr. Diese Hingabe ist das, was mich so fasziniert. Mit welcher Ausdauer Szenen und eine ganze Geschichte in Details zerlegt und aufgebaut werden, das Licht, die Auflösung, der Bau, was braucht was? Wie ich schon gesagt hab: ein Instrument spielen, das man aber vorher noch bauen muss. Ich hätte zu Beginn nicht gedacht, dass es mir so sehr gefällt.
Marlene: Wenn du fragst, ob man sich das so vorgestellt hat, dann denkt man an das Schauspielerin-Sein, das Schauspielerinnen-Dasein. Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Ich sag’s jetzt einfach: Ich will einfach spielen, und nicht ‚Schauspielerin sein‘. Und insofern habe ich mir das anders vorgestellt … weil ich es mir einfach nicht vorgestellt habe.
Anna: Das ist eine tolle Antwort. Das trifft es. Man will einfach nur spielen, nicht Schauspielerin sein.
Marlene: Das muss man wahrscheinlich auch einfach spielen. Das Schauspielerin-Sein.
„Ich habe das Gefühl, bei uns in Österreich ist alles sehr vorsichtig“
Ulrike: Habt ihr irgendwelche Vorbilder?
Marlene: Es gibt viele Schauspieler*innen, die ich sehr liebe, aber ich kann nicht sagen, was eine*n gute*n Schauspieler*in ausmacht. Das frage ich mich oft. Ich denke, es ist eine gewisse Anarchie im Kopf.
Thomas: Ich bin ein großer Fan von britischen Schauspieler*innen, die mit sehr viel Arbeit und Wiederholung einen fixen Ablauf so spontan wirken lassen können, durch extrem harte Disziplin. Dann mag ich aber auch das komplette Gegenteil, etwa Nicolas Cage. Der ist zwar nicht immer gut, aber wenn er gut ist, ist er großartig. Und er schafft eben auch immer etwas Neuartiges, er ist einfach ein bisschen crazy.
Ulrike: Und warum, glaubst du, können britische Schauspieler*innen das besser als andere?
Thomas: Ich glaube, das kommt von deren Ausbildung. Das britische Theater ist ja auch bekannt dafür, dass jede Regieanweisung, die im Buch steht, eins zu ein übernommen wird. Es ist auch eine sehr strenge Textarbeit. Und in diese strengen Vorgaben, in diesen strengen Ablauf eine Spontanität hineinzubringen, finde ich enorm spannend. Das ist total schwierig, das bewundere ich sehr.
Anna: Ich bin ein großer Fan der jungen Winona Ryder! Sie ist so ein Rotzbub, aber eben ein Mädchen. Ich mochte immer ihre Ausstrahlung und wie sie spielt. Und ich mag sehr gerne Schauspieler*innen, die geistesgestörte Persönlichkeiten spielen können, ohne sie lächerlich zu machen, und da ist sie ganz oft mit dabei. Ich kann auch nicht genau sagen, woher die Faszination für sie kommt, aber sie ist definitiv da. Es sind schon die verrückten Rollen, die psychisch kranken und weirden Charaktere. So etwas liebe ich. Bei Girl, Interrupted zum Beispiel: Ryder, Jolie, Murphy und Moss … alle ‚Verrückten‘ auf einem Haufen und ich ihnen als Zuschauerin restlos verfallen.
Ulrike: Fühlt ihr euch eigentlich mit den Stoffen und Figuren, die in Österreich geschrieben werden, wohl? Fehlt euch diesbezüglich etwas? Vielleicht auch im Hinblick auf junge Filmemacher*innen?
Thomas: Mir fehlt in Österreich oft ein bisschen Freiheit in den Stoffen und in der Arbeit. Ich habe oft das Gefühl, vor allem bei den Arbeiten der Filmakademie, dass es häufig darum geht, sich zu beweisen. Ich weiß nicht genau, was die Filmakademie mit den Leuten macht, aber irgendwie scheint mir, sie kommen immer mit einem wahnsinnigen Erzähldrang rein und mit wahnsinnig verkopften Geschichten raus. Mir fehlt ein bisschen der Spaß an der ganzen Sache. Ich habe das Gefühl, das ist alles sehr vorsichtig.
Ulrike: Anders als in Deutschland oder anderswo?
Thomas: Ja, ich finde das in Österreich schon ein bisschen verkopfter.
Anna: Ich bekomme auch ab und zu die Rolle der ‚Gestörten‘, was ich ja auch mag und gut finde, aber die Vorgaben sind dann doch oft sehr einseitig und klischeehaft. Wenn ich eine Drogensüchtige spielen soll, dann soll diese oft auch nur drogensüchtig und Opfer sein. Aber sie kann nicht hart drogensüchtig und hart lustig sein. Warum nicht? Ein bisschen aus den Klischees, die sicher ihre Berechtigung haben, auszubrechen, wäre erfrischend. Sonst ist alles auf Dauer ein bisschen fad. Im Endeffekt hat man die Förderer, die einem diese Freiheiten oft auch nicht geben, sondern eher verlangen, Dinge umzuschreiben, um Förderung zu erhalten. Als namhafte*r Regisseur*in ist es vermutlich einfacher und man hat mehr Möglichkeiten, aus diesen Klischees auszubrechen, als wenn du keinen Namen hast und dir sofort alles erst einmal gestrichen wird.
Ulrike: Hast du das Gefühl, dass das sowohl beim Kino als auch beim Fernsehen so ist?
Anna: Nein, beim Fernsehen ist es spezieller, weil man eben die größere Masse bedienen muss. Das eine ist nicht besser als das andere, das eine ist nur beliebter. Im Kino gibt es schon komplexere Erzählungen und Figuren – die schaut sich dann halt niemand an. Leider.
Marlene: Was ich vielleicht jungen Filmemacher*innen raten würde, ist einfach einmal oder öfter selbst zu spielen, um diese andere Position, die andere Seite kennenzulernen. Ich glaube, dadurch kriegt man wieder einen Blick fürs Wesentliche. Ich glaube, es ist für jede*n Filmemacher*in super, wenn er*sie einmal vor die Kamera tritt und spielt. So wie ich froh bin, dass ich mit Kolleg*innen mal im Schnittraum sitzen kann, wo ich sehe, was man verwenden kann und was nicht. Die Positionen vor und hinter der Kamera einmal zu wechseln, ist sehr befruchtend.
Ulrike: Ich glaube, das ist für Regieleute total wichtig, weil man dann erst begreift, was die Schauspieler*innen brauchen, was man ihnen sagen muss, um sie vor der Kamera nicht komplett allein zu lassen. Es gibt ja auch Angst vor der Arbeit mit Schauspieler*innen.
Thomas: Diese Angst vor der Arbeit mit Schauspieler*innen bekomme ich auch häufig mit. Ich glaube, wenn man ganz konkrete Vorstellungen davon hat, wie etwas aussehen soll, dann muss man erarbeiten, wie man die Schauspieler*innen dort hinbekommt. Wenn man selbst nicht genau weiß, was man will, kann die Arbeit mit den Schauspieler*innen eben auch sehr frustrierend sein. Man muss sich auch wirklich Zeit nehmen, um sich gegenseitig kennenzulernen. Oftmals sind Casting- und Drehtermine so getaktet, dass für ein Kennenlernen keine Zeit bleibt. Das wird oft vernachlässigt, wäre aber sehr wichtig.
Marlene: In Wien gibt es ja gleich zwei super staatliche Schauspielschulen, die mdw ist sogar die gleiche Uni wie die Filmakademie, aber es gibt kaum Zusammenarbeit. Und das verstehe ich nicht.
Ulrike: Die Schauspielausbildung dort ist, wie schon eingangs erwähnt, sehr auf Theater fokussiert, aber ohne Frage wäre es sinnvoll, die Studiengänge stärker miteinander zu verknüpfen.
Marlene: Eine staatliche Schauspielschule für Film gibt es in Österreich ja gar nicht. Meiner Meinung nach braucht man so etwas aber.
Thomas: Absolut, denn es ist ja eine völlig separate Kunstform. Und Filmschauspiel beizubringen ist auch sehr schwer.
Marlene: Ich kenne die Gründer*innen der Drehübung Wien und finde es super, was sie machen. Schauspiel ist eben auch wirklich learning by doing. Von Set zu Set. Und für learning by doing ist eben vor allem das doing nötig! Und dazu kommt ja auch der Aspekt, den Thomas, angesprochen hat: Die Leute, die vor zwanzig Jahren etabliert waren, sind’s halt noch immer. Es könnte einfach sehr viel mehr Vielfalt und neue Gesichter geben.