„Da schrammen wir an der Unwürdigkeit vorbei“
Sichtweisen

„Da schrammen wir an der Unwürdigkeit vorbei“

Danny Krausz, Dezember 2021

Danny Krausz ist einer der prominentesten Filmproduzenten des Landes – und in seinen vielfältigen branchenpolitischen Aktivitäten und Funktionen auch einer der einflussreichsten. Gemeinsam mit Milan Dor gründete er 1988 die Produktionsfirma Dor Film, die einige der erfolgreichsten Kinospielfilme der letzten Jahrzehnte verantwortet, von Indien (1992) über Komm, süßer Tod (2000) bis Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott (2010). Seit 2011 lehrt Danny als Universitätsprofessor im Bereich Produktion an der Filmakademie Wien, seit 2019 ist er dort auch Institutsleiter.

Der folgende Text ist einer von vier Beiträgen von etablierten Filmemacher*innen und Lehrenden zum Thema Damals & Heute

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Mein erster Reflex zur Anfrage war: ‚Wow, wirklich lange her das alles!‘ – und doch habe ich wenig davon vergessen.

Mich bezeichnete man in jenen Tagen als Sucher, nicht unentschlossen, aber gar nicht leicht zufrieden zu stellen, was die eigenen Ansprüche, Herausforderungen und Ziele betraf. Es ist jetzt genau 40 Jahre her, dass ich mit dem Filmemachen in Berührung kam und jede Begegnung mit Filmschaffenden wie ein Schwamm aufsaugte, obwohl ich mich gar nicht trocken fühlte. Ich merkte rasch: Da ist etwas anders, der Blick auf die Welt zwar kritisch, aber mit kreativer Interpretation und nicht mit destruktiver Energie wie oft andernorts. Mit Glück begegnet man in solchen Zeiten Menschen, die im Rückblick gut und gern als Lebensmenschen bezeichnet werden können. Mir ist das passiert.

Durch meine therapeutische Ader, ich habe sogar eine Zeit lang in der Drogentherapie gearbeitet, schrammte ich nahe an dem ‚hilflosen Helfer‘-Syndrom vorbei. Ich habe das damals rechtzeitig erkannt und die Richtung nicht weiterverfolgt. Mit dieser Erfahrung schien ich jedoch nicht so schlecht grundadjustiert zu sein für das, was da als junger Produktionsmitarbeiter auf mich zurollte. Mir schenkten drei Menschen ihr Vertrauen und schickten mich dann einfach los in diesen Zirkus, der als Dreharbeiten getarnt vor mir stand. Ich merkte nicht, wie schnell fast zehn Jahre vergingen. Die Jahre waren in Projekten vergangen und nicht in Kalendermonaten. Meine familiären kaufmännischen Grundkenntnisse erwiesen sich zusätzlich als hilfreich, weil es dafür keinen Erklärungsbedarf bei mir gab.

In den späten 1980er Jahren dann haben Milan Dor und ich, nach gemeinsamen Arbeiten, den Entschluss gefasst, eine Firma vor allem für den Nachwuchs zu gründen. Ich wusste nicht, dass damit nahezu alle Arbeitgeber für mich nicht mehr erreichbar waren und die Rollläden runtergelassen werden. Ausnahmen bestätigen die Regel, das möchte ich nicht unerwähnt lassen, aber es waren eben Ausnahmen. Unsere Firma wurde in eine Zeit hinein gegründet, in der es in der TV-Welt nur Auftragsproduzent*innen gab, die nichts entwickelten, sondern lediglich herstellten. Die inhaltliche Hoheit lag ausschließlich bei den Sender-Redaktionen, hatten sie doch auch allein die Entwicklung geleistet.

Als Alternative zur TV-Welt hatte sich langsam, aber doch auch die unabhängige Kinofilmproduktion zu etablieren begonnen. Die Entwicklung der Filmförderung machte diese Perspektive erst möglich. Davor musste man mit der sogenannten ‚kleinen Förderung‘ auskommen, die im BMUK angesiedelt war (heute im BMKOES).

Hier waren wir an dem Punkt, wo man dann in die Branche eintauchen möchte und die Widerstände gar nicht kennt. Aus heutiger Sicht würde man klar von einem Kartell der TV-Produzent*innen sprechen. Es waren die sogenannten ‚Glorreichen Sieben‘, die sich die Auftragsproduktion untereinander auszumachen schienen. Ganz so war das natürlich nicht, die hatten schon Konkurrenz untereinander, aber es war wohl eher spielerisch als faktisch – auch das ist rückblickend sicherlich ein wenig verzerrt. Allein deshalb schon, weil es eben nur den ORF als einzigen echten Motor der unabhängigen Branche gab, und daher konnte der ORF auch klar die Bedingungen vorgeben. Rahmenbedingungen zu verhandeln oder zu diskutieren, das kam alles viel später.

Staunende Gesichter gab es, als wir relativ zu Beginn unserer Firmenlaufbahn dem Sender einen TV-Film angeboten haben: ‚Wer, wie, was?!‘ Das gab es damals einfach nicht, dass man mit einem Drehbuch kommt, das man nicht abgeben wollte. So etwas war völlig unüblich. Wir hatten den Rückhalt des Autors/Regisseurs, der uns die Treue hielt, obwohl wir nicht in der Lage waren, ihn dafür ausreichend zu bezahlen. Diese gemeinsame Haltung muss man dann auch aufbringen, und genau mit der kommt man voran. Ich erlebe nicht selten, dass diese Solidarität zwischen Produktion und den Kreativen gern mutwillig torpediert wird. Man könnte ja zu stark werden, wenn man sich allzu gut versteht … Für wen das eine Gefahr sein könnte? Ich überlasse die Antwortsuche gerne den Leser*innen.

Jedenfalls waren wir als junge neue Firma eine gewisse Gefahr und wir haben Anrufe entgegengenommen, deren Ziel es war, uns einzuschüchtern. ‚Störe meine Kreise nicht‘, hieß es da z.B. – ‚Willkommen heißen‘ in der Branche sieht anders aus. Das Einzige, was uns damals wirklich Mut machte und gerettet hat, war die Kombination von Glück, Erfolg und der gemeinsamen Kraftanstrengungen mit den Kreativen. Unser Businessplan war damals im Bauch und nicht im Kopf. Geld gab es keines, das haben wir uns freischaffend verdient und damit erste Drehbücher finanziert. Ein guter Plan, jedenfalls hatte er Charme. Nachahmenswert ist er aber nicht. Denn oft, dankenswerterweise nicht allzu oft, habe ich ein halbes Jahr auf den nächsten freien Job gewartet. Die Schlagzahl an Produktionen war ja weit übersichtlicher als heute und die Zukunft als Freiberufler völlig unvorhersehbar. Die heutige Produktionsdichte war schlicht unvorstellbar, ebenso wie die vielfältigen Verbreitungsformen.

Also Hindernisse gab es auch damals auf jeden Fall, sie waren lediglich andere. Unsere Betätigungsfelder waren vielleicht nicht so vielfältig, wie sie es heute sein können, aber sie waren deshalb nicht einfacher, eher schwerer zu bearbeiten.

Die Abwehr der Branche hat mich jedenfalls geprägt, hat mich und uns schnell auch in andere Länder blicken lassen. Unsere vielzähligen Koproduktionen sind erfreulicherweise auch legendär – nicht alle, aber eine große Mehrheit sind was geworden, das können wir für uns festhalten. Diese Werke haben Freude, Nachhaltigkeit, gesellschaftliche Relevanz und auch kommerziellen Erfolg gebracht. Kurz gesagt ‚für Hirn und Publikum‘, weil wir da vielfältigst unterwegs waren und bis heute weiterhin sind. Die Koproduktion war aber damals völliges Neuland und in der Förderlandschaft zwar gewünscht, aber auch da musste man erst Erfahrung sammeln, wie das am besten geht. Ich erinnere sehr gut, dass es die kleinen Länder in Europa waren, die das Know-how eingebracht haben, die Produzent*innen großer Länder haben das ja nicht benötigt – für uns war das Koproduzieren hingegen lebensnotwendig und heute ist es Alltagsgeschäft. Es kann zwar nicht jeder, aber jeder versucht es.

Milan und ich haben den Nachwuchs gesucht und gefunden. Über 20 Erstlingsfilme sprechen für sich. Natürlich muss diese Verantwortung heute von den nächst jüngeren Kolleg*innen übernommen werden und sie tun es auch. Neue Allianzen bilden sich, das Rad dreht sich weiter.

Zu unseren Anfängen gab es drei Welten: Kino-und Dokumentarfilm, TV-Film und Werbung. Natürlich auch Image -und Industriefilme, wie man das damals verallgemeinernd nannte. Diese Branchenfelder waren relativ separiert, nur ganz wenige Firmen versuchten, alles zu bedienen. Für den heutigen Nachwuchs ist allein diese Herausforderung um Welten komplexer geworden. Die unzähligen Formen, sich filmisch ausdrücken zu können, sind Fluch und Segen gleichermaßen. Wie orientiert man sich da, was ist mein Weg, wo liegen meine Stärken, wo meine Schwächen? Diese Reflexion allein ist so vielfältig geworden, das kostet Zeit und Kraft, keine Frage. Hier, finde ich, kommt eine zentrale Aufgabe der Lehrenden zum Tragen: Geduld mit den Talenten zu beweisen, Orientierungen zu ermöglichen, zuhören und zusehen. Das ist nicht immer leicht, aber essentiell und zentral. Ich halte es für einen großen Fehler, wenn sich die Lehre ausschließlich aus dem Vergleich nährt. Erfahrung weiterzugeben, Standpunkte zu vertreten sind Voraussetzung. Und historisches (Film-)Wissen möchte ich nicht in Abrede stellen. Aber die Erfahrung führt vielleicht manchmal zu Ungeduld bei den Lehrenden. Diesen inneren Gegner muss man bezwingen und die Studierenden dürfen ihn auf keinen Fall zu spüren bekommen. Die Studierenden leben ihr Leben nicht im Vergleich. Sie leben im Hier und Jetzt, dessen Gestaltung sie selbst zu verantworten haben. Für Lehrende muss es also darum gehen, den Studierenden gegenüber die größtmögliche Offenheit und Neugierde zu bewahren. Ich selbst sehe mich da bestenfalls als jemand, der behilflich ist, vorhandene Talente freizulegen.

Kern meiner Lehre allerdings ist es, die Teamfähigkeit und die dafür nötigen Voraussetzungen zu schaffen. An einer Universität, die Solist*innen zu Spitzenleistungen führt, ist das gar nicht so einfach nachvollziehbar zu machen. Kein*e Regisseur*in, kein*e Autor*in macht seine*ihre Filme allein, auch wenn das in Festivalkatalogen oft bei den Credits so zu lesen steht. Wer aber weiß, welchen Einfluss Teams auf ein Werk letztendlich haben, wird anders denken. Dass verschiedenste Gewerke auf Festivals preiswürdig erscheinen, führt dennoch nicht dazu, dass eine komplette Creditliste die Würdigungen sicherstellt.

Das wir auf der Filmakademie handwerkliche Grundlagen als Basiswissen vermitteln ist natürlich Teil der Lehre, aber auch das ist keine Routine bzw. darf keine sein. Hier nutzen wir dankbar die aufgebauten Strukturen und verändern diese auch ständig. Neue technische Herausforderungen sind genauso unser Auftrag in der Vermittlung wie neue Formen in der Arbeitswelt selbst. Wir versuchen hier gemeinsam einerseits ‚klassische‘ Rahmenbedingungen zu festigen und gleichzeitig unverzichtbare Themenbereiche einzubeziehen. ‚Green Producing‘ ist zu Recht schon verbreitet, die vertiefende Konfliktforschung, einhergehend mit Konfliktlösungsmethoden, hingegen im Kunstbereich relativ neu.

Abschließend möchte ich mich einem Thema widmen, das nicht nur für den Nachwuchs große Priorität haben sollte:

Speziell in Österreich haben wir kein funktionierendes System für den Übergang aus der Studienzeit in das Berufsleben. Ich stelle das so pauschal hin und verzichte bewusst auf Differenzierungen. Filmemachen ist kostspielig, egal aus welcher Ecke des Filmschaffens man kommen mag. Durchsetzungsvermögen, Überzeugungsarbeit für die eigenen Projekte und Vorhaben zu leisten, das können wir stellenweise vermitteln. Den Erfolg, die Umsetzung, die relative Chance auf Verwirklichung können wir aber nicht steigern oder gar absichern. Das wird nie gehen, aber eine deutliche strukturelle Verbesserung mit anderen auch finanziell wirksameren Werkzeugen muss dringend her. Da schrammen wir knapp an der Unwürdigkeit vorbei. Ein Viertel der professionellen Mittel zur Filmförderung wird derzeit im Nachwuchs allokiert, das klingt paradiesisch. Die faktischen Zahlen sind das Problem, weil die 100 Prozent der Mittel, die bereit stehen, keinesfalls ausreichen, mit dem Tempo der Branchenentwicklungen Schritt zu halten.

Es liegt in der Verantwortung der (kultur-)politischen Gestalter*innen, das zu beheben. Die Entscheidungsgrundlagen dafür können wir liefern, aber nicht mehr. Die Impulse, die auf diese Art gesetzt werden, erfassen nicht selten auch andere Branchenbereiche. Darauf müssen wir in der Lehre klar Bezug nehmen, die Harmonisierung bzw. der von mir oben erwähnte Zusammenhalt ist immer noch die durchsetzungsfähigste Formation für die Kunstschaffenden, damals wie heute, wenn es um Veränderungen geht.

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