„… und dann gilt es, alleine loszufliegen“
Sichtweisen

„… und dann gilt es, alleine loszufliegen“

Barbara Albert, Dezember 2021

Barbara Albert ist eine der wirksamsten Filmemacherinnen, die seit Ende der 1990er Jahre die heimische Filmlandschaft mitprägt. Sie studierte Regie und Drehbuch an der Filmakademie Wien. Ihr erster Langfilm, Nordrand (1999), wurde international gefeiert. Weitere Spielfilme: Böse Zellen (2003), Fallen (2006), Die Lebenden (2012) und Licht (2017). 1999 ko-gründete Barbara die Produktionsfirma coop99, arbeitete als Autorin u.a. mit Jasmila Žbanić oder Michael Glawogger und ist Gründungsmitglied der Akademie des Österreichischen Films. Seit 2013 ist sie Professorin für Spielfilmregie für Kino und Fernsehen an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF.

Der folgende Text ist einer von vier Beiträgen von etablierten Filmemacher*innen und Lehrenden zum Thema Damals & Heute

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Gleich vorneweg: Als ich mich, nach einem intensiven Jahr als außerordentliche Hörerin, an der Wiener Filmakademie 1991 für die Studiengänge Drehbuch und Regie beworben habe, gab es keine Handys, kein Internet, kein E-Mail, keine sozialen Netzwerke. Es gab aber Video, genau genommen das Format VHS-C, auf dem ich gedreht habe – und das ich sogar für die Aufnahmeprüfung auch selbst schneiden konnte. Ein paar Jahre später, Anfang der 1990er-Jahre, hat uns ein Professor von Computern in den USA erzählt, die bereits ganz kurze Filmsequenzen digital schneiden konnten (!). Wie weitgreifend dieser erste Schritt sein würde, hat damals niemand geahnt.

Das alles deshalb vorneweg, weil ich mich, diese Worte schreibend, eigentlich ganz schön alt fühlen müsste, das aber vielleicht genau deshalb nicht tue, weil ich mich seit 1999 in ständigem Austausch mit neuen Generationen von Filmemacher*innen befinde. Schuld daran ist meine große Freude am Unterrichten, eine für mich keineswegs einseitige Hingabe. Auch ich werde durch die Arbeit mit Studierenden angeregt. Im besten Fall schaffe ich einen Raum, in dem alle Beteiligten etwas lernen. Denn Lernen, davon bin ich überzeugt, erfüllt den Menschen und macht ihn glücklich.

Jenseits der umwälzenden Veränderung unserer Branche aufgrund der Digitalisierung der Welt wurde seit meinem filmischen Anfang aber auch die patriarchale Haltung mehr und mehr hinterfragt, und auch wenn sie aufgrund des grundsätzlich hierarchischen Systems, das ein Filmset bedingt, noch nicht aufgelöst wurde, so beobachte ich, dass das Arbeiten im Team neuen Generationen leichter fällt als meiner Generation. Der Genie-Begriff, meist der Regisseur als Genie, war zu meiner Zeit noch unangefochtene Wahrheit, heute kaum. Positiver Nebeneffekt ‚damals‘: der Regisseur, weniger, aber auch die Regisseurin wurden stärker als Künstler*innen begriffen als heute. Ein eklatanter Unterschied, den ich vor allem an deutschen Hochschulen schon länger spüre als in Österreich.

Österreich hat lange auch in den Statuten der Förderungsinstitute auf Film als Kunst hingewiesen. In Deutschland war Film immer stärker mit der Wirtschaft verbunden, was starke Auswirkungen auch auf die Lehre an Filmhochschulen hatte und immer noch hat. Eine Chance der ‚Kinokrise‘, die nach Corona noch existentieller spürbar ist als davor, liegt vielleicht genau darin, Film wieder mehr als Kunst zu sehen – das hier nur als Randnotiz.

Deutschland empfinde ich als ein sehr pragmatisches Land, und ich finde, das ist teilweise auch an den Filmhochschulen spürbar. Oft habe ich vor 15-20 Jahren von Studierenden gehört: ‚Ist das so richtig?‘ ‚Darf ich das?‘ ‚Habe ich damit Erfolg?‘ ‚Was muss ich machen, um (nach Cannes, ins Fernsehen) zu kommen?‘ Die Abkehr vom Politischen war in den 2000er-Jahren auch auf den Filmschulen stark spürbar. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Menschen, vor allem junge, sind meiner Beobachtung nach politischer geworden, was mich freut.

Was haben wir damals als Filmstudent*innen politisiert! Ein paar Jahrgänge über uns haben Studentinnen radikale feministische Kurzfilme mit Menstruationsblut und Tampons gedreht, wir selbst haben gestreikt, die Regieübung boykottiert, Gastprofessuren durchgesetzt und versucht, die Filmakademie zu demokratisieren. Und so war es kein Wunder, dass 1991, im Jahr meiner Bewerbung, kaum einer meiner Mitstudierenden je über besonders große Publikumswirksamkeit und kommerzielle Verwertung ihrer Filme nachgedacht hat. In Österreich gab es damals kaum Auswertungsmöglichkeiten, sixpackfilm wurde 1990 gegründet und hat den Verleih 1996 begonnen. Was Weltvertriebe sind, wussten wir nicht. Auch vom Fernsehen waren wir unbeeindruckt. Die Rolle der Redakteur*innen war uns als davon im Kinofilm recht unabhängiges Filmland nicht bewusst, und so fanden mein Team und ich es fast lustig, wenn Redakteur*innen bei entscheidenden künstlerischen Entscheidungen mitreden wollten.

Aus dieser Naivität heraus konnte in Österreich in den 1990er-Jahren viel Neues entstehen, eine neue filmische Bewegung, sozialkritisch, nah an Randfiguren der Gesellschaft, ohne mit dem Publikum zu liebäugeln – und offen gesagt, auch nicht mit dem roten Teppich. Und dabei gab es damals noch sehr opulente rote Teppiche!

So stehe ich als Kind meiner Zeit, zugegeben, auch vor Herausforderungen, wenn heute mit dem Handy politische Filme gedreht werden, die weltweit gesehen werden und für Aufmerksamkeit sorgen. Dem gegenüber steht ein riesiger, teurer Apparat, der Filme nur mithilfe des ebenfalls schwerfälligen europäischen Förderungsapparats herstellen kann. Daneben Serien mit gleichem Budget, privat finanziert, mit weitaus größerem Publikum. Sich in diesem Raum zu positionieren ist heute für junge Filmschaffende sicher komplexer, um nicht zu sagen schwieriger als zu meiner Anfangszeit. Auch gibt es einen weitaus größeren Nachwuchs und die Konkurrenz ist auch aufgrund der Globalisierung immens. Für diese notwendige Positionierung in diesem so vielfältigen Markt und Wirkungsraum Hilfestellung zu geben, oder zumindest ein Bewusstsein zu schaffen, sehe ich als großen Teil meiner Aufgabe als Lehrende.

Die Freiheit, die ich zu Beginn meiner Karriere hatte, empfinde ich als größer als heute. Auch die Autoritäten waren größer, aber umso einfacher, als Studentin oder junge Filmemacherin gegen sie zu halten und ihnen nicht nachzueifern. Denn ich glaube nicht daran, dass autoritäre Lehrer*innen/Meister*innen aus jungen Filmemacher*innen das Beste herausholen. Unabhängig und unbeeindruckt von anderen kannst das immer nur du selbst.

Beim Unterrichten geht es für mich um Reibung, um Inspiration, überraschende Denkansätze, Assoziationen, Momentaufnahmen, Bilder und Töne, und dann gilt es, alleine loszufliegen, selbst die Verantwortung für sein Handeln und seine künstlerischen Entscheidungen zu übernehmen. ‚No Fear – Make Mistakes‘ hat Lars von Trier einmal auf dem Filmset von Breaking the Waves auf Plakate geschrieben. Mir tun eigene Fehler weniger weh, wenn sie auf einer Entscheidung basieren, die ich aus Überzeugung getroffen habe, vielleicht gegen Widerstände anderer, manchmal auch selbst zweifelnd. Bin ich einem Ratschlag anderer gefolgt und habe eine Entscheidung getroffen, die ich später als Fehler empfinde, schmerzt das mehr.

Meine filmischen Anfänge bestanden aus: Diskussionspanels mit der Überschrift ‚girls make films‘ (auch Mädchen machen Filme!); ein Nein gegenüber dem Mächtigeren bedeutet, dass du hysterisch bist; ‚Für den Empfang ziehst du dann aber schon dein kleines Schwarzes an, oder?‘ ‚Die Hauptfigur in deinem Drehbuch gehört mal so richtig durchge… – und über die offensive Sexualität deiner Hauptfiguren reden wir dann bei einem Glasl Wein, ja?‘

Jahre später dann, ich mittlerweile Professorin, die #MeToo-Bewegung. Erst die führt mir so richtig vor Augen, was damals passiert ist. Bei einer großen Veranstaltung in Folge von #MeToo an der Filmuniversität Babelsberg lausche ich aufgewühlt Worten von Betroffenen, aber und vor allem auch von jungen, männlichen Filmstudenten. Das hat mich bewegt, und auch versöhnt.

Ich sehe und spüre, dass Veränderung möglich ist.

Wenn ich heute – mehr als früher – sehe, was es alles bereits vor mir gab, egal ob auf filmästhetischer oder auf feministischer Ebene, bin ich davon überzeugt, dass jede Generation in gewisser Weise ihre eigenen Erfahrungen machen und eigene Forderungen stellen muss. Trotzdem wird von der vorherigen Generation immer Vorarbeit geleistet, da bin ich sicher. Wenn bereits erworbenes Wissen durch eigene Erfahrung der nächsten Generation durchdrungen wird, entsteht immer wieder Neues.

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Foto © Nick Albert