„Mit einem Hauch von uns selbst oder gar mehr“
Kein Film ohne Bild. Die, die diese Bilder machen, müssen dabei mehrere Perspektiven übersetzen: die des Stoffes, die der Regisseurin bzw. des Regisseurs und ihre eigene. Für ein Porträt über drei vielversprechende Kamerafrauen*männer – Sophia Wiegele, Simone Hart und Lukas Allmaier, alle Student*innen der Filmakademie Wien – baten wir Serafin Spitzer (den wir 2019 porträtierten), sich mit seinen jüngeren Kamerakolleg*innen zu treffen, um über Zugänge, Zusammenarbeiten und Zukunftswünsche zu sprechen.
Serafin: Einleitend die Frage: Wie seid ihr zur Kamera gekommen?
Lukas: Ich habe immer gerne fotografiert, aber immer sehr unschuldig, naiv. Es hat mir Spaß gemacht, schöne Fotos zu machen. Zum Filmkamera-Machen bin ich eigentlich über den Ton gekommen, weil ich zu der Zeit viel Musik gemacht habe. Mit 17, 18 Jahren hatte ich den Wunsch, Tontechniker zu werden und habe dann in Graz Elektrotechnik studiert. Nach einem Semester habe ich gemerkt, dass ich das nicht so gut kann. Ich habe sogar bei Erdbeerland [2012, 32 min] einen Tag lang Ton gemacht, da haben wir uns ja kennengelernt, Serafin.
Serafin: Ich weiß, ich erinnere mich.
Lukas: Und der Flo [Pochlatko, der Regisseur] hat gesagt, dass sei der schlechteste Ton gewesen, den es gab … [lacht] Über dieses Toninteresse bin ich für ein Praktikum bei einer Firma gelandet, die in Salzburg Dokumentarfilme und Konzertübertragungen machte und für die ich viel Ton geangelt habe. Da habe ich gemerkt, dass mich eigentlich die Kamera viel mehr interessiert. Das war ich 20, 21 Jahre alt. Ich habe dann an der FH St. Pölten Medientechnik studiert und danach angefangen, als Beleuchter zu arbeiten. Das war für mich wahnsinnig spannend und auch in meiner Entwicklung sehr wichtig. Nach ein paar Jahren beim Licht habe ich mich dann eher spät an der Filmakademie beworben. Für mich hat das einfach auch Sinn gemacht, mir zuerst eine solide handwerkliche Basis aufzubauen. So konnte ich mich auf der Uni dann stärker auf andere Aspekte konzentrieren.
Serafin: Und du, Simone?
Simone: Ich bin im kreativen Umfeld aufgewachsen und meine Eltern haben mich in künstlerischen Tätigkeiten sehr gefördert. Ich habe mich dann entschieden, in Linz eine künstlerische Schule zu besuchen, bei der wir mit sehr viel unterschiedlichen Medien gearbeitet haben, quer durch die Bank: Malerei, Grafik, Textil, Siebdruck, Holz, bis hin zu digitalen Medien … Es war total schön, Ideen künstlerisch sehr frei umsetzen zu können. Wir hatten auch Kunstgeschichte und andere theoretische Fächer, insgesamt war aber die Hälfte des Unterrichts mit künstlerischem Schwerpunkt. Das waren auch meine ersten Berührungen mit der Spiegelreflexkamera und Fotografie.
Ein ausschlaggebender Moment für mich war auch meine Firmung: Ich wollte als Geschenk unbedingt einen ‚Gatschhupfer‘, also ein Moped, haben. Mein Papa, er ist ja auch Hobbyfotograf, sagte dann zu mir: ‚Simone, um das Geld könntest du dir eigentlich eine super Kamera kaufen.‘ Da dachte ich mir, das wär doch auch eine gute Investition. Mit dieser Kamera habe ich dann meinen Blick durch den Sucher entdeckt. Es war aber auch bei mir, wie bei dir, Lukas, ein sehr naiver Zugang. Zu mir haben sie in der Jugend immer gesagt, ich sei ‚ein Schauer‘. Ich war sehr verträumt und habe recht wenig um mich herum mitbekommen. Jetzt im Nachhinein finde ich das lustig, da ich das ‚Schauen‘ und das Fantasieren schließlich zu meinem Beruf gemacht habe.
Mit dem Filmemachen in Berührung kam ich, als wir in der Schule ein Jahr lang Videounterricht hatten. Nach der Matura bin ich nach Wien an die Graphische gegangen, ins Multimedia-Kolleg. So als Übergang, um herauszufinden, was ich genau machen will. Da kam dann der Professor zu mir und meinte, ich hätte Talent fürs Kameramachen und ich solle mir doch mal die Filmakademie anschauen, die ich bis dahin nicht kannte. Das Berufsbild der Kamerafrau war mir auch überhaupt nicht bekannt … Ich kannte eigentlich keine Vorbilder, keine Kamerafrauen. Das hat mir sicher auch gefehlt, um das überhaupt als Beruf in Betracht zu ziehen. Nach dem Kolleg habe ich es auf der Filmakademie probiert, ohne wirkliches Netzwerk bzw. Kontakte und mit nur wenig Erfahrung.
Die Leichtigkeit meines Unwissens und das Bauchgefühl durch den früheren künstlerischen Schulunterricht haben mir aber bei der Aufnahmeprüfung voll geholfen. Also zu Themen, künstlerisch und ganz frei eine Umsetzung zu finden. Ich habe dann einfach geschaut, wie ich mit meinen begrenzten Mitteln arbeiten kann: Wo ist das Licht? Was kann ich mit wenig Ressourcen machen? … Ich bin einfach in die Welt gegangen und habe geschaut, was ich finde. Den filmtheoretischen Background und das Netzwerk habe ich dann auf der Uni nachholen bzw. aufbauen können.
Sophia: Ich war auch auf der Graphischen, aber in der Foto-HTL, da habe ich mit 14 angefangen. Und als ich da fertig war, habe ich herumgejobbt, um herauszufinden, was ich machen will. Eine HTL ist ja eine berufsbildende Schule und keine Kunstschule, und ich hatte keine Ambitionen, Berufsfotografin zu werden. Aber ich wollte beim Bild bleiben und ich habe gerne Filme geschaut. Dann habe ich mit einer Freundin begonnen, Filmexperimente zu machen, und mich dann auch auf der Filmakademie beworben. Ich bin nicht mit dem Verständnis an die Uni gekommen, Kamerafrau zu werden. Ich hatte gar keine genaue Vorstellung, was das bedeuten könnte. Ich wollte einfach Filme machen und die Kamera war dazu der natürliche Zugang – ich bin ja über die Fotografie gekommen. Als ich dann begonnen habe zu studieren, hatte ich das Gefühl, es gäbe eine bestimmte Erwartungshaltung an die Position der Kamera, mit der ich mich schlecht identifizieren konnte. Das hat anfänglich Frust ausgelöst und ich habe mich eingeschränkt gefühlt. Durch Projekte, Zusammenarbeiten und Erfahrungen habe ich aber mehr und mehr ein Selbstverständnis darüber entwickelt, was mich persönlich am Kameramachen begeistert und wie ich meine Position definiere. Die Uni war für mich auch ein Emanzipationsprozess sozusagen.
Von links: Sophia Wiegele, geb. 1993 in Wien, maturierte an der Höheren Graphischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt im Bereich Fotografie und audiovisuelle Medien, seit 2014 studiert sie Kamera und Bildtechnik an der Filmakademie Wien. Auswahl Filme: Josef Markus Julian (R: Özgür Anil, 2017, 25 min), Im engsten Kreis (R: Julia Reiter, 2019, 30 min), Erde essen (R: Laura Weissenberger, 2021, 25 min). Lukas Allmaier, geb. 1988 in Wien, kam über den Ton zur Kamera und schloss das Studium an der Filmakademie im Jahr 2020 ab. Auswahl Filme: Zufall & Notwendigkeit (R: Nicolas Pindeus, 2019, 18 min, der Film ist online verfügbar), Das Urteil im Fall K. (R: Özgür Anil, 2020, 30 min, der Film ist online verfügbar), Magda fährt Motorrad (R: Lisa Hasenhütl, 2021, 30 min). Simone Hart, geb. 1994 in Linz, absolvierte nach der HBLA für künstlerische Gestaltung in Linz das Kolleg Multimedia an der Graphischen in Wien und studiert aktuell im Master an der Filmakademie Wien. Auswahl Filme: Ene Mene (R: Raphaela Schmid, 2018, 17 min, der Film ist online verfügbar), Fische (R: Raphaela Schmid, 2019, 17 min), Hurenkind & Schusterjunge (R: Niklas Pollmann, 2019, 15 min). Foto © Cinema Next / Theresa Wey
Serafin: Mich würde interessieren: Ab wann beginnt die Kamera als Gestaltungsmittel für euch interessant zu werden?
Sophia: Für mich wird es dann interessant, wenn mir über die Bildebene eine Einfühlung gelingt und dadurch eine Interpretationsmöglichkeit entsteht. Also wenn ich zu dem jeweiligen Thema visuelle Übersetzungen finde, die sich zu einer Grammatik entwickeln und so einen spezifischen filmischen Zugang schaffen. Das heißt, es ist natürlich sehr abhängig davon, in welcher Situation man sich befindet, welche Mittel vorhanden bzw. sinnvoll sind und welchen Konsens sich die gestaltenden Personen des Films miteinander erarbeiten. Das ist oft ein intuitiver Prozess. Das Forschen nach diesem Konsens, nach den einzelnen Buchstaben der Sprache, die man entwickelt, ist das, was mir große Freude bereitet. Das ist es, was high macht.
Simone: Der erste Begriff, der mir dazu einfällt, ist auf jeden Fall das Bauchgefühl. Es ist das, wo ich jetzt total merke, wie sich das konkretisiert und ausprägt, je mehr Erfahrungen ich im Laufe der Zeit sammle. Da muss ich wieder zurückreferenzieren auf meine Ausbildung: Ich habe das immer als Nachteil empfunden, dass ich vorher eben nicht diesen filmischen Zugang und auch nicht so viele Filme wie meine Kolleg*innen gesehen hatte. Das hat mich zu Beginn der Uni sehr eingeschüchtert, weil die anderen viel mehr Filmwissen mitgebracht haben, nicht nur technisches, sondern auch filmtheoretisches. Ich habe auch sehr spät gemerkt, dass eigentlich gerade die anderen künstlerischen Zugänge, die ich kennengelernt hatte, und all meine früheren Seh-Erfahrungen das sehr prägen, wie ich meine Bilder gestalte. Und für mich ist das ein totaler Bauchgefühl-Moment, wenn ich etwas sehe und spüre, was das Gesehene mit mir macht. Bilder sind dann für mich interessant, wenn ich dabei irgendwas lerne, wenn ich dadurch um eine Erfahrung reicher werde und für mich was mitnehmen kann. Das kann auch einfach nur ein Bild einer roten Wand sein.
Ein zweiter Begriff, den ich erwähnen möchte, ist daher Lernen oder Lernprozess. Deswegen mag ich das Filmemachen so gerne, weil jede Berufserfahrung auch eine Horizonterweiterung bedeutet. Und solange ich diese Offenheit für das Lernen von Neuem beibehalten kann, wird es zu keinem Stillstand kommen. Gerade in der jetzigen Phase, in der sich beruflich sehr viel entwickelt, ist das extrem spannend.
Lukas: Ich glaube, mir ist in erster Linie wichtig, dass ich etwas mit einem Buch anfangen oder auf irgendeiner emotionalen Ebene daran ‚andocken‘ kann, um in weiterer Folge damit arbeiten zu können und die Bilder dafür zu finden. Vielleicht ist es aber auch gar nicht nur der Stoff selbst, der mein Interesse wecken muss, sondern auch die ‚Versprechen‘, die mit dem Projekt kommen: Weil genau so interessant wie den Stoff finde ich dann die Frage, wie die Person, die mir das Buch gegeben hat, mit diesem umgehen wird und was sie darin sieht. Hier kann für mich dann wieder ein sehr persönlicher, zwischenmenschlicher Punkt zum andocken entstehen, der die Arbeit besonders spannend machen kann.
Und um deine eigentliche Frage zu beantworten: Spannend wird die Kameraarbeit für mich dann, wenn ich das Gefühl habe, man versucht, die Kamera in den Dienst der Narration, der Geschichte zu stellen. Und man hat sich Gedanken darüber gemacht, wie das visuell nähergebracht wird. Uninteressant ist es, wenn man das Gefühl hat, dass das in keinem Zusammenhang steht, wenn es zu flashy wird und sich die Kamera zu sehr in den Vordergrund drängt.
Lukas am Set von Wishlab Inc. (Kurzspielfilm, 2021). Foto © Roman Nemchenkov
Serafin: Inwieweit treffen Kameraleute eurer Meinung nach Entscheidungen mit inhaltlichen Folgen für den Film?
Lukas: Das hängt ganz stark davon ab, mit wem man zusammenarbeitet. Das ist total schwer zu definieren: Wo fängt der Verantwortungsbereich an, wo hört er auf? Es ist jedes Mal anders, es ist immer eine Kollaboration, man macht den Film ja nie allein. Ich kann jetzt nur aus meinen Erfahrungen sprechen: Ja, man hat definitiv einen Einfluss auf kreative Entscheidungen, die über das Bild hinausgehen. Weil die Zusammenarbeit auch immer auf einer großen Vertrauensbasis steht. Also ich sehe das nicht so, dass man sich nur um das Bild kümmert und die Verantwortung dann dort aufhört, wo man den Bereich, den die Schauspieler*innen abgehen, passend ausleuchtet und die Kamera schwenkt. Im Idealfall bin ich ab der ersten Drehbuchfassung involviert und kann, sofern gewünscht, meinen Senf dazu geben.
Sophia: Etwas, worüber ich anfänglich gestolpert bin, ist ein Satz, den Ed Lachman einmal gesagt hat, auf die Frage hin, ob er glaubt, einen Stil zu haben. Er meinte, er hoffe keinen Stil zu haben, weil jeder Film seinen eigenen Stil brauche. Dieser Satz war für mich verwirrend, weil ich dachte, er impliziere, man könne sich und sein eigenes Sensorium trennen, als gäbe es eine objektive Wahrnehmung. Gemeint hat er jedoch, denke ich heute, dass jeder Film seinen eigenen Zugang braucht – zu Recht. Es kommt aber im Kameradiskurs immer wieder vor, dass man hört: ‚Ich bin der beobachtende, objektive Blick.‘ Das finde ich eitel. Denn ich kann mich nie von meinem Sensorium exkludieren, ich bin ja immer Teil davon. Also um die Frage ganz grundsätzlich zu beantworten: Die Kameraperson trifft in meinem Verständnis eklatante inhaltliche Entscheidungen für den Film, weil sie immer sich selbst und damit ihre Wahrnehmung mitbringt.
Simone: Bereits die Entscheidung, wohin die Kamera schaut, hat einen inhaltlichen Einfluss. Brennweite, Perspektive, Farben, Licht, Zeit, Verhältnis Figur-Raum … Das ist ja eben das Spannende am Kamera-Machen: dass man so viele Elemente hat, mit denen man spielen und die man unterschiedlich kombinieren kann. Verändert man eine Komponente, transportiert das gleich was anderes, aber halt meist eher unterbewusst. Im Idealfall ergibt die Zusammensetzung dieser individuellen Bausteine eine Sprache, die nicht sehr aufdringlich ist – eine weitere Ebene im Film, die was miterzählt. Aber jede Entscheidung – über die Farbe am Knopf des Hemdes bis hin zur Lichtrichtung – hat Einfluss auf das Gesamtempfinden.
Der andere Part ist, wie Lukas schon erwähnt hat, die Zusammenarbeit mit der Regie. Und da ist es völlig unterschiedlich, wie offen diese Person in der Zusammenarbeit ist. Ein Einfluss von uns ist aber auf irgendeine Weise immer da. Deswegen werden wir auch individuell angefragt, weil man sich ja nie, wie Sophia schon sagte, selbst exkludieren kann. Das führt unter anderem eben dazu, dass wir bei gewissen Projekten dabei sind: weil wir jeweils quasi die für den Film gewünschte Bildsprache mitbringen können, mit einem Hauch von uns selbst – oder gar mehr.
Simone am Set von Fische (Kurzspielfilm, 2020). Foto © Peter Oswald
Serafin: Ihr kommt ja alle von der Filmakademie, wo ich ja auch war. Was mir speziell in der Kameraklasse in Erinnerung geblieben ist, ist die Solidarität unter den Kameraleuten und das Lernen untereinander. Das ist eine Sache, die sich im späteren Berufsleben leider seltener ergibt. Weil ihr ja auf derselben Ausbildungsstätte seid oder wart, würde mich interessieren, ob es da etwas Gemeinsames gibt, unabhängig von der Individualität und auch unabhängig von den Professoren, von dem ihr denkt: Das hat meine Arbeit geprägt.
Sophia: Naja, mit wenig Geld Sachen zu machen … Wir sind zwar eh privilegiert mit unseren technischen Ressourcen an der Uni, aber ich glaube, dass es auch Teil der studentischen Arbeit ist, improvisieren zu lernen. Das hat jede und jeder von uns schon mal müssen. Auch wenn es kräftezehrend ist und man oft ins kalte Wasser springen muss, schafft das Selbstbewusstsein und Sicherheit im Tun und im Experimentieren. Das ist etwas, das an der Uni möglich ist.
Simone: Ich glaube, das sind neben Connections die wertvollsten Chancen, die man auf der Uni kriegt: einfach Verschiedenes auszuprobieren, ohne dass die Fallhöhe zu groß wird; die Möglichkeit, sich gegenseitig zu unterstützen und Inspiration von Kolleginnen und Kollegen zu sammeln und unterschiedliche Positionen durchzuprobieren. Unterstützung ist ein großes Stichwort und voneinander lernen, indem man bei Projekten dabei ist und sich anschaut, was einem selbst gefällt und was eben nicht. Dadurch erkennt man, wie man selbst gerne arbeiten will. Das herauszufinden ist sehr wichtig. Dadurch baut man Selbstbewusstsein auf und tritt auch in der Branche selbstbewusster auf.
Lukas: Wir können uns echt glücklich schätzen, dass wir auf der Filmakademie irre viel Technik und Ressourcen haben. Und auch wenn man als Student am liebsten alle Bäume ausreißen möchte, ist durch die Budgets halt eine Restriktion, eine Limitierung da, was aber gleichzeitig eine totale Bereicherung sein kann. Du musst genauer arbeiten, wenn du weniger zur Verfügung hast, die Sachen genauer hinterfragen, überdenken, ob das die geeignete Lösung ist, flexibel bleiben. Ich glaube, dass uns das alle vereint: Dass wir uns sehr viele und sehr lang Gedanken darüber gemacht haben, wie man Sachen mit den vorhandenen Mitteln löst und eben nicht nur sagt: ‚Ich habe die Lampe nicht, ich kann das jetzt nicht machen‘. Oder: ‚Diese Wohnung geht nicht, wegen der Sonne.‘ Die Limitierung befeuert dann die Kreativität.
Sophia: Ich find’s auch spannend, ein Defizit zu begrüßen und gestalterisch zu nutzen. Gar nicht nur im Sinne davon, dass man nicht jede Lampe zur Verfügung hat, sondern dass man sich beispielsweise ganz explizit die Frage stellt: Wie kann ich die technischen Defizite der Kamera XY kompositorisch einsetzen? Also einen Zugang zu wählen, in dem der Apparat eine Rolle spielt, nicht weil er etwas besonders gut kann, sondern eben weil er etwas nicht kann.
Sophia beim Dreh von Erde essen (Kurzdokumentarfilm, 2021). Foto © Marie Sturminger
Serafin: Habt ihr das Gefühl, dass dieser Zugang vor allem in der Zusammenarbeit unter den Student*innen gefunden wird oder dass er auch von der Institution, von der Filmakademie, gefördert ist.
Lukas: Nein. Das geht von den Studenten aus.
Sophia: Ja.
Lukas: Im Unterricht schauen wir uns Filme an und es wird dir erzählt: ‚Da musst du den Steiger [auf-/abbfahrbare Arbeitsbühne] aufstellen, und da musst du das machen und diese Lampe verwenden.‘ Und du denkst dir: ‚Ja, …
Simone: … habe ich aber grad nicht.‘
Lukas: Also wenn ich ohne Steiger auskomme, dann verwende ich lieber keinen Steiger. Weil das braucht nur Zeit und Geld.
Simone: … und man kann seine Energie und seinen Fokus wieder auf das Wesentliche legen, anstatt sich mit Fragen wie ‚Steiger oder kein Steiger‘ zu beschäftigen.
Serafin: Die Haltung, Limitation zum Vorteil zu nehmen, scheint mir auch spürbar unter den Kameraleuten der Filmakademie. Ob das unter Regiestudent*innen auch der Fall ist, wäre eine Frage von mir. Was wünscht ihr euch eigentlich in der Zusammenarbeit mit der Regie?
Lukas: Gegenseitiges Vertrauen ist mir das Wichtigste. Das ist es, was für mich eine erfolgreiche Zusammenarbeit ausmacht. Ich habe Situationen gehabt, wo ich dem Regisseur gesagt habe: ‚Ich bitte dich, drehen wir noch diese Einstellung, ich glaube nicht, dass es sonst funktioniert‘, und er dann meinte ‚Nein, brauchen wir nicht‘. Ich musste ihm vertrauen und am Ende hatte er Recht. Im besten Fall hast du Regisseur*innen, die ein Grundverständnis für die Kameraarbeit haben und auch dafür, was dir als Kameramann oder -frau wichtig ist, ohne dass sie technisch alles im Detail verstehen müssen – und natürlich auch umgekehrt. Ich will ja mein Bestes tun, um die unsere gemeinsame Vision des Films bestmöglich umzusetzen. So wie alle anderen hoffentlich auch.
Simone: Dem kann ich mich nur anschließen. Das Vertrauen gibt auch die Grundlage für Kommunikation, und Kommunikation ist das Schlüsselwort. Also man kann schon und soll auch unterschiedlicher Meinung sein, das ist ja oft sehr inspirierend und bereichernd – gerade in der Vorbereitungszeit mit der Regie, wenn man über die Umsetzung spricht. Im Austausch kommt man auf so viele neue Ideen, auf die man alleine vielleicht nie gekommen wäre. Auch am Set natürlich sind Vertrauen und Kommunikation das absolut Wichtigste.
Sophia: Ja. Und dass man sich auf Augenhöhe begegnet. In einzelnen Fällen werden ja auch auf der Filmakademie hierarchische Verhältnisse irgendwie reproduziert oder nachgespielt. Das ist dann weniger erfreulich. Wobei es natürlich klar ist, dass es Verantwortungsbereiche gibt, wo jemand eine klare Entscheidung treffen soll und muss. Ich denke, es ist fruchtbar, wenn man sich auch gegenseitig herausfordert und so einander ein Gegenüber ist. Solche Zusammenarbeiten sind für mich immer die besten.
Lukas: Was ich an unserem Beruf total liebe, ist, dass es immer auch eine Aufgabe ist herauszufinden, wie denn die Person, mit der ich gerade zusammenarbeite, überhaupt tickt, und dass ich einen Zugang zu ihr finde. Wie können wir gut miteinander kommunizieren? Was suchst du in diesem Stoff, was interessiert dich? Was sehe ich? Und wie können wir das auf einen Nenner bringen? Und das ist mit jeder Regieperson anders. Und wenn auch wir in unserer Arbeit immer nur die gleiche Schiene fahren würden, wäre das ja auch langweilig. Es ist ja interessant und wichtig, sich zu adaptieren.
Sophia: Es braucht Empathie und Verständnis auf beiden Seiten.
Simone: Das ist ein guter Punkt, das mit dem Fragenstellen. Die Kommunikation besteht ja auch sehr viel daraus, sich gegenseitig Fragen zu stellen. Diesen Austausch finde ich immer so spannend: Durch Fragen einen Denkprozess auslösen und daraus dann Schlüsse ziehen, und hoffentlich die Offenheit haben, Dinge zuzulassen. Nicht nur auf der Regieseite, sondern natürlich auch bei uns. Manchmal ist ja auch bei mir mein erster Instinkt ein ‚Nein, das geht so nicht‘ bzw. hatte ich vielleicht eine andere Vorstellung im Kopf. Aber ich versuche in so einer Situation bewusst, dem Anderen zumindest eine Chance zu geben.
Serafin Spitzer, links, im Gespräch mit seinen jüngeren Kamera- und Filmakademie-Kolleg*innen. Foto © Dominik Tschütscher
Serafin: Sophia hat ‚hierarchische Verhältnisse‘ erwähnt. Mich würde interessieren, ob wir in unserer Generation ein gewisses Maß an Hierarchie nicht mehr haben, die es in anderen Generationen beim Film sehr wohl noch gab. Meint ihr, dass sich diese Hierarchien mit der nächsten, also meiner und eurer Generation etwas auflösen und sich etwas ‚demokratisieren‘?
Lukas: Ein gewisses Maß an Hierarchie ist wichtig, sonst wäre das Ganze ja ein kopfloses Huhn. Und beim Filmemachen ist ja immer ein Druck da, Zeitdruck, Gelddruck … Deshalb strebt man nach Effizienz. Das heißt, es muss ja jemanden geben, die oder der die Entscheidungen trifft. Aber der Umgang mit den Hierarchien – wie er gelebt wird, wie man miteinander arbeitet – ändert sich definitiv.
Simone: Das glaube ich auch.
Serafin: In der Architektur ist es ein ähnliches Problem wie im Film: Man verwendet ein bestimmtes Baumaterial, das sich über Jahre bewährt hat. Gleichzeitig hat man aber den inneren Drang weiterzudenken, gewisse Dinge aufzubrechen. Wie seht ihr eure Möglichkeiten, im Kino Risiken einzugehen? Gibt es diese Möglichkeit? Also Dinge zu machen, von denen man nicht weiß, wie und ob sie funktionieren?
Simone: Risiken in welcher Hinsicht? Da gibt es unterschiedliche Aspekte. Natürlich die Art der Auflösung einer Szene, also ein Risiko, ob das jetzt aufgeht oder nicht. Wenn Regie und ich gemeinsam entscheiden und glauben, etwas ist das Richtige für den Film, dann würde ich das Risiko eingehen. Natürlich muss man andere Aspekte mitbedenken, man will ja in dieser Branche und auch finanziell überleben können. Ich glaube, man muss hier eine Balance finden, damit man sich selbst treu bleibt und am Abend des Tages noch in den Spiegel schauen kann. Ich war aber bis jetzt noch nie in der Situation, wo ich das Gefühl hatte, ich müsste mich zurücknehmen, um jemandem zu gefallen. Ich bin bisher zum Glück noch nie gebremst worden.
Lukas: Der klassische Produktionsprozess ist ja schon sehr gestreamlined, auf Effizienz und Kosteneffektivität getrimmt, was auch seinen Sinn hat. Unter Umständen ist dann aber oftmals nicht viel Raum für Experimente da. Ich glaube, es wäre gut und wichtig, besonders für den Nachwuchs, einen finanziellen Rahmen im Fördersystem zu etablieren, der sich zwischen den klassischen Millionen und einem kleinen BMKÖS-Budget bewegt. Da wäre dann eventuell auch mehr Platz zum experimentieren. So wie Das kleine Fernsehspiel in Deutschland.
The Trouble With Being Born [Regie: Sandra Wollner, 2020] beispielsweise ist meines Wissens nach in so einem Raum entstanden, den es in Österreich so eigentlich gar nicht gibt, von den Produktionsbedingungen her. Sowas ist eigentlich nicht vorgesehen. Entweder du machst einen BMKÖS-Film für 200.000 Euro oder ein Werkstattprojekt für 1,5 Millionen. Und dazwischen gibt’s irgendwie nix. Ich habe aber schon das Gefühl, dass sich da immer mehr was tut.
Sophia: Ich glaube, man muss sich die Möglichkeiten schaffen. Beispielsweise wird im Kino selten über Dispositive geredet. Für die Kamera wäre das aber eigentlich sehr spannend, weil das Dispositiv Kino ja auch eine Limitation mit sich bringt. Jede andere Kunstform überlegt sich, ‚wie präsentiere ich das, was ich habe, im Raum?‘ Beim Kinofilm ist es immer dieselbe Idee: Zentralperspektive, universell gültiger Raum, der Raum an sich spielt eigentlich keine Rolle. Wenn man aber den Film nun in einen Raum-Kontext setzt – also dass es eine Rolle spielt, wie er in diesem Raum präsentiert wird –, kann man dann natürlich die Zuschauenden nicht in derselben Art linear führen, weil ja auf einmal der Raum mitspielt. Es ist dann klarerweise eine andere Art, Filme zu machen.
Serafin: Ich würde euch gerne spezifisch zu eurer künstlerischen Arbeit fragen und habe mir jeweils eine Szene ausgesucht, wo mich interessieren würde, was die Idee dahinter war. Sophia, wie ist bei Erde essen die Idee entstanden, den Film durch das Licht einer Taschenlampe zu entdecken?
Still aus Erde essen, Regie: Laura Weissenberger, 2021, 25 min
Sophia: Es gab zu diesem Film kein konkretes Drehbuch. Laura, die Regisseurin, wurde in Kolumbien geboren und hat die ersten drei Jahre ihres Lebens dort verbracht. Die Erinnerungen an diese Heimat sind dementsprechend vage, vielmehr sind es Geräusche, Gerüche und Orte, die ihr im Kopf geblieben sind. Zusätzlich gibt es durch die Erzählungen von Freund*innen oder Familienmitgliedern sozusagen geborgte Erinnerungen und Projektionen auf ihr Geburtsland. Der Anspruch war, eben dieses kollektive Gedächtnis zu thematisieren. Wir haben uns daher weniger an einem autobiografischen Ansatz orientiert, vielmehr sollte eine Erinnerungswelt erschaffen und filmisch erforscht werden.
Die Szene am Anfang des Films, in der in einer dunklen Wohnung die Überbleibsel eines vergangenen Lebens durch das Licht einer Taschenlampe zum Vorschein kommen, visualisiert eben dieses Erforschen. Dass sich diese Szene so gut als Metapher für den Beginn des Films anbieten würde, hat sich aber erst im Schnitt herausgestellt. Denn der Drehprozess fand sehr spontan und situativ statt. Wir haben uns vorab ungefähre Ansätze überlegt, wie die einzelnen Komponenten des Films auf visueller als auch auditiver Ebene zu einem Kosmos verknüpft werden können. Der Großteil der Dramaturgie ist aber am Schneidetisch entstanden. Die Entscheidung für die Taschenlampe, als Gestaltungsmittel, war eine sehr pragmatische: Es war finster und gab keinen Strom in der Wohnung … Da wir immer wieder in stromlose Situationen gekommen sind, ist die Taschenlampe – unterschiedlich eingesetzt – ein wiederkehrendes stilistisches Element geworden.
Serafin: Auch wenn es auch pragmatische Gründe hatte: Es ist ein passendes, übergeordnetes Motiv für den Film: Dinge so aufzuspüren.
Sophia: Wir waren in dem Drehprozess sehr frei und konnten so unbefangen Dinge ausprobieren, ohne genau zu wissen, wie und wo das im Film Platz haben würde. Die Vorbereitungen zum Dreh bestanden eben darin herauszufinden, welches Gefühl, welchen Rhythmus und welche Perspektive der Film auf visueller Ebene vermitteln soll. Vor Ort sind wir aber natürlich auch auf Gegebenheiten gestoßen, die wir nicht vorhersehen konnten. Es hat beispielsweise eine gestalterische Rolle gespielt, dass ich gespürt habe, mit der Kamera ein Eindringling zu sein. Denn obwohl wir sehr herzlich aufgenommen wurden und niemand etwas dagegen hatte, gefilmt zu werden, haben wir den Rhythmus vor Ort durch unsere Arbeit gestört. Da der Film eine subjektiv erfahrbare Ebene haben sollte, habe ich dieses ‚Stören‘ also ins Bild übersetzt. Ich habe Katzen und Hühner aufgeschreckt und bin in Räume eingedrungen – wie eben in der Szene mit der Taschenlampe.
Serafin: Das heißt, es gab von dir als Kamerafrau keine formale Vorgabe oder Struktur, sondern ihr habt den Zugang gemeinsam gefunden?
Sophia: Wir waren zu dritt in Kolumbien: die Regisseurin Laura Weissenberger, Marie Sturminger, die den Ton gemacht hat, und ich. Wir haben Inhaltliches und Formales meistens gemeinsam besprochen, dabei hat sich jede gleichwertig einbringen können. Lauras und Maries praktischer Zugang zum Filmemachen lief zum damaligen Zeitpunkt hauptsächlich über das Szenenbild. In gewissen Dingen hatte ich also mehr Erfahrungen. Zu entscheiden, ob sich etwa eine Szene schneiden lässt, war oftmals meine Aufgabe. Spannend für mich war, dass die zwei in ihrem Blick nicht voreingenommen waren. Ich denke, meine Arbeit hat von ihrer Offenheit sehr profitiert. Manchmal, wenn ich ein Bild aus reiner Sehgewohnheit gemacht habe, konnten sie genau formulieren, wenn sie es sich anders vorgestellt haben und warum. Über diese konstruktiven Diskurse haben wir einen Zugang entwickelt.
Serafin: Und bei dir, Simone? Bei Fische: das Auftauchen der Protagonist*innen hinter der Scheibe eines mit Fischen bevölkerten Aquariums?
Still aus Fische, Regie: Raphaela Schmid, 2020, 17 min
Simone: Ich bin mir jetzt gerade nicht mehr sicher, wessen Idee das war. Ich kann das in diesem Fall grundsätzlicher beantworten: Die Zusammenarbeit mit Raphaela ist immer sehr bereichernd. Sie ist eine sehr gute Drehbuchautorin und Regisseurin, und man merkt einfach, dass sie wirklich alle Ebenen des Films mitdenkt. Deswegen macht es sehr viel Spaß, mit ihr für einen Film eine visuelle Sprache zu finden, weil sie einerseits schon sehr konkrete Ideen hat, die auch im Drehbuch schon sehr gut beschrieben sind, aber andererseits offen ist, Dinge zu hinterfragen. Wir haben in der Vorbereitung auch sehr viel ausprobiert.
Was ich sehr an Raphaela und an unseren Filmen mag, ist, dass es immer viele Ebenen gibt, die mitspielen. Das kann auch schnell in die Hose gehen, wenn man zu viel reinpacken will. Aber Raphaela hat ein sehr schönes Gefühl dafür, was in einen Film eingebaut werden kann, aber gleichzeitig auch nicht zu viel und zu aufdringlich ist. Das ist oft sehr subtil.
Wir haben bei dem Film gemeinsam versucht herauszufinden, wie man den Raum und die unterschiedlichen Tische im Restaurant erzählen kann und soll. Das Drehen mit Analogfilm hat in diesem Fall natürlich viel Planung erfordert. Auch in Kombination mit dem Editor Philipp [Mayer]. Da ist natürlich noch viel im Schnitt und Sounddesign entstanden. Aber Raphaela und ich haben uns den Film vorab schon sehr konkret überlegt. Wir sind beide halt gerne sehr ordentlich… weil ich mir das auch angelernt habe und ich es auch sehr interessant finde: eine Bildsprache, die sehr konkret ist, sehr aufgeräumt. Und das hat zu Fische gepasst. Da waren wir uns einig.
Bei anderen Projekten habe ich es aber auch lernen müssen, unordentlich zu sein und auch mal eine etwas rotzigere Kameraarbeit zu machen, wo ich jetzt nicht quasi einen Katalog präsentieren kann, mit Storyboard, Aufsichtsplänen, Einstellungen … und alles mal durchgemalt und abfotografiert. Das habe ich auch sehr spannend und wichtig gefunden, mich von meiner üblichen Form zu lösen und auch anderen Formen Platz zu geben. Als ich dann wieder zu meiner eher konkreten, fast schon stilisierten Sprache zurückgekommen bin, hatte ich nämlich einen anderen Blick auf die Dinge – eben durch die doch etwas freie dokumentarische Kameraarbeit, die ich dazwischen gemacht hatte.
Serafin: Bei dir, Lukas, und dem Film Das Urteil im Fall K.: Wie kam es zur Entscheidung, den Film im Dunkeln enden zu lassen, in dieser Dämmerung. Das andere, was ich an dem Film und an der Art, wie er gedreht war, interessant fand, war, dass ihr auf Gegenschüsse verzichtet. Ihr macht zwar den klassischen Schuss mit zwei Personen, aber nicht die Gegenrichtung.
Still aus Das Urteil im Fall K., Regie: Özgür Anil, 2020, 30 min
Lukas: Lustig, dass du das erwähnst. Das war genau die Situation, die ich oben angesprochen hatte, wo es um Vertrauen ging und ich meinte, es braucht diese Einstellung noch, und der Regisseur dann sagte ‚nein‘. Es war der Wunsch, so einfach und reduziert wie möglich zu drehen. In der Auflösung war uns sehr wichtig, dass wir die Schnitte da platzieren, wo sie auch Sinn machen, dass der Schnitt als solches eine formale Entscheidung ist – und auch eine rhythmische: Dort, wo wir dann einen Gegenschuss setzen, wird auch das Tempo angezogen, es entwickelt sich ein schnellerer Rhythmus.
Zur Dämmerung am Ende: Das stand mehr oder weniger so im Buch. Der Film ist vom Blick her sehr objektiv, analytisch, distanziert: Es passiert das, dann das, und deswegen passiert das. Am Schluss wird noch eine fantastische Ebene aufgegriffen, die Kamera emotionalisiert auf einmal und der Film endet mit diesem Traum, mit dessen Interpretation man alleingelassen wird. Also ein Kontrast zur Bildsprache vorher. Hier war eher die Challenge, wie man diese Szene löst, wie man so viel Dämmerung in der Wohnung dreht.
Serafin: Habt ihr das in einer Dämmerung gedreht?
Lukas: Nein, das war alles künstlich, alles hergestellt. Außer bei der Szene, wo sie im Krankenhaus stehen, das war in einer echten Dämmerung. Die Dämmerung war eine Idee, die ich von Özgür sehr dankend angenommen habe. Er meinte, ‚Lukas, ich liebe das so, wenn die Menschen in der Dämmerung stehen und weiße Leiberl anhaben‘. Ich meinte dann, ‚Ja super, gefällt mir auch, machma das so.‘ Wir haben dann viel getestet, wie wir das am besten lösen können, in der nicht echten Dämmerung zu drehen.
Serafin: Ist das mit weißen Leiberln nicht besonders schwierig?
Lukas: Technisch, meinst du? Ja, aber immer noch besser als mit schwarzen. [lacht] Um die vorherige Frage zu beantworten: Es stand also so im Drehbuch. Natürlich bleibt da noch sehr viel Interpretationsspielraum. Aber dieser Schluss – wie der wirken soll, was der können soll – war schon da. Das ist aber bei Özgür meistens so: Struktur, Rhythmus und viel von der Stimmung … das steht alles schon im Buch.
Serafin: Oft kommt als Abschlussfrage, an welchen Projekten ihr gerade arbeitet. Ich würde das gerne ein bisschen umformulieren: Woran arbeitet ihr gerade, also auch im Kopf? Das interessiert mich aus persönlichen Gründen: Nachdem ich mehrere Dokumentarfilme gedreht hatte, kam ich in meiner Arbeit zu einem Punkt, wo ich mir Fragen stellte: Was denke ich über meine Arbeit? Was nehme ich für mich mit? Was will ich als Nächstes tun? Wie ist das bei euch?
Simone: Woran ich derzeit am meisten arbeite – und da war unser Dreh, Serafin, passend [Simone war kurz vor diesem Gespräch für ein Spielfilmprojekt Serafins Kameraassistentin und 2. Kamera] –, ist das Inhaltliche in der Kameraarbeit. Also nicht nur die Frage ‚Wo schaut man wann hin?‘, sondern jetzt mehr mit Schwerpunkt auf das Dramaturgisch-Inhaltliche als Teil der Kameraarbeit. Da merke ich auch, dass ich immer mehr dazu lerne und dadurch immer besser Drehbücher lesen kann und Dramaturgie verstehe. Zu Beginn einer Laufbahn stürzt man sich natürlich schnell mal auf die Visualisierung, interessiert sich also für die Bilder an sich. Jetzt geht es mir mehr darum, wie man dahinkommt. Also die Entscheidungen, die zu dem Bild führen.
Lukas: Die Frage des persönlichen Werdegangs beschäftigt mich grad sehr und welche Projekte man dafür macht. Ich bin nicht als passiver Zuschauer mit dem Filmemachen in Berührung gekommen, sondern als aktiv Machender, und zwar über den Dokumentarfilm. Jetzt aber habe ich überhaupt nichts mehr mit Dokumentarfilm zu tun, und ich weiß nicht, wie das passiert ist. Weil ich’s eigentlich irre gerne wieder mehr machen würde. Ich frage mich daher gerade oft, wie man den eigenen Werdegang steuern kann. Gar nicht nur in Bezug auf eine Karriere, sondern als persönliche Entwicklung. Es passt, wie es jetzt ist, und ich fühl mich da auch wohl. Ich hätte aber gerne auch ein Lenkrad, mit dem ich wieder mehr in Richtung Dokumentarfilm drehen könnte.
Sophia: Was die Kameraposition mit sich bringt, ist, dass man eigentlich nie selbst die Initiative setzt, sondern immer wo hinzugezogen wird. Ich meine das jetzt gar nicht wertend. Das hat Vor- und Nachteile und ist oft sehr angenehm. Wenn man ein Projekt nicht selbst initiiert hat, kann man viel distanzierter darauf schauen – was in einer Zusammenarbeit extrem wertvoll ist. Trotzdem überlege ich mir aber, wie ich eigene Projekte realisieren kann – nicht zuletzt, um eine Balance zu schaffen.
Lukas: Man wird als Kameramann auch schnell mal in Schubladen gesteckt, und Leute beginnen, deine Arbeit zu kategorisieren: ‚Der macht gute Werbung‘, ‚die macht Essayfilme‘ … Und man fängt dann auch an, sich selbst zu kategorisieren.
Serafin: Und sich vielleicht damit selbst zu limitieren.
Lukas: Das passiert vielleicht ganz unbeabsichtigt und unbewusst. Aber es ist total wichtig, dagegen zu arbeiten. Damit man die Offenheit behält, sich zu entwickeln.
Serafin: Danke euch für das Gespräch!